ADB:Scherr, Gregorius Ritter von

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Artikel „Scherr, Gregorius von“ von Alois Knöpfler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 31 (1890), S. 121–123, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scherr,_Gregorius_Ritter_von&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 13:47 Uhr UTC)
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Scherr: Gregorius v. S., Erzbischof von München-Freising, wurde geboren am 22. Juni 1804 im Städtchen Neunburg vorm Wald, einige Stunden östlich von Schwandorf, in der bairischen Oberpfalz, als der Sohn eines wohlhabenden Gastwirths. In der Taufe erhielt er den Namen Leonhard. Seine Kindheit fiel in die erregten Zeiten der napoleonischen Kriege und noch in späteren Jahren erzählte er von den kriegerischen Scenen, deren Zeuge er als Kind gewesen. Mit 4 Jahren entriß ihn die muthige Entschlossenheit einer treuen Magd dem sicheren Tode in den hochgehenden Wellen des heimathlichen Flusses, der Schwarzach. Der geistig begabte Knabe wurde von seinen Eltern in die Lateinschule nach Amberg geschickt, um daselbst seine Studienlaufbahn zu beginnen. Später folgte er einem verwandten Professor an das Gymnasium nach Regensburg, dann nach Passau, wo er die Maturitas erhielt, worauf er im Herbst 1825 die Universität Landshut bezog. Als Student huldigte S. heiterer, gesunder Fröhlichkeit, was ihn aber nicht hinderte, sich dem Studium der Theologie zuzuwenden; doch folgte er der Universität nicht nach Baierns Landeshauptstadt, wohin sie 1826 verlegt wurde, sondern begab sich an das Lyceum nach Regensburg, wo er das Glück hatte unter Wittmann’s tüchtiger Leitung zum künftigen Priester herangebildet zu werden. Am 4. August 1829 erhielt er die Priesterweihe und trat dann Mitte September dieses Jahres als Cooperator der Pfarrei Rimbach im bairischen Wald in die Seelsorge ein. In der Abgeschlossenheit dieses ersten Seelsorgspostens erwachte in dem jungen Priester die Sehnsucht nach klösterlicher Zurückgezogenheit, und als König Ludwig I. von Baiern das 1803 aufgehobene Benedictinerstift Metten 1830 restituirte, trat Leonhard S. 1832 als Novize daselbst ein und legte mit dem Namen Gregorius am 29. December 1833 die Ordensprofeß ab. Hier wartete seiner eine umfassende Thätigkeit; zum Klosterpfarrer bestellt, hatte er die ziemlich anstrengende Pastoration zu besorgen. In Bälde wurde er nach Scheyern gesandt, um auch hier das neu erstehende Benedictinerstift einzurichten. Zurückgekehrt wurde er von seinen Mitbrüdern im October 1838 zum Prior erwählt und schon im Mai 1840 von König Ludwig I., der dem neu aufblühenden Kloster Metten großes Interesse schenkte, zu Regensburg persönlich zum ersten Abt ernannt. Auf königlichen Wunsch übernahm der neue Abt für sein Kloster die Leitung des Ludwigsgymnasiums, sowie des holländischen Erziehungsinstituts in München. 1842 mußte er in königlichem Auftrag das Kloster Weltenburg an der Donau einrichten und bald darauf die Verwaltung des von Ludwig I. erworbenen Klostergutes Andechs übernehmen, das später an das Kloster St. Bonifaz in München überging. Auch die Einrichtung und Besetzung letzteren Klosters wurde [122] von König Ludwig I. 1854 dem Abt Gregor von Metten übertragen. Unterdessen hatte sich Metten selbst unter seinem ersten Abt zu herrlicher Blüthe entfaltet. Mit dem Kloster waren nach und nach 3 Unterrichtsanstalten verbunden worden: ein vollständiges Gymnasium, ein Erziehungshaus für Söhne aus höheren Ständen und ein bischöfliches Seminar, die zusammen im Jahre 1853 über 300 Zöglinge zählten. 1855 lernte König Max II. den Abt von Metten anläßlich einer Audienz näher kennen und als im Juli jenes Jahres das Bisthum Augsburg erledigt wurde, ließ der König durch seinen Secretär, v. Pfistermeister, einen Landsmann und Freund des Abtes Gregorius, diesem den Stuhl des hl. Ulrich antragen. S. wies diese Würde mit aller Entschiedenheit zurück, aber ebenso entschieden bestand der König auf seiner Forderung, daß er den Stuhl des hl. Corbinian besteige, als derselbe 1856 durch Beförderung des Erzbischofs Reisach zum Cardinal erledigt worden war. Am 12. Juli 1856 verließ der Abt sein geliebtes Metten, die Stätte einer 24jährigen reichgesegneten Wirksamkeit, am 3. August wurde er durch den Nuntius de Luca in der Basilika in München zum Bischof consecrirt und hielt am 28. August jenes Jahres seinen feierlichen Einzug in die Kathedrale daselbst. Der neue Erzbischof schien zu ahnen, wie sturmbewegt sein Pontificat werden sollte. Mit schwerem Herzen, aber doch voll