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Artikel „Steichele, Anton von“ von Alois Knöpfler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 572–576, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Steichele,_Anton_von&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 21:24 Uhr UTC)
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Steichele: Dr. Anton v. St., Erzbischof von München-Freising, wurde am 22. Februar 1816 zu Mertingen bei Donauwörth achtbaren, aber nicht gerade wohlhabenden Rothgerberseheleuten als ältestes von zehn Kindern geboren. Die „kernhafte, einfache Frömmigkeit“ des Elternhauses senkte sich auch in die Seele des Kindes und haftete in ihr durchs ganze Leben. Da der Knabe in der Volksschule gute Begabung und rühmliches Betragen zeigte, durfte er seinem Wunsche entsprechend am 26. October 1826 die Lateinschule zu Dillingen beziehen. Hier lag er mit rühmlichem Fleiß und gutem Erfolg den Studien ob und erhielt im Herbste 1833 das Reifezeugniß. Nachdem er noch zwei Jahre am Lyceum zu Dillingen philosophische Vorlesungen gehört, siedelte er im Herbst 1835 an die Universität München über, um hier Theologie zu studiren. Die Sorge um das materielle Fortkommen wurde ihm dadurch abgenommen, daß er für das erste Jahr als Hauslehrer in die Familie v. Branca Aufnahme fand und im folgenden Jahre einen Freiplatz im Georgianum erhielt. Mit begeisterter Lernbegierde besuchte St. die Vorlesungen bei Kaiser (Moral), Mall (a. T.), Reithmayr (n. T.), Wiedemann (Pastoral) und Döllinger (Dogmatik und Kirchenrecht). Ganz besonders aber zog ihn Möhler an: „Er ist es“, schrieb er einem Freunde, „der mir das theologische Studium wirklich angenehm macht. Es wird mich nie gereuen, ihm zu lieb die Universität bezogen zu haben.“ Nachdem er sich durch Geistes- und Herzensbildung wohl vorbereitet, erhielt er am 28. August 1838 von Bischof Peter Richarz in der Domkirche zu Augsburg die Priesterweihe, „die Sehnsucht langer Jahre“. Gleich nach der Primiz, die er am 16. September j. J. in der Pfarrkirche seines Heimathortes feierte, erhielt er von seinem Bischof den erbetenen Urlaub, um sich durch weitere Studien auf der Universität München auf das philologische Lehrfach vorzubereiten. Zugleich erhielt St. einen stillen, ihm lieben Wirkungskreis als Hofmeister in der Familie Berks. Als letztere im April 1839 nach Landshut übersiedelte, begleitete sie auch St. und hier lernte ihn sein Bischof Richarz, der der Familie befreundet war, näher kennen. Der Bischof gewann den bescheidenen, begabten und strebsamen jungen Priester lieb und zog ihn nun in seine Nähe. Am 7. April 1841 ernannte er ihn zum Domvicar und bischöflichen Archivar; zugleich bewirkte er, daß ihm im October dess. J. die Katechetenstelle an der Studienanstalt St. Anna, sowie jene an der höheren Töchterschule bei den englischen Fräulein in Augsburg übertragen wurde. In der neuen Stellung erwarb sich St. das Vertrauen seines Oberhirten in solchem Maße, daß ihn dieser am 27. April 1844 unter Belassung im Amte eines Archivars zum bischöflichen Secretär und zum geistlichen Rath mit Sitz und Stimme in der bischöflichen Curie ernannte. St. erwies sich hier als in besonderem Grade geeignet für den bischöflichen Verwaltungsdienst und empfahl sich außerdem auch durch sein leidenschaftsloses Wesen, das sich von keinem Parteiinteresse leiten oder beeinflussen ließ. Er gewann denn auch die Hochachtung und Werthschätzung der gesammten Curie, so daß er schon am 30. December 1847 vom Domcapitel einstimmig zum Domherrn gewählt wurde. Der Tod des Bischofs Peter v. Richarz († in der Frühe des 2. Juli 1855) brachte einige Aenderung zwar nicht in der Stellung und Berufstreue, wol aber in der inneren Stimmung Steichele’s mit sich. Sein [573] schon von Natur aus mehr nach innen gekehrter Geist wurde dadurch noch mehr der Einsamkeit und ernstem Studium zugeführt. „Ich suche Zurückgezogenheit und treibe Historica“, schrieb er bald nach jenem Hingang an einen Freund.

