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Artikel „Slüter, Jochim“ von Karl Ernst Hermann Krause in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 470–473, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sl%C3%BCter,_Jochim&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 18:13 Uhr UTC)
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Slüter: Jochim (Joachim) S., der Reformator Rostocks, † am Pfingstsonntage, 19. Mai 1532, war 1491 oder 1492 zu Dömitz an der Elbe geboren, sein Vater war Fährmann und hieß Kutzer oder Kutzker. Da nach dessen frühem Tode die Mutter wieder heirathete, so wurde der Sohn, wie heute noch in Mecklenburg sehr üblich, nach des Stiefvaters Namen Slüter genannt, und behielt diesen später bei. Er muß früh dem geistlichen Stande gewidmet sein, denn als er am 19. Juli 1518 in Rostock immatriculirt wurde, ist er schon mit dem Titel (dominus) eingetragen. Von da ging er nach Wittenberg, und sein Biograph Nicolaus Gryse nennt ihn „des Lutheri Discipel“, er muß in der Matrikel der im Winter 1519/20 eingetragene Joach. Dutzo ex Rebnitz Schwirin. dioc. (Meckl. Jahrb. 48, S. 61) und dort auch zum Magister promovirt sein, obwohl Referent ihn in Köstlin’s Aufzählung der dortigen Magistri (1888) nicht fand. 1521 übernahm er die Kirchspielschule zu St. Petri in Rostock und hatte während der Zeit einen Freitisch bei einem Barbier Peter Smidt. 1523 ernannte ihn Herzog Heinrich der Friedfertige von Mecklenburg in Vertretung seines Sohnes Magnus, des postulirten Bischofs von Schwerin, als Patrons der Kirche zu einem der Capellane an St. Petri, wo er das kleine spätere „Orgelistenhaus“, die heute sog. Flöhburg an der Nordseite der Kirche, bewohnte. Er begann sofort das Evangelium nach Luther’s Lehre zu predigen, deutsche Kirchenlieder einzuführen und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu reichen. Er ist damit, nachdem vorher der Rigaer M. Silvester Tegtmeier im Dome zu St. Jacobi als Capellan einen kurzen, schüchternen Anlauf genommen, der erste lutherische Prädicant Rostocks; nicht Pastor, denn das Pastorat gehörte zur Cantorei des Domes und war unbesetzt. Der Fortgang der Reformation geschah wie in Hamburg, Lübeck und Lüneburg; die kleinen Handwerker, Gesellen und das kleine [471] Volk strömten S. zu, der deshalb im Sommer im Freien unter einer Linde des Zudranges wegen predigen mußte, die Universität, die mächtige Klerisei, der Rath und das Patricierthum waren ihm entgegen. 1525 mußte er aus Rostock flüchten, doch versorgte ihn Herzog Heinrich; vielleicht ist er der in demselben Jahre in Güstrow unter dem Schutz des Herzogs Albrecht predigende M. Joachim, der sonst auf M. Joachim Kruse gedeutet wird. 1526 setzte ihn Herzog Heinrich nach dreivierteljähriger Abwesenheit in Rostock wieder ein. Der Versuch einer Vergewaltigung durch den Rath 1527 wurde durch einen Volksaufstand gebrochen, und in demselben Jahre bestätigte ihn abermals Herzog Heinrich und beschenkte ihn mit einem neuen Priesterkleide. 1528 trat noch ein Capellan von St. Petri, Paschen Gruwel, später Pastor zu Warnemünde, und sein Nachfolger in der Kirchspielsschule, Joachim Schröder (A. D. B. XXXII, 515), auf seine Seite, auch mußte der Rath, dem Verlangen der kleinen Bürgerschaft in der Neustadt nachgebend, den früheren Franciscaner Valentin Korte (A. D. B. IV, 652 v. Curtius, wo als sein Geburtsort noch Lebus angegeben) als evangelischen Prädicanten in der H. Geist-Kirche anstellen. Inzwischen war die reformatorische Bewegung stark durch den offenen Hader der Dominicaner und Franciscaner über die Lehre von der unbefleckten Empfängniß Mariä gefördert worden, und da die ersteren die vornehme Welt für sich gewannen, wurden die Franciscaner mehr und mehr zum Lutherthum gedrängt, dem auch in der Stadt ihr früherer Hauptanhang sich zuneigte. Es ist daher eine ganz verkehrte Sage, daß gerade die Franziskaner versucht hätten, S. zu vergiften. Auch der Bürgermeister Heinrich Gerdes wandte sich jetzt S. und der Reformation