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Artikel „Smolka, Franz“ von Franz Ilwof in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 54 (1908), S. 367–371, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Smolka,_Franz&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 16:24 Uhr UTC)
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Smolka: Franz S., Parlamentarier, geboren in Kalusz in Galizien am 5. November 1810, studirte an der Universität zu Lemberg Jurisprudenz und wurde 1836 Doctor beider Rechte. Frühzeitig schon schloß er sich der Partei an, welche sich die Befreiung Polens zum Ziele setzte und hatte schon 1832 mit Roscissewski von der Emigration, mit den Brüdern Hugo und Theophil Wiszniewski einen heimlichen Bund geschlossen, dessen Endzweck auf die Befreiung der Polen von den drei Theilungsmächten und auf die Herstellung des alten selbständigen Polens hinauslief. 1840 wurde er Landesadvocat in Lemberg. Da er aus seinen politischen Gesinnungen kein Hehl machte und die Behörde zur Kenntniß einer weitverbreiteten politischen Verbindung gelangte, deren Mitglied S. war, wurde er verhaftet. Länger als vier Jahre dauerte der Proceß und endete damit, das S. wegen Hochverraths zum Tode verurtheilt wurde. Der edelgesinnte Franz Graf Stadion, damals Gouverneur von Galizien, später (1848/49) Minister des Innern, that Einsprache dagegen und S. wurde in eine inzwischen erflossene Amnestie eingeschlossen. Der Haft wurde er zwar entlassen, jedoch der Doctortitel und die Advocatur wurden ihm entzogen; erst nach einigen Jahren erlangte er beide wieder.

1848 wurde S. von den polnischen Parteien an ihre Spitze berufen und leitete die Bewegung von dem revolutionären Wege, den sie bereits betreten, auf den gesetzlichen. Er verfaßte eine Adresse, in welcher den Wünschen der Polen Ausdruck gegeben wurde und die am 19. März 1848 an das Ministerium nach Wien abging. Bei den Wahlen für den constituirenden Reichstag fiel S. ein Mandat zu und er begab sich zur Eröffnung desselben (26. Juni 1848) nach Wien. Er wurde in den Ausschuß, welcher eine Verfassung für das Reich zu entwerfen hatte, und von diesem in das Fünfercomité gewählt, dem zunächst die Ausarbeitung zugewiesen wurde.

Als am 6. October 1848 die Tumulte begannen, welche die Octoberrevolution einleiteten, begab sich S. vom Reichstage auf den Hof, den Platz vor dem Kriegsministerium, wo Pöbelhaufen den Kriegsminister Grafen Latour suchten, um ihn zu massakriren. S. stellte sich den Rasenden entgegen, welche [368] zu Latour dringen wollten und erklärte ihnen, er wolle sie zu ihm führen, doch nur unter der Bedingung, daß sie sich mit Schwur und Handschlag verpflichteten, Latour’s Leben zu schonen. Als der Tumult stieg, die Volkshaufen immer größer wurden, begab sich S. zu Latour und forderte ihn auf, sich zur Rettung seines Lebens von ihm verhaften und der zum Schutze seiner Person vereidigten Mannschaft übergeben zu lassen. Es war zu spät. Die wilden Volkshaufen hatten bereits das ganze Kriegsministerium besetzt, drangen bis in das vierte Stockwerk vor, wo S., der Abgeordnete Fischhof und Major Boxberg den unglücklichen Grafen zu bergen suchten. Die Rasenden riefen: „Wo ist Latour?“ Dieser trat hervor, die Wüthenden drängten S., Fischhof und Boxberg zurück, warfen sich auf den Minister, schleppten ihn die Stiegen hinunter und töteten ihn auf dem Platze vor dem Kriegsministerium.

An den Berathungen des constituirenden Reichstages, der während der Octoberrevolution in Wien verblieben war, am 12. October S. zum Präsidenten gewählt hatte und im November nach Kremsier war verlegt worden, nahm er eifrigen Antheil. Mit Umsicht und Takt leitete er die Verhandlungen und hielt sich stets streng auf gesetzlichem Boden. Als am 7. März 1849 der Kremsierer Reichstag aufgelöst wurde, erhob S. feierlichen Protest gegen diesen Schritt der Regierung und als er vom Grafen Stadion, dem Minister des Innern, aufgefordert wurde, an den Berathungen zum Entwurfe einer Verfassung für Galizien theilzunehmen, erklärte er in einem Schreiben (Wien 19. März 1849) an den Minister, daß er sich nicht an Arbeiten betheiligen dürfe, die auf die Gutheißung jenes Ereignisses schließen lassen könnten, wobei er sich überdies gegen jede exceptionelle, zum Nachtheil Galiziens ausschlaggebende Behandlung verwahren zu müssen glaubte.