Für historische Studien besaß St. auch, abgesehen von seiner natürlichen Begabung, all die Eigenschaften, die unerläßlich sind, wenn das Arbeiten eines Historikers nutzbringend und von bleibendem Werthe sein soll: eisernen Fleiß und Ausdauer, peinliche Akribie, zarte Gewissenhaftigkeit und aufrichtige Wahrheitsliebe. Solche Eigenschaften mußten bei der Stellung eines Archivars fast von selbst zu historischem Forschen und Arbeiten führen. So veröffentlichte denn auch St. seit 1848 zunächst „Beiträge zur Geschichte des Bisthums Augsburg“; allmählich aber reifte in ihm der Plan, das ganze altehrwürdige Bisthum Augsburg historisch und statistisch zu beschreiben. Die ersten Bausteine zu diesem monumentalen Werke lieferte er im „Archiv für die Geschichte des Bisthums Augsburg“, wovon in den Jahren 1856–60 drei Bände erschienen. Sofort nahm er nun aber das eigentliche Werk selbst in Angriff und schon 1861 erschien das erste Heft: „Das Bisthum Augsburg historisch und statistisch beschrieben.“ Als Hauptgrundsatz galt ihm hiebei nach eigener Darlegung: „Wissenschaftliche Haltung anzustreben und ebenso dem praktischen Gebrauche zu dienen.“ Fast drei Decennien hindurch sammelte St. mit unermüdetem Eifer und staunenswerther Ausdauer Material für sein Werk. Alle, irgend eine Ausbeute versprechenden öffentlichen wie Privatarchive und Bibliotheken wurden durchforscht, so, abgesehen von sämmtlichen einschlägigen Pfarr- und Decanatsarchiven der Diöcese Augsburg, die reichhaltigen Archive zu Augsburg, Maihingen, München, Stuttgart, Wolfenbüttel, Wien, Pest u. a. Ebenso besuchte er sämmtliche zu beschreibende Pfarreien, Kirchen, Capellen, Burgruinen, Römerschanzen u. s. w. persönlich, stieg auf die Thürme, um die Glockeninschriften zu lesen, untersuchte Ruinen, Denkmäler, Höhlen oft mit Lebensgefahr, so die Höhlen bei Killing und Dinzelbach in der Nähe von Augsburg. So groß aber auch der Eifer und so ausdauernd der Fleiß, das Werk war nach Anlage und Inhalt zu schwierig und zu umfangreich, als daß Eines Menschen Leben und Arbeitskraft zu seiner Vollendung hinreichen konnte. Dazu kamen bei St. noch eine Reihe von Behinderungsgründen, die es als selbstverständlich erscheinen lassen, daß er sein Lieblingswerk unvollendet zurücklassen mußte. Kaum ein Drittel des Ganzen war bei seinem Tode erschienen: von 38 Decanaten hatten nur 12 in 35 Lieferungen ihre Beschreibung gefunden. Außerdem steht auch der erste Band noch aus, der die Geschichte der Bischöfe, dann der Stadt und des Archidiaconats Augsburg enthalten sollte. So harrt das schöne Werk einer tüchtigen, jungen Kraft, um der Vollendung entgegengeführt zu werden, wozu in den wohlgeordneten Collectaneen Steichele’s bereits reichhaltiges Material vorhanden ist. Dem Forschen und Arbeiten des strebsamen Gelehrten blieb auch die Anerkennung nicht vorenthalten. Nachdem er den ersten Band vollendet König Ludwig II. vorgelegt, erhielt er unter dem 5. Februar 1865 das Ritterkreuz I. Classe des Verdienstordens vom hl. Michael. 1870 am 4. Juli ernannte ihn die theologische Facultät der Universität München zum Doctor theologiae und 1879 erhielt er von Herzog Max in Baiern die goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft.

