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Artikel „Scharrer, Johannes“ von Karl Maximilian von Bauernfeind in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 601–612, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scharrer,_Johannes&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 20:30 Uhr UTC)
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Scharrer: Johannes S., 1785–1844. Das Leben und Wirken dieses ehemaligen Kaufmannes und zweiten Bürgermeisters der Stadt Nürnberg verdient es in mehr als einer Beziehung in dem Gedächtnis kommender Geschlechter erhalten zu werden, zumal seine vielumfassende Thätigkeit, der seine zweite Vaterstadt nicht nur ihre noch blühenden Schulen und verschiedene andere wohlthätige und nützliche Anstalten, ganz Deutschland aber die Anregung und Durchführung der ersten mit Dampf betriebenen Eisenbahn, sowie die eifrigste Förderung der Errichtung des deutschen Zollvereins verdankt, Gelegenheit gibt in Erinnerung zu bringen, wie schwierig es vor einem halben Jahrhundert noch war, das Bedürfniß nach besserer Einsicht in alles was materielle Production fördert, durch Errichtung technischer Schulen zu befriedigen und die Hindernisse zu überwinden, welche der Ordnung eines den Verkehr erleichternden Zollwesens und der Einführung von Eisenbahnen mit Dampfbetrieb selbst dann noch entgegenstanden, als die ewig denkwürdigen Probefahrten auf der Liverpool-Manchester-Bahn (1829) bereits stattgefunden und die von G. Stephenson gebauten Locomotiven über alle anderen am Wettkampfe betheiligten Dampfwagen den Sieg errungen hatten.

Johannes S., geboren am 30. Mai 1785 in dem ehemals nürnbergischen Landstädtchen Hersbruck, war der Sohn ehrsamer Bürgersleute. Sein Vater Johann Georg stammte aus einer seit mehr als zwei Jahrhunderten in Hohenstadt seßhaften Bauernfamilie und betrieb das Gewerbe eines Metzgers und Bierbrauers, seine Mutter Anna Sibylla war eine geborene Sörgel aus Hersbruck. Da die Eltern schon frühzeitig an dem Knaben einen lebhaften Geist und rasche Auffassung beobachteten, so wollten sie neben guter Erziehung, die sie selbst besorgten, auch den Unterricht ihres Sohnes über die Elemente hinaus erstrecken und schickten ihn deshalb in die Lateinschule zu Hersbruck, deren drei Classen er mit bestem Erfolge besuchte. Ein vorherrschender Drang nach praktischer Thätigkeit bestimmte jedoch den jungen S. dem eigentlichen Studium zu entsagen und in ein Nürnberger Geschäftshaus als Lehrling einzutreten. Sein musterhafter Fleiß und die in dreijähriger Lehrzeit erworbene Gewandtheit führten ihn in den Dienst eines anderen Hauses, wo er bis 1809 fortfuhr, alle seine freien Stunden auf ernste Sprach- und Fachstudien zu verwenden und so den Grund zu der umfassenden Bildung zu legen, welche später den gereiften Mann in seiner öffentlichen Wirksamkeit so sicher auszeichnete. Es hieß etwas, mit einem Alter von achtzehn Jahren in einem angesehenen Nürnberger Handelshause die französische, englische, italienische und spanische Correspondenz zu übernehmen, die er sechs Jahre lang fortführen sollte.

Im J. 1809 gründete S. mit seinem Schwager Johann Sigmund Amberger ein eigenes Geschäft, in welches nach des letzteren frühem Tode Johann Christian Merck eintrat, das aber von 1819 bis 1826 von Johannes S. allein und unter eigenem Namen fortgeführt wurde. Die rastlose Thätigkeit und die Begabung des Chef erwarben dem Geschäfte nach wenig Jahren Achtung im In- und Auslande, und auf solcher Grundlage mußte dasselbe sich zur Blüthe erheben, umsomehr als der glückliche Kaufmann in den glücklichsten Ehe- und Familienverhältnissen immer Erholung und Kraft zu neuem Anlaufe fand.