S. kehrte nach Lemberg zurück, übte dort die Advocatur aus und nahm in den elf Jahren der Reaction (1849–1860) an dem öffentlichen, namentlich politischen Leben, äußerlich gar keinen Antheil.

Erst nach dem Erlasse des Diploms vom 20. October 1860 und der Verfassung vom 26. Februar 1861, mit der gleichzeitig die Landesordnung und die Landtagswahlordnung für Galizien erflossen war, betrat S. wieder den politischen Schauplatz. Er wurde in den nach jener neuen Landesordnung berufenen Landtag von der Stadt Lemberg zum Abgeordneten gewählt und von diesem in einer Deputation mit dem Fürsten Adam Sapieha und dem Grafen Alexander Dzieduszycki an den Staatsminister Schmerling gesendet, um die Wünsche der Polen darzulegen: Untheilbarkeit Galiziens, Erweiterung der Competenz des Landtages, Einführung der polnischen Sprache in Schule und Amt. Schmerling nahm diese Wünsche zur Kenntniß, ohne deren Erfüllung versprechen zu können.

Von dem galizischen Landtage wurde S. in den Reichsrath gewählt. Hier trat er bei jeder Gelegenheit für die Autonomie und Selbstverwaltung Galiziens ein, sprach offen aus, daß er für dieses Königreich dieselben Rechte fordere, wie Ungarn sie besitze. Er wurde nicht bloß der Führer der sogenannten polnischen Partei, welche eine Sonderstellung Galiziens im österreichischen Staatenverbande forderte, sondern bald auch der Führer der Föderalisten in Oesterreich. –

In der Debatte am 29. Mai 1861 über die Immunität der Abgeordneten hielt er eine glänzende Rede, die selbst im Lager seiner politischen Gegner gerechte Würdigung fand. – Wieder sprach er in der Sitzung vom 19. Juni 1861 im Hause der Abgeordneten in der Debatte über den Antrag Mühlfeld, die persönliche Freiheit betreffend. Am 28. August trat er kraftvoll, vorläufig jedoch vergeblich, für die Ministerverantwortlichkeit ein. An demselben Tage [369] erhob er seine Stimme in der Frage des ungarischen Ausgleichs und stand mit dem ganzen Aufwand seiner Beredsamkeit für die Rechte des ungarischen Volkes ein; er drückte der Regierung wegen des Verhaltens Schmerling’s gegen Ungarn sein Mißtrauen aus, bemerkte, daß Kaiser Ferdinand den Eid auf die ungarische Verfassung geleistet habe und die Debrecziner Beschlüsse das Recht Ungarns nicht aufheben konnten. – Sehr thätig war er auch als Obmann des Ausschusses für religiöse Angelegenheiten, aus welchem der Entwurf eines Religionsediktes hervorgegangen ist.

Mitten in dieser eifrigen Arbeit traf ihn ein furchtbar schwerer Schicksalsschlag. Seine von ihm innigst geliebte Gattin Leocadia, geborene Becker, wurde ihm im Herbst 1861 durch den Tod entrissen. Smolka’s Seelenschmerz über diesen unersetzlichen Verlust ging in tiefe Melancholie über, so daß er sich ganz von jeglicher Thätigkeit zurückzog, allen Umgang mied und sich am 31. August 1863 mit einem Rasirmesser zwei Wunden am Halse beibrachte, um dem Leben ein Ende zu machen. Die Verzweiflung über den Tod seiner Lebensgefährtin scheint uns ein genügender Beweggrund für den Selbstmordversuch gewesen zu sein. Doch mag noch ein weiterer Umstand mitgewirkt haben. 1863 war ein großer Aufstand in Russisch-Polen ausgebrochen. S., obwohl glühender polnischer Patriot, lehnte jede Theilnahme an der Erhebung selbst ab, verbot seinen Söhnen jede Betheiligung und ermahnte andere junge Männer, sich von derselben fernzuhalten. Das geheime Revolutionstribunal erklärte ihn daher für des Todes schuldig und schickte ihm das Todesurtheil ins Haus, das durch die damals thätigen sogenannten „Hängegensdarmen“ vollzogen werden sollte. Dieser verabscheuungswürdige Act, der von seinen eigenen Landsleuten, die ihm unendlich viel verdankten, ausging, mag zur verzweifelten That des 31. August 1863 beigetragen haben. Glücklicher Weise waren die Wunden am Halse nicht tödtlich, S. genas nach einiger Zeit, es währte aber noch zwei Jahre, bis er wieder auf dem politischen Felde auftrat. –

