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Artikel „Stöckhardt, Adolf“ von Bernhard Lepsius in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 288–290, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:St%C3%B6ckhardt,_Adolf&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 12:14 Uhr UTC)
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Stöckhardt: Adolf St., Professor der Chemie an der Akademie für Forst- und Landwirthschaft zu Tharand, wurde in dem zwischen Dresden und Meißen gelegenen Orte Röhrsdorf, wo sein Vater Christian Gottlieb St. Pfarrer war, am 4. Jan. 1809 geboren; er starb in Tharand am 1. Juni 1886. Wie die meisten Chemiker jener Zeit, so ist auch St. aus der Apotheke hervorgegangen; mit einer ausgezeichneten humanistischen Vorbildung, welche er dem Unterrichte seines Vaters, sowie dem Lehrinstitute des Pfarrers von Schönfeld verdankte, namentlich mit einer vorzüglichen Kenntniß der lateinischen Sprache ausgerüstet, trat er mit fünfzehn Jahren in die Apotheke von Lederer in Liebenwerda als Lehrling ein. Nach vier Jahren bestand er daselbst das Gehilfenexamen und conditionirte dann in Berlin und an der königl. Hofapotheke in Potsdam als Receptarius. Hier vermißte er jedoch die wissenschaftliche Anregung seiner Berliner Mußestunden so, daß er im Herbst 1832 zu seiner gründlichen Ausbildung dahin zurückzukehren beschloß. Mit Eifer hörte er die Vorlesungen von Mitscherlich, H. Rose, Hermbstädt, Link und Steffens, sodaß er schon im folgenden Jahre die Staatsprüfung als preußischer Apotheker erster Classe glänzend bestehen konnte. Nach kurzer Zurückgezogenheit bei seinem Bruder in Röhrsdorf ergreift er den Wanderstab. Nachdem er ein halbes Jahr in der Adlerapotheke zu Coblenz thätig gewesen, unternimmt er im Frühjahr 1834 eine längere Reise, um die chemische Industrie und die wissenschaftlichen Lehrinstitute des Auslandes kennen zu lernen. Sein Weg führt ihn durch Belgien, England, Frankreich und die Schweiz und bringt ihn in persönliche Verbindung mit bedeutenden Gelehrten, wie Faraday, Dumas[WS 1], Gay-Lussac[WS 2] u. A. Die Vielseitigkeit seines Charakters, auf welcher wesentlich die Erfolge seines späteren Lebens beruhen, spricht sich schon in einem Tagebuch jener Reisezeit aus: eine glückliche Verbindung von wissenschaftlichem Ernst und Streben mit heiterem Humor, von offnem Blick für Ereignisse und Erlebnisse mit einer tiefen, ja, poetischen Innigkeit des Gemüths, von freier naturwissenschaftlicher Weltanschauung mit streng religiösem Gefühl kennzeichnet sein Wesen.

Die Reise, welche noch nach dem ersehnten Italien ausgedehnt werden sollte, fand durch die Nachricht vom Tode seines Bruders nach fast einem Jahre ihr Ende. Um sich in seinem Vaterlande niederlassen zu können, absolvirte er nach seiner Rückkehr auch das sächsische Staatsexamen mit dem ersten Grade; allein damit schließt auch seine pharmaceutische Laufbahn ab. Das Gebiet der technischen Chemie hat mehr und mehr sein Interesse in Anspruch genommen. Eine zweijährige Thätigkeit im Laboratorium der berühmten Mineralwasserfabrik von Struve in Dresden bildet den Uebergang zu dieser zweiten Periode seines Lebens und als Secretär des Dresdner Gewerbevereins hat er reichliche Gelegenheit, auch mit andern Zweigen der Technik bekannt zu werden.