zu. In diesem Jahre verheirathete sich S., nachdem eine erste Verlobung durch den Druck des Rathes auf seinen Schwiegervater (Sibera oder Siverdes) aufgehoben war, mit Katharina Gelem, der Tochter eines Kleinschmieds, unter großem Auflauf; sein Amtsbruder Gruwel vollzog die Trauung. Im J. 1529 zwang das Volk den Rath, einen Prädicanten (Bartelt, Barthold) auch im Dome zu St. Jacobi anzustellen, der sich aber gegen den Anhang der Klerisei, ein Mandat des Herzogs und den Widerwillen des Rathes gegen die immer mehr meuternde Masse nicht behaupten konnte, sicher aber nicht der erst 1531 aus Lübeck gekommene „elende“ Priester (Koppmann, Gesch. d. St. Rostock S. 137) war. 1530 hatte sich auch der frühere Gegner Slüter’s, der Capellan Antonius Becker zu St. Nicolai auf die Seite der Evangelischen gestellt. Jetzt wurde der Rath eifrig vorwärts gedrängt, ein Haupttreiber der Massen war unfraglich nach seinen Einräumungen an Bugenhagen S.; am 30. December 1530 verfügte der Rath nach längeren Verhandlungen ein Provisorium, in dem der Sieg der Evangelischen schon enthalten war; die Prädicanten der letzteren sollten aber noch gemeinsam „ere bedencket, meinung und erklerung“ Über diese Ordnung und andere Religionserklärung abgeben. Diese verfaßte S. namens der anderen Prediger, welche sämmtlich unterschrieben, und überreichte sie am 10. März 1531 dem Rathe. Da die katholische Klerisei aber der Ordnung vom 30. December sich nicht fügen wollte, so setzte nun der Rath am 1. April, am Tage vor Palmarum, auf neues Drängen der Massen definitiv den lutherischen Gottesdienst für alle Kirchen fest. Wegen Verlästerung der Slüter’schen Eingabe und Entstellung des Inhalts durch die Gegenpartei gab S. jene alsbald bei L. Dietz mit einem Nachworte unter dem Titel: „Eine korte und doch grundtlyke bericht der Ceremonien des Olden und Nyen Testaments etc.“ in Druck, die leider verloren ist (Wiechmann I, S. 156), aber die Ausstreuungen gegen ihn waren doch schon nach Lübeck zu dem dort weilenden Bugenhagen gedrungen, der ihretwegen den ebenso wie Korte ihn aufsuchenden S. zur Rede setzte. Es waren 4 Punkte, über die S. sich ihm gegenüber verantworten sollte: der Glaube und die Beichte, die Ceremonien und [472] „tuegen“ (der Gebrauch der lateinischen Gesänge), und der Gehorsam gegen die Obrigkeit. Wegen Glaubens und der Beichte fand aber Bugenhagen keine Abweichung, den der Obrigkeit schuldigen Gehorsam erkannte S. auch an, erklärte aber, was bisher geschehen sei, habe des Evangelii wegen geschehen müssen. Daß er gegen die lateinischen Gesänge und das nicht deutsche Ceremonienwesen aufgetreten sei, räumte S. ein, erklärte sich aber mit Bugenhagen’s Auseinandersetzungen völlig einverstanden, wie dieser sich mit Slüter’s Einräumungen zufrieden gab, so daß beide als Freunde schieden. Bugenhagen hatte darüber auch an Luther berichtet. Im Sommer brach aber dennoch Streit zwischen den Prädicanten aus, die sich über Matthäus Eddeler (A. D. B. V, 636) beschwerten, den der Rath auch vor dem 25. Juli 1531[WS 1] suspendirte, und dessen vorläufige Beseitigung auch aufrecht erhielt. Dunkel bleibt nun der Streit, den der Rath durch den Syndikus Joh. Oldendorp, etwa im October gleichzeitig an Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Urbanus Rhegius bringen ließ, worauf von Luther und Melanchthon gemeinsam (in einem fast überall nach dem „Etwas“ 1737, S. 705 ff. irrig abgedruckten) Schreiben aus Wittenberg vom 10., von Bugenhagen am eingehendsten aus Lübeck am 24., von Urbanus Rhegius aus Celle am 8. November geantwortet wurde. Sie riethen sämmtlich den, wie Luther im Originale sagt, „zänkischen“ Prediger zu entlassen. Da der Rath vom Streiterheber ohne Namhaftmachung gesprochen hatte, rieth Luther ziemlich deutlich auf S., Bugenhagen nennt ihn sogar, freilich sehr zweifelnd; und da Gryse ebenfalls von einem beigelegten Streite Slüter’s mit den übrigen Prädicanten berichtet, so liegt es nahe, auf S. zu schließen. Der Hauptstreit lag aber in der Frage wegen der