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Artikel „Spreng, Johann Jacob“ von Adolf Socin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 291–293, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spreng,_Johann_Jacob&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 17:18 Uhr UTC)
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Spreng: Johann Jacob S., Gelehrter und Dichter, geboren zu Basel am 31. December 1699, † am 24. Mai 1768, war der Sohn des gleichnamigen M. Johann Jacob S., Schreiblehrers am Gymnasium zu Basel, dessen charakteristische „Schreibschule“ bis in die Mitte unseres Jahrhunderts maßgebend geblieben ist und sich jetzt noch bei der älteren Generation der Anerkennung erfreut. – J. J. S. d. j. widmete sich dem Studium der Theologie, womit er, dem herkömmlichen Gebrauche gemäß, die Beschäftigung mit den historisch-philologischen Fächern verband. Nach Ablauf seiner Studienzeit finden wir S. als Hauslehrer thätig, so beim württembergischen Gesandten in Wien. In dieser Stellung fand er Gelegenheit, Kaiser Karl VI. bei Anlaß von dessen Krönung zum König von Böhmen 1723 ein Sonett zu überreichen, welches ihm den Titel eines Poeta laureatus eintrug. Zur Feier dieses Ereignisses hielt S. am 9. Juni 1724 vor der Basler Universität eine leider nicht mehr erhaltene Rede „Ueber die Beschaffenheit und Säuberung der schweizerischen Schreibart“ – gewissermaßen das Programm seines späteren erfolgreichen Wirkens.

Wohl auf Empfehlung des Gesandten erhielt S. nach einander die Predigerstelle an den reformirten französischen Gemeinden zu Heilbronn und zu Pérouse bei Stuttgart. Streitigkeiten mit den Gemeindegliedern, denen seine Rechtgläubigkeit nicht über allen Zweifel erhaben stand, veranlaßten S., 1737 in gleicher Eigenschaft nach Ludweiler im Nassau-Saarbrückischen überzusiedeln. Doch auch hier war seines Bleibens nur kurze Zeit. Auf die Bitte Spreng’s und mit Einwilligung der Universität creirte der Basler Rath 1741 eine außerordentliche Professur der deutschen Poesie und Beredsamkeit, und so ist S. der erste Titular eines germanistischen Lehrstuhles an der Universität Basel geworden. 1743 trat er das Amt an. Als streng wissenschaftlich gehandhabte Disciplin im heutigen Sinne darf man sich dasselbe natürlich nicht vorstellen; rhetorische Uebungen für Theologen und Cameralisten waren es, was man in erster Linie von ihm verlangte. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist es S. gelungen, dem damals durch Gottsched vertretenen modernen Typus der neuhochdeutschen Schriftsprache zum Durchbruch in seiner Vaterstadt zu verhelfen. Das bisher das Feld beherrschende süddeutsch gefärbte Kanzleideutsch tritt von nun an mehr und mehr in den Hintergrund.

In seinem Bestreben, einem geläuterten Geschmack in Ansehung der deutschen Litteratur Anerkennung zu verschaffen, fand S. bereits einen Vorläufer an dem Dichter Karl Friedrich Drollinger. Dieser war es, der hauptsächlich die Rückkehr Spreng’s nach Basel betrieb; ja die Selbstlosigkeit des angesehenen Mannes dem jüngeren Genossen gegenüber ging so weit, daß er ihm die Erzeugnisse seiner Muse zur sprachlichen, meist pedantisch gehandhabten Correctur überließ. In dieser Form sind dann Drollinger’s gesammelte Gedichte nach seinem Tode von S. 1743 herausgegeben worden. Vorgedruckt ist die Gedächtnißrede auf Drollinget, mit welcher S. im gleichen Jahre seine Professur inaugurirt hat.

[292] Die Drollinger-Ausgabe ist indeß nicht das erste Werk Spreng’s. Vorausgegangen war ihr eine „Neue Uebersetzung der Psalmen David’s“, Basel 1741, mit einem Anhang eigener „Kirchen- und Hausgesänge“. Auch dieses Werk hat einen sprachlichen Nebenzweck: die unreinen und matten Ausdrücke, die archaistische Wortstellung, das ungenaue Metrum der Lobwasser’schen Psalmen sollten durch die Neubearbeitung beseitigt werden. Von einem wirklichen Fortschritt kann man indeß nicht reden; der Stil ist breitspurig und vielfach mit unpassenden Bildern durchsetzt. Dennoch erlebte das Werk bis über den Tod seines Verfassers hinaus eine Reihe von Auflagen. S. gab sich alle erdenkliche Mühe, ihm in den evangelischen Kirchen der Schweiz officielle Geltung zu verschaffen; aber die Maßregel ließ sich nicht einmal in Basel durchführen. Hauptsächlich wegen des Widerstandes der Landgeistlichkeit hob der Rath 1764 den Einführungsbeschluß wieder auf. – Noch geringeren Anklang fand eine zweite Sammlung: „J. J. Sprengens Geistliche und weltliche Gedichte“, Zürich 1748.