Vertrauen und Kraft ergriff er den Hirtenstab. Wie er seine Kathedrale sofort einer gründlichen Restauration unterzog (1858–1868), so widmete er auch dem religiös-sittlichen Zustand der Erzdiöcese seine volle Aufmerksamkeit. Mit Hülfe des Corbinianvereins, den er 1859 ins Leben rief, errichtete er die Knabenseminare Freising und Scheyern, sowie 1867 ein Chorknabeninstitut zu St. Johann in München, das indeß nach seinem Tode bald wieder einging. Eine Hauptsorge war dem Erzbischof, einen tüchtigen Clerus zu haben; um mit diesem in stetem Contact zu bleiben, gründete er 1860 ein wöchentlich erscheinendes Pastoralblatt, führte das nutzbringende Institut der Pastoralconferenzen, sowie der canonischen Pfarrvisitationen ein, ließ jährlich Priesterexercitien abhalten, denen er regelmäßig selbst anwohnte und ging bei Besetzung kirchlicher Stellen, namentlich wichtiger, mit der größten Gewissenhaftigkeit zu Werke. In erster Linie lag dem Erzbischof sichtlich die ascetische Durchbildung seines Clerus am Herzen, daß er aber dabei die scientifische Aus- und Weiterbildung hintangesetzt hätte nach dem Grundsatz: „wir brauchen keine gelehrten, sondern nur fromme Priester“, läßt sich bei einem so scharfblickenden Geiste wie S. doch kaum annehmen. Gerade er mußte besser als ein anderer wissen, daß Gebet und Wissenschaft die beiden Leitsterne eines tüchtigen Clerus bilden müssen, von denen jeder für sich allein auf Ab- und Irrwege führen muß, denn: „Wissen ist des Glaubens Stern, Andacht alles Wissens Kern“. Daß übrigens Erzbischof S. die Worte bei Oseas IV. 6 wohl beherzigte, zeigt zur Genüge das erste Pastoralschreiben an den Clerus seiner Diöcese, worin er diesen ermahnte zur Pflege der Wissenschaft, hl. Wandels und hl. Gebetes. Zur Hebung des religiös-sittlichen Zustandes des Volkes ließ der Erzbischof vielfach Volksmissionen abhalten und gründete zu diesem Zweck 1858 zu Gars am Inn ein Missionshaus der Redemptoristen, das infolge der Maigesetze von 1872 wieder einging. Das wichtigste und für ihn folgenschwerste Ereigniß seines Pontificates war das vaticanische Concil von 1870 mit seiner Definition von der päpstlichen Infallibilität. Erzbischof S. war am 22. November 1869 nach Rom gereist und hatte sich mit der überwiegenden Mehrzahl der deutschen Bischöfe auf Seite der Opposition gestellt, auf der er auch bis zur Definition beharrte. Gewiß zeugt es von dem Scharfblick des Metropoliten von München, wenn er in sicherer Voraussicht der schweren Kämpfe, welche die Declaration dieses Dogmas in dermaliger Zeitlage über die Kirche heraufbeschwören werde, [123] am 13. Juli 1870 mit 88 Bischöfen mit non placet stimmte und darauf am 15. Juli mit Darboy, Ketteler und Simor im Namen der Minorität Pius IX. die dringendste Bitte zu Füßen legte, von der Definition absehen zu wollen. Am 17. Juli unterzeichnete er noch die Erklärung der Minorität und reiste dann in seine Diöcese zurück, wo er am 19. Juli um Mitternacht ankam. Die Vorahnung des Erzbischofs sollte nur zu genau in Erfüllung gehen, es wartete seiner manch’ bittere Erfahrung und manch’ schwerer Kampf. Nach der Definition des Dogmas handelte S. nach dem Grundsatz: Roma locuta, res decisa und verlangte auch von seinen Diöcesanen sofortige Annahme der Concilsbeschlüsse, fand jedoch vielfach ernsten Widerstand. Er wurde als abtrünnig und wortbrüchig heftig angefeindet. Die gewaltige Erregung der Geister, wie sie namentlich in München selbst entstand, führte allmählich zur Organisirung des sog. Altkatholicismus; der „Massenabfall von der katholischen Kirche“ jedoch, wie ihn Erzbischof S. in „namenlosem Schmerz“ befürchtete, trat nicht ein, dagegen vermochte er die in das katholisch-kirchliche Leben zum Theil tief einschneidenden staatlichen Verordnungen, wie sie namentlich durch die sog. Maigesetze der siebziger Jahre erfolgten, nicht zu verhindern, so oft und so entschieden er auch hiegegen seine Stimme erhob sowohl in der baierischen Reichsrathskammer, deren Mitglied er als Erzbischof war, als auch in verschiedenen Hirtenschreiben, Denkschriften und Collectiverklärungen des deutschen Episcopats. All diese zum Theil recht aufregenden und aufreibenden Kämpfe und Wirren konnten nicht ohne Rückwirkung auf das körperliche Befinden des Erzbischofs bleiben. Der Zug froher Ungezwungenheit, der ihn stets durchs Leben begleitete, verschwand allmählich; im August 1877 begann er zu kränkeln und fühlte in kurzem die Nähe des Todes. Nachdem er sich ernstlich vorbereitet auf den Hintritt vor seinen ewigen Richter, verschied er am 24. October Abends gegen 7 Uhr.