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Artikel „Lutz, Johann Evangelist Georg“ von Franz Heinrich Reusch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 711–713, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lutz,_Johann_Georg&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 14:16 Uhr UTC)
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Lutz: Johann Evangelist Georg L., katholischer Geistlicher, geb. am 12. März 1801 zu Burg bei Thannhausen in Baiern. † am 9. Juli 1882 zu Eßlingen. L. erhielt seine Ausbildung auf dem Gymnasium und in dem damals unter der Leitung von J. B. Gerhauser (s. Bd. VIII, 783) stehenden Seminar zu Dillingen. Einige seiner Lehrer waren Geistesverwandte von Sailer, und dieser übte durch seine Schriften und durch persönlichen Verkehr einen bedeutenden Einfluß auf ihn. Am 7. Juni 1823 zum Priester geweiht, wurde L. zunächst zum Vicar in Grimoldsried bei Schwabmünchen, 1826 zum Pfarrvicar in der Colonie Karlshuld im Donaumoose bei Ingolstadt ernannt. Hier bemühte er sich eifrig und erfolgreich für die Verbesserung der materiellen Verhältnisse der armen Moosbewohner; er erhielt dafür das goldene Civil-Verdienst-Ehrenzeichen. Durch die Lectüre der Schriften von Martin Boos (s. Bd. III, 138) gerieth er in die „mystische“ Richtung und wirkte, 1828 „erweckt“, seitdem im Goßner’schen Sinne (s. Bd. IX, 407 „Geschichtliche Notizen über die bürgerlichen und religiösen Verhältnisse der Colonie Karlshuld auf dem Donaumoose“, 1830). Im J. 1830 wurde er, von benachbarten Geistlichen denuncirt, von dem Augsburger Ordinariate vorgeladen, gab aber befriedigende Erklärungen ab und wurde nur ermahnt, fortan alles Ungewöhnliche und Aufsehen Erregende zu vermeiden, und unter die Aufsicht eines benachbarten Pfarrers gestellt. Er fuhr indeß fort in der bisherigen Weise zu wirken und hielt namentlich gegen den Willen des Ordinariates mit den „Erweckten“ in seiner Gemeinde besondere Andachtsstunden. Im October 1831 sollte er auf eine Pfarrei in der Münchener Diöcese versetzt werden, weigerte sich aber Karlshuld zu verlassen und erklärte mit einem großen Theil seiner Gemeinde zunächst im December 1831 seinen Austritt aus dem römisch-katholischen Kirchenverbande, dann, da die Bildung einer „eigenen, für sich bestehenden apostolisch-christlichen Gemeinde“ von dem Ministerium nicht gestattet wurde, im Februar 1832 seinen Uebertritt zur evangelischen Kirche. Er veröffentlichte nun eine neue Bearbeitung der „geschichtlichen Notizen“ und das „Bekenntniß der christlichen Wahrheit, wie solche in der Pfarrei Karlshuld erkannt und geglaubt wird“. Aber in der Hoffnung als protestantischer Geistlicher in Karlshuld bleiben und die Gemeinde nach seinen Anschauungen von altchristlicher Disciplin [712] und altchristlichem Cultus organisiren zu können, sah er sich getäuscht. Auch das protestantische Oberconsistorium hielt seine Entfernung von Karlshuld für nöthig und ernannte ihn zum Pfarrverweser in Wassertrudingen. Schon im Juni 1832 äußerte L. mündlich, in den folgenden Monaten wiederholt schriftlich, daß er seinen Uebertritt als eine Uebereilung bereue, und bat um Wiederaufnahme in die katholische Kirche. Diese erfolgte, nachdem er einen Widerruf geleistet und das tridentinische Glaubensbekenntniß abgelegt, am 16. Novbr. 1832. Er bewog auch den größten Theil seiner Anhänger in Karlshuld, sich der katholischen Kirche wieder anzuschließen („Ausschreiben des Ordinariats Augsburg über Wiederaufnahme des J. G. Lutz“ vom 5. Decbr. 