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Artikel „Spencer, John“ von Wilhelm Creizenach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 99–101, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spencer,_John&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:14 Uhr UTC)
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Spencer: John S., ein englischer Schauspieler und Schauspieldirector, der in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts in Deutschland umherzog. In der Theatergeschichte seines Vaterlands ist er unbekannt. Zuerst begegnet er uns auf dem Festland 1605; in diesem Jahre empfiehlt die Kurfürstin [100] von Brandenburg dem Kurfürsten von Sachsen „eine Bande englischer Comödianten unter der Führung von Johann Spenzer“. (Vgl. Fürstenau, Geschichte der Musik und des Theaters am Hofe zu Dresden. Bd. I. Dresden 1861, S. 76.) Vermuthlich war jedoch S. bereits der Führer einer Truppe, die auf Grund einer Empfehlung des „Forst van Brandenburch“, also Joachim Friedrich’s vom 10. August 1604 die Spielerlaubniß in Leyden im Januar 1605 erhielt. Aus den nächsten Jahren haben sich keine Nachrichten von dieser brandenburgischen Truppe erhalten. 1611 folgte S. mit den Seinen dem Kurfürsten Johann Sigismund nach Ostpreußen, als dieser die Herzogswürde übernahm. 1613 hörte für längere Zeit das Dienstverhältniß auf; S. erhielt jedoch einen gnädigen Empfehlungsbrief an den Dresdener Hof (d. d. 16. April 1613) mit auf den Weg. Von da ab können wir mehrere Jahre hindurch an der Hand archivalischer Nachrichten die Wanderzüge der Truppe durch Mittel- und Süddeutschland verfolgen. Wir finden sie noch 1613 der Reihe nach in Nürnberg, München, Augsburg, Nürnberg, Regensburg (wo Kaiser Matthias zum Reichstag anwesend war und am 24. October S. eine Verehrung überreichen ließ), Nürnberg, Köln; 1614 in Frankfurt, Straßburg, München, Augsburg; 1615 in Köln, Straßburg, Frankfurt, 1616 in Köln; im August dieses Jahres empfängt S. vom kaiserlichen Hof einen Recompens, vermuthlich für Vorstellungen, die er beim Aufenthalt des Kaisers in Dresden gegeben hatte. Bei dem Aufenthalt in Köln 1615 traten er und die Mitglieder seiner Truppe, darunter ein Deutscher und ein Niederländer zum Katholicismus über. 1618 finden wir ihn von neuem in brandenburgischen Diensten, er wird beauftragt, „eine Compagnie aus England und den Niederlanden anhero zu verschaffen“. Indeß war diese Truppe im März 1620 jedenfalls nicht mehr am brandenburgischen Hofe. S. verrechnet um diese Zeit dem neuen Kurfürsten Georg Wilhelm einen übermäßig hohen Betrag für die Unkosten, die die Anwerbung der neuen Truppe veranlaßt habe und wird mit seiner Forderung energisch zurückgewiesen. Von da ab hören wir nichts mehr von ihm, nur noch einmal 1623 taucht er mit einem noch unbekannten Genossen, Sebastian Schadleutner in Nürnberg auf, wo er vergeblich um Spielerlaubniß bittet.

Jedenfalls war S. ein Mann, der sein Geschäft verstand. Zunächst imponirte er bei seinen Wanderungen durch ein ungewöhnlich reiches Personal von Schauspielern und Musikern und offenbar auch durch glänzende Ausstattung, die er namentlich in seinem Hauptzugstück, der türkischen Triumphkomödie (höchstwahrscheinlich einer Bearbeitung von Peele’s Mahomet) zu entfalten pflegte. Die Rechnungen für die Inscenirung dieser Komödie in Königsberg haben sich noch erhalten: 6 Mark für geliehene Federbüsche, 81 Mark 33 S. für eine Wolke, 87 Mark für allerlei Schnitzwerk, 111 Mark 15 S. für allerlei Tischlerarbeit. Daß er es verstand, auf seinen Wanderungen durch die deutschen Städte mit den gestrengen Rathsherren umzugehen, zeigt sich vor allem bei seinem Aufenthalt in Straßburg 1614, wo er die Frist für die Spielerlaubniß auf die ungewöhnlich lange Zeit von zwei Monaten ausdehnte. Den Rath gewann er durch geschickte Umschmeichlung und reichliche Gewährung von Freikomödien, die argwöhnische Geistlichkeit durch Mitwirkung der Theatercapelle bei der Kirchenmusik. Auch wußte er den Stadtvätern gegenüber seine fürstlichen Protectionen sehr wohl auszunützen, in Frankfurt beruft er sich 1615 mit großem Selbstgefühl auf ein kaiserliches Patent. Manchmal ging er freilich mit seinen Ausprüchen zu energisch ins Zeug; wir sahen, wie er sich dadurch in Berlin 1620 seine Stellung verdarb und die wiederholten Zurückweisungen in Nürnberg mögen auf dieselbe Ursache zurückzuführen sein. Als Schauspieler schuf er sich eine besondere [101] Abart des Clown-Typus unter dem Namen „Stockfisch“, der uns jedoch in den erhaltenen Texten der englischen Komödianten nicht mehr begegnet.

Vgl. Creizenach, Die Schauspiele der englischen Comödianten (Deutsche Nationallitteratur XXIII) Stuttgart o. J. (1889) S. IX f. XCIII ff. – Merkwürdige Einzelheiten über Spencer’s Glaubenswechsel in einem Artikel Cohn’s im Jahrbuch der deutschen Shakespeare-Gesellschaft Bd. XXI S. 260 f.