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Artikel „Schwartzkopff, August“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 217–221, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schwartzkopff,_August&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 17:46 Uhr UTC)
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Schwartzkopff: August Heinrich Theodor S., evangelischer Geistlicher und Dichter, geboren am 14. Juli 1818 zu Magdeburg, † am 10. Juni 1886 zu Wernigerode. Als der älteste Sohn des Wirths „Zum goldenen Schiff“ und Holzhändlers Franz S. am Fischerufer zu Magdeburg besaß A. S. als väterliches Erbtheil einen kräftigen Körperbau und frommen, offenen Sinn, während die thatkräftige, bewegliche, als Märchenerzählerin ausgezeichnete Mutter eine mächtige Einwirkung auf das sinnige Gemüth und die dichtende Einbildungskraft des Sohnes ausübte. Was die Natur in ihn gelegt und das Haus geboten hatte, fand in dem, was die von dem herrschenden rationalistischen Geiste getragene Domschule seiner Vaterstadt, die er vom neunten bis neunzehnten Lebensjahre besuchte, ihm zuführte, nicht die rechte Nahrung und Pflege. Als er sich daher nach Beendigung dieser Schulzeit in Halle der Theologie widmete, war sein Sinn weder auf den rechten Kern und Stern dieses Studiums gerichtet, noch war auch hier die dargebotene Speise eine die rechte geistige Entfaltung fördernde. Eindruck machte auf den erwachsenen frischen Jüngling, der auch für [218] das deutsche Burschenleben eine feurige Begeisterung nährte, die Weltweisheit eines Schelling und Hegel. Wiederholt zwischen Halle und Berlin wechselnd verwandte er auf seine Studien vier ganze Jahre und bestand in Halle das erste und mit Auszeichnung das zweite theologische Examen. Aber erst als er dann nochmals Berlin aufsuchte, besonders um noch etwas Philosophie zu treiben, erfuhr er eine große innere Umwandlung durch den Eindruck, den die kindlich fromme Persönlichkeit Goßner’s auf ihn machte. Er war dann beinahe ein Jahr lang Mitglied des Otto v. Gerlach’schen Convicts und betheiligte sich auch an den Werken der inneren Mission, wobei ihn seine Frische und die Gabe anschaulicher volksthümlicher Beredsamkeit sehr unterstützte. Als Conrector der Elisabethschule und Hülfsprediger des P. Palmié in Stettin seit 1846 zum ersten Mal in fester Amtsbestallung offenbarte er, wenn auch nicht in den engsten schulmäßigen Formen, seine besondere Begabung für den Lehrerberuf. Die mit Begeisterung an ihm hangenden Schülerinnen gewannen durch ihn gesegnete Eindrücke für ihr ganzes Leben. Auch durch Missions- und Erbauungsstunden, sowie durch litterarische Vorträge entwickelte er eine große Thätigkeit. Seit April 1847 mit einer Tochter des Kaufmanns Schwenkert in Magdeburg vermählt durchlebte S. die im nächsten Jahre beginnende Revolutionszeit in Stettin und bethätigte sich, tief dadurch bewegt, als treuer Königs- und Vaterlandsfreund. Anfangs 1852 erhielt er vom Grafen Henrich zu Stolberg-Wernigerode die Stelle eines Hofcaplans zu Wernigerode, womit die Aufsicht über die dortigen Schulen, außer der Oberschule, verbunden war. Fortan gehörte er in der ganzen zweiten Hälfte seines Lebens der Grafschaft Wernigerode und dem Harze an, dessen schöne Natur anregend und befruchtend auf seine Natur einwirkte. Im J. 1855 folgte er dem Rufe des Grafen Botho zu Stolberg als Pfarrer in dem lieblich gelegenen Ilsenburg. Sein neues Amt in dem durch Hüttenbetrieb und Fremdenverkehr sehr lebhaften Flecken stellte an ihn recht schwierige Anforderungen, aber durch seine Fähigkeit, sich in die Anschauungen und Bedürfnisse der verschiedenen Volkskreise hineinzuversetzen und durch seine große Langmuth und Milde, soweit es seine eigene Person betraf, wußte er dieser Schwierigkeiten Herr zu werden und sich das allgemeine Vertrauen und die Liebe seiner Pfarrkinder zu erwerben. Seine im Freien gefeierten