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Artikel „Schopenhauer, Johanna“ von Friedrich Kummer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 346–349, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schopenhauer,_Johanna&oldid=- (Version vom 10. Dezember 2024, 02:23 Uhr UTC)
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Band 32 (1891), S. 346–349 (Quelle).
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Schopenhauer: Johanna Henriette S., Tochter des Danziger Rathsherren Christian Heinrich Trosiener, wurde am 9. Juli 1766 in der damals noch zu Polen gehörigen freien Stadt Danzig geboren. Die angesehene Familie stammte aus Holland. Ihre Jugendjahre hat Johanna selbst auf anmuthige Weise geschildert; still und glücklich verliefen ihre Mädchenjahre, das Studium fremder Sprachen und die Beschäftigung mit den zeichnenden Künsten gab ihrem Geist willkommene Nahrung. Jedweder dichterischen Thätigkeit stand Johanna in der Jugend fern; statt dessen strebte sie mit Eifer Angelika Kaufmann, deren heilige Caecilia sie entzückt hatte, an Ruhm zu übertreffen; es war ihr erster bitterer Schmerz, als ihre Verwandten in richtiger Erkenntniß der unzureichenden Begabung Johanna’s den Vorsatz vereitelten. Einen geistigen Berather und zugleich einen trefflichen Lehrmeister im Englischen fand Johanna in dem Schotten Richard Jameson, dem Geistlichen der englischen Colonie in Danzig. Der Vater Johanna’s, dessen Handelsgeschäfte nach Rußland hineinreichten, hatte als Kaufmann große Reisen gemacht und der Tochter die Leidenschaft für ein bewegtes Wanderleben vererbt. Ihre Neigung, nach außen hin sich geltend zu machen, ward früh befriedigt durch eine überaus glänzende Heirath, durch welche die im väterlichen Haus an Einschränkung gewöhnte Johanna mit einem Mal in die Atmosphäre des Luxus und des vornehmen Genusses versetzt wurde. Heinrich Floris Schopenhauer, ein reicher welterfahrener Kaufherr, bewarb sich um die Hand des zwanzig Jahre jüngeren Mädchens. Johanna willigte entschlossen ein, [347] obschon sie den Eltern und sich selber gestand, daß eine Herzensneigung sie zu der glänzenden Wahl nicht bestimmte. S. forderte nicht Liebe; nach kurzem Brautstand führte er Johanna heim. Die größeren und lebhafteren geistigen Umgebungen des Gatten beglückten sie ebenso wie die Fülle der äußeren Mittel; im Sommer lebte sie auf einem herrlichen Landsitz an der Meeresküste bei dem nahen Kloster Oliva. Sie war zumeist allein; sie sah ihren Gatten nur an den wenigen Tagen, die diesem sein Geschäft in der Stadt zur Muße übrig ließ. Ein leises Gefühl von Unbehagen und Mißmuth überschlich die junge Frau trotz der Verehrung, mit welcher sie zu ihrem weitgereisten und kunstverständigen Manne emporsah. Mangel an innerer Befriedigung und die Lust, die Welt zu sehen, begründete die Vorliebe Johanna’s für ausgedehnte Reisen, deren erste sie mit ihrem Gatten 1787 unternahm. Berlin, Hannover, Frankfurt, Antwerpen, Brüssel waren die Stationen vor dem großen Hauptziel Paris. Hier sah Johanna Ludwig XVI. und Marie Antoinette, die damals die letzten Tage ihres Glückes genossen. Ueber Calais begaben sich die Reisenden nach England. Es war ein Lieblingswunsch des alten S., seinem Erstgeborenen das englische Indigenat zu sichern, das aus handelspolitischen Gründen einem künftigen Kaufmann äußerst werthvoll sein mußte. Doch die Novembernebel in London