ADB:Schrötter, Friedrich Leopold Freiherr von

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Artikel „Schrötter, Reichsfreiherr Friedrich Leopold von“ von Gottlieb Krause in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 579–582, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schr%C3%B6tter,_Friedrich_Leopold_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 7. Dezember 2024, 05:02 Uhr UTC)
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Schroetter: Reichsfreiherr Friedrich Leopold v. S., preußischer Staatsminister, einer der hervorragendsten Mitarbeiter Stein’s bei der Reformgesetzgebung der Jahre 1807 und 1808. Geboren am 1. Februar 1743 auf dem Gute Wohnsdorf zwischen Friedland und Allenburg in Ostpreußen, trat er, noch nicht vierzehn Jahre alt, in das Dragonerregiment von Schorlemmer und nahm an mehreren der blutigen Schlachten des siebenjährigen Krieges als Fähnrich und dann als Lieutenant theil. Die auf den Frieden folgende ruhigere Zeit gab ihm Muße, seiner Neigung gemäß sich wissenschaftlich zu beschäftigen und die Lücken, die ein mangelhafter Unterricht in der Jugend zurückgelassen, auszufüllen. Höchst fördernd war für ihn der Umstand, daß sein Garnisonsort Königsberg damals ein Brennpunkt deutscher Bildung war. Mit all den bedeutenden Männern, die den Ruhm der Pregelstadt weithin verbreiteten, trat er in lebhaften Verkehr, mit Scheffner und Hippel, vor allem aber mit Kant und Kraus. Ihnen hat er bis an sein Lebensende eine treue, liebevolle Erinnerung bewahrt. Solchem Umgange dankte er den weiten Gesichtskreis, seine Empfänglichkeit für das, was über das Alltägliche hinausgeht, oder, wie Schön sich ausdrückt, die Fähigkeit „einem höheren Gedanken zu folgen“. Im J. 1776 wurde er Stabscapitän, 1787 von Friedrich Wilhelm II. nach Berlin berufen, wurde er zum Major und zum Assessor bei dem Oberkriegscollegium ernannt. 1790 stieg er zum Oberstlieutenant empor und wurde vortragender Rath bei dem Generaldirectorium. Seine im J. 1791 erfolgende Ernennung zum Oberpräsidenten von Ost- und Westpreußen führte ihn nach Königsberg zurück. Als Besitzer bedeutender Güter mit den landwirthschaftlichen Verhältnissen dieser Provinz aufs genaueste vertraut, war er zugleich durch eifriges Studium in die eigentliche Wissenschaft der Nationalökonomie eingedrungen. An der Albertina las damals über Finanz-, Polizei- und Handelswissenschaft, Gewerbkunde und Landwirthschaft Christian Jacob Kraus, ein Mann von tiefer Gelehrsamkeit und großem Scharfsinn, der als einer der ersten in Deutschland die Lehren von Adam Smith verbreitete, jedoch nicht ein bloßer Nachtreter des Schotten war, sondern das System desselben selbständig erweiterte. Wie hoch Schrötter die von Kraus ausgehende Bildung schätzte, geht daraus hervor, daß er als Chef des ostpreußischen Finanzdepartements allen Studirenden, die in diesem Fache angestellt zu werden wünschten, zur Pflicht machte, sich durch Zeugnisse dieses Gelehrten zu legitimiren (Kraus, Staatswirthschaft I, S. IV). Fast alle anderen bedeutenderen ostpreußischen Staatsmänner jener Zeit, Karl Wilhelm v. Schrötter, Hans v. Auerswald, Theodor v. Schön u. a., stehen ebenfalls unter dem Einfluß der Lehren von Kraus. Uebrigens ist auch Stein von ihnen nicht unberührt geblieben. (Vgl. Varnhagen von Ense, Denkwürdigkeiten des eignen Lebens. 3. Aufl. 3. Th. Leipzig 1871. S. 176–177.)