Mit der Verleihung einer Verfassung war für Baiern eine neue Aera eröffnet worden, die nicht blos dem Verwachsen der verschiedenen Provinzen zu einem lebendigen Ganzen, sondern auch der Entwickelung städtischen Gemeinsinns förderlich werden mußte. Die Zurückgabe der Selbstverwaltung an die Städte schuf städtische Collegien, die mit ausgedehnten Befugnissen für ihre Gemeinden und deren Haushalt zu sorgen hatten. S., der seit 1818 für die königliche Regierung wiederholt in öconomischen und commerciellen Fragen thätig war, wurde [602] sofort von seinen Mitbürgern zum Magistratsrath gewählt, und fünf Jahre später als zweiter Bürgermeister an die Spitze der städtischen Verwaltung berufen. Mit jugendlichem Feuer übernahm er die Pflichten des neuen Amtes, und sein nächstes Ziel war: Umgestaltung des absoluten Systems in ein Communalsystem, Verbesserung der umfassenden Verwaltung der Stiftungen für Cultus, Unterricht und Wohlthätigkeit, sowie Ordnung des städtischen Haushalts. Ein Getreidemagazin, eine Sparkasse und andere nützliche Anstalten rief er ins Leben. Den Gedanken, welchen König Ludwig I. in einem Handschreiben vom 24. März 1827 an den Regierungspräsidenten v. Mieg angeregt hatte, Deutschlands größtem Künstler Albrecht Dürer ein Standbild in Erz zu errichten, das Rauch in Berlin modelliren und Stiglmaier in München gießen sollte, ergriff S. mit der ihm eigenen Energie, aber der Heimath treu und die Gelegenheit zu einem greifbaren Beweis, daß auch jetzt noch Kunst und Kunstfertigkeit in Nürnberg nicht erloschen sei, mit männlicher Entschiedenheit festhaltend, wußte er entgegen der königlichen Bestimmung, durchzusetzen, das dem heimischen Erzgießer Burgschmiet der Guß des Denkmals übertragen wurde. In der Einladungsschrift zur Feier der Grundsteinlegung am 7. April 1828 erinnerte S. an Nürnbergs Blüthezeit in den Jahren 1480–1530; die Enthüllung des Denkmals selbst aber hat die Wahl Burgschmiet’s glänzend gerechtfertigt.

So sehr sich S. als Verwalter der Unterrichtsstiftungen um die Volksschulen, die damals noch unter zünftigen Schreib- und Rechenmeistern seufzten, um die Reorganisation des Gymnasiums, wofür er wenigstens die administrative Unterlage beschaffte, um die Errichtung einer höheren Töchterschule und um die Umgestaltung der Bürgerschule verdient machte: mir muß es genügen hieran erinnert zu haben, um auf sein Eingreifen in die Entwickelung der technischen Lehranstalten näher eingehen zu können.

Als S. vor mehr als sechszig Jahren die Gründung neuer technischer Schulen ins Auge faßte, ging er von der Ansicht aus, daß Gewerbe und Industrie wieder in lebendige Beziehung zur Kunst und den mächtig fortschreitenden Naturwissenschaften gebracht werden müßten, wenn Nürnberg zu neuem Aufschwunge gelangen solle. Gewerbsgeschichtliche Studien hatten ihn gelehrt, daß Nürnbergs Glanzperiode bald nach Erfindung des Buchdruckes begann und mit dem Wiederaufblühen der altclassischen Litteratur und Kunst sich entwickelte. Er wußte, daß damals keine scharfe Grenze den Künstler und Handwerker schied, daß unter der Obhut und Pflege des Senats die mathematischen Wissenschaften einen freien Wohnsitz in Nümberg gefunden und den wohlthätigsten Einfluß auf die Werkstätten geübt hatten. Denn unter Johannes Regiomontanus’ und Bernhard Walter’s Mitwirkung wurden mathematische und astronomische Instrumente für ganz Europa gefertigt, zwanzig Werkstätten arbeiteten im J. 1504 ausschließlich, um der portugiesischen und spanischen Schifffahrt Compasse zu liefern, Johann Schoner hatte um die nämliche Zeit eine mathematische Schule mit besonderer Rücksicht auf die Gewerbe gegründet, und selbst Albrecht Dürer schrieb und wirkte in diesem Sinne. Einer Fülle von tüchtigen Gewerbsmeistern, Künstlern und gelehrten Männern verdankte fast zwei Jahrhunderte lang Nürnberg seinen Ruhm und seine Größe; erst mit der Verödung durch den dreißigjährigen Krieg erlosch der alte Geist und die Gewerbe verkümmerten ohne den befruchtenden Hauch genialer Köpfe, wenn auch althergebrachte und vererbte Fertigkeit immer noch den Markt in der Fremde zu behaupten wußte.

