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Artikel „Boner, Ulrich“ von Karl Bartsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 121–122, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Boner,_Ulrich&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 09:43 Uhr UTC)
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Boner: Ulrich B., aus einem bürgerlichen Geschlechte zu Bern, lebte in seiner Heimath als Predigermönch, und erscheint zuerst 1324, als Zeuge bei dem Testamente des Walther von Ried zu Thun, zuletzt 1349, wo er zu Bern die Stiftung des Katharinenaltars zu Thurnen durch Nicolaus von Blankenburg bezeugt. Er verfaßte in einer mundartlich gefärbten Sprache, die von der Reinheit des Mittelhochdeutsch im 13. Jahrhundert absticht, vor 1340 eine Fabelsammlung unter dem Titel: „Der Edelstein“, und widmete sie dem Berner Patricier und Ritter Johann v. Ringgenberg, ohne Frage demselben, der in der Pariser Hs. als Verfasser einiger Spruchgedichte begegnet und 1340 zu Bern in hohem Alter starb. Boner’s Edelstein ist, wie der Dichter in der Schlußrede selbst sagt, nach lateinischen Quellen gearbeitet; er benutzte hauptsächlich die Fabeln des Avianus und des Anonymus von Nevelet. Daneben hat er auch Anekdoten und Schwänke, die zu seiner Zeit im Schwange waren, namentlich gegen das Ende hin, verarbeitet; auch ein älteres Lehrgedicht, die „Bescheidenheit“ des Freidank, ist nicht selten benutzt; wenn er diese Quelle nicht nannte, so geschah es weil damals die Sprüche des Freidank schon Gemeingut geworden waren. Der Edelstein besteht im Ganzen aus hundert Fabeln, wozu noch ein ebenfalls gereimter Prolog und Epilog kommt. Seinen lateinischen Quellen steht B. durchus frei und selbstständig gegenüber. Mit einem nicht gewöhnlichen Erzählungstalent vereinigt er gemüthvolle und auch humane Gesinnung, aber ebenso sittlichen Ernst in den eingeschärften Lehren. Die Lehre, die Moral der Fabel ist ihm die Hauptsache, und nimmt daher einen viel breiteren Raum als in seinen Quellen ein. Sie ist immer mit einfachen, schlichten, aber warmen Worten, klar und bestimmt vorgetragen, und mit Recht weist der Dichter die kunstvoll geflochtene Dichtweise, in der sich sein Zeitalter gefiel, zurück. Im Mittelalter ein beliebtes Buch und vielfältig abgeschrieben, wurde der Edelstein bald nach Erfindung der Buchdruckerkunst (1461) zu Bamberg gedruckt. Nachdem im Beginn des 18. Jahrhunderts Scherz zuerst wieder auf ihm aufmerksam gemacht, gab 1757 Breitinger ihn fast vollständig heraus und widmete ihm kein Geringerer als Lessing aus Anlaß dieser Ausgabe ein eingehendes Studium. Mit scharfem Blicke den Werth und die Bedeutung des Werkes erkennend, ging er dessen Quellen nach und seine Ermittelungen sind noch heute maßgebend. In unserem Jahrhundert hat ihn zuerst Benecke unter Benutzung [122] von Handschriften (Berlin 1816), dann auf Grund reicheren Handschriftenmaterials Pfeiffer (Leipzig 1844) herausgegeben.

Vgl. noch v. Stürler in Pfeiffer’s Germania I. 117; Schönbach in der Zeitschr. f. deutsche Philologie VI. 251.