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Artikel „Sievers, Otto“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 240–241, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sievers,_Otto&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 10:17 Uhr UTC)
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Sievers: Otto S., Gymnasialdirector und Schriftsteller, geboren am 5. Mai 1849, † am 25. Juli 1889. S. wurde zu Braunschweig als Sohn eines Böttchermeisters geboren. Auf verschiedenen Lehranstalten seiner Vaterstadt, zuletzt auf dem Gymnasium Martino-Catharineum vorgebildet, bezog er zu Michaelis 1868 die Universität Leipzig, an der er sich bis Ostern 1872 dem Studium der classischen und deutschen Philologie widmete. Unter den Professoren seines Faches zog ihn namentlich Friedrich Ritschl an. Durch Ritschl, zu dem er in nahe persönliche Beziehungen trat, wurde er zu Studien über die Geschichte antiker Namen angeregt. Als eine Frucht derselben haben wir seine im J. 1872 veröffentlichte Dissertation: „Quaestiones onomatologicae“ anzusehen, deren zweiter Theil in den „Acta societatis philologae Lipsiensis ed. Fr. Ritschelius I“ (1872) erschien. Nachdem S. das Staatsexamen bestanden hatte, wurde er Hülfslehrer an dem Gymnasium Martino-Catharineum zu Braunschweig und rückte zu Michaelis 1873 zum Collaborator an derselben Anstalt vor. Seit Januar 1876 hielt er Vorlesungen über Litteratur und Geschichte am Braunschweiger Carolinum, der heutigen technischen Hochschule. Im Zusammenhang mit dieser Thätigkeit fing er an, sich mit wissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte der deutschen Litteratur zu beschäftigen. Es scheint, als ob er sich besonders für Jean Paul interessirt habe. Er gab dessen „Titan“ in anthologischer Bearbeitung (Wolfenbüttel 1878) und „Dr. Katzenberger’s Badereise“ mit Einleitung und Anmerkungen (Leipzig 1879) heraus und verbreitete sich in einem Vortrag über die Anschauung seines Helden von Welt und Leben (Dessau 1881). Ferner würdigte er in einer eingehenden biographisch-kritischen Skizze die Bedeutung Robert Griepenkerl’s, des Dichters des „Robespierre“ (Leipzig 1879), dessen trauriges Ende und geistiger Verfall ihn zu wehmuthsvollem Antheil bestimmten. Bei der Braunschweiger Gedächtnißfeier zu Lessing’s hundertjährigem Todestage hielt er die Festrede (abgedruckt in der Denkschrift der Festfeier, Braunschweig 1881). Nebenher veröffentlichte er eine Anzahl kritischer und ästhetischer Aufsätze in verschiedenen deutschen Zeitschriften. In den Jahren 1882–1883 gab er selbst in Braunschweig im Verlag von Schwetschke & Sohn eine populär-historische Monatsschrift unter dem Titel: „Aus allen Zeiten und Landen“ heraus. Ihr folgten im J. 1884 im gleichen Verlage die „Akademischen Blätter“, ein Versuch, die Gebildeten für die Theilnahme an den Studien über die neuere deutsche Litteraturgeschichte zu gewinnen, [241] der erfolglos blieb, sodaß nur ein Jahrgang der Zeitschrift und dieser auch nur mit Mühe vollendet werden konnte. Weit größeres Glück hatte S. mit seinen poetischen Arbeiten, von denen er zuerst einzelne Dichtungen meist lyrischen Charakters an die Oeffentlichkeit treten ließ. Im J. 1888 veröffentlichte er seinen auf sorgfältigen Vorstudien beruhenden „Demetrius. Geschichtliches Trauerspiel in vier Aufzügen. Mit Benutzung des Schiller’schen Bruchstücks bis zur Verwandlung im zweiten Aufzug.