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Artikel „Sintenis, Wilhelm Franz“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 406–408, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sintenis,_Wilhelm_Franz&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:59 Uhr UTC)
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Sintenis: Wilhelm Franz S., protestantischer Prediger, † 1859. S. stammte aus einer anhaltischen Theologenfamilie, in welcher die Aufklärung und der Rationalismus sich wie ein Erbe von Vater auf Sohn fortgepflanzt hatte. Nachdem schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. mehrere Sintenis als aufgeklärte Kirchenmänner und populäre Schriftsteller von sich reden gemacht hatten, ist dieser S. als einer der Bahnbrecher des modernen Lichtfreundthums in Magdeburg im 19. Jahrhundert neben Uhlich viel genannt worden. S. wurde am 26. August 1794 zu Dornburg im Anhaltischen geboren, wo sein Vater, Johann Christian Sigismund S., geb. 1752, † 1821 als neuköthenscher Superintendent, damals noch als Pastor fungirte. Vorgebildet auf dem Gymnasium zu Zerbst, studirte S. in Wittenberg, erhielt 1817 eine Anstellung als Inspector an einer Armenschule in Köthen, 1818 aber als Gehülfe seines Vaters in Roßlau im Zerbstischen, wo dieser seit 1794 als Amtsprediger thätig war. 1824 kam er [407] durch Gemeindewahl als zweiter Prediger an die Heiligegeistkirche nach Magdeburg und rückte 1831 in die erste Prediger- und Pastorstelle daselbst auf. Hier hat er bis zu seinem Tode als entschiedener Rationalist gewirkt. Am bekanntesten ist aus seiner öffentlichen Thätigkeit sein Kampf gegen die Anbetung Christi im Jahre 1840. Den Anlaß dazu hatte ein protestantischer Maler F. Becker gegeben, welcher die Heilung einer blinden Bauernfamilie vor einem Gnadenbilde gemalt hatte. Nach der katholischen Legende war es ein „Gnadenbild der Maria im Eichwalde“; der Maler hatte es aber verhüllt, um Protestanten keinen Anstoß zu geben; so wurde es lithographisch vervielfältigt, in Magdeburg verkauft und in einem Gedichte in der Magdeburger Zeitung (1840) sogar als Christusbild empfohlen. In diesem Gedichte wurde gebetet zu dem „lieben Heiland Jesus Christ, der aller Noth Erbarmer ist“. Das lief schnurstracks gegen Sintenis’ rationalistische Lehre von Jesus. Daher ließ er eine nüchterne Kritik, sowohl des Gemäldes als auch des Gedichtes in dieselbe Zeitung einrücken, um die Anbetung Christi zu bekämpfen. Er hielt es, so äußerte er sich, für unevangelisch, zu Christo zu beten, da alle Hülfe allein von Gott komme, und da Christus selbst seine Gläubigen nie angewiesen habe zu ihm, sondern zu Gott zu beten. Durch die profane Art, wie S. ein Erzeugniß der Phantasie zum Gegenstande eines theologischen Streites gemacht hatte, fühlten sich mehrere Magdeburger Prediger, obenan der evangelische Bischof Dräseke, so verletzt, daß sie von der Kanzel herab und in der Zeitung gegen S. auftraten. Das Consistorium zog daher diese Sache vor sein Forum; aber der Magistrat trat für S. ein. Man versuchte ihn zu der Anerkennung der symbolischen Bücher oder aber zur Niederlegung seines Amtes unter Anbietung einer seinem Gehalte gleichkommenden Pension zu bewegen. Beides lehnte er ab. So erhielt er zunächst einen Verweis, weil er durch seine Kritik der betenden Bauernfamilie und durch seine Predigten „viele fromme Gemüter schwer verletzt habe“; im Falle fortgesetzter Abweichung von der Kirchenlehre wurde ihm Amtssuspension angedroht und sein Superintendent mit der strengen Beaufsichtigung seiner Wirksamkeit betraut. Auf Beschwerde des Magistrats über diese Anordnungen mußte sich das Ministerium mit dieser Sache befassen. Dasselbe schlug im April 1840 den unerquicklichen Streit dadurch nieder, daß es einerseits zwar das Consistorium in Schutz nahm, andererseits aber doch über S. keine Strafe verhängte. Dem Bischofe Dräseke wurde indeß infolge jenes Streites die Generalsuperintendentur der Provinz Sachsen so verleidet, daß er sie aufgab. In der Geschichte des populären Rationalismus ist diese Angelegenheit nicht blos um ihres Gegenstandes Willen, sondern auch deshalb bemerklich, weil hier das Kirchenregiment zum ersten Male praktisch, wenn auch schüchtern, gegen diese Richtung vorgegangen ist. S. aber hat seinen lichtfreundlichen populär-theologischen Kampf auch gegen Dräseke’s Nachfolger Möller und Andere weitergeführt; Zeugen davon sind seine Schriften „Herr Prediger Gustav Adolph Kämpfe in Magdeburg und die Kirchenlehre in Briefen an Karl Bernhard König“ (Leipzig 1846); ein Pamphlet „Möller und Uhlich“ Leipzig 1847, anonym erschienen, aber von S. als sein Werk 1848 anerkannt (s. Herzog’s Realencyklopädie 2. Aufl. X, 133), und „Dr. J. F. Möllers Wirken im Consistorium und in der Generalsuperintendentur der Provinz Sachsen“, (Leipzig 1849), eine Schrift, deren Feindseligkeit durch ihr niedriges Niveau geringen Eindruck machte. (Siehe Ev. Kirchenzeitung 1849, Nr. 15–17.)

Vgl. die pseudonyme Schrift [des Pfarrers König von Anderbeck] „Der Bischof Dräseke und sein achtjähriges Wirken im Preußischen Staate“ (1840). – Ferner: Johann Karl Ludwig Gieseler, Lehrbuch der Kirchengeschichte, 1855, V, 250 ff. – Tholuck’s Artikel „Dräseke“ in Herzog’s Realencyklopädie [408] 2. Aufl. III, 691 und desselben Artikel „Lichtfreunde“ ebendaselbst, VIII, 656 ff. – W. Möller’s Artikel „Möller, Johann Friedrich“, ebendaselbst X, 133 ff.