Die ungemein erfolgreiche Lehrthätigkeit, welcher er nun sein Leben widmet, beginnt er am Blochmann’schen Pädagogium; seine Anschauungen über den Unterricht und das Studium der Naturwissenschaften legt er in einer lateinischen Dissertation nieder, womit er sich nicht nur den Doctorgrad der Leipziger [289] philosophischen Facultät erwirbt, sondern zugleich eine Professur an der Staatsgewerbeschule in Chemnitz (1838). Eine Arbeit über die Erkennung der Giftfarben, welche er im Programm der Schule veröffentlicht, veranlaßt die Regierung, ihn mit den Functionen eines gerichtlich-chemischen Sachverständigen zu betrauen, und ein kurz gefaßtes Lehrbuch, seine „Schule der Chemie“, trägt schnell seinen Namen weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus. Neunzehn Mal hat St. dieses äußerst praktisch angelegte Buch von neuem aufgelegt, in nicht weniger als sieben fremde Sprachen wurde es übertragen.

Im Jahre 1840 vermählte sich St. mit Rosalie Liebscher, die er 1872 durch den Tod verlor; dieser Verbindung entsprossen vier Kinder, von denen drei den Vater in glücklichen Verhältnissen überlebt haben.

Das Jahr 1840 war aber für ihn noch in andrer Hinsicht von großer Bedeutung: wie mit dem Erscheinen von Liebig’s epochemachendem Werke, „Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie“, eine neue Aera in der Geschichte der Landwirthschaft beginnt, so beginnt damit auch in Stöckhardt’s Leben eine neue Periode. Jedermann kennt die Schwierigkeiten, welche der praktischen Verwerthung einer von der Wissenschaft erkannten Wahrheit entgegenstehen, wenn diese – und sei sie von noch so einschneidender Wichtigkeit, – von den hergebrachten Traditionen abweicht; wie sollte dies nicht bei dem ältesten und conservativsten aller menschlichen Gewerbe der Fall sein, bei der Landwirthschaft, deren verknöcherte Dogmen, aus Irrthum und Vorurtheil zusammengesetzt, den auf dem sicheren Boden des Versuchs gewachsenen Lehren geopfert werden sollten. Das eminent werthvolle Geschenk, welches Liebig der Menschheit in seinem Werke gereicht hatte, für die Menschheit nutzbar anzulegen, das war die Aufgabe, welcher St. sein ganzes Leben und seine ganze Kraft widmete. Diese Aufgabe hat er glänzend gelöst. Mit der ganzen ihm eignen Begeisterung stürzte er sich in die reformatorische Bewegung; seine überzeugende und dabei humorgewürzte Vortragsweise, unterstützt von einer ausgezeichneten Experimentirkunst, riefen Jung und Alt in seine Vorlesungen, und zumal seine allwöchentlichen „chemischen Colloquia“ wurden alsbald zu einer reichen Quelle der Belehrung. In der That, einen fachkundigeren Interpreten der neuen Lehre, einen überzeugenderen Agitator konnte die Regierung nicht finden, als sie, den Zeitverhältnissen Rechnung tragend, im Jahre 1847 einen neuen Lehrstuhl für Agriculturchemie und landwirthschaftliche Technik an der Akademie zu Tharand errichtete. St. wurde zugleich mit der Einrichtung eines neuen Laboratoriums betraut und übernahm bald auch die Vorlesungen über reine Chemie und Bodenkunde. Eine[WS 3] große Reihe wichtiger Arbeiten und Untersuchungen, theils von ihm selbst, theils von seinen Schülern und Mitarbeitern unter welchen die Namen Hellriegel, Dietrich[WS 4], Peters, Handtke, v. Jarriges, Sachs, v. Bose, Alb. Bayer, Ulbricht[WS 5], Karsten, v. Schröder hervorgehoben werden sollen, sind aus diesem Laboratorium hervorgegangen. Die Arbeiten sind im Tharander Jahrbuch und in den unten genannten Zeitschriften Stöckhardt’s veröffentlicht; die bis 1866 erschienenen hat St. beim 50jährigen Tharander Akademiejubiläum in einem „Rückblick“ zusammengestellt. Einen weit größeren Wirkungskreis aber gewann St. durch Wort und Schrift. Der geist- und humorvolle Redner wurde auf seinen „chemischen Abenden“ in Tharand, wie auf den Wanderversammlungen der Forst- und Landwirthe stets gern gehört und jeder landwirthschaftliche Verein schätzte sich glücklich, ihn für einen Vortrag gewinnen zu können. Das fruchtbarste Feld seiner Thätigkeit aber lag doch auf dem litterarischen Gebiete. Seine „Chemischen Feldpredigten für deutsche Landwirthe,“ Leipzig 1851–53, welche vier Auflagen erlebten und in mehrere [290] Sprachen übersetzt worden sind, und sein „Guanobüchlein,“ Leipzig 1851, leisteten der Landwirthschaft gerade in jener Uebergangszeit durch ihre zündende Wirkung außerordentliche Dienste; der „Tharander Feldprediger“ war allen Landwirthen eine bekannte Persönlichkeit.