“ Das Stück fand bei seiner ersten Aufführung auf dem Leipziger Stadttheater am 9. November 1888 und bei den späteren Wiederholungen in Braunschweig, Prag und Oldenburg großen Beifall. Allgemein erkannte die Kritik an, daß S. mit seiner Bearbeitung und Ergänzung des Schiller’schen Fragmentes einen Fortschritt über Laube’s Versuch hinaus gemacht habe, und daß namentlich seine Sprache sich weit mehr derjenigen Schiller’s anschließe, als dies bei Laube der Fall war. Gleichwohl muß gesagt werden, daß auch S. die schwierige Aufgabe nicht wirklich befriedigend gelöst hat, nicht nur, weil er sich in der Schilderung des Verhältnisses des Demetrius zu Axinia, der Tochter des Boris, einer unangebrachten Sentimentalität schuldig gemacht hat, sondern vor allem deshalb, weil auch er mit seiner Begabung an den dichterischen Genius Schiller’s nicht heranreichte. Jedenfalls aber hatte die ihm reichlich gezollte Anerkennung das Gute, daß S. sich dadurch zu neuem Schaffen ermuntert fühlte und den Entschluß faßte, fortan alle ihm zur Verfügung stehende Zeit auf poetische Productionen zu verwenden. Schon Ende des Jahres 1880 zum Oberlehrer befördert und zu Ostern 1881 zum Professor ernannt, war er bei der Theilung des Martino-Catharineums in zwei Anstalten dem Lehrercollegium des Neuen Gymnasiums zu Braunschweig zugewiesen worden. In dieser Stellung blieb er, bis er zu Neujahr 1889 zum Director des Gymnasiums zu Wolfenbüttel berufen wurde. Hier vollendete er noch einen zweiten dramatischen Versuch, den ihm die fünfundsiebzigste Wiederkehr eines nationalen Gedenktages nahe gelegt hatte, das Schauspiel: „Waterloo. Historie in fünf Auszügen“ (Braunschweig 1890). Es enthält eine Reihe überaus lebensvoller Scenen aus der Geschichte des Jahres 1815, die unter sich allerdings nur dadurch in Zusammenhang stehen, daß sie sich den wirklichen historischen Ereignissen eng anschließen, die aber einen entschiedenen Fortschritt des Verfassers in dramatischer Hinsicht erkennen lassen und bei der Bühnenaufführung von großer Wirksamkeit sein müßten. Nach dieser Probe seines Talentes wäre man berechtigt gewesen, noch manche werthvolle Gabe von S. zu erwarten. Diese Hoffnung sollte sich jedoch nicht erfüllen, da S. plötzlich in der Fülle seiner Kraft am 25. Juli 1889 infolge von Ptomainvergiftung starb. Nach seinem Tode gab die Wittwe die Gedichte aus dem Nachlaß des Dichters (Braunschweig 1891, mit dem Bildniß) heraus. Auch sie legen von seiner mehr als gewöhnlichen poetischen Begabung ein vollgültiges Zeugniß ab und nehmen namentlich in formeller Hinsicht wegen ihrer Sprachgewandtheit für ihren Autor ein.

Vgl. Sievers, Schul-Nachrichten über das Herzogliche Gymnasium zu Wolfenbüttel für 1888 bis 1889. Wolfenbüttel 1889, S. 12. – K. Dauber, Jahresbericht über das Herzogliche Gymnasium zu Wolfenbüttel 1889 bis 1890. S. 12 und 13. – Otto Sievers, Gedichte. Braunschweig 1891. S. XXI u. XXII. – Eckart, Lexikon der Niedersächsischen Schriftsteller. Osterwieck, Harz (1891) S. 157. – Richard Kukula, Allgem. deutscher Hochschulen-Almanach. Wien 1888. S. 815. – Blätter für litterarische Unterhaltung I, 132 u. 133. Leipzig 1889. – Leipziger Zeitung 1888, Nr. 264, S. 3826. – Leipziger Tageblatt 1888, Nr. 317, S. 6893.