ADB:Schreiner, Franz Gustav Ritter von

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Schreiner, Gustav Franz Ritter von“ von Franz Ilwof in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 479–482, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schreiner,_Franz_Gustav_Ritter_von&oldid=- (Version vom 22. November 2024, 05:38 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 32 (1891), S. 479–482 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Kein Wikipedia-Artikel
(Stand Mai 2015, suchen)
Gustav Franz von Schreiner in Wikidata
GND-Nummer 117045926
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|32|479|482|Schreiner, Gustav Franz Ritter von|Franz Ilwof|ADB:Schreiner, Franz Gustav Ritter von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=117045926}}    

Schreiner: Gustav Franz Ritter v. S., Statistiker, geboren am 6. August 1793 zu Preßburg in Ungarn, wo sein Vater Bürger, Mitglied des äußeren Rathes und Vertreter der Bürgerschaft im inneren Rathe war, obwol die Familie, eine deutsche, erst eine Generation vorher von Brünn in Mähren nach Ungarn übergesiedelt war. S. besuchte die Gymnasien zu Preßburg und Trentschin; dem Wunsche seiner Mutter folgend schlug er die geistliche Laufbahn ein und studirte an den Seminarien zu Preßburg und Wien. November 1812 verließ er die theologischen Studien und trat an die juristische Facultät der Universität Wien über, welche er August 1816 absolvirte. Hierauf unternahm er in Gesellschaft von drei jungen Malern eine Reise durch ganz Italien; dadurch mag der Grund gelegt worden sein zu seiner Liebe für die bildenden Künste, besonders für die Malerei, die ihn durch sein ganzes Leben begleitete, ihn veranlaßte, werthvolle Gemälde zu sammeln und Studien auf diesem ihm sonst fern liegenden Gebiete zu unternehmen, welche ihn zu einem tüchtigen Bilderkenner machten. – Diese Reise, durch welche er seine Studien und Kenntnisse über Land und Leute, namentlich auf dem alten Culturboden Italiens ausbreiten und vermehren, fremder Herren Länder kennen lernen konnte, sowie die unmittelbar vorhergegangenen gewaltigen Ereignisse der Jahre 1812 bis 1815 mögen auf S., an den eben die Frage der Berufswahl herantrat, bestimmend eingewirkt haben, das Studium der Staatswissenschaften zu seinem Lebensberufe zu wählen. Schon als Student hatte er sich in den Fächern der Politik und Statistik derart ausgezeichnet, daß er die Aufmerksamkeit der Professoren Zizius und Wateroth – dieser ein Schüler Schlözer’s und seiner Zeit Liebling Kaiser Josef’s II., der ihn von Göttingen nach Wien berufen – auf sich lenkte. Diese beiden waren es, welche S. aufforderten, sich dem Lehramte zu widmen und ihn zu ihrem Supplenten für die politischen Doctrinen, Wateroth an der Universität, Zizius am Theresianum, bestimmten. An beiden Anstalten wirkte S. gleichzeitig durch zwei Jahre. Am 29. December 1819 wurde er zum Professor der Statistik, der Politik, des österreichischen Staatsrechtes und der Verwaltungsgesetzeskunde am Lyceum zu Olmütz ernannt. Diese Professur versah er bis 1828; während dieser Zeit erwarb er (1824) das Doctorat der Rechte an der Universität Wien und machte Reisen durch Ungarn, Böhmen, Deutschland, Frankreich und Oberitalien. Am 19. Juli 1828 wurde er zum ord. öff. Professor der Statistik und der politischen Wissenschaften an der Universität Graz ernannt; von da bis zu seiner Ostern 1871 erfolgten Versetzung in den Ruhestand, also durch 43 Jahre bekleidete S. dieses Lehramt in ausgezeichneter Weise. – In Graz entfaltete sich Schreiner’s litterarische Thätigkeit, welche schon in Olmütz begonnen, in umfangreicher Weise; Zeugniß hiervon geben zahlreiche Arbeiten historischen, politischen, statistischen, topographischen und geographischen Inhalts, welche von da an bis an sein Lebensende in verschiedenen Zeitschriften und Sammelwerken erschienen. Diese umfassenden litterarischen Arbeiten brachten ihn [480] mit vielen Gelehrten Deutschlands auf dem Gebiete der Staats- und Rechtswissenschaften, so mit Rotteck, Welcker, Rau, Mittermaier, Berghaus, Wessenberg, Schubert, Karl Ritter u. m. a. in briefliche, persönliche und freundschaftliche Verbindung. Friedrich Wilhelm Schubert widmete einen von den sieben Bänden seines „Handbuch der allgemeinen Staatskunde von Europa“ (Königsberg 1849–1853) S., „dem gründlichen und wohlverdienten Arbeiter auf dem Felde der Staatskunde als ein Zeichen aufrichtiger Hochachtung“, und als 1843 bei Gelegenheit der Naturforscherversammlung Karl Ritter, der große Geograph, Graz besuchte, wurde ihm von Erzherzog Johann speciell S. zugewiesen, um ihm namentlich über die Industrie der Steiermark eingehende Aufschlüsse zu geben; Ritter gedenkt auch dankbar Schreiner’s in einem Briefe (Kramer, Karl Ritter II, 319, Halle 1870).