Im November 1795 wurde S. als Staats- und Finanzminister von Altpreußen und Neuostpreußen nach Berlin berufen. Von staunenswerther Arbeitskraft und tiefer Einsicht, von großer Sachkenntniß und zugleich den neuen freien [580] politischen und wirthschaftlichen Anschauungen zugewandt, hat er sich um die von ihm verwalteten Landschaften außerordentliche Verdienste erworben. Um fähige Gehülfen für seine Thätigkeit zu gewinnen, war er darauf bedacht, einen Stamm tüchtiger, intelligenter Beamten heranzuziehen. Bezeichnend ist in dieser Beziehung die Fürsorge, die er dem jungen Schön angedeihen ließ. Mit der größten Bereitwilligkeit ebnete er diesem die Wege zu der mehrjährigen Studienreise, die er als Assessor und als Kriegs- und Domänenrath in Deutschland und England machte; nur wurde Schön verpflichtet, über seine Erfahrungen und Beobachtungen regelmäßig Bericht zu erstatten. Nach beendeter Reise mußte Schön auf seinen Posten an der Kriegs- und Domänenkammer zu Bialystock und hatte hier Gelegenheit, die umfassende reformatorische Wirksamkeit Schrötter’s in den neuerworbenen polnischen Besitzungen zu bewundern. Es wurden hier vielverheißende Keime einer höheren Cultur gelegt, die durch die zehn Jahre später erfolgende Lostrennung der Landschaften von Preußen zerstört worden sind. Große Landesmeliorationen wurden vorbereitet, im J. 1797 die bisherige Kammer-Justiz aufgehoben und den ordentlichen Gerichten übertragen, eine besondere Fürsorge aber wurde dem Unterrichtswesen zugewandt. Dem Minister verdankte Neuostpreußen seine ganze damalige Schuleinrichtung. Auch für Ostpreußen war seine Verwaltung von großem Segen; er suchte die wirthschaftlichen Kräfte der Provinz zur Entwicklung zu bringen, förderte die Begründung neuer Schulen, nahm sich der Reorganisation der Kunstschule zu Königsberg an u. s. w. Selbst Schön, dessen kritischer Verstand leicht die Mängel und Schwächen der Menschen herausfand, stellt der Person und dem Walten des Ministers ein höchst ehrendes Zeugniß aus: S. belohne Verdienst ohne Rücksicht des Standes, ehre die Offenheit freimüthiger Meinungsäußerung und trete, frei von Menschenfurcht, jeder Ungerechtigkeit entgegen. Nirgends in preußischen Staaten höre man freiere Meinungen über politische Gegenstände äußern, als in Preußen (s. Studienreisen eines jungen Staatswirths etc. Beiträge zu den Papieren etc. Schön’s. S. 631–634).

S. gehörte zu den preußischen Staatsmännern, welche schon vor der Katastrophe von Jena von der Reformbedürftigkeit des Staates durchdrungen waren, und ist bereits mit Vorschlägen zur Verbesserung hervorgetreten. Im März 1806 legte er dem König Friedrich Wilhelm III. einen Plan vor zur Organisation des platten Landes in den vier altpreußischen Kammerdepartements, der die kgl. Genehmigung erhielt, dessen Ausführung aber durch den Ausbruch des Krieges mit Frankreich verhindert worden ist.