Unterdessen waren in der Lebensstellung unseres Forschers Veränderungen eingetreten, die ihn seinen wissenschaftlichen Arbeiten zwar nicht ganz entziehen konnten, ihn aber darin doch wesentlich behindern mußten. Am 9. August 1873 war St. zum Dompropst in Augsburg ernannt worden, und als im J. 1877 nach dem Tode Scherr’s der erzbischöfliche Stuhl von München-Freising vacant wurde, sah man in St. allgemein den Mann, der geeignet wäre, in schwerer [574] Zeit den Hirtenstab des hl. Corbinian zu führen. So wurde er denn auch am 30. April 1878 von König Ludwig II. zum Erzbischof designirt und am 15. Juli j. J. von Leo XIII. präconisirt; am 14. October aber nahm er vom erzbischöflichen Stuhl feierlich Besitz, nachdem er Tags zuvor in der Kathedrale zu München consecrirt worden. Wenn das sprüchwörtliche „nolo episcopari“ je einen Kern von Wahrheit in sich geschlossen, so war dieß ganz gewiß bei Anton St. der Fall. Erst nach langem hartem Kampfe konnte er sich bereit finden lassen, „die schöne, ruhige Stellung in Augsburg den Interessen der Kirche zum Opfer zu bringen“, und wie schwer das Opfer werden sollte, konnte er bald genug erfahren. Gleich beim Informativproceß vor dem päpstlichen Nuntius in München erfuhr er zu seiner größten Ueberraschung, daß er im Verdacht des Irvingianismus stehen solle. St. hatte nämlich als Domherr in Augsburg hervorragenden Antheil genommen an dem Proceßverfahren gegen die Apostel des Irvingianismus, namentlich gegen den Pfarrer Georg Lutz und seinen eigenen Amtsnachfolger, den bischöflichen Secretär Spindler, die beide excommunicirt wurden. Seiner Energie und Umsicht war es hauptsächlich zu danken, daß die irvingianische Bewegung in Schwaben so rasch und unschädlich verlief. Dieß nun hatte angeblich kirchlicher Uebereifer dahin zu verkehren gewußt, als ob St. selbst vom Irvingianismus angesteckt wäre. So leicht es ihm war, diese Anklage als durchaus unbegründet zu entkräften, so tief kränkte die kundgewordene Intrigue den geraden und offenen Sinn des Mannes. Als Bischof war ihm erste und wichtigste Sorge gewissenhafte Erfüllung aller Pflichten seines Hirtenamtes, das er verwaltete als einer, der Rechenschaft zu geben hat für die ihm anvertrauten Seelen (Hebr. 13, 17). Vor allem lag ihm am Herzen Pflanzung und Pflege eines wahrhaft christlich religiösen Sinnes in Volk und Geistlichkeit: dahin zielten alle Bemühungen und Verordnungen seines ganzen Pontificates. Um die Kinder zu lebendiger Theilnahme am kirchlichen Gottesdienste zu erziehen, gab er ihnen ein eigenes Gesang- und Gebetbuch in die Hand; um den Tag der Firmung zu heiligen, erließ er eigene Bestimmungen zu dessen würdiger Feier; um das Familienglück zu fördern und vergiftende Einflüsse der Leidenschaft möglichst fern zu halten, ließ er alljährlich eine eindringliche Belehrung über das Sacrament der Ehe von den Kanzeln verlesen. Die weitere Sorge galt der Förderung einer ersprießlichen Pastoration. Um stets tüchtige Priester in nöthiger Anzahl erziehen zu können, reorganisirte er den Corbiniansverein; andererseits sorgte er für Errichtung neuer Pfarreien und Seelsorgsstellen, wie er z. B. in München die Erbauung und Gründung dreier neuer Kirchen und Pfarreien (St. Benno, St. Paul und St. Maximilian) energisch in Angriff nahm und diese Stiftungen auch noch testamentarisch bedachte. Der offenen und geraden Natur Steichele’s widerstrebte alles Agitatorische, daher blieb er auch der Bewegung des baierischen Katholikentages im Sommer und Herbst 1889 durchaus ferne, so offen und freimüthig er auch in der Immediateingabe des baierischen Episcopates vom 14. Juni 1888 die volle Durchführung des Concordates und die unerläßlichen Gerechtsame kirchlicher Oberhirten reclamirte. Mit derselben Entschiedenheit war er hiefür auch als Mitglied der Kammer der Reichsräthe eingetreten.