1832, abgedruckt in Benkert’s Religions- und Kirchenfreund 1833, Bem. 1). – Nachdem L. einige Zeit als Privatgeistlicher in Unterroth gelebt, wurde er im September 1834 zum Pfarrer in Tafertshofen im Capitel Oberroth ernannt. Im J. 1839 veröffentlichte er mit Approbation des Ordinariats Augsburg „Zeugnisse von Christo, dargelegt in einigen Erbauungsreden“, bald darauf aber anonym und ohne Approbation „Feierstunden des Christen“, 2 Bde., 1839–41, und „Früchte des Geistes Jesu“, 2 Bändchen, 1842. Diese letzteren Schriften wurden in der Augsburger „Sion“ als „aftermystisch“ angegriffen; L. antwortete in den Broschüren: „Sendschreiben an die Redaction der Sion, Dr. Wittmann und Dr. Herbst“, 1843, „Letztes Wort an Dr. Patriz Wittmann und die Sion“, 1845. Der Bischof von Augsburg, Peter v. Richarz, ernannte L. trotz dieser Angriffe 1843 zum Kammerer und einige Jahre später zum Decan des Capitels Oberroth. – Im J. 1844 befreundete sich L. mit dem Schotten William Renny Caird, der sich als Missionar der Irvingianer in Baiern aufhielt. Unter dessen Mitwirkung veröffentlichte er anonym eine Deutung der Bibel im Sinne der Irvingianischen Eschatologie: „Ueber den Rathschluß Gottes mit der Menschheit und der Erde“, 2 Bde., 1847, dann selbständig gleichfalls anonym, die Schriften „Prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind“ (1848-54, drei Auflagen), „Die Hoffnungen der Kirche Christi und des Volkes Israel in der Gegenwart“, 2 Hefte, 1848. 1849, und „Das prophetische Wort des Herrn und unsere Zeit oder Betrachtungen über Matth. 24 und 25“, 1849. Im November 1854 wurde in Augsburg eine Untersuchung wider ihn eingeleitet. Er legte 1855 das tridentinische Glaubensbekenntniß ab und erklärte, er verwerfe alles, was in dem „Rathschluß“ den Lehren der katholischen Kirche widerstreitendes enthalten sein möge. Er wurde zunächst vom Decanate enthoben und die erwähnten vier Schriften verboten (der „Rathschluß“ wurde am 6. Decbr. 1855 auch in Rom auf den Index gesetzt). Nach dem Tode des Bischofs Richarz, während der Dompropst Allioli Bisthumsverweser war, wurde er im Februar 1856 als des Irvingianismus verdächtig zu einem zeitweiligen Aufenthalte im Pönitenzhause zu Villingen verurtheilt, dann aufgefordert, sieben Sätze zu unterschreiben. Da er die Unterzeichnung der Sätze: die katholische Kirche ist die allein seligmachende; die angeblichen Apostel der Irvingianer sind entweder Betrüger oder Betrogene, verweigerte, wurde er 1859 excommunicirt. – In diesen Jahren veröffentlichte L. „Beleuchtung einiger religiöser Streitfragen. Ein Wort der Beruhigung an meine Freunde und Nichtfreunde“, 1856; „Gottes Werk in unserer Zeit, dargelegt vor dem Domcapitel des Bisthums Augsburg in der Untersuchungssache des J. G. L. etc.“, 1857; „Nothwehr wider ungleiche Waffen. Eine Vertheidigungsschrift gegen ein Generale des Ordinariates Augsburg über Gottes Werk in unserer Zeit“, 1858. Mit L. wurden vier gleichgesinnte Geistliche und etwa 50 Laien excommunicirt und dann auch polizeilich bedrängt („Bitte excommunicirter Laien in Schwaben und Franken und fünf excommunicirter katholischer Priester der Diöcese Augsburg an die Kammer der Abgeordneten, [713] Schutz gegen Verfolgung und religiöse Freiheit betreffend“, 1859). Einige fanden in Württemberg ein Asyl, L. in der Schweiz; er war 1857–69 an der irvingianischen Gemeinde in Zürich und Bern thätig. Im J. 1861 erhielten die Irvingianer durch ein Rescript des Königs Maximilian II. die Rechte einer Privatkirchengesellschaft. L. kehrte aber erst 1870 nach Deutschland zurück (in diesem Jahre veröffentlichte er „Wahrheit in Sachen der apostolischen Gemeinden zur Erwiderung auf einen Artikel im Berner ‚Bund‘ über das sog. Irvingianerthum“). Er wirkte seitdem als „Evangelist“ an verschiedenen Orten in Baiern und Württemberg, zuletzt in Nürnberg.

Ein württembergischer Pfarrer Joseph Lutz hat 1846 „Chrysostomus und die übrigen berühmtesten kirchlichen Redner“ und später einige andere homiletische Schriften veröffentlicht; s. Thesaurus librorum rei catholicae, 1850, S. 506.

H. Schmid, Gesch. der kath. Kirche, 1872, I, 311. Hist.-polit. Bl. 39. Bd. (1857), S. 508. V. Thalhofer, Beiträge zu einer Geschichte des Aftermysticismus und insbesondere des Irvingianismus im Bisthum Augsburg, 1857. – Briefliche Mittheilungen von Prof. Hnr. Thiersch in Basel.