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Artikel „Schubert, Ferdinand“ von Heinrich Welti in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 612–613, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schubert,_Ferdinand&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 19:31 Uhr UTC)
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Schubert: Ferdinand S., Schulmann und Musiker, ein älterer Bruder des berühmten Tondichters, wurde am 18. (19.) October 1794 in Wien geboren. Seine erste Bildung genoß er im elterlichen Schulhause, wo er auch früh die Bestimmung zum Lebensberuf fand und zugleich die ersten Anregungen zur Musik empfing, deren Pflege er einen reichen Theil seiner Kraft und seines Lebens widmete. Gleich seinem Vater, dem Schullehrer der Pfarre zu den 14 Nothhelfern in Lichtenthal, wandte er sich in jungen Jahren, nachdem er 1809 an der Musterhauptschule bei St. Anna einen pädagogischen Cursus durchgemacht hatte, dem Schulfache zu, verlor aber über der aufreibenden Thätigkeit eines Volksschullehrers Frau Musica nicht aus dem Herzen und brachte durch unablässiges Studium seine hübsche Begabung soweit zur Reife, daß er zu seiner Zeit für einen braven Kirchencomponisten und einen sehr tüchtigen Chorregenten galt. Seine Lehrerlaufbahn begann er als Gehülfe des Vaters, wurde aber schon 1810 in gleicher Eigenschaft an das k. k. Waisenhaus versetzt, wo er 1816 zum Lehrer vorrückte. In dieser Stellung, die er bis 1820 bekleidete, erwarb er sich durch Versuche mit der Bell-Lancaster’schen Methode ein pädagogisches Verdienst. Diese Bemühungen um die Einführung des aus England stammenden Unterrichtssystems, das die älteren Schüler als Lehrkräfte nutzbar zu machen suchte, gab S. Anlaß zur Abfassung seines ersten Lehrmittels, der „Kurrent- und Lateinschriften zum Gebrauch beim Versuche der Bell- und Lancaster’schen Methode für die Zöglinge des k. k. Waisenhauses“ 1819. Bald darauf, 1820, wurde S. zum Schullehrer und Regens chori in Altlerchenfeld befördert; in dieser Stellung, die er bis zum Jahre 1824 behielt, wandte er sich mit verdoppeltem Eifer der Musik zu. Was er an praktischen Kenntnissen vom Vater und Bruder [613] Ignaz erlernt hatte, was er an theoretischem Wissen von Michael Holzer, dem Lichtenthaler Chorregenten, und beim Capellmeister Drechsler sich angeeignet hatte, das kam ihm nun bei der Leitung des Kirchenchores trefflich zu statten, denn nach alter Sitte lag dem Regenten nicht nur die Einübung und Führung der Sänger ob, sondern er mußte auch darauf bedacht sein, den Schatz der kirchlichen Musikstücke durch eigne Arbeiten zu mehren. So schrieb denn auch Ferdinand S. eine ganze Reihe für den Gottesdienst bestimmter Tonstücke, von denen ein Regina coeli als Op. 1 und eine vierstimmige Trauermesse mit Orgelbegleitung als Op. 2 im Druck erschienen. War der Bedarf groß oder wegen drängender Zeit Noth an Mann, so sprang dem Bruder hin und wieder wohl auch der große Meister Franz hilfreich bei; wenigstens ist bekannt, daß dieser Ostern 1820 für Ferdinand in letzter Stunde die Antiphonen zur Palmenweihe schrieb und an seiner Stelle die Nelson-Messe Haydn’s dirigirte. Ueberhaupt stand Ferdinand dem Tondichter wohl am nächsten unter den Brüdern und seinem Andenken gebührt auch um der Theilnahme willen, die er seinem künstlerischen Schaffen und nach dessen Tod seinen Schöpfungen entgegenbrachte, volle Ehre. Ferdinand S. war durch mehrere Jahrzehnte der getreue Hüter des gewaltigen herrlichen Schatzes, den Franz S. der Welt hinterlassen und er war auch einer der ersten, die weiteren Kreisen über das Leben unseres größten Liedermeisters Nachricht gaben; seine auf Veranlassung Robert Schumann’s geschriebenen Mittheilungen „Aus Franz Schubert’s Leben“ erschienen 1839 in der „Neuen Zeitschrift für Musik“. Daß aber die Beschäftigung mit der Musik dem überaus thätigen Manne allezeit nur Nebensache blieb, bezeugen wohl am besten die ehrenvolle Laufbahn, die er in seinem Berufe machte, und die zahlreichen Arbeiten für das Schulfach, die er gerade in den nächstfolgenden Jahren lieferte. 1824 wurde er Lehrer an der k. k. Normalhauptschule bei St. Anna, 1841 übernahm er den Unterricht der Pädagogik und Methodik an der Mädchenschule der Ursulinerinnen und 1851 ward ihm die Ernennung zum Director der k. k. Normalhauptschule. Diese reiche Lehrerthätigkeit gab S. die Anregung zu einer ebenso fruchtbaren Schulschriftstellerei; eine ganze Reihe beliebter und früher oft neu aufgelegter Lehrbücher gibt Kunde von seinem Fleiß und seinem Geschick. So: „Der kleine Kopfrechner“ 1826; „Der kleine Feldmesser“ 1830; „Der kleine Stereometer“ 1832; „Der kleine Geograph“ 1833; „Der kleine deutsche Grammatiker“ 1841; „Versuch einer Naturgeschichte für Volksschulen“ 1851. Ein vollständiges Verzeichniß der Schubert’schen Lehrmittel und ihrer Umarbeitungen gibt Wurzbach XXXII, S. 27–29. Trotz dieser emsigen litterarischen Bethätigung und einem beinahe 50jährigen amtlichen Wirken brachte es Ferdinand S. zwar bis zum Verdienstkreuz der Krone aber nicht bis zum Wohlstand, und seine große Familie – es waren 28 Kinder gewesen – war in dürftigen Verhältnissen, als er am 26. (28). Februar 1859 zu Wien starb.