Als 1865 der Sistirungsminister Graf Richard Belcredi ans Ruder kam, forderte dieser S. brieflich auf, sich auszusprechen, was die Regierung thun solle, um das Wohl Galiziens zu heben. Diese Verhandlungen verrannen jedoch im Sand, da das Ministerium Belcredi nur von kurzer Dauer war, der Krieg Oesterreichs mit Preußen und Italien alle Thätigkeit von den inneren Angelegenheiten ablenkte und nach dem Prager Frieden der Ausgleich mit Ungarn die Kräfte des Staates ganz in Anspruch nahm.

Tiefer greifend war Smolka’s Thätigkeit im galizischen Landtage des Jahres 1868. Er und Zyblikiewicz legten dem Adreßausschusse des Landtages Anträge vor, welche unter dem Namen der galizischen Resolution dem Reichsrathe unterbreitet wurden, und am 18. September stellte S. den Antrag auf Nichtbeschickung des Reichsrathes und Aenderung der Verfassung durch Schaffung von vier staatsrechtlich gesonderten Ländergruppen (Länder der Stephanskrone, der Wenzelskrone, deutsche Erbländer, Galizien und Bukowina). Als Führer der demokratischen Partei im Landtage erstrebte S. die staatsrechtliche Selbständigkeit Galiziens und die Abstinenz vom Reichsrathe. Der Landtag wählte aber dennoch die Abgeordneten für den Reichsrath.

In der Sitzung des galizischen Landtages vom 30. September 1868 hielt S. eine hinreißende Rede für die Sache der Freiheit und der Gleichberechtigung gegenüber der religiösen Intoleranz und führte sie zu einem glänzenden Siege.

1869 veröffentlichte er zwei Serien „Polnische Briefe“, welche interessante Einzelheiten zur Geschichte der letzten Jahre enthalten.

Bei den Landtagswahlen von 1870 anerkannte auch die Fraction Smolka’s [370] die dualistische Staatsform, forderte aber eine bedeutende Erweiterung der Autonomie für Galizien.

Während S. allen bisherigen Ministerien in Opposition gegenüber gestanden war, trat er gegen die Minister Potocki und Hohenwart (1871) freundlicher auf. Mit Potocki reiste er nach Prag zur Unterhandlung mit den Tschechen; sie schienen bereits dem Ziele nahe gekommen zu sein, als Potocki, der an einem Postulate der Tschechen Anstoß nahm, sie plötzlich abbrach. – Unter dem Ministerium Hohenwart, welches er das der unbekannten Größen nannte, verblieb S. im Reichsrathe, in dem er mehr denn je auf die Erfüllung seiner föderalistischen Bestrebungen hoffte, nahm aber mit der Rechten, zu deren bedeutendsten Mitgliedern er gehörte, eine zuwartende Stellung ein.

Nach dem Sturze des Ministeriums Hohenwart stimmte S. im galizischen Landtage für die Nichtbeschickung des Reichsrathes; sein Antrag fiel, er aber wurde von der Majorität beredet, doch in den Reichsrath zu gehen, was er auch that, jedoch nur um für den Wiederaustritt der Polen zu wirken. Die Polen begannen damals mit ihrer Resolutionspolitik; S. war der einzige Pole, der nicht mitthat, sich der Einbringung der Resolution widersetzte und den Antrag nicht mit unterzeichnete. Das Ergebniß der Resolutionspolitik war, daß der Abgeordnete Ziemalkowski zum polnischen Landsmannminister ernannt wurde, worin auch S. eine Errungenschaft erblickte.

