ADB:Sunnenburg, Friedrich von

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Artikel „Sunnenburg, Friedrich von“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 780–782, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sunnenburg,_Friedrich_von&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 05:26 Uhr UTC)
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Sunnenburg *): Friedrich v. S. (Suonenburc), Spruchdichter aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundertes, stammte möglicherweise aus dem bei St. Lorenzen im Pusterthale gelegenen Orte Sonnenburg, dessen wechselnde ältere Namensformen genau zu den schwankenden handschriftlichen Angaben über den Namen des Dichters stimmen; jedesfalls war er Oberdeutscher. Wie die Ueberschriften der einzig glaubwürdigen Handschriften beweisen, wie weiterhin sein Platz in der Anordnung von C bestätigt, war S. Meister, d. h. bürgerlicher, aber geschulter Sänger, und die gelehrte Willkür, die ihn zum niedern Adel rechnen will, ist um so unzulässiger, als auch seine Poesie zu adliger Herkunft durchaus nicht paßt. Er ist ausschließlich fahrender Lehrdichter; daß er auf Verlangen auch etwas höfischen Sang auf sein Repertoire setzen würde, kann man seiner Versicherung glauben, ohne daß er darum auch nur von weitem zu den Minnesingern gerechnet werden dürfte: die Fahrenden mußten, wie wir durch den Marner wissen, auf alle Fälle gerüstet sein und die oberdeutschen Meister haben mit höfischer Art immerhin mehr Fühlung gehabt, als ihre norddeutschen Collegen. Erhalten hat sich bei S. nicht der leiseste minnigliche Anklang. Er dichtet für ein höfisches Publicum: Edelmann und Bauer sind ihm nicht nur sociale, auch moralische Gegensätze, und die 10 Gebote formt er in deutlichem Hinblick auf das sinkende Ritterthum seiner Tage um. Der Hof, der ihm am meisten ans Herz gewachsen ist, war der bairische. Nicht nur daß er die Herzöge Otto II. († 1253) und Heinrich preist, jenen mit einer ähnlichen Schmuckkette von Epithetis, wie sie Reinmar v. Zweter dem Kaiser zu Ehren geschmiedet hatte; auch den Damen des Hofes huldigt eine besondere, um 1250 verfaßte Strophe. Später finden wir S. in Böhmen, von wo aus er den Feldzug König Ottokar’s gegen die Ungarn 1271 mitmachte. Den Regierungsantritt Rudolf’s von Habsburg hat er erlebt und besungen, ist aber noch bei Lebzeiten Konrad’s von Würzburg, also vor 1287, gestorben. Ob sich seine Wanderungen wirklich von [781] Ofen bis nach Köln und Salerno, von Bern und Metz bis nach Braunschweig und Lübeck erstreckt haben, wie eine nicht unzweideutige Bemerkung anzudeuten scheint, das darf man bezweifeln: das Prahlen mit weiter Länderkenntniß ist bei diesen Fahrenden typisch, gehört zum Handwerk. Außerhalb Tirols, Baierns und Böhmens zeigt ihn höchstens ein Lobspruch auf den thüringischen Grafen Friedrich III. von Beichlingen: aber wer weiß, wo er dessen Gunst erfahren hat. S. ist eine schwerfällige Natur von so engem Horizont, daß er nicht den Eindruck des Vielgewanderten macht. Durch eine Klosterschule scheint er gelaufen zu sein und dort lateinische Brocken aufgelesen zu haben. Weit her mit seiner Bildung war es aber nicht: er erzählt öfter, daß er lesen hörte, daß er selbst las, nie.

