Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Stadelmann, Heinrich“ von Georg Mezger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 358–360, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stadelmann,_Heinrich&oldid=- (Version vom 3. Dezember 2024, 19:23 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Nächster>>>
Stadelmann, Rudolf
Band 35 (1893), S. 358–360 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand Januar 2019, suchen)
Heinrich Stadelmann in Wikidata
GND-Nummer 117195049
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|35|358|360|Stadelmann, Heinrich|Georg Mezger|ADB:Stadelmann, Heinrich}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117195049}}    

Stadelmann: Heinrich St., Dichter und Uebersetzer. St. wurde zu Barthelmeßaurach in Mittelfranken als Sohn des dortigen Pfarrers am 30. März 1830 geboren und verlebte seine Knabenzeit in Schopfloch, wohin sein Vater bald übersiedelte. Die stille Zurückgezogenheit des Pfarrhauses übte ihren Einfluß auf seine Natur; die Beschränkung auf kleinere Kreise des Lebens begünstigte die gemüthvollere Vertiefung. Noch stärker aber waren für ihn die Eindrücke der Schulzeit. Denn auf dem Gymnasium zu Ansbach fand er an dem Schulrath Bomhard einen Lehrer, der den nachhaltigsten Einfluß auf ihn übte. Bomhard, ein Meister des lateinischen Stils, hatte sich durch das in außergewöhnlicher Weise sich entfaltende Sprachtalent zu dem Schüler, dem er sich bald nichts mehr zu corrigiren getraute, hingezogen gefühlt; in seinem Unterricht entwickelte sich dieser vielversprechende Keim; nicht minder aber wirkte die Persönlichkeit des zu sinniger Betrachtung geneigten und durch sie anregenden Lehrers auf St., der dem väterlichen Freunde die dankbarste Anhänglichkeit bis an den Tod bewahrte. In Erlangen, wo St. 1848–1853 Philologie studirte, war es besonders Döderlein, von dem er Anregung empfing. Der geistvolle Gelehrte bot durch die ihm eigene geschmackvolle Art bei der Interpretation der Classiker dem poetisch angelegten Schüler mehr anziehende Seiten als Nägelsbach, in dessen Thätigkeit der Nachdruck auf gründliche philologische Bildung für den künftigen Beruf als Schulmann fiel. Das Letztere hatte für St. einen Beigeschmack von Pedanterie; dadurch entstand in ihm ein Widerspruch zwischen seiner Neigung und dem gewählten [359] Berufe, für den er doch eigentlich nicht geschaffen war, und als er einmal in das Lehramt eingetreten war, machte sich ihm dies selbst fühlbar. Nach kurzem Aufenthalt im väterlichen Hause war er 1853 Assistent in Erlangen, dann in Ansbach geworden; seit 1855 war er bei anfänglich sehr bescheidenem Einkommen Studienlehrer an der Lateinschule in Memmingen. Knaben zu unterrichten, noch dazu in Fächern, welche, wie Arithmetik und Geographie, für ihn selbst gar keinen Reiz hatten, befriedigte ihn nicht, und für alles das, woran sein eigner Geist Freude hatte, gab es in dieser Thätigkeit keinen Raum. Um so inniger wurde seine Freundschaft mit den Musen; er hatte sich ganz in die römischen Dichter eingelebt, und schon als er im J. 1854 seine „Varia variorum carmina“ veröffentlichte, eine Sammlung, in der fast alle deutschen und auch einige griechische und englische Dichter vertreten sind, lagen auch einem weiteren Kreise die Zeugnisse einer seltenen, in der Gegenwart wol von keinem übertroffenen Meisterschaft im Uebertragen moderner Stoffe in antike Form vor. Sie fanden bei Kennern ungetheilten Beifall, so daß er 1856 einen weiteren Band folgen lassen konnte. Goethe’s römische Elegieen (1862) und Byron’s hebräische Gesänge (1866) reihten sich den früheren Arbeiten würdig an; vieles Einzelne veröffentlichte er daneben Jahr für Jahr in Zeitschriften. Einen gleichen Reiz, wie die classische Dichtung, hatte für ihn die altchristliche Hymnenpoesie und schon 1855 ließ er einen Band deutscher Uebersetzungen dieser Art erscheinen, welchem später ein zweiter, die „Sionsgrüße“ folgte. Hatte seine Gewandtheit im Gebrauch der lateinischen Sprache ihn in Berührung mit hervorragenden Latinisten der Gegenwart gebracht, so lenkten glückliche Nachbildungen antiker Poesie in moderner Form bald auch die Augen bedeutender Dichter, wie Geibel, J. Kerner, Gerok, Scheffel auf ihn, mit denen er auch in Briefwechsel trat. „Aus Tibur und Teos“ war eine kleine Sammlung (1868) betitelt, welche ihm den Beifall solcher competenter Beurtheiler verschaffte. Da sein Uebersetzen nie ein äußerliches Einkleiden in deutsches oder lateinisches Sprachgewand war, sondern aus der glücklichen Gabe, sich in den fremden Genius zu versenken und einzuleben, hervorging, so gelang es ihm, ohne daß er sich eigentlicher englischer Sprachstudien hätte rühmen können, auch englische Dichtungen in würdige deutsche Form umzugießen, wie seine „Leierklänge aus Albion“ (1863) und seine Uebersetzung der lyrischen Gedichte Byron’s in der „Bibliothek ausländischer Classiker“ bezeugen. Nicht ohne Werth sind auch seine eigenen poetischen Schöpfungen, alle einer reichen, lyrischen Stimmung entsprungen; doch müssen sie gegen die Leistungen seines Uebersetzertalents zurücktreten. Die innere Befriedigung, welche ihm sein Lehrberuf nie geben konnte, fand er in seinem Familienkreise. Seit 1859 lebte er in glücklichster Ehe mit Marie Friedreich, der Tochter des auch als Schriftsteller bekannten Professors der Medicin in Erlangen. Die äußeren Sorgen verließen ihn nie ganz. Nach manchem erfolglosen Versuche, sich eine ihm besser zusagende Stellung zu verschaffen, wurde er 1872 Studienlehrer am Gymnasium zu Speier, als seine Gesundheit schon durch eine im J. 1870 überstandene Lungenentzündung schwer erschüttert war. Sie konnte sich nicht mehr nachhaltig bessern. Auch der wiederholte Besuch der Bäder von Teinach und Lichtenthal übte keine Wirkung. Trotzdem erschlaffte seine Lust, zu schaffen, nicht; hatten die Jahre 1870 und 1871 ihn zu „Zeitklängen“ begeistert, so konnte eine 1873 erschienene Ausgabe seiner noch ungedruckten Gedichte auch „im Schwarzwald“ gesungene Lieder aufnehmen, die er aus Teinach mitbrachte. Noch trug er sich mit größeren Entwürfen, als ein erneutes Auftreten seines Lungenleidens ihn nöthigte, zuerst einen längeren Urlaub anzutreten, dann sich in seine Heimath Schopfloch zu begeben, von wo er nicht mehr zurückkehrte. Am 1. October 1875 verschied er dort. Die Vollendung des Drucks einer Lyra sacra, der ihn zuletzt [360] noch beschäftigte, hat er nicht mehr erlebt, Freundeshand hat ihn zu Ende geführt.

Nekrolog im „Sammler“, Beil. zur Augsburger Abendzeitung 1876. Nr. 30 und 31.