Smolka’s Ansehen im Abgeordnetenhause war im Laufe der Jahre derart gestiegen, daß er am 14. October 1879 zum Vicepräsidenten und am 14. März 1881 zum Präsidenten und am 2. October 1885 wiedergewählt wurde, so daß er bis zur Niederlegung des Mandates diese Stelle bekleidete. Das Abgeordnetenhaus entsendete ihn auch in die Delegationen, in denen er ebenfalls drei Mal, 1882, 1884 und 1886 den Präsidentensitz einnahm. In diesen Stellen waltete er mit Ernst, Gerechtigkeit und Umsicht und wahrte seine Autorität auch gegen Versuche der Regierung, ihn gegen die Oppositionsparteien auszuspielen.

In der Sitzung des Abgeordnetenhauses am 9. März 1888 gab S. der Trauer über den Tod Kaiser Wilhelm’s I. Ausdruck: „Ich habe dem hohen Hause eine tief erschütternde Mittheilung zu machen. Seine Majestät der Kaiser von Deutschland ist heute morgen um halb neun Uhr verschieden. Die Trauerbotschaft, die in diesem Augenblick das große befreundete und verbündete Nachbarreich durcheilt, wird auch innerhalb der Grenzen Oesterreichs den schmerzlichsten Widerhall wecken. Eindrucksvoll, ja unverwischbar schwebt uns das Bild des hohen Verewigten vor, wie es sich im letzten bedeutungsvollen Zeitraum mit jedem Jahr deutlicher unserem Gedächtniß eingeprägt hat, das Bild des getreuen Verbündeten unseres Allerhöchsten Kaisers und Herrn, welchen wir gewohnt waren, als den jährlichen Gast unseres schönen Vaterlandes gleichsam Hand in Hand mit dem erhabenen Beherrscher Oesterreichs zu sehen, eine lebendig leuchtende Verkörperung der innigen Beziehungen zwischen den beiden Staaten und zugleich des mächtigsten und heilsamsten Friedensbundes, den unsere Zeit erblickt hat.“

Als S. zum Präsidenten der vierundzwanzigsten Delegationssession (9. Juni 1888) war gewählt worden, gedachte er in der Eröffnungssitzung nochmals des Todes Kaiser Wilhelm’s I. und des Regierungsantrittes Kaiser Friedrich’s III.: „Der jetzige erhabene, hochherzige und menschenfreundliche Träger der deutschen Kaiserkrone, dem der Allmächtige volle Genesung geben wolle, ist von demselben edlen Geiste beseelt, wie sein erhabener Vater, und wir wissen, daß das erwähnte Freundschafts- und Bundesverhältniß fortbesteht. Es besteht unerschüttert, es besteht als die wahrlich werthvollste und sicherste Gewähr für die Erhaltung eines langen Friedens und wir können uns wohl [371] der frohen Hoffnung hingeben, daß der Friede uns noch durch lange Zeit wird erhalten bleiben.“

Nachdem der erschütternde Tod Kaiser Friedrich’s III. eingetreten war, sprach S. in der Delegationssitzung (18. Juni 1888) Worte der Trauer.

Am 30. Januar 1889 hatte S. die schwere Pflicht, im Abgeordnetenhause die Trauerrede für den Kronprinzen Erzherzog Rudolf zu halten.

1890 war S. von schwerer Krankheit heimgesucht worden, erst am 4. December erschien er wieder genesen auf seinem Platze im Präsidium.

Zwölf Jahre hatte S. das Amt eines Präsidenten im Abgeordnetenhause des Reichsraths ausgeübt, als er es ebenso wie das Abgeordnetenmandat hohen Alters wegen im März 1893 niederlegte. – Im April dieses Jahres wurde er vom Kaiser zum lebenslänglichen Mitgliede des Herrenhauses im Reichsrathe berufen, ohne aber irgendwie in demselben während der sechs Jahre, die ihm noch zu leben vergönnt waren, sich bemerkbar zu machen.

S. starb am 4. December 1899 im 90. Jahre seines Lebens in Lemberg.

Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XXXV, 197–209. Wien 1899. – Kolmer, Parlament und Verfassung in Oesterreich. 4 Bände. Wien und Leipzig 1902–1907.