Missionsfeste fanden bald Nachahmung in der Umgegend; in den Nachmittagspredigten verstand er es besonders auf die Kinder einzuwirken, indem er ihnen gegenüber ganz wie ein Kind wurde. Diese Weise entlehnte er von Ludwig Harms, dessen Person und Wesen ihm ungemein zusagten. Gleich ihm auf entschieden lutherischem Standpunkt stehend vermied er doch den Austritt aus der Landeskirche, weil er dem separatistischen Wesen durchaus abhold war, auch alle mehr persönlichen Abneigungen dem großen Blick auf die ganze kirchengeschichtliche Entwicklung unterordnete. Nach 71/2jähriger Wirksamkeit in so reizvoller Natur berief ihn der regierende Graf, nunmehrige Fürst Otto zu Stolberg-Wernigerode nach Wernigerode zurück und zwar als Pfarrer an der St. Johanniskirche in der Neustadt. Mittlerweile hatten aber die Anstrengungen und Aufregungen der in anderer Beziehung sehr angenehmen Ilsenburger Amtsthätigkeit die Kräfte des starken Mannes so mitgenommen, daß er auf Erholungsreisen Stärkung für seine angegriffenen Nerven suchen mußte. Von 1863 ab wirkte er dann bis an sein Ende in seinem Wernigerödischen Amte. Erschwert wurde diese Thätigkeit durch die während seiner Amtsführung fast bis zur Verdoppelung vor sich gehende außerordentliche Vermehrung der Gemeinde, zumal der fast nur aus Arbeiterbevölkerung bestehenden neuen Neustadt. Hier galt es neben der sonstigen Amtsthätigkeit das Werk der inneren Mission zu treiben, wobei ihm seine Gattin treu zur Seite stand. Die Aufsicht über die vielfach verwahrlosten Kinder der Arbeiter nöthigte zur Gründung einer Kleinkinderschule. [219] Die Knaben suchte er im Rettungshause zu Neinstedt unterzubringen, zu dessen Vorstand er Jahrzehnte lang gehörte. Lebhaft betheiligte er sich an den Bestrebungen V. A. Huber’s zur Hebung der arbeitenden Klasse, besonders der Handwerker. Im Huber’schen „Vereinshause“ zu St. Theobaldi hat er eine längere Reihe schönwissenschaftlicher Vorträge, besonders über Shakespeare gehalten. Daneben sind hier Vorträge gleichen Inhalts vor einem engeren Kreise von Zuhörerinnen im eigenen Hause zu erwähnen. Auch bei der ihm zu verdankenden stilvollen Erneuerung der St. Johanniskirche ist kirchliches und ästhetisch-künstlerisches Interesse nicht zu trennen, wie er denn überhaupt eine solche Trennung nicht wollte. Die während seiner Amtszeit durchgeführte Neugestaltung der Kirchenverfassung erfüllte ihn anfangs mit großer Sorge, doch durfte er es noch zu seiner Freude erfahren, daß der Erfolg keineswegs alle jene Befürchtungen rechtfertigte. – S. war so sehr geborener Dichter, daß von früher Jugend an alle seine Gedanken sich dichterisch gestalteten. Das äußere poetische Gewand bot sich ihm dabei so unwillkürlich dar, daß noch der gereifte Mann öfter darauf achten mußte, es da fern zu halten, wo es nicht an der Stelle war. Im Verhältniß zu der Fülle von Dichtungen und Liedern, die ihm gegeben waren und in denen er innere Erlebnisse sang, geschichtliche und kirchliche Ereignisse feierte, des Hauses oder seiner zahlreichen Freunde Feste mit seiner stets bereiten reichen Muse verschönte, ist der Umfang dessen, was er selbst bei Lebzeiten durch den Druck veröffentlichte, ein recht geringer. Es entspricht das dem edelsten Kern seines Wesens, der großen Demuth und Bescheidenheit. Er sang, weil er singen mußte, nicht um irdischen Nachruhms willen. Als er das Ziel seiner Erdenlaufbahn nahe fühlte, regte sich in ihm wohl das Verlangen, die verwehten und zerstreuten alten Blätter zusammenzulesen, um sie Angehörigen und Freunden zu hinterlassen. Die einzige Gedichtsammlung aus der Jugendzeit „Lyrisches und Episches von einem Menschen“ (ohne Nennung des Namens) erschien 1845 bei Enslin in Berlin. Als dann die dichterische Gestaltungskraft und die Zahl neuer Gedichte stark angewachsen war, gab er 23 Jahre später 1868 bei G. E. Barthel in Halle eine neue Sammlung seiner Gedichte (177 S. 