Neben Pflanzung und Pflege des Glaubenslebens war Erzbischof St. nicht weniger auch die Wiedergewinnung der dem kirchlichen Leben Entfremdeten am Herzen gelegen. Seinem liebevollen und schonenden Vorgehen ward auch mancher Erfolg zu theil. Die schönste Freude freilich sollte ihm nicht vergönnt sein: seinen verehrten Lehrer, Stiftspropst v. Döllinger, mit der Kirche wieder aussöhnen zu können; ja seine dießbezüglichen edlen Bestrebungen sollten ihm neue Kränkungen eintragen. Gleich nach seiner Stuhlbesteigung erfuhr Erzbischof St., [575] daß Döllinger seine Ernennung mit dem Ausdruck aufrichtiger Freude begrüßt und daran auch seinerseits Hoffnungen knüpfen zu wollen scheine. Der Erzbischof sandte ihm daher unter dem 12. December 1878 seinen ersten Hirtenbrief mit einem herzlichen Begleitschreiben (s. Reusch, Briefe und Erklärungen von J. v. Döllinger, München 1890, Nr. 22), wofür Döllinger unter dem 14. j. M. in verbindlichster Weise dankte. Diesen freundlichen Gedankenaustausch benutzten nun einige wohlmeinende Freunde Döllinger’s, um eine persönliche Zusammenkunft des Erzbischofs und Stiftspropstes herbeizuführen, was auch wirklich gelang. Nach vorheriger Anfrage erschien Döllinger am 21. Januar 1879 Abends 6 Uhr im Arbeitszimmer des Erzbischofs. Der Inhalt der Unterredung ist freilich nie Jemand bekannt geworden, beide Männer haben denselben mit ins Grab genommen. St. hatte zwar eine Aufzeichnung der denkwürdigen Besprechung begonnen, allein dieselbe enthält nur die einleitenden Begrüßungsformeln; da wo der eigentliche Gegenstand beginnen sollte, bricht sie plötzlich ab. Soviel läßt sich übrigens einigen Aeußerungen des Erzbischofs entnehmen, daß ihm infolge dieser Unterredung ein leiser Hoffnungsschimmer einer möglichen Wiedergewinnung Döllinger’s aufleuchtete. Er schrieb daher wenige Wochen darauf jenen liebevollen Glückwunsch zum 80. Geburtstag Döllinger’s (s. Reusch a. a. O. S. 125), der in einem Theil der katholischen Presse eine so kränkende und lieblose Interpretation gefunden (s. Neue Zeitung, Mainz, 10. März 1879). Anders freilich urtheilte Rom über das Verhalten des Erzbischofs. In einem Schreiben des Cardinals Nina vom 31. März 1879 wird den „liebevollen Bemühungen des Hochw. Herrn Erzbischofs, der sich keine Gelegenheit entgehen ließ, den verirrten Professor Döllinger an seine Pflicht zu erinnern“, volle Anerkennung gezollt, zugleich auch das aufrichtige Bedauern ausgesprochen, daß Letzterer diesen Mahnungen nicht entgegenkomme. Döllinger’s Antwort auf obigen Glückwunsch, vom 28. Februar 1879 datirt, mußte die Hoffnungen des Erzbischofs wesentlich herabstimmen. Neben den verbindlichsten Dankesbezeigungen heißt es darin: „Welch ein Glück und Segen wäre es für mich gewesen, wenn Sie im J. 1871 mein Oberhirte gewesen! Jetzt freilich sind die Ketten geschmiedet, die weder Sie noch ich zu zerreißen vermögen; denn das sehe ich klar, daß von Rom her Ihnen nie gestattet werden würde, von dem vollen Kelch der Lüge und der Schande, den auszutrinken man mich zwingen würde, auch nur Einen einzigen Tropfen mir zu ersparen.“ Es ist begreiflich, daß nach dieser Erklärung Erzbischof St. einer durch Domcapitular Moufang in Mainz im Juli und August 1885 in Rom angeregten Versöhnungsanbahnung durch den Papst selbst geringen oder keinen Erfolg in Aussicht stellen konnte. Trotzdem wollte der Erzbischof nochmals einen Versuch wagen und schrieb anläßlich Döllinger’s Namenstag am 30. Juli 1886 einen letzten liebevollen Glückwunsch, dessen „gütige und huldreiche Worte“, sowie „wohlwollende Ausdrücke und Wünsche“ der Stiftspropst in seiner vorläufigen Antwort vom 3. August dankend anerkannte. In der in Aussicht gestellten eingehenderen Erwiderung vom 1. März 1887 aber (Reusch a. a. O. S. 129) ließ er keinen Zweifel mehr aufkommen, daß jeder weitere Versuch einer Aussöhnung vergeblich und nutzlos wäre. Der Erzbischof sandte denn auch nur noch eine kurze Richtigstellung einer unrichtigen Vermuthung Döllinger’s (Reusch a. a. O. S. 144).