Schon 1847–49 hatte sich St. an der Herausgabe des chemischen Centralblattes betheiligt, 1850–59 gab er mit Schober die Zeitschrift für deutsche Landwirthe heraus, mit seinem Vetter, Ernst St. den „Angehenden Pächter,“ und im Jahr 1855 gründete er mit einer Auflage von 5000 die Vierteljahrsschrift „Der chemische Ackersmann,“ welche er 21 Jahre hindurch selbst geleitet hat.

Daß St. bei der Begeisterung, mit der er seine Aufgabe erfaßt hatte, viele Gleichgesinnte mit sich fortriß, braucht kaum gesagt zu werden; so konnte es nicht fehlen, daß er genug tüchtige, wissenschaftlich und praktisch gebildete Männer fand, welche sich gern in den Dienst seiner organisatorischen Ideen stellten. So sehen wir denn in St. den intellectuellen Begründer der nun über alle Culturstaaten verbreiteten Versuchsstationen, in denen sich Theorie und Praxis die Hand reichen. Die Verdienste Stöckhardt’s haben, das bedarf kaum der Erwähnung, durch Ehrenbezeigungen aller Art von Seiten fürstlicher Personen deutscher und fremder Lande, von Seiten zahlreicher Vereine und Institutionen reichliche Anerkennung erfahren; der schönste Dank aber, den ihm die deutschen Landwirthe gezollt haben, war die Ueberreichung einer Stöckhardt-Stiftung, welche dem Begründer der ersten landwirthschaftlichen Versuchsstation zu Möckern bei der festlichen Begehung ihres 25jährigen Bestehens im J. 1877 gewidmet wurde. Die Erträgnisse derselben hat St. zu Reisestipendien für Assistenten sächsischer Versuchsstationen bestimmt. Die sächsische Regierung verlieh ihm bei dieser Gelegenheit das Prädicat eines „Geheimen Hofraths“, nachdem er schon seit 1854 den Rang eines Hofrathes bekleidete.

Einer so angestrengten und ausgebreiteten Thätigkeit, wie sie St. in gesunden Tagen ununterbrochen ausgeübt hatte, zu welcher auch noch die Obliegenheiten mancher Staatsämter kamen, wie die Mitgliedschaft des Landesculturrathes, die langjährige Apothekenrevision im zweiten Bezirke Sachsens, vermochten doch seine Kräfte auf die Dauer nicht Stand zu halten; so trat er im Alter von 74 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand, welchen er noch einige Jahre hindurch in Behaglichkeit und liebevoller Pflege genießen konnte. Er starb am 1. Juni 1886.

F. Nobbe. Stöckhardt’s Nekrolog in „Landwirthsch. Versuchsstationen,“ Bd. XXXIII, S. 424. 1887, mit Porträt.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jean-Baptiste André Dumas (1800–1884); französischer Chemiker
  2. Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850); französischer Chemiker und Physiker
  3. Vorlage: Ein
  4. Theodor Dietrich (1833–1917); deutscher Agrikulturchemiker
  5. Richard Ulbricht (1834–1907); deutscher Agrikulturchemiker