In dem berühmten Streite der Zürcher Kritiker Bodmer und Breitinger gegen Gottsched nimmt S. eine schwankende Haltung ein. Nach dem Vorgange Drollinger’s scheint er bereit gewesen zu sein, mit den Zürchern gemeinsame Sache zu machen; als aber Bodmer seine Idee der Gründung einer allgemeinen helvetischen deutschen Gesellschaft, welche die ästhetische Dictatur Leipzigs abschütteln und zugleich ein reines, aber männlicheres Schriftdeutsch anbahnen sollte, ablehnte, trat eine Entfremdung ein, die sich durch Spreng’s Sticheleien und Bodmer’s Empfindlichkeit zum definitiven Bruch steigerte. Die bahnbrechenden Gedanken der „Kritischen Dichtkunst“ sind an S. eindruckslos vorübergegangen.

Weit bedeutender steht S. da als einer der Mitbegründer der germanistischen Wissenschaft. Schon 1744 bereitete er u. a. eine Ausgabe des Boner vor und berichtete gleichzeitig an Bodmer von der Möglichkeit, die Pariser („Manessische“) Liederhandschrift abschreiben zu lassen; die 1748 durch Bodmer veranstaltete Ausgabe ist somit wahrscheinlich auf Spreng’s Anregung zurückzuführen. Den schweizerischen Chronisten Etterlin gab er 1752 mit Glossar heraus. Das Hauptwerk aber, an dem S. lange Jahre arbeitete, ist ein umfassendes historisch-kritisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Einem 1758 ausgegebenen Probebogen zufolge sollte das Werk schon das allerälteste Deutsch berücksichtigen, daneben die Wiederbelebung alter guter Ausdrücke und die Ausmerzung oberdeutscher Particularismen erörtern. Ausführliche Belegstellen sollten überall citirt werden. Das auf sechs dicke Bände angelegte Werk fand nicht die nöthige Zahl Subscribenten; das Manuscript, 22 Bände, bewahrt die Basler Universitätsbibliothek. Für die Rechts- und Gewerbesprache des 14.–16. Jahrhunderts kann es dem heutigen Lexikographen noch Ausbeute liefern. Kleiner, aber vollständig und sorgfältig ausgearbeitet, ist das Manuscript „Idioticon Rauracum oder baselisches Wörterbuch“, ein wahrer Schatz der alemannischen Sprache des vorigen Jahrhunderts. Dieses Werk kann unbedenklich als das beste mundartliche Wörterbuch seiner Zeit und noch lange darüber hinaus bezeichnet werden.

Als Theologe hat sich S., der seit 1746 neben dem Extraordinariat auch die Stelle eines Geistlichen am Waisenhause versah, namentlich durch die Bekämpfung des Pietismus bekannt gemacht. Auslassungen in diesem Sinne finden sich zahlreich in den von ihm redigirten moralischen Wochenschriften „Eidgenoß“ 1749 und „Sintemal“ 1759. Beide sind über den ersten Jahrgang nicht hinausgekommen. 1754 wurde S. außerordentlicher Professor der Schweizergeschichte; seine hierher gehörigen, nun durchaus veralteten Schriften verzeichnen die Athenae Rauricae (Basel 1778) II, 384 ff. Erst gegen das Ende seines Lebens, 1762, erlangte S. durch das Loos eine ordentliche Professur, die des Griechischen. [293] Spreng’s Leben bietet das Bild einer dornenvollen, an Zurücksetzungen und Enttäuschungen reichen Gelehrtenlaufbahn. Die Gerechtigkeit erfordert, zu sagen, daß sein eigener Sarkasmus und Mangel an Loyalität einen großen Theil der Schuld hieran tragen. Seine Gründlichkeit und sein Scharfsinn aber sichern ihm heute, nach bald anderthalb Jahrhunderten, noch einen ehrenvollen Platz unter den gelesenen und oft citirten Schriftstellern, während andere, an Gut und Namen hoch über ihm stehende Zeitgenossen vergessen und verschollen sind.

Athenae Rauricae s. o. – Leichenrede auf S. von Simon Grynäus, Basel 1768. – Leu, Allg. helvetisches Lexikon XVII (Zürich 1762), S. 434, Supplement V (1791), S. 579. – Lutz, Nekrolog denkwürdiger Schweizer aus dem 18. Jahrhundert (Aarau 1812), S. 500. – K. R. Hagenbach in Herzog’s Realencyklopädie f. prot. Theol. u. Kirche VIII (1857), S. 448. – Mörikofer, Schweiz. Litteratur des 18. Jahrhunderts (1861), S. 69 ff. – Chr. Joh. Riggenbach in den Basler Beitr. zur vaterl. Gesch. IX, 451 ff. – Socin in Birlinger’s Alemannia XV, 185 ff. – Rud. Wackernagel im Basl. Jahrbuch 1887, S. 19, 32 ff. – Bächtold, Gesch. der dtsch. Litteratur in der Schweiz (Frauenfeld 1872), S. 486 ff. – Ungedruckte Briefe und Acten auf der Zürcher Stadtbibliothek, der Basler Vaterländischen Bibliothek und dem Basler Staatsarchiv.