Die liebevolle Pietät, womit der Erzbischof seinem ehemaligen Lehrer stets entgegentrat, war ein schöner Charakterzug Steichele’s, der sich auch anderwärts äußerte. Noch als Bischof verwahrte er in seinem Brevier ein einfaches Bildniß seines Namenspatrons mit der bezeichnenden Umschrift: „Ein Andenken an meine Mutter, als ich den 26. October 1826 das erste Mal in die Studien nach Dillingen abreiste.“ Als man die irdischen Ueberreste des Bischofs Richarz im [576] Dom zu Augsburg in die Gruft gesenkt, stand Domherr St. noch vor ihr „mit Thränen in den Augen, als sich schon Alles entfernt und die Werkleute sie mit raschen Händen schlossen.“ In seinem geraden und biedern Wesen konnte St. keinen Gefallen finden an dem, was die Welt äußere Repräsentation nennt. Auch als erster baierischer Kirchenfürst behielt er die liebgewonnene Einfachheit bei und es fehlte nicht, daß es, wie einstens einem Cardinal Ximenes, so auch St. verargt werden wollte, daß er den Erzbischof nach außen zu wenig zur Geltung kommen lasse. Sein an ernste Arbeit gewohnter Geist brachte es mit sich, daß er vieles und zumal nutzloses Hin- und Herreden über unbedeutende Dinge nicht liebte und daher Vielen für schweigsam und wortkarg gelten konnte, während er an ernsten, wissenschaftlichen, namentlich historischen Gesprächen stets regsten Antheil nahm. Wer je einmal gesehen, wie hiebei sein großes, klares Auge aufleuchtete, wird den geistvollen Blick nie wieder vergessen. In vertrautem Verkehr konnte sogar seine gemüthvolle Heiterkeit zur Geltung kommen.

Die letzten Jahre seines Lebens waren vielfach durch körperliche Leiden getrübt, für die er theils im Süden (in Gries bei Bozen), theils in Karlsbad Hülfe oder doch Linderung suchte. Noch konnte er im Herbste 1888 das fünfzigjährige Priesterjubiläum unter allgemeiner Antheilnahme der ganzen Erzdiöcese feiern, allein schon waren die Tage des arbeitsreichen Lebens gezählt. Am 10. September 1889 war er aus Karlsbad zurückgekehrt und begab sich, wie er glaubte, zur Nachkur, factisch aber zum Sterben, nach Freising. Hier verschied er nach sorglicher Ordnung seiner zeitlichen und geistlichen Angelegenheiten am Abend des 9. October 1889 selig im Herrn. Seine irdischen Ueberreste wurden nach München verbracht und in dortiger Kathedrale beigesetzt. Charakteristisch für Gemüth und Geist des gelehrten Erzbischofs sind die Schlußworte des sieben Tage vor seinem Tode abgefaßten Testamentes, die kurze Erwähnung verdienen dürften. „Indem ich sterbend vom Bischofsstuhl des hl. Corbinian herabsteige und den Hirtenstab an meinem Grabe niederlege, sende ich noch meinen letzten Segen und meine letzten Grüße hinaus in meine weite Diöcese. Allen die mir je Liebe und Liebesdienst erwiesen, danke ich aufs innigste; ist mir Jemand gram, so reiche ich ihm hiemit die versöhnende Hand. In Liebe und Frieden, versöhnt mit Gott und aller Welt, will ich aus dem mühevollen Leben scheiden und getrost und voll Ergebung heimkehren zu Gott, meinem Herrn.“

Schematismus des Erzbisthums München und Freising für das Jahr 1890, S. 263 ff.; sowie mündliche und schriftliche Mittheilungen.