Für Hebung der Gewerbe und Hervorrufung neuer Industriezweige sah demnach S. kein anderes Mittel, als durch tüchtigen Unterricht im Zeichnen auf Vervollkommnung der Handarbeit hinzuwirken und in mechanischen Werkstätten und chemischen Laboratorien, den Hauptattributen einer Industrieschule nach [603] seiner Auffassung, Anleitung zu praktischer Verwendung mathematischer und naturwissenschaftlicher Gesetze zu geben. Er stand auch mit dieser Absicht nicht allein, denn schon 1792 hatte sich in Nürnberg eine „Gesellschaft zur Beförderung vaterländischer Industrie“ gebildet, welche, ähnlicher Anschauung huldigend, eine Sonntagsschule für Zeichnen ins Leben rief, um in Lehrlingen, Gesellen und Meistern den Sinn für bessere Form gewerblicher Erzeugnisse zu wecken und überhaupt feinere Geschmacksbildung anzubahnen. So nützlich auch diese Sonntagsschule sich erwies, die fortwährenden Kriegsstürme ließen sie so wenig wie die gesammte Industrie zu entsprechender Entwickelung gelangen, und bis der Friede kam, war auch die Ueberzeugung durchgedrungen, daß Zeichnen und Handfertigkeit allein nicht ausreichen, den Bedürfnissen einer neuen Zeit gerecht zu werden. Die Industriegesellschaft selbst faßte den Plan „eine polytechnische Schule“ zu gründen, S. brachte den gleichen Gedanken bei den städtischen Behörden in Anregung, und ein Ausschuß von Mitgliedern des Magistrats, der Gemeindebevollmächtigten und der Industriegesellschaft, unter dem Vorsitze des Bürgermeisters Binder, trat zu vorläufigen Berathungen zusammen. Aber Verschiedenheiten der Ansichten, administrative und finanzielle Schwierigkeiten zogen die Verhandlungen zwei Jahren lang hin, bis S. in der Plenarsitzung des Magistrats und der Gemeindebevollmächtigten vom 23. Januar 1822 seine Ideen über das Project darlegte und den Beschluß herbeiführte, daß dieselben durch eine besondere Commission von je zwei Mitgliedern der städtischen Behörden und der Industriegesellschaft zu einem vollständigen Plan für die Errichtung einer städtischen technischen Schule zu verarbeiten seien. Als Zweck des neuen Instituts wurde bezeichnet, die für Kunst und Gewerbe bestimmten Knaben hierauf vorzubereiten, und Gesellen und Meistern Gelegenheit zu geben, ihren Geschmack auszubilden und auswärtige Erfindungen durch Beschreibung und Anschauung kennen zu lernen. Die Commission bestand außer dem vorsitzenden ersten Bürgermeister Binder aus den Magistratsräthen S. und Campe, den Gemeindebevollmächtigten Klett und Zahn, und den beiden Directoren der Industriegesellschaft Graf v. Soden und Kaufmann Huber. Nach mehreren Sitzungen empfahl sie mit wenigen Abänderungen Scharrer’s Plan den städtischen Behörden zur Annahme.