Auch auf dem Felde öffentlicher praktischer Wirksamkeit war S., so weit es die damaligen politischen Verhältnisse gestatteten, rastlos thätig. Die Regierung ernannte ihn 1832 zum Mitgliede der Provinzialcommerzcommission und betraute ihn mit mehrfachen, Steiermark betreffenden, statistischen Arbeiten; als Erzherzog Johann 1837 an die Gründung des steiermärkischen Gewerbevereines schritt, da wurde S. zum Geschäftsleiter und Secretär desselben berufen und wirkte bei der Gründung desselben und später durch eine Reihe von Jahren, als dieser Verein eine Zeichenschule, ein Musterwaarencabinet, eine Bibliothek und das steierm. Industrie- und Gewerbeblatt ins Leben rief, so eingreifend, daß man ihn neben dem Erzherzog als zweiten Gründer dieses jetzt noch blühenden und wohlthätig wirkenden Vereins bezeichnen kann. – Bald aber eröffnete sich ihm durch die politischen Bewegungen des Jahres 1848 ein neues Gebiet der Thätigkeit. Die Universität Graz wählte ihn zu ihrem Vertreter im verstärkten steiermärkischen Landtage, dessen Sitzungen er aber nur kurze Zeit beiwohnen konnte, da er von drei Wahlbezirken, Weiz, Feldbach und Cilli zum Abgeordneten in das Frankfurter Parlament gewählt worden war. Von Mai 1848 bis April 1849 weilte S. in Frankfurt; im Parlamente saß er im linken Centrum und gehörte jener Fraction an, welche von ihrem Versammlungsorte den Namen „Württemberger Hof“ führte; er war Mitglied des wichtigsten Ausschusses der deutschen Nationalversammlung, des Verfassungsausschusses, an dessen Arbeiten und Sitzungen, sowie an allen Verhandlungen des Parlaments er den regsten Antheil nahm und er war, wenn er auch auf der Rednerbühne selten erschien, im Club und in den Ausschüssen um so thätiger.

Als nach der Wahl des Königs von Preußen zum deutschen Kaiser durch die Nationalversammlung Oesterreich seine Abgeordneten zurückrief, verließ S. Frankfurt, nahm seine Lehrthätigkeit in Graz wieder auf und konnte diese jetzt erst recht entfalten, denn als eine der wenigen, und da auch nur theilweise erhaltenen Errungenschaften der Märztage waltete in den Räumen der Hochschule belebend auf Lehrer und Hörer der Geist der Lehr- und Lernfreiheit. Die Vorlesungen, welche S. von da an alljährlich über Volkswirthschaftslehre, Finanzwissenschaft, Verfassungs- und Verwaltungspolitik hielt, gehörten zu den anregendsten, belehrendsten und bestbesuchten der Universität; der größte Hörsaal der juristischen Facultät war bei jedem dieser Vorträge bis auf den letzten Platz besetzt und in der Thüre und entlang den Wänden standen noch viele Hörer, welche alle mit gespannter Aufmerksamkeit dem freien Vortrage ihres Lehrers folgten. 1854/55 und 1863/64 war S. Decan der juristischen Facultät und 1852/53 Rector der Universität.

Die Zeit der Reaction von 1850 bis 1860 und die daraus sich ergebenden Zustände lasteten schwer auf S. und erfüllten ihn mit patriotischem Schmerze; Trost und Erhebung fand er in dieser Periode in den Vorarbeiten zu einem [481] großen Werke, denen er die letzten zwanzig Jahre seines Lebens widmete. Er machte die eingehendsten Studien über die topographischen, statistischen und wirthschaftlichen Verhältnisse, über die Geschichte und Kunstgeschichte von Venedig; alljährlich weilte er zwei Monate in der Lagunenstadt und sammelte ein wahrhaft riesiges Material als Grundlage des beabsichtigten Werkes. Zur Ausarbeitung desselben gelangte er aber nicht; nur zwei Bruchstücke: „Venedigs Begräbnißstätten“ (in dem Album „Für den Friedhof der evangelischen Gemeinde in Graz“, Braunschweig 1857, S. 595–666), und „Gradisca, die gefürstete Grafschaft“ (Geschichte derselben. In Ersch u. Gruber’s Encyclopädie, I. Section, 77. Band, S. 332–480) erschienen im Drucke.