12°) heraus. In zwei Abtheilungen: 1) Von den ewigen Höhen und Gründen (– S. 92), 2) Von der Welt, Wald und Feld – enthält sie theils geistliche theils weltliche Gedichte, die zumeist vorher in Blättern und Zeitschriften erschienen waren, besonders seit 1854 im „Volksblatt für Stadt und Land“, das fünf Jahre vorher Phil. Nathusius übernommen hatte. Erst nach des Dichters Tode erschienen dann von der Familie des Verstorbenen herausgegeben und gegenüber der früheren Sammlung bedeutend vermehrt Schwartzkopff’s Gedichte bei Böhme in Leipzig in zwei Octavbänden, der erste, die geistlichen enthaltend, 398 S. stark, 1887, der zweite, die Gedichte „Aus Natur und Welt“ umfassend und 549 S. zählend, 1888. In dem letzteren Bande sind hervorzuheben die zahlreichen vaterländischen Gesänge, mit denen er die Ereignisse der Jahre 1870 und 1871 begleitete. Die 1875 zu Kissingen erschienenen „Kissinger Erinnerungen eines Badegastes“ zeugen davon, was auch von den anderen Erholungsreisen nach Blankenberghe, Reichenhall, Karlsbad, der Schweiz gilt, daß jene Abspannungen aus der schweren Berufsarbeit sich für dichterische Schöpfungen fruchtbar erwiesen. Dies gilt auch insbesondere von der größten unter ihnen, den „Psalmenklängen“. Erst allmählich zum Abschluß gebracht und 1883 bei G. Böhme in Leipzig (316 S. 8°) erschienen, ist der Kern dieser später ausgereiften Frucht am deutschen Seegestade bei dem Badeaufenthalt in Norderney entstanden. Mit gewissenhafter Sorgfalt aus der Fülle der heiligen alttestamentlichen Lieder schöpfend hat der Dichter der Gegenwart doch in neuer Weise und in neutestamentlichem Geiste ausgeströmt, was sein Gemüth und Sinnen aus dieser Quelle schöpfte. Wir haben es keineswegs [220] mit einer bloßen poetischen Uebersetzung des Psalmbuchs zu thun. Die Weise der Neudichtung ist übrigens nicht überall dieselbe, verschiedene Psalmen sind in doppelter Gestalt umgedichtet. Während beispielsweise 119a genauer dem vorgefundenen Gedankeninhalte nachgeht, ist 119b „Des Christen goldnes Abc“ eine durchaus freie Neudichtung, die sich nur äußerlich an die alphabetische Einrichtung des mit dieser Zahl bezeichneten Psalms anschließt. Nächst und neben der heiligen Schrift war für S. schon von Jugend auf Gegenstand eifrigen Forschens und Betrachtens die Schauspieldichtung Shakespeare’s, des „Dichters des Gewissens“. In dem, was er hierüber in Wort und Schrift mittheilte, tritt ganz besonders der weitherzige Anschluß des Christen an alles Schöne und Große in menschlicher Kunstgestaltung hervor. Leider ist manches von diesen Arbeiten verloren gegangen. Bei seinen Lebzeiten erschienen nur die Aufsätze: „Shakespeare in seiner Bedeutung für die Kirche unserer Tage“ und: „Faust, Lear und Macbeth“. Nach seinem Ableben veröffentlichte die Familie im J. 1888 vierzehn dieser Abhandlungen, als: „Shakespeare’s Dramen auf ewigem Grunde“ (Bremen und Leipzig, C. Ed. Müller’s Verlag. 430 S. 8°) und im nächsten Jahre drei weitere: „Goethe’s Faust“, „Goethe’s Tasso“ und „Calderon’s Leben ein Traum“ zugleich mit dem dreiactigen Schauspiel Judas Ischarioth unter dem Titel Charakterstudien“ (ebendaselbst, 197 S.). Die letztgenannte in den spätesten Lebensjahren entstandene Studie versucht mit großer Meisterschaft auf psychologischem Wege die überaus schwierige Frage nach dem Grunde des schauerlichen Verraths des Jüngers an seinem Herrn zu lösen. Ein warmer Freund der inneren wie der äußeren Mission, die er einst zu seinem Lebensberuf hatte wählen wollen, verfaßte S. auch eine ganze Reihe missionsgeschichtlicher Schriften, die vom evangel. Bücherverein zu Berlin verlegt wurden. Theilweise von größerem Umfang – sein „Polynesien“ ist 362 Octavseiten stark – sind diese Arbeiten durch ihren Gedankenreichthum, tiefe Erfassung des Gegenstands und Sichhineinversetzen in die Culturzustände und Anschauungen der verschiedenen heidnischen Völker höchst bemerkenswerth.