Am 24. Juli 1822 erstattete der Magistrat Bericht an die Königliche Kreisregierung, worin er hervorhob, daß die Stadt sich nicht zu entschließen vermochte, „eine von ihren Bedürfnissen nicht geforderte und viel Geld in Anspruch nehmende Einrichtung zu treffen, die von der schwindelnden Höhe, auf die man sie vielleicht augenblicklich zu stellen im Stande wäre, plötzlich wieder in ihr Nichts zusammenfallen könnte“. Nachdem noch ein Bedenken über die Aufbringung der Mittel gehoben war, erfolgte endlich die Genehmigung des Plans am 23. October 1822 und am 2. Januar 1823 fand die feierliche Eröffnung der neuen städtischen „polytechnischen Schule“ statt, in Anwesenheit des Königlichen Regierungspräsidenten des Rezatkreises, Grafen v. Drechsel.

Die neue Anstalt zählte vier Classen: die beiden unteren für Volksschüler zwischen zwölf und vierzehn Jahren, die dritte für Lehrlinge, die vierte für Gesellen und Meister. Ein ungewöhnlicher Zudrang gab zwar gutes Zeugniß von dem empfänglichen Sinn der Gewerbtreibenden, bereitete aber auch die größten Schwierigkeiten für den Unterricht, der, ohne auf die erforderlichen Vorkenntnisse fußen zu können, den Umständen sich anbequemen und nothwendig eine unmittelbar praktische Richtung nehmen mußte. Gegner, welche Neuerungen nie fehlen, bemerkten bald die schwachen Seiten und arbeiteten einer weiteren Entwickelung der Anstalt entgegen. S., nun zweiter Bürgermeister, verschloß sich nicht gegen die Mängel seines Organisationswerks, aber er wollte ihretwegen das kaum Gewonnene nicht wieder in Frage stellen, sondern an der Hand der Erfahrung [604] stufenweise zum Besseren fortschreiten. Nach seinen „Grundlinien zum Plan einer technischen Anstalt in Nürnberg“, die er den städtischen Behörden 1826 zur Berathung vorlegte, sollten in erster Linie Handwerker und Fabrikanten, die für den Handel arbeiten, in der Zeichen-, Bossir-, Modellir- und Baukunst, sowie in Mathematik, Mechanik, Physik und Chemie auf praktischem Wege soweit geführt werden, als es Erleichterung der Production, Verbesserung und Veredelung der Fabrikate und Manufacturen erfordern, dann aber sollte die Anstalt als Werkstätte dienen nicht nur zur Erzeugung von Werkzeugen und Maschinen, die der einzelne Handwerker nicht verfertigen kann, sondern auch Muster und Modelle neuer Fabrikationsgegenstände liefern, die mit der Zeit in bestehende Werkstätten verpflanzt werden könnten. Scharrer’s Vorschlag wurde verworfen, weil die zünftigen Gewerbe in seiner mechanischen Werkstätte eine Beeinträchtigung erblickten.

Die bereits bestehende Anstalt gewann unterdessen, Dank Scharrer’s Bemühungen, an System, Ordnung und Ansehen. Andere Magistrate erbaten sich von Nürnberg Mittheilungen über die dortigen Einrichtungen, um ähnliche Institute zu gründen, und die königliche Kreisregierung, welche der Entwickelung der Nürnberger Schule mit lebhafter Theilnahme folgte, sprach die Erwartung aus, daß die Gemeindebevollmächtigten sich zu den wiederholten Forderungen des Magistrats endlich so stellen würden, wie es das Wohl der Stadt und die Bedingungen forderten, unter denen ein Staatsbeitrag bereits zugesichert war. Da das bisher benutzte Augustinerkloster für den starken Besuch nicht mehr ausreichte, entschlossen sich die Stadtbehörden zur Erwerbung eines anderen Gebäudes und bewilligten die Mittel zur Einrichtung eines chemischen Laboratoriums; die Gründung einer mechanischen Werkstätte aber scheiterte an dem hartnäckigen Widerstande der Gemeindebevollmächtigten, die erst später zur Einrichtung einer Erzgießerei unter der Bedingung sich verstanden, daß allem Mißbrauche zum Nachtheil des Gewerbes durch strenge Aufsicht vorgebeugt werde.