S. ist keine anziehende Erscheinung. Ohne Temperament, außer wo es gilt, die Kargen und Mißgünstigen zu schelten, ohne Urtheil, ohne Anschauung, ohne Geschmack, ohne Humor, nennt er höchstens ein Bischen dürftig tiftelnder Logik sein eigen. Er macht sich lustig über das Unlogische des Ausdrucks ’sich der Welt abthun‘. Der frostige Witz dürren Verstandes läßt ihn der Jungfrau Maria vorwerfen, er wisse, daß sie drei Liebhaber besitze: nichts ist so blasphemisch, als die Nüchternheit, wenn sie lascive Späße versucht; obendrein wird dieser, später viel variirte, Einfall S. schwerlich gehören. Er versucht, und das hebt ihn von den meisten übrigen Spruchdichtern ab, wiederholt scholastisch-logische Beweise zu führen: von Bibelworten und ähnlichen Argumenten ausgehend, bringt er etwa den Nachweis, daß es keine Sünde sei, für Ehre Gut zu geben und zu nehmen; daß es Frevel sei, auf die Welt zu schelten, weil diese Schelte Gott mit treffe, und Aehnliches. Wie wenig er sich selbst überzeugt, erhellt aus der Thatsache, daß er trotzdem gleichfalls die üblichen Declamationen gegen die böse Frau Welt losläßt. Die Personification, sparsam angewendet, ist ihm die angenehmste Art der Bildlichkeit; auch ein Physiologusbild kommt vor; wo er in Lob- und Scheltsprüchen Bilder nicht vermeiden kann, reiht er aufzählend und völlig unanschaulich eine herkömmliche Metapher an die andre, Pflanzenbilder bevorzugend. Es kennzeichnet seine ärmliche Phantasie, daß er z. B. Herzog Otto’s sämmtliche Glieder mit Tugenden besetzt sein läßt, daß ihm der Beichlinger ein Sacramentshäuschen der Ehre ist und das er Herzog Heinrich’s geraden Sinn dem Lineal vergleicht. Dieselbe Armseligkeit zeigen seine Gedanken. Zahlreiche Strophen widmet er einer oder mehreren Tugenden, deren Namen einzeln oder gepaart in ärgster anaphorischer Häufung an dem Anfang jeder oder doch fast jeder Zeile wiederholt werden: den Rest der Verse füllen die denkbar leersten und zusammenhanglosesten Phrasen. Dieses wortklingelnde Geschwätz sinkt in einer Strophe, in der das Wort Gott 39 Mal vorkommt neben 68 andern Worten, bis zum blöden Gelall herab. Kindisch wirkt auch das ungeschickte Gestotter, in dem S. von seinem Ungernzuge berichtet. Und solch Patron unternimmt es, als politischer Dichter in die Fußtapfen Walther’s zu treten! Nun, seine Leistungen sind wie zu erwarten. Zum Urtheil reicht weder sein Geist, noch sein Charakter. Der Tod Friedrich’s II. veranlaßt eine verclausulirt-pfäffische Strophe, in der er erwägt, daß der unruhige Kaiser jetzt in der Hölle sitzen müsse; Rudolf’s Regierungsantritt begrüßt er durch eine Mirakelerzählung nach Hörensagen und durch Uebersetzung zweier päpstlicher Breve. Auch hier nackte Unfähigkeit. Er zeigt, abweichend von der seit und durch Walther herrschenden Tendenz, ultramontane Neigungen. Die Frömmigkeit und der Teufel kommen ihm schnell auf die Zunge. Duldung kennt er nicht: der Herr, der die Kunst (d. h. den Dichter) in der Noth läßt und die Unkunst (d. h. die Concurrenten) vorzieht, der ist hier an Ehren todt, dort in alle Ewigkeit verloren. Da spricht aus S. nicht der heilige Ernst, mit dem noch Konrad von [782] Würzburg die gottgesandte Kunst feiert; da gibt ihm lediglich das praktische Erwerbsinteresse die Worte ein: gestattet er dem ‚Armen‘ doch selbst die Lüge, übrigens eine verbreitete Laxheit damaliger Moral. Immerhin sind die Scheltstrophen Sunnenburg’s trotz aller ihrer Maßlosigkeit mit ihrer maskirten oder unmaskirten Bettelei noch das Erträglichste. Hier wird er wenigstens warm, hier liegt ihm der Gegenstand seiner Dichtung wirklich am Herzen. Er sticht den Nebenbuhler im Lobe des Herrn v. Reifenberg ähnlich aus, wie Walther im Wartburgkrieg Heinrich von Ofterdingen besiegt, und seine Schilderung einer schlechten Bewirthung, gut für Hunde und Schweine, tritt aus dem Gleise ein klein wenig heraus. So abhängig er durchweg von der Tradition ist, so wenig läßt er sich an ein bestimmtes dichterisches Vorbild anknüpfen; wenn er sich auf ‚den von Neifen‘ beruft, ist das natürlich Redensart. Erhalten sind von ihm 4 (mit einer unvollständig erhaltenen 5) Strophenformen; im Beginn seiner Dichtung hat er herumprobirt, späterhin bleibt er ein und derselben langzeiligen Strophe treu, in der nur die Reimfolge variirt wurde. Aermlich, wie alles an diesem Dichter, ist auch sein Reim- und Wortschatz; daher seine leidige breitspurige Liebhaberei für zweckloses Häufen derselben Worte und Wortstämme. Kein frischer Luftzug bewegt das graue Gewölk der Langenweile, die über Sunnenburg’s Poesie brütet. Er ist der talent- und geistloseste unter den mhd. Spruchdichtern, repräsentirt am unverhülltesten die leblose Manier, zu der diese strophische Didaktik schnell herabkam.

Erhalten sind seine Sprüche am besten, aber unvollständig, in der großen Heidelberger (C), am zahlreichsten in der Jenaer Liederhandschrift (J). Herausgegeben wurden sie durch v. d. Hagen, Minnesinger II, 352–360; III, 69–78; vgl. IV, 647–660 und durch Osw. Zingerle, Friedrich v. Sonnenburg (Innsbruck 1878); vgl. zu Zingerle’s Ausgabe Sievers in den Beiträgen zur deutschen Sprache und Litteratur 5, 539 ff. und Strauch im Anzeiger für deutsches Alterthum 6, 50 ff. – Die Nachweise Grimme’s, Alemannia 22, 34 ff., sind ohne Werth.

[780] *) Zu S. 159.