Als Oesterreich seit 1860 wieder in die Bahnen des constitutionellen Lebens einlenkte, eröffnete sich für S. neuerdings das Feld der parlamentarischen Thätigkeit; von 1861 bis 1870 gehörte er dem steiermärkischen Landtage als Vertreter des Wahlbezirkes der Märkte Frohnleiten, Gratwein, Deutsch-Feistritz, Uebelbach und Passail an, war Mitglied und Obmann des Finanzausschusses, des wichtigsten der Landesvertretung, und arbeitete in demselben mit rastlosem Eifer und glänzendem Erfolge. Gleiche Thätigkeit entfaltete er in wissenschaftlichen und gemeinnützigen Vereinen, so im historischen Vereine, dessen Ausschußmitglied seit 1862 und Vorstand von 1869–1870 er war, im Kunstvereine und im Kunstindustrievereine. Auch die Regierung, welche ihn bisher, offenbar infolge der noch immer fortwirkenden Reminiscenzen seiner Frankfurter Parlamentsthätigkeit und seiner liberalen Gesinnung, der er oftmals auf dem Katheder und im Leben Ausdruck gab, noch kein Zeichen der Anerkennung seiner Verdienste gegeben, begann seiner endlich in anderer Weise zu gedenken. 1866 wurde er den Verhandlungen des Unterrichtsrathes beigezogen, 1867 wurde ihm der Orden der eisernen Krone dritter Classe verliehen und 1868 wurde er in den Ritterstand erhoben. Nahe dem achtzigsten Lebensjahre und nachdem er am 29. December 1869 sein fünfzigjähriges Professorenjubiläum gefeiert, trat er September 1870 in den Ruhestand. Noch eine Auszeichnung war dem würdigen Greise beschieden, welche ihm durch[WS 1] ein seltenes Zusammentreffen der dabei obwaltenden Umstände hohe Freude bereitete. Der Gemeinderath der Landeshauptstadt Graz beschloß am 11. April 1871 einstimmig, ihm die höchste Auszeichnung, über welche die Gemeindevertretung verfügen kann, die Würde eines Ehrenbürgers zu verleihen; die Deputation, welche ihm hiervon Mittheilung machte, bestand aus seinem eigenen Sohne, Dr. Moriz R. v. S., damals Bürgermeister von Graz, und drei Gemeinderäthen, alle Schreiner’s einstige Schüler. Nicht lange erfreute er sich des wohlverdienten Ruhestandes, denn schon am 1. April 1872 führte ein Herzleiden seinen Tod herbei.

Schreiner’s litterarische Arbeiten bestehen außer den schon erwähnten über Venedig und Gradiska aus einem großen Werke über Graz: „Grätz. Ein naturhistorisch-statistisch-topographisches Gemälde dieser Stadt und ihrer Umgebungen“ (Grätz 1843) und aus einer großen Zahl von Aufsätzen statistischen, geographischen, topographischen und staatswissenschaftlichen Inhalts in „Hormayr’s Archiv“, in „Brockhaus’ Conversationslexikon“, in der „Steiermärkischen Zeitschrift“, der er von 1833 bis 1848 als Redactionsmitglied angehörte, in „Berghaus’ Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde“, in Rotteck u. Welcker’s „Staatslexikon“, in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“, in der „Oesterreichischen Zeitschrift für Staats- und Rechtswissenschaft“, in Wagener’s „Neuem Conversationslexikon“ und in einer fast unabsehbaren Zahl von Artikeln in „Ersch und Gruber’s allgemeiner Encyclopädie der Wissenschaften und Künste“. Endlich ist noch der Abschnitt „Die Bewohner des Landes“ in Hlubek’s „Treues Bild der [482] Steiermark“ (Graz 1860) zu nennen. Alle Arbeiten Schreiner’s zeichnen sich durch den außerordentlichen Fleiß in Aufbringung des Materials, durch Gründlichkeit und vollständige Erschöpfung des Stoffes aus.

Siehe Gustav Franz Ritter v. Schreiner. Sein Leben und Wirken dargestellt von Dr. Franz Ilwof (im Gedenkbuche des historischen Vereins für Steiermark, im 21. Hefte der Mittheilungen dieses Vereins, 1873, S. 1 bis 30). – Wurzbach’s Biographisches Lexikon, XXXI, 287–291. – „Ein Mann der Wissenschaft“ in der Grazer Tagespost, 1871, Nr. 88–90. – Neue Freie Presse Nr. 2782 vom 2. April 1872. – Illustrirte Zeitung, Leipzig, XII, 25 – Biographie Schreiner’s von Pauler in Jogtudományi Közlönyi, 1868, Nr. 5.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: darch