Die Nürnberger polytechnische Schule war bisher nur aus Gemeindemitteln unterhalten worden und unterlag zwar der Staatsaufsicht insofern, als sie den Gemeindesäckel nicht wenig belastete, empfand aber diese Aufsicht fühlbarer, seitdem das Ministerium des Innern auf eine bestimmte Zeit einen jährlichen Zuschuß von siebentausend Gulden bewilligt hatte. Als die Staatsregierung forderte, daß bei Berathung eines neuen Lehrplans für die Nürnberger Lehranstalt das Programm der Münchener polytechnischen Centralschule zu Grunde gelegt werde, erhob der Magistrat unter Scharrer’s Führung Widerspruch: Nürnberg’s Tendenz sei eine andere, auf praktische Ziele gerichtete, die Münchener Schule verschaffe dem künftigen Gewerbtreibenden nur die erforderliche allgemeine Bildung. Der Widerspruch fand indessen wenig Beachtung, die königliche Staatsregierung bestand auf der Uebernahme mehrerer Bestimmungen des Münchener Lehrplans in den Nürnberger, und genehmigte den letzteren erst, als ihre Forderung erfüllt war, im Februar 1829. War das Ziel der Gesammt-Lehranstalt auch das gleiche geblieben, einen unverkennbaren Vortheil brachte die Neuerung, nämlich organische Weiterbildung des Bestehenden und eine Vorbereitungsschule. Letztere zerfiel in eine Zeichenschule und eine mathematische Schule, jede zu vier Jahrescursen mit wöchentlich nur zehnstündigem Unterrichte. Da in die erste Classe der Vorbereitungsschule Knaben von 12 und 13 Jahren aus der Volksschule aufgenommen wurden, ohne dieser entzogen zu werden, und da in die dritte Classe Zöglinge der Werkstätten traten, die ihre Lehrlingseigenschaft auch noch in der vierten behielten: so erklärte sich leicht die geringe Stundenzahl. Der Unterricht selbst umfaßte an der Zeichenschule alle Arten des freien und [605] linearen Zeichnens und an der mathematischen die Elementarmathematik und etwas Zeichnen.

Die eigentliche polytechnische Schule zerfiel nach dem neuen Lehrplan in eine bildende und eine mathematisch-technologische Klasse. Die erstere erstreckte sich auf künstlerisches Zeichnen, Plastik und Architektur in drei Jahrescursen zu durchschnittlich 15 Wochenstunden; die mathematisch-technologische Classe zählte zwei Jahrescurse und als Lehrgegenstände: darstellende Geometrie, höhere Mathematik, Physik, Chemie, Mechanik und Maschinenlehre, Ornamenten-, Bau- und Maschinenzeichnen. Als Lehrer wirkten der rühmlich bekannte Professor v. Staudt für Mathematik, Professor C. G. Kuppler für darstellende Geometrie, Mechanik und Maschinenlehre, Professor Fr. Engelhart für Chemie und Physik, Professor Karl Heideloff für Ornamenten-, Figuren- und Bauzeichnen, Lehrer J. Burgschmiet für Plastik und Erzguß. Die Verwaltung war von den städtischen Behörden einer Commission übertragen, die aus dem Königlichen Stadtcommissar, den beiden Bürgermeistern, je zwei Mitgliedern des Magistrats und der Gemeindebevollmächtigten und den beiden Directoren der Industriegesellschaft bestand. Dem zweiten Bürgermeister S. und zwei von den Lehrern aus ihrer Mitte gewählten Inspectoren, den Professoren v. Staudt und Kuppler, wurde die Direction der Anstalt in der Art übertragen, daß S. die Oberleitung, Professor v. Staudt die Ueberwachung der Disciplin und des wissenschaftlichen Unterrichts, Professor Kuppler die Beihilfe in der Führung des Haushalts und der Werkstättenverwaltung zu besorgen hatte.