bedrohten die Gesundheit Johanna’s; eilig kehrten die Gatten nach Danzig in ihre stille Heimath zurück, wo sie Ende des Jahres ankamen. Am 22. Februar 1788 wurde Arthur als einziger Sohn geboren; nach einem Jahrzehnt, am 12. Juni 1797 erblickte eine Tochter Luise Adelheid das Licht der Welt. Anfang der neunziger Jahre ward es immer klarer, daß Danzigs städtische Selbständigkeit gegen die Uebermacht Preußens unmöglich mehr vertheidigt werden konnte. Johanna verließ mit ihrem Gatten, einem zähen Vertreter der republikanischen Freiheit, 1793 die Vaterstadt, nicht ohne schwere Einbußen am Vermögen zu erleiden. Das freie hanseatische Wesen in Hamburg lud die Ausgewanderten zum Bleiben ein. Eine neue Reise durch Deutschland unterbrach 1800 den Hamburger Aufenthalt. 1803 trat Johanna mit ihrem Gatten und ihrem Sohn die dritte und größte Reise an. Wieder wurde Holland, Belgien und England bereist; Paris bildete einen Hauptanziehungspunkt: Napoleon Bonaparte gebot jetzt in der Stadt, wo bei der ersten Anwesenheit Johanna’s noch das bourbonische Königthum geherrscht hatte. Paris und das vielseitige gesellschaftliche Leben in Frankreich war das Element, in dem die geistreiche unruhige Frau sich heimisch fühlte; sie brachte die gewinnendsten gesellschaftlichen Talente mit: einen leichten freien Sinn, eine Fähigkeit, stets neu und interessant zu sein und wie eine Königin die Unterhaltung zu leiten. Ihrem Sohne Arthur gewährte sie völlige Freiheit zu thun und zu lassen. Die ersten litterarischen Erzeugnisse legte sie in den Tagebüchern nieder, die sie auf der Reise führte; damals faßte sie noch nicht eine Veröffentlichung ins Auge, ihr leichter flüssiger Styl zeigt sich wie in ihren Briefen, so in den Reiseaufzeichnungen. Im Frühling 1804 besuchten die Reisenden Süd-Frankreich und die Alpen. Schwaben, Bayern und Oesterreich wurden im Sommer bereist, Wien und Preßburg dabei berührt; reisemüde kam man in Hamburg an. Der Geist von Floris S. hatte sich infolge von Vermögensverlusten verwirrt; schon 1805 verlor Johanna ihren Gatten, der durch eine hohe Speicherthür in einen vorbeifließenden Canal stürzte: ob aus unglücklichem Zufall, ob aus Lebensüberdruß, war nicht zu entscheiden. Sein Sohn Arthur hatte allezeit mehr an dem Vater, als an der Mutter gehangen; er ist niemals wieder zu dieser in ein herzliches Einvernehmen getreten. Schon in früher Jugend war Arthur mit seinem tiefen, selbstbestimmenden Geist von der weit oberflächlicheren Mutter geschieden, die ihn niemals verstand und ihn niemals als den überlegenen Genius anzuerkennen vermochte. Der plötzliche und [348] räthselhafte Tod ihres Gatten bestimmte Johanna, ihren bisherigen Aufenthalt mit einem andern Ort Deutschlands zu vertauschen. Weimar hatte für sie als Sammelstätte aller litterarischen Größen die meiste Anziehungskraft. Dorthin begab sich Johanna im September 1806, zu einer Zeit, als in Weimar alles daran dachte, die Stadt wegen der kriegerischen Ereignisse zu verlassen. Die Schlacht von Jena wurde beinahe vor den Thoren geschlagen; nur durch ein Zusammentreffen eigener Entschlossenheit mit günstigen Umständen wurde ihr Haus vor der Plünderung bewahrt. Die gemeinsam erduldete Noth bewirkte, daß Johanna raschere Aufnahme fand, als dies wol sonst geschehen wäre; durch die Feuertaufe jener Tage ward sie nach Goethe’s Ausspruch zur Weimaranerin. Da sie wohlhabend war, die Welt und