Seinem Berufe nach zunächst Diener am Worte hat S. natürlich den vorwiegenden Theil seines Sinnens und Wirkens in dessen Verkündigung geübt und niedergelegt. Durch meisterhafte innere Gliederung, Gedankenfülle und Wärme der Ueberzeugung ausgezeichnet, wurden seine Predigten auch mit einer außerordentlichen Darstellungsgabe vorgetragen. Mochte er auch bei dieser Wucht der Beredsamkeit in Gedanken, Ton, Geberde und seiner originellen Weise wohl nicht den eigenartigen Bedürfnissen eines jeden Hörers in gleicher Weise gerecht werden, so war dennoch die Gesammtwirkung eine große, zumal wenn dem regelmäßigen Hörer die Art und das innere Wesen des Predigers vertrauter wurden. Erschienen waren bei seinen Lebzeiten nur drei Octavbändchen unter dem Titel „Körner und Aehren“, das erste eine „Nachlese aus dem Evangelienacker“, das zweite „Nachlese aus dem Epistelacker“, das dritte „Gesammelte Körner und Aehren auf dem Rain zwischen Evangelien- und Epistelacker“ (Neu-Erkerode und bezw. Braunschweig im Verlage der Buchhandlung der Idiotenanstalt, dann 1880 vom Berliner Hauptverein für christliche Erbauungsschriften aufs neue herausgegeben). Jüngst ist nun aus dem Nachlasse vorläufig ein erster Band seiner gesammelten Predigten unter dem Titel: „Habe deine Lust an dem Herrn“ bei C. Ed. Müller in Bremen erschienen.

Nachdem S. schon seit einer Reihe von Jahren zur Herbst- und Sommerszeit Stärkung in Badereisen hatte suchen müssen, traf ihn anfangs Juni 1886 ein stärkerer schmerzlicher Krankheitsanfall. Bei seiner großen Berufstreue hatte er bei einiger Rückkehr der Kräfte sich schon entschlossen, am Sonnnabend die Pfingstbetstunde, tags darauf die Hauptpredigt am ersten Pfingsttage zu halten, [221] als er am 10. d. Mts. Von einem Gehirnschlage getroffen wurde, dem er bald erlag, nachdem er jedoch vorher wieder zum völligen Bewußtsein zurückgekehrt war und im festen Vertrauen seine Seele dem befohlen hatte, dessen Gnade und Herrlichkeit zu verkündigen sein heiliger Beruf gewesen war. – So kräftig und markig seine Rede und sein inneres Wesen, so kräftig und gedrungen war auch seine äußere Gestalt. Das große leuchtende Auge war ungemein beweglich, spiegelte aber ungleich öfter Freundlichkeit und Milde als Zorn wieder, der ihn freilich auf Augenblicke dem Bösen und Widerwärtigen gegenüber heftig bewegen konnte. Die Farbe seines kräftigen Haarwuchses ließ keinen Zweifel über den Grund und Anlaß des Familiennamens, erwies sich daher als altes unverfälscht überliefertes Vätererbe.

Vgl. die Mittheilungen des ältesten Sohnes Dr. Paul Schwartzkopff im Jahrg. 1886 der „Allgem. konservat. Monatsschrift“, Leipzig, bei G. Böhme S. 843–862.