ADB:Stetten, Paul von (Augsburger Historiker)

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Artikel „Stetten, Paul v., der ältere und der jüngere“ von Wilhelm Vogt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 127–128, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stetten,_Paul_von_(Augsburger_Historiker)&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 20:12 Uhr UTC)
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Stetten: Paul v. St., der ältere und der jüngere, zwei nennenswerthe Historiker der Reichsstadt Augsburg im 18. Jahrhundert. Die Augsburger Familie dieses Namens stammt aus Frankfurt am Main, woher im J. 1426 Hans v. St. in die Stadt am Lech übersiedelte und die noch heute existirende Familie begründete. Die Familie schloß sich frühzeitig der Reformation an und wurde 1538 vom Rath unter die Geschlechter aufgenommen. Seit der Regimentsveränderung vom J. 1548 durch Kaiser Karl V. sind die Angehörigen derselben unausgesetzt in den wichtigsten Aemtern der Reichsstadt zu finden. – Paul v. St., der ältere, wurde am 8. November 1705 seinem gleichnamigen Vater geboren und für den in der Familie traditionellen Dienst im Gemeinwesen bestimmt und erzogen. Unter seinen Jugendlehrern ist der seinerzeit in weiteren Kreisen durch seine philosophischen und historischen Schriften bekannte Mag. Jakob Brucker zu nennen. Achtzehnjährig bezog St. die Universität Altdorf, um Jurisprudenz zu studiren, ohne daß er dort gerade besondere Anregung und Befriedigung fand. Nach vierjährigem Studium, während welcher Zeit sein Vater starb, und nach einer sechsmonatlichen Reise durch Deutschland kehrte er in seine Vaterstadt zurück, wo er bis zu seiner ersten Anstellung im J. 1731 mit historischen Studien und archivalischen Vorarbeiten sich unermüdlich beschäftigte, um seine Absicht, eine Geschichte seiner Vaterstadt zu schreiben, gründlich vorzubereiten und nach jahrelanger Arbeit auszuführen. Das Werk besteht aus zwei starken Folianten, deren erster die Zeit von der Gründung der Stadt bis zum J. 1627 umfassend 1743 erschienen ist, während der zweite Band bis zum J. 1649 reicht und 1758 herauskam. Seinen Vorsatz, sein Werk bis zu seiner Zeit fortzuführen, verwirklichte er aus persönlichen Gründen nicht. Die Form, die er wählte, ist die chronistische, der hauptsächlichste Fehler neben dem Mangel einer durchdringenden Kritik. – Die Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit dagegen in Benützung der litterarischen und archivalischen Quellen bildet die Hauptstärke des Werkes und macht es zu einem bleibenden Denkmal in der Augsburger Historiographie. Veranlaßt hatte den Verfasser zu seinem Unternehmen die Anschauung, daß ein Staatsmann ohne eine gründliche Kenntniß der Geschichte seines Territoriums keine fruchtbringende Wirksamkeit ausüben könne. Fast alle Aemter der Republik hat er innegehabt und sich ihnen in der schweren Zeit des unverkennbaren Niederganges seiner Vaterstadt mit unerschütterlicher Treue und Gewissenhaftigkeit gewidmet, überall, aber meist ohne bleibenden Erfolg, dem eingewucherten Schlendrian entgegenwirkend und bis zu seinem achtzigsten Lebensjahr im öffentlichen Dienste aushaltend. Am 6. Febr. 1786 starb er. Sein ältester Sohn Paul der jüngere gleicht in Bildung, Bestrebungen und Stellung dem Vater ganz besonders. Er war am 24. August 1731 geboren und erbte von seinem Vater die Liebe für Kunst und Wissenschaft, insbesondere für Geschichte. Den Vorbereitungsunterricht genoß er im Gymnasium von St. Anna; seine Universitätsstudien, Hauptberuf ebenfalls Jurisprudenz, machte er in Genf und dann in Altdorf. Darnach macht auch er eine größere Reise und füllt darauf seine Wartezeit damit aus, die von der Stadt angekaufte bedeutende Herwart’sche