Beichte, in welcher S. mit Bugenhagen einverstanden war; auch geschah vom Rath nichts gegen S., der freilich schon krank war; aber auch vom Herzog Heinrich liegt noch ein Schreiben an ihn vom 25. Januar 1532 vor. So bleibt kaum etwas anderes übrig, als an den nun definitiv abgesetzten Eddeler oder an den 1532 aus Rostock nach Riga abgegangenen Barthold zu denken. S. siechte seit dem Herbst 1531, seit dem 1. November predigte schon Joachim Schröder für ihn; am Pfingstsonntage 1532 starb er und wurde nahe der Hofthüre seines Hauses unter der Friedhofslinde, seiner alten Predigtstelle, begraben. Das Grab deckte ein Stein mit lateinischer Inschrift, derselbe liegt jetzt an derselben Stelle, in eine breite Cementplatte eingelassen, vor dem 1862 errichteten einfachen eisernen Denkmale. In die Mauer dahinter ist eine neuere (hochdeutsche) Inschrift, wol im 17. Jahrhundert eingefügt. Seine Krankheit und sein Tod wurden von seiner aufgeregten Gemeinde einer Vergiftung durch die Papisten, sicherlich ohne Grund, schuld gegeben. Einige in dieselbe Zeit fallende Giftmischer- und Zauber-Untersuchungen, in welche auch ein „Pape“ Niebuhr verwickelt war, der die Stadt räumen mußte, halfen dem Gerede zu allseitigem Glauben. S. hinterließ einen etwa dreijährigen Sohn, Elias, der später nach Ribnitz übersiedelte. Die angebliche Erheirathung eines Brauhauses mit der Katharina Gelem scheint auf einer Namensgleichheit (einem nicht bekannten anderen Dr. Jochim Slüter) zu beruhen. Die Wiederauffindung eines bei Ludwig Dietz in Rostock 1525 gedruckten Gesangbuches, des ältesten bisher bekannten niederdeutschen, weist durch die Bezeichnung der Vorrede mit J. S. entschieden auf Slüter, als den Uebersetzer und zum Theil Zusammensteller; doch scheint der Titel eine noch frühere Ausgabe anzudeuten. Er wird dann auch der Uebersetzer des „Ghebedebokelins“ von 1526 (Wiechmann I, S. 96) und des Katechismus „Eyne schone unnd ser nutte Christlike underwysynge“ von 1525 (das. I, S. 89) sein. Mit Sicherheit stammt von ihm das berühmte niederdeutsche Gesangbuch von 1531 (das. I, S. 145 ff.), welches Wiechmann mit dem vorhin genannten Katechismus 1858 neu herausgegeben hat. Die Vorrede [473] zum zweiten Theil dieses Gesangbuches ist die „schöne Präfation“, von der Gryse fol. J. 2 spricht, sie sei der Abschluß des Prädicantenstreites gewesen. Lateinisch abgefaßt ist die Abfertigung „Humilis in Christo ministri Joachimi in hasce contra Evangelion conclusiones judicium“ (1525, Druck von Ludw. Dietz) gegen die Herausforderung des späteren evangelischen Predigers Antonius Becker, zur Disputation unter Vorsitz des Dr. Bartold Moller (A. D. B. XXII, 122). Vgl. Mecklenb. Jahrb. 4, S. 167; 22, S. 247, wobei zu bemerken, daß die frühere Marianische Bibliothek der Rostocker Universitätsbibliothek einverleibt ist.

Nach kurzen Angaben von D. Chyträus und Lucas Bacmeister (Westph. Mon. ined. I, p. 1554, vgl. III, 116) ist die grundlegende Darstellung: des Nicolaus Gryse: Historia van der Lere, Levende und Dode Joachimi Slüters etc. Rostock, Steffen Müllman. 1593. Auf ihm beruhen: Arndt, M. Joach. Slüter. Lübeck 1832; Serrius, M. Joach. Slüter, Rostock 1840; J. Wiggers, Kirchengesch. Mecklenburgs; Krabbe, die Univ. Rostock im 15. und 16. Jahrh.; M. G. V. H. Niehenck, Gemeinnützige Aufsätze, Rostock 1769 p. 110 ff.; Meckl. Jahrb. 16, S. 9–56 und 198; K. Koppmann, Geschichte der Stadt Rostock I.; derselbe, Beitr. z. Gesch. d. Stadt Rostock I., S. 37 bis 46 und 101 f. – Vgl. Schröder, Evang. Mecklb. I., S. 95 und 186 ff. – Krey, Beitr. II, S. 62, 257. Ueber den Briefwechsel mit Bugenhagen etc.: Wiechmann in Mecklb. Jahrb. 24, S. 140–155. – O. Vogt, Dr. J. Bugenhagen’s Briefwechsel S. 107–122. Ueber die Gesangbücher: Joh. Bachmann, Gesch. des evangel. Kirchengesanges in Mecklenburg. Rostock 1881 (in sehr gründlicher Erwägung) und Ad. Hofmeister, in Wiechmann-Hofmeister, Mecklb. Altniedersächs. Litt. III., s. Reg.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage verschrieben: 1521