Als nach dem furchtbaren Tilsiter Frieden auf dem Boden Ostpreußens jene Reformthätigkeit sich entfaltete, infolge deren sich der preußische Staat verjüngte und neue sittliche Kräfte zu dem Kampfe gegen den Unterdrücker gewann, fand Stein in S. seinen vielleicht wirksamsten und leistungsfähigsten Mitarbeiter. Während Schön, ganz erfüllt von der Theorie des Freihandels und der Idee des Staates an sich, für die historische Auffassung Stein’s kein rechtes Verständniß hatte, stand S. letzterem unendlich näher. Auch er entstammte einem edlen und vornehmen Hause und schätzte die Auszeichnung der Geburt als einen Antrieb zu vorzüglicher Tüchtigkeit, auch bei ihm fand die Energie des Willens bisweilen ihren Ausdruck in einer gewissen Schroffheit des Wesens, die jedoch nie sein reiches und tiefes Gemüth zu verdecken vermochte, auch er hat, so kühn er einer Neuordnung des Staates und der Gesellschaft zustrebte, dem historischen Rechte Rechnung getragen. Vielleicht aber hat er sich mehr als Stein innerhalb der Grenzen des praktisch Erreichbaren gehalten. Beinahe alle die grundstürzenden Gesetze der Jahre 1807 und 1808 haben in dem preußischen Provinzialdepartement, das unter Leitung Schroetter’s stand, ihren Ursprung genommen, sollten sie doch fast sämmtlich nach dem anfänglichen Plane nur in der Provinz Preußen ins Leben [581] treten. Friese und Wilckens waren nächst S. die bedeutendsten Mitglieder dieses Departements. Zunächst seien die folgenreichen Verordnungen zum besten der bäuerlichen Bevölkerung erwähnt: Das Edict vom 9. October 1807, nach Schön’s Ausdruck die Habeas Corpus-Acte Preußens, das durch Aufhebung der Gutsunterthänigkeit der größeren Hälfte der Bevölkerung die persönliche Freiheit schenkte und jedem Einwohner, ohne Unterschied des Standes, jede Art von Grundbesitz und Gewerbe zugänglich machte. Die Vorgeschichte dieses berühmten Edicts beweist, daß neben den Gutachten der Immediatcommission, deren treibende Kraft Schön war, die Vorschläge des Ministers S. und seines Bruders, des Kanzlers, seitens des Königs und Stein’s eingehende Beachtung erfahren haben. Insbesondere ist der Paragraph 2 („Freie Wahl des Gewerbes“), durch den das Gesetz über den Rahmen einer bloß agrarischen Maßregel hinaus eine allgemeine gesellschaftliche Neuordnung anbahnte, auf die Anregung des Ministers S. zurückzuführen. Am 28. October folgte die Cabinetsordre über „die Aufhebung der Erbunterthänigkeit auf sämmtlichen Preußischen Domainen“ und am 27. Juli 1808 die hochwichtige „Verordnung wegen Verleihung des Eigenthums von den Grundstücken der Immediat-Einsassen in den Domainen von Ostpreußen, Litthauen und Westpreußen“, wodurch etwa 47 000 bäuerlichen Familien zu freiem Eigenthum verholfen wurde. Die Immediatcommission, von der Doctrin der Nationalökonomie ausgehend, daß die Landwirthschaft nur von bemittelten Besitzern mit Erfolg betrieben weiden könne, wollte an die Erwerbung der Grundstücke Bedingungen knüpfen, denen nur Wohlhabende hätten genügen können. S. aber trat für die Rechte der ärmeren Bauern ein, und Stein stellte sich auf seine Seite. Den Bauern wurde das Einkaufsgeld erlassen; dafür sollten sie ihren Ansprüchen auf Remissionen, Freiholz und Waldweide entsagen. Um ihnen jedoch den Uebergang zu dem neuen Besitzverhältniß zu erleichtern, sollten ihnen auf Stein’s Veranlassung diese Unterstützungen noch auf zwei Jahre als ein Gnadengeschenk gewährt werden. Durch Allerhöchsten Befehl vom 17. Juni 1808 erhielt S. den Auftrag, das bezügliche Gesetz zu entwerfen, und hatte die Genugthuung, die Anerkennung des Königs für seine „gründliche Bearbeitung dieser wichtigen, auf den Nationalwohlstand und Menschenglück einen so großen Einfluß habenden Angelegenheit“ zu ernten.

Die gesetzgeberischen Arbeiten des Jahres 1808, welche eine Erweiterung der Gewerbefreiheit bezweckten, sind ebenfalls in dem Departement Schroetter’s angefertigt worden: das Edict, betreffend die Mühlengerechtigkeit und die Aufhebung des Mühlenzwanges, die Verordnung wegen der Aufhebung des Zunftzwanges etc. und die über den Auf- und Vorkauf. In wie hervorragender Weise aber S. an der Reorganisation der Verwaltung mitgewirkt hat, ist von Ernst Meier in seinem Werke „Die Reform der Verwaltungs-Organisation unter Stein und Hardenberg“. (Leipzig 1881) ans Licht gestellt worden. Es heißt darin auf S. 154: (Schroetter’s) „ganze Bedeutung läßt sich nur aus den Acten erkennen und ist deshalb bisher nicht genügend gewürdigt worden“. Zunächst ist sein Antheil an der Abfassung der Städteordnung vom 19. November 1808 hervorzuheben. In Bezug auf den Umfang des staatlichen Aufsichtsrechtes waren Meinungsdifferenzen zwischen Stein und dem Generaldepartement einerseits und S. andererseits hervorgetreten. S. wollte im Gegensatz zu Stein der städtischen Autonomie in der Verwaltung des Communalvermögens einige Schranken gezogen wissen. In der Städteordnung von 1808 ist die Ansicht Stein’s zum Ausdruck gelangt, jedoch hat sich dessen Meinung in dieser Beziehung später umgewandelt. Die Verordnung und die Instruction vom 26. December 1808, wodurch die Kammern eine verbesserte Einrichtung erhielten, sind auch im wesentlichen in Schroetter’s Departement abgefaßt worden, wenn schon sie erst nach des Ministers Rücktritt die königliche Sanction [582] erhielten. Dem Vorschlage Stein’s, daß zu den Arbeiten der Kammern ständische Repräsentanten zugezogen werden sollten, die als Mitglieder der Collegien ein vollständiges Votum zu erhalten hätten, war S. entgegengetreten. Wohl wollte er diesen Repräsentanten ein Recht der Controle und Revision einräumen und sie einen Einblick in das Getriebe der Amtsthätigkeit gewinnen lassen, damit sich das Vertrauen des Volkes zu den Regierungen befestige, aber von der eigentlich ausführenden Thätigkeit der Regierungen wollte er dieses Laienelement wegen des ihm nothwendig anhaftenden Mangels an Geschäftserfahrung fern gehalten wissen. Die Bedenken Schroetter’s haben sich in der Folgezeit als gerechtfertigt erwiesen. Zuletzt seien noch die umfassenden, bedeutenden Pläne zur Umgestaltung der Verfassung des platten Landes erwähnt, die auf Anregung Stein’s in dem ostpreußischen Departement entworfen worden, aber infolge des Rücktritts des großen Reformers nicht zur Vollendung gelangt sind.