Am 26. Mai 1829, dem elften Jahrestage der Verkündigung der baierischen Verfassungsurkunde, fand in der Aula des neuen Gebäudes im Peunthofe die Eröffnung der erweiterten technischen Lehranstalt statt. In Gegenwart des Königlichen Regierungspräsidenten des Rezatkreises verbreitete sich S. über die Aufgaben der neuen Schulen und erläuterte zugleich, warum die technischen Institute anderer Länder nicht als Muster für die umgestaltete heimische Lehranstalt dienen konnten. Strengwissenschaftlicher Unterricht führe die Jugend, welche auf gewerblichem Felde schaffen solle, zu sehr in das Gebiet der reinen Speculation und entfremde sie der Praxis der Werkstätte, wo Wissen und Können vereint wirken müssen, um Brauchbares für das Leben zu liefern. Nürnbergs frühere Blüthe bestätige dieses, und der Gegenwart eröffne sich nur auf der gleichen Grundlage und bei kluger Benützung alles dessen, was inzwischen an Wissenschaft und Erfahrung gewonnen wurde und täglich gewonnen wird, eine glückverheißende Zukunft.

Es war dieses einer der letzten öffentlichen Acte des zweiten Bürgermeisters S., dessen Amtszeit als solcher im October des nämlichen Jahres ablief. Seine vielfachen Verdienste um die Stadt ließen eine Wiederwahl erwarten, aber seine Verwaltung hatte ihm manchen Gegner im Gemeindecollegium zugezogen: Nicht der geschickte Finanzmann, welcher die städtischen Einnahmen durch weise Anordnungen und scharfe Controlen zu steigern wußte, sondern die Verwendung der Gelder und die Begünstigung der polytechnischen Schule erregten Anstoß. Obwol in der sechsjährigen Amtsperiode Scharrer’s die Summe aller Einnahmen jene der Gesammtausgaben um mehr als fünfzehntausend Gulden übertraf, so schien doch das mit den Einnahmen gleichen Schritt haltende Wachsen der jährlichen Ausgaben der Kurzsichtigkeit Einzelner und ihrem Anhange ein so bedenkliches Ding, daß weder die Bemühungen der Einsichtsvolleren, noch die schöne Anerkennung, welche die Königliche Kreisregierung dem zweiten Bürgermeister Nürnbergs aussprach, eine ruhigere und gerechtere Auffassung der Sache herbeizuführen vermochten. War doch der Vortheil, den die Gemeinde gerade aus solcher Verwendung ihrer Gelder zog, handgreiflich, und die Erwägung beruhigend [606] genug, daß für alle Ausgaben die Zustimmung der städtischen Behörden erholt worden war, und daß nur da, wo gar keine oder eine höchst zweifelhafte Vorschrift bestand, der Magistrat und sein zweiter Bürgermeister sich ihre Befugnisse nicht durch Gemeindebevollmächtigte verkümmern ließen, welche sogar Schulorganisationen zu Preisfragen machen wollten! S. unterlag am Wahltag und schied am 17. October aus dem Bürgermeisteramt und der damit verbundenen Direction der polytechnischen Schule. Seine Gegner im Gemeindecollegium hielten es, obgleich Sieger, für nöthig, ihre Handlungsweise in einer Flugschrift öffentlich zu rechtfertigen, sie brachten jedoch nur die bekannten und bereits erwähnten Klagen vor, deren Widerlegung, wenn sie überhaupt geboten war, dem abgetretenen Bürgermeister in seiner Erwiderung leicht fiel: „In den Augen aller Verständigen war er schon längst gerechtfertigt“ – schrieb am 7. März 1830 der damalige Regierungsdirector und spätere Regierungspräsident und griechische Minister, Ignaz v. Rudhart, an einen Freund in Nürnberg – „seine Anfeindung war nichts als eine Folge jener Umtriebe, die in repräsentativen Körpern schwer zu vermeiden sind. Aber selbst die Angriffe haben Gelegenheit gegeben, die Verwaltung des herrlichen Nürnberg unter seinem Bürgermeisterthum gegen jeden Widerspruch klar zu legen. Solche herrliche Thätigkeit dieses mit Undank belohnten Mannes! Zu seiner republikanischen Zeit ist Nürnberg nie so republikanisch regiert worden, wie unter diesem „Meister aller Bürger“, dem des Perikles große Wirksamkeit wie ein Ideal vorgeschwebt haben muß. Ich möchte den Vortrefflichen an mein Herz drücken und ihm zurufen: Bald kommt die Zeit, wo der Neid der allgemeinen Anerkennung weicht.“