Augsburger Urkundensammlung zu katalogisiren und zu registriren (6 Bände). Bald hernach betritt er die öffentliche Laufbahn zunächst als Archivar und läßt 1762 seine „Geschichte der [128] adelichen Geschlechter der freien Reichsstadt Augsburg“ erscheinen, eine Arbeit noch ganz im Geiste seines Vaters gehalten, das erste und einzige Werk über die Augsburger Geschlechter. Von da an wird aber der Umgang mit bedeutenden Künstlern und Kunstfreunden seiner Vaterstadt von ausschlaggebender Wirkung auf seine litterarische Thätigkeit, welche sich mehr und mehr der Kunst- und Culturgeschichte zuwendet und zwar in der Absicht, auf die Massen zu wirken und der zunehmenden Entmuthigung zu steuern. So schrieb er 1765 seine „Erläuterungen der in Kupfer gestochenen Vorstellungen aus der Geschichte der Reichsstadt Augsburg“ mit nachdrucksamer Betonung der cultur- und kunstgeschichtlichen Partien. Dieses Buch ist als der Vorläufer seines bedeutendsten 1779 und 1788 in zwei Bänden erschienenen Werkes: „Kunst-, Gewerb- und Handwerksgeschichte der Reichsstadt Augsburg“ anzusehen. Eine Arbeit von bedeutendem Umfange führt sie den ganzen Reigen jener in Kunst, Kunstgewerbe und Handwerk seit den Blüthetagen Augsburgs zum Ruhme der Stadt thätigen Männer vor, deren Namen und Leben mit Recht der Vergangenheit entrissen werden, zugleich mit dem Zweck, „einen Beitrag zu einer allgemeinen Kunstgeschichte von Deutschland“ zu liefern. Ueberall, wo man Verständniß hierfür hatte, erregte das Unternehmen Stetten’s Aufmerksamkeit und Beifall; mit verschiedenen Stimmführern in der Litteratur trat er in Verbindung und Correspondenz, mit Wieland, Weiße, Nicolai u. a. Durch seine heute noch lesenswerthen „Lebensbeschreibungen zur Erweckung und Unterhaltung bürgerlicher Tugenden“, erschienen 1778 und 1782 und im besten Sinn populär geschrieben, gesellte er sich selbst dem großen Reigen der deutschen Litteratoren bei und sah seinen Schriftstellernamen auch im Norden mit Ehren genannt. Von seinen weiteren Schriften führen wir an die „Beschreibung der Reichsstadt Augsburg nach ihrer Lage, jetzigen Verfassung, Handlung und den zu solchen gehörenden Künsten und Gewerben und ihren andren Merkwürdigkeiten“ mit einem von Nilson gestochenen Stadtplan (1788); ferner eine Lebensbeschreibung des Stempelschneiders Hedlinger, herausg. von dem Kunstverleger J. El. Haid; endlich seine liebenswürdigen „Briefe eines Frauenzimmers aus dem XV. Jahrhundert“, welche anonym erschienen und ziemlich rasch nacheinander drei Auflagen erlebten. Ferner arbeitete er fortgesetzt an einem Ehrenbuch seiner Familie, ohne dasselbe zum Abschluß zu bringen, während andere litterarische Producte nicht über den Anfang hinausgediehen oder von ihm als noch nicht reif für den Druck zurückgehalten wurden. Neben dieser litterarischen Thätigkeit sehen wir ihn in der amtlichen, von innen und außen vielfach gestört, rastlos beschäftigt. Er erkannte die Zeichen der Zeit, welche auch den Untergang der schwäbischen Stadtrepublik ahnen ließen, aber er hätte es für eine unedle Feigheit angesehen, trotz des Undankes, den er reichlich erntete, jetzt vom Steuerruder zurückzutreten und das Schifflein seiner Vaterstadt Wind und Wellen führerlos preiszugeben. Im drangvollen Jahre 1792 übernahm er sogar das höchste Amt des Stadtpflegers und führte dem Unheil wehrend, so gut er konnte, dasselbe, bis nach dem Preßburger Frieden Augsburg seiner Reichsstandschaft entkleidet und dem neuen bairischen Staatsgebilde einverleibt wurde. Erst jetzt trat er vom öffentlichen Dienst zurück, um noch zwei Jahre der Ruhe zu genießen: am 11. Februar 1808 starb er.

Die Werke der beiden Historiker. – Stetten’sches Familienarchiv. – Städtische Bibliothek. – Krauß, P. v. Stetten’s Leben und Charakter.