Als in Gemäßheit des die obersten Staatsbehörden betreffenden Reorganisationsplanes alle Provinzialdepartements aufgelöst werden und an ihre Stelle Fachministerien treten sollten, – nach dem Publicandum vom 16. December 1808 zunächst das Ministerium des Innern und der Finanzen – verlor S. seine Stellung, in der er mit solchem Erfolge gewirkt hatte. Wie große Anerkennung er sich durch seine Amtsführung erworben, geht aus den warmen Worten hervor, mit denen der scheidende Stein ihn der Fürsorge des Königs empfohlen hatte, und aus der Antwort Friedrich Wilhelm’s vom 2. December 1808. (Pertz, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein. 2. Bd., S. 305 –306.) Bei seiner Dienstentlassung am 8. December 1808 ward S. durch die Verleihung des schwarzen Adlerordens ausgezeichnet. Er verließ das Amt nicht ohne ein Gefühl der Wehmuth, da die Arbeit für das allgemeine Wohl die Lebenslust gewesen war, in welcher sein Wesen sich voll und freudig entfaltet hatte.

Im J. 1810 wurde er Mitglied des geheimen Staatsrathes, 1814 königl. Commissarius bei der interimistischen Landes-Repräsentation, die er am 21. Februar mit einer Rede eröffnete, von der sein Biograph v. Baczko sagt, sie habe „in eben so hohem Grade von Erhabenheit über das Vorurtheil und über die Stimmen zahlreicher Schreier gezeugt, als den denkenden Kopf charakterisirt, der, frei von Einseitigkeit, für die Heiligkeit des Gesetzes und die Pflichten des Staates gegen jeden seiner Bürger mit hoher Achtung belebt sei“. S. starb am 30. Juni 1815, nachdem er noch die völlige Befreiung des Vaterlandes erlebt hatte. Auf Anregung Scheffner’s hatte er den Plan gefaßt, eine Geschichte seiner Dienstzeit gleich den Memoiren Sully’s zu verfassen, und hatte dem Jugendfreunde bereits einige Bogen in der Handschrift mitgetheilt. Leider ist die Arbeit nicht weiter geführt worden.

L. v. Baczko, Denkschrift auf Friedrich Leopold Reichsfreiherrn v. Schroetter. Königsberg 1815. – Pertz, Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein, besonders im 2. Bde. – Aus den Papieren des Ministers etc. Theodor v. Schön, besonders im 1. Theil, und Studienreisen eines jungen Staatswirths (Beiträge zu den Papieren Schön’s). Leipzig 1879. – (Ewald), Zu Schutz und Trutz am Grabe Schön’s. Berlin 1876. Abschnitt IV (Der Ursprung des Edicts vom 9. October 1807). – Seeley, Life and times of Stein. Vol. I. II. – E. Meier, Die Reform der Verwaltungs-Organisation unter Stein und Hardenberg. Leipzig 1881. – H. Ganz, Stein, Schön und die Entstehung des Edicts vom 9. October 1807. Mainz 1885. – G. F. Knapp. Die Bauern-Befreiung etc. in den älteren Theilen Preußens. 2 Thle. Leipzig 1887. – F. Rühl, Die Bauernbefreiung in Preußen. (In Nord und Süd, Bd. LIV, Heft 161.) – Schroetter’s Porträt: in Neue Berlinische Monatsschrift, herausgegeben von Biester. 6. Band. 1801.