ADB:Sintzenich, Heinrich
Sintzenich: Heinrich S. (auch Sinzenich) ist 1752 als der Sohn eines Stellmachers zu Mannheim geboren. Er nimmt in der deutschen Kunst des 18. Jahrhunderts eine besondere Stellung ein; denn er begründete (von 1787 an) zu Mannheim eine Kupferstecherschule und verbrachte damit als ein Erster eine neue, sogenannte „englische [Punktir-] Manier“, nach Deutschland. S. ist einer von den wenigen Künstlern, die damals, aus Mannheim hervorgegangen, in der Kunstwelt zu größerer Bedeutung gelangt sind.
Der letzte pfälzische Kurfürst Karl Theodor war von Beginn seiner Regententhätigkeit an darauf bedacht, seinem Hof durch Künstler und Gelehrte einen erhöhten Glanz zu geben. Durch Berufung und Heranbildung tüchtiger Künstler suchte er seine Residenz zu einem künstlerischen Mittelpunkt zu machen und auch seinem Lande große Summen für künstlerische Ausgaben zu ersparen und bedeutende Einkünfte zuzuführen. Zur Erreichung dieses Zieles berief er (1752) den päpstlichen Bildhauer P. A. Verschaffelt nach Mannheim, befahl die Sammlung von Abgüssen nach Antiken (die später Lessing, Goethe und Schiller entzückt hat), begünstigte (1764) die Errichtung einer „Zeichnungsakademie“ durch Verschaffelt, indem er talentirten Jünglingen Stipendien verlieh.
In diese „kleine Akademie“ trat S. als Zögling ein. Er blieb, als diese gutbesuchte Privatakademie Verschaffelt’s durch kurfürstlichen Befehl (1769) zu einer „öffentlichen Zeichnungsakademie“ mit hervorragenden Lehrern für Plastik (Verschaffelt), Malerei (H. C. Brandt und F. A. Leydensdorff) und Kupferstich (E. Verhelst) erweitert worden war, auch dieser treu und wurde speciell Schüler von Egid Verhelst, der (1767) von Augsburg nach Mannheim berufen worden war. Er hat die sogenannte „Augsburger [Linien-] Manier“ nach Mannheim verpflanzt und durch seine zahlreichen Porträtstiche und Illustrationen für wissenschaftliche und belletristische Veröffentlichungen eine Kunstindustrie in Mannheim begründet.
Nach Vollendung eines Porträtstiches (Katharina II., 1772) wurde S., da Karl Theodor sich dem englischen Geschmack zuzuwenden begann, zu weiterer Ausbildung mit kurfürstlicher Unterstützung nach London geschickt. Hier trat er in die Kupferstichofficin von F. Bartolozzi ein. Bartolozzi hatte auf Betreiben der Angelica Kauffmann und des Malers Cipriani, die sich damals in London aufhielten, die Ausbildung des Crayonstiches begonnen und mit dieser sog. „englischen Manier“ gegenüber dem französischen Linienstich großen Beifall und Erfolg gefunden.
S. arbeitete in Bartolozzi’s Atelier einige Platten (Comedy and Tragedy, 1777, nach Zeichnungen der A. Kauffmann und Constantia nach Guercino, [366] 1778) aus, die noch in London erschienen. Im Herbst 1778 wurde der Künstler, der mit seinen sorgfältigen Arbeiten Aufmerksamkeit erregt hatte, unter Bewilligung eines Jahresgehaltes, einer Reiseentschädigung und einer englischen Kupferdruckpresse, nach Mannheim zurückberufen. Hier entfaltete er eine fruchtbare Thätigkeit auf dem Gebiete seiner Kunst. Nicht bloß, daß er seine Platten in schwarzen, rothen und braunen Drucken herausgab, er führte auch den mehrfarbigen Druck ein und hat so die deutsche Kunst um eine Reihe werthvoller Blätter bereichert. Auch einige Schabkunstblätter rühren aus seiner Hand her.
Mit der Verlegung der kurfürstlichen Residenz von Mannheim nach München (1778) wurde der Kunst in Mannheim die Hauptstütze durch den Hof entzogen. S. hatte zwar 1786 das werthvolle Monopol erhalten, „Abdrucke von jeder neuen englischen, deutschen und französischen gestochenen Kupferplatte“, sowie die sämmtlichen nothwendig werdenden Ergänzungen für das kurfürstliche Kupferstichcabinet zu liefern. Aber auch dieses Monopol konnte ihn, ebensowenig wie der Verkauf seiner eigenen Blätter, vor dem drohenden Vermögensruin retten, zumal da Aufträge und Bestellungen der Bürger- und Beamtenschaft ausblieben und die englischen Kupferstecher Boydell und Green das Publikationsrecht für die Düsseldorfer Galerie erhalten und S. als Mitarbeiter nicht aufgenommen hatten.