ihre Formen kannte und klug vermied, was Anstoß erregte, so bewegte sich an den Empfangsabenden die beste Gesellschaft Weimars in den Räumen Johanna’s. Um ihren Theetisch versammelten sich Goethe und Wieland, Meyer[WS 1], Bertuch, Fernow, Riemer und andere. Nicht der bedeutendste, aber der am nachhaltigsten auf sie wirkende ihrer Freunde war Karl Ludwig Fernow (s. d.), der in Johanna’s Hause lebte und starb und dem sie dann ein litterarisches Denkmal durch Beschreibung seines Lebens setzte. Fernow war es besonders, der Johanna in die kunsthistorischen Studien einführte und sie bei ihrer beweglichen Geistesart befähigte, auch selbständige Veröffentlichungen erfolgen zu lassen. In der regen litterarischen Luft der Ilmstadt, bei dem täglichen Verkehr mit Schriftstellern, bei Johanna’s eigener Leichtigkeit schriftlichen Ausdrucks konnte es nicht lange ausbleiben, daß sie endlich selbst vor das Lesepublicum trat und zu ihrer Freude auch rasch mit Erfolg begrüßt wurde. Ihre erste litterarische Arbeit (1807) war eine Beschreibung der Gemälde Goethe’s, Schiller’s, Herder’s und Wieland’s, die der Maler v. Kügelgen ausgestellt hatte. Umfangreicher war die Biographie Fernow’s, die auf Cotta’s Anregung 1810 erschien. Zu ihrem Sohne Arthur vermochte Johanna sich nicht in ein mütterliches Verhältniß zu bringen. Als er nach Weimar kommen wollte, schrieb sie ihm: „Es ist zu meinem Glücke nothwendig zu wissen, daß du glücklich bist, aber nicht ein Zeuge davon zu sein.“ Als Arthur dennoch bei ihr eintraf, setzte sie genau fest, wie sich ihr beiderseitiges Leben regeln solle; der Sohn, dessen Wesen freilich auch Härten genug bot, war nicht mehr als ein Gast im Hause der Mutter. 1813 kam Arthur noch einmal nach Weimar, doch die Entfremdung von der Mutter nahm eher zu, als ab. Bei den beiderseitigen reizbaren Naturen wurden die Streitigkeiten so erbittert, daß man zur Feder greifen mußte, um gegenseitige Abmachungen zu treffen. Die häuslichen Verhältnisse der Mutter waren dem Sohne zuwider; er erhob gegen sie den Vorwurf, das Andenken seines Vaters nicht geehrt zu haben. Im Mai 1814 verließ er für immer ihr Haus und hat sie nicht wiedergesehen. Johanna, im Kreise ihrer ästhetischen Tischrunde Herrscherin, verstand die Tiefe des Genius nicht, der in Arthur lebte, und sie starb zu früh, um durch das Urtheil der Welt von ihrem Irrthum bekehrt zu werden. Johanna trat mit den Beschreibungen ihrer „Reisen nach England, Schottland und Frankreich“ 1813 hervor; sie ließ 1816 „Novellen, fremd und eigen. I.“ folgen. Ihre glänzenden Lebensgewohnheiten durchkreuzte 1819 ein harter Schicksalsschlag; sie verlor bei dem Bankbruch eines Danziger Hauses den größten Theil ihres Vermögens; sie ging mit der Tochter Adelheid (Adele) auf einige Zeit nach Danzig, um ihre Angelegenheiten zu ordnen, aber es war nunmehr für sie zur Nothwendigkeit geworden, durch Schriftstellerei die ferneren Unterhaltsmittel zu erwerben. Ihr berühmtestes Werk „Gabriele, ein Roman“ erschien in diesen trüben Jahren, 1819–20 (3 Bde.). Goethe schrieb in Marienbad auf einsamen Spaziergängen seine Bemerkungen darüber nieder: „Gabriele setzt ein reiches Leben voraus und zeigt [349] große Reife einer daher gewonnenen Bildung. Alles ist nach dem Wirklichen gezeichnet, doch kein Zug dem Ganzen fremd … Der eigenthümliche Charakter des tragischen Romans ist der Verfasserin auf schlichtem Wege sehr wohl gelungen, sie hat mit einfachen Mitteln große Rührung hervorzubringen gewußt; wie sie denn auch, im Gang der Ereignisse, das natürlich Rührende aufzufassen weiß, das uns nicht schmerzlich und jammervoll, sondern durch überraschende Wahrheit der Zustände höchst anmuthig ergreift … Keine Spur von Parteisinn, bösem Willen, Neckerei, vielmehr anmuthiges Gefühl eines allgemeinen Wohlwollens; kein böses Princip, kein verhaßter Charakter, das Lobens- und Tadelnswerthe mehr in seiner Erscheinung, in seinen Folgen, als durch Billigung oder Mißbilligung dargestellt. Nichts Phantastisches, sogar das Imaginative schließt sich rationell ans Wirkliche. Das Problematische, ans Unwahrscheinliche grenzend, bevorwortet sich selbst und ist mit großer Klugheit behandelt.“ – Das kunsthistorische Werk „Johann van Eyk und seine Nachfolger“ (1822) war ein Versuch, zu welchem die wissenschaftlichen und künstlerischen Eigenschaften Johanna’s weder ursprünglich vorhanden, noch tiefer entwickelt waren. Neue Romane und Erzählungen folgten, z. B. „Die Tante“ (1823); sie fragte wenig nach den Recensenten, ihr Thermometer waren die Verleger. Körperliche Leiden stellten sich mit zunehmendem Alter ein; ein schlagartiger Anfall beraubte sie 1823 des Gebrauchs der Füße. Ueber 20 Jahre hatte Johanna in Weimar gelebt. Das Bedürfniß, in einem milderen Klima die Tage ihres Alters zu beschließen, ward jedoch so stark, daß sie mit ihrer Tochter einige Jahre lang am Rhein in Bonn lebte. Auf die Einladung des Großherzogs von Sachsen kehrte sie 1837 in ihre zweite Heimath, nach Thüringen, wieder zurück; sie schlug nunmehr in Jena ihren Wohnsitz auf. Als sie beschäftigt war mit der Abfassung ihrer Denkwürdigkeiten und eben die Schilderung ihrer Jugendjahre und der ersten großen Reisen beendet hatte, starb sie am 16. April 1838. Ihre „sämmtlichen Schriften“ erschienen in einer 24bändigen Ausgabe 1830–31, den Nachlaß gab Adele S. 1839 heraus[WS 2] (n. Ausg. 1884). Johanna’s Bedeutung war eine mit der Zeit ihres Wirkens vorübergehende; ihre Phantasie war mehr empfangend als schöpferisch, daher ist es erklärlich, daß die Wiedergabe ihrer Reiseeindrücke unter allen ihren Schriften am gefälligsten geworden ist. Johanna S. war es, die den sogenannten Entsagungsromanen die Bahn gebrochen hatte, die im ersten Drittel unseres Jahrhunderts besonders die Herzen der Frauen entzückten. Ihr weibliches, eines kraftvollen Aufschwungs unfähiges Naturell ließ Johanna die Lehre immer wieder verkünden, die Leidenschaft sei der Pflicht und dem Berufe aufzuopfern. Was ihre Werke durch eine solche Idee an augenblicklicher Beliebtheit und vielleicht an moralischer Wichtigkeit gewannen, büßten sie auf der andern Seite an Kunstwerth und echter Größe ein.

Schmidt’s Neuer Nekrolog der Deutschen XVI, 411–423. – Schütze, Die Abendgesellschaften der Höfräthin S. in Weimar, 1806–30: Weimars Album, 1840, S. 183–204. – H. Brockhaus, F. A. Brockhaus in Leipzig, 1872–75, S. 106–109. – Gwinner, Schopenhauer’s Leben. 2. Aufl. Lpz. 1878. – Brandstäter, Gedanensia III. Danzig 1879. – Goedeke’s Grundriß z. G. d. dtsch. D.¹ III, 661–63. – Düntzer, Abhdl. zu Goethe’s Leben I, Lpz. 1885: Goethe’s erste Beziehungen zu Johanna S.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Johann Heinrich Meyer (1760–1832), Schweizer Maler und Kunstschriftsteller, Freund Goethes
  2. unter dem Titel „Jugendleben und Wanderbilder