Im April 1790 verließ S. Mannheim und ging mit kurfürstlicher Erlaubniß nach Berlin, wo Chodowiecki’s Stern hell erstrahlte. Dort trat er zunächst in J. M. Pascal’s Officin ein, errichtete aber bald eine eigene Druckerei und einen eigenen Verlag. Zeitweilig (1797) arbeitete er auch in Dresden, ohne es aber zu andern als nur künstlerischen Erfolgen bringen zu können. In Berlin und Dresden hat sich S. fast ausschließlich auf das Porträtfach geworfen und das in Mannheim fleißig geübte Arbeiten nach Vorbildern beinahe gänzlich aufgegeben.
Bei der Reorganisation des pfälzisch-bairischen Beamtenwesens anläßlich des Uebergangs der rechtsrheinischen Pfalz an das Großherzogthum Baden (1802) wurde S., der seit dem Eindringen der Franzosen (1794) in Kurpfalz von dorther keine Einkünfte mehr bezogen hatte, vor die Wahl gestellt, entweder seinen Berliner Aufenthalt aufzugeben und als Hofkupferstecher unter Zubilligung eines angemessenen Gehaltes nach München zu ziehen, oder aber bei Verbleiben im Ausland die bisherigen Bezüge zu verlieren. S. ging nach München, wo er noch eine kleine Anzahl von Blättern geschaffen hat. Die Erfindung der Lithographie durch A. Senefelder (1799) und das allmähliche Eindringen dieser billigeren und leichter zu handhabenden Technik in die künstlerischen Gebiete hat die Bezirke der Kupferstichtechnik, namentlich bezüglich des Porträts, wesentlich verengert.
S. starb 1812 in ärmlichen Verhältnissen zu München.
In einem Zeitraum von etwa 40 Jahren hat S. 54 Platten bearbeitet und davon etwa 100 ein- und mehrfarbige Blätter veröffentlicht. Er arbeitete während der Londoner und Mannheimer Zeit nach Angelica Kauffmann (5), C. Dolci (4), Graff (8), Mengs (2), Caracci (2), Rafael (2), Fra Bartolomeo, Rembrandt, Rubens, Solimena, Domenichino(-Zampieri) Cipriani und Veronese (je 1 Blatt) und anderen namentlich Mannheimer Malern, und bevorzugte während dieser Zeit allegorische und symbolische Darstellungen. In Mannheim beginnt auch das Porträt Raum zu gewinnen. Eine Reihe von litterarischen und künstlerischen Persönlichkeiten jener Zeit ist uns durch seine Kunst im Bilde erhalten. In seiner späteren (Berliner und Münchener) Zeit widmete er seine Kräfte fast ausschließlich dem Porträt. Zahlreiche Angehörige [367] des preußischen, sächsischen und bairischen Adels sind durch ihn dargestellt worden.
Sintzenich’s Kunst hat bei aller Weichlichkeit und oft Süßlichkeit des Gegenständlichen, dem die Maler der Vorbilder, dem Zeitgeschmack folgend, huldigten, infolge der Sicherheit der Zeichnung und Modellirung – und bei den colorirten Blättern durch die discrete Anwendung der Farben – etwas Anmuthiges und Feines. Wuchtige und monumentale Wirkungen sind ihm allerdings versagt. Dafür erfreut er aber in seinen allegorischen Darstellungen durch die gute Haltung seiner Blätter und im Porträt durch die lebensvolle Charakteristik und die Wärme seines Vortrags. Die Sorgfalt seiner Technik und die Ehrlichkeit seines Schaffens geben Sintzenich’s Schöpfungen den Werth schätzbarer Kunstwerke.
Von seinen Kindern sind künstlerisch thätig gewesen: Elisabeth S. als Malerin in Berlin und Mannheim, Heinrich Friedrich S. als Kupferstecher und Kunsthändler in London (wo auch ein jüngerer Bruder von Heinrich S., Peter S., eine Anzahl gefälliger farbiger Blätter geschaffen hat). – Von Sintzenich’s Schülern sind zu nennen: A. Karcher, A. Schlicht, M. Kellerhoven, A. Bissel u. A.