Bei Scharrer’s Rücktritt von der Direction der polytechnischen Schule war die Frage aufgeworfen worden, ob die Leitung dieser Anstalt nicht besser in eine Hand zu legen sei, welche die Förderung des Gewerbefleißes unverrückt im Auge behaltend, nicht nur auf die Lehrer, wenn einzelne zu sehr ihren eigenen Anschauungen folgen sollten, mit einer gerne anerkannten Autorität einwirken, sondern überhaupt die Wahrung aller Interessen und eine gleichmäßige Handhabung der gesammten Disciplin verbürgen würde. Da Niemand hierfür geeigneter erschien, als der bisherige Referent und Dirigent, so stellte der Oberbürgermeister Binder in einer Magistratssitzung am 8. Januar 1830 den wohlbegründeten Antrag auf Scharrer’s Ernennung zum Director der polytechnischen Schule; es sicherte jedoch bei der Abstimmung nur der Stichentscheid des Vorsitzenden die Annahme des Antrages. Die Königliche Regierung ordnete auf den hierüber eingesandten Bericht die Auflösung der bisherigen dirigirenden Commission und bis zum Eintreffen höchster Entschließung die Bildung einer neuen an, welcher der Stadtcommissär Faber als Vorsitzender, dann der erste Bürgermeister Binder, der „wohlverdiente und seiner Kenntniß der Gewerbsbedürfnisse wegen unentbehrliche“ bisherige zweite Bürgermeister S., sowie zwei um die Stadt und die Anstalt verdiente Männer, der Kaufmann A. J. Cramer und der Arzt Dr. Merkel, als Beisitzende angehören sollten. Die Inspection und das Referat über die Schule wurden S. zugewiesen. Am 27. Juni fiel die höchste Entscheidung: sie bestätigte im wesentlichen die von der Kreisregierung getroffene Zusammensetzung der neuen Commission, ernannte S. zum Director der technischen Lehranstalt und bewilligte ihm, der bisher seine Verwaltung als Officialsache betrachtet hatte, einen jährlichen Gehalt von eintausend Gulden.

Scharrer’s neue Stellung blieb unverändert und gestattete ihm fördernd und bessernd, wenn auch fortwährend kämpfend, für seine Lieblingsschulen zu wirken, bis im Herbst 1833 auf Grund allerhöchster Verordnung im ganzen Königreiche mit einem Male über zwanzig Gewerbschulen, darunter acht Kreisanstalten, eingeführt und die drei in München, Augsburg und Nürnberg bestehenden polytechnischen [607] Schulen umgestaltet wurden. Die genannte königliche Verordnung stellte die vollständigen Gewerbschulen mit drei Jahrescursen im Range den Gymnasien, die polytechnischen Schulen den Lyceen gleich, und nannte sie sogar „technische Gymnasien“ und „technische Lyceen“. Die näheren Bestimmungen für die neugeschaffenen Schulen erfolgten zunächst nur in speciellen Weisungen und generalisirten Entschließungen, und fanden erst in der Vollzugsinstruction vom 4. April 1836 ihren endgiltigen Ausdruck. Es waren, um diese Instruction festzustellen, im October 1835 die Referenten der Kreisregierungen, die Vorstände sowie die Zeichenlehrer aller damals bestehenden technischen Schulen und Schullehrerseminarien nach München einberufen worden – eine berathende Versammlung von fast sechszig Köpfen, darunter auch Johannes S. und Karl Heideloff von Nürnberg. Was von einer so vielköpfigen Commission, deren Leitung überdies keine sachverständige war, zu erwarten stand, trat ein: die Instruction enthielt wenig Brauchbares, kam deshalb nur in äußerlichen Dingen zur Ausführung und ließ in allen wesentlichen Fragen den verschiedensten Auffassungen Raum.

Mit der Königlichen Verordnung vom 16. Februar 1833 waren Scharrer’s Schuleinrichtungen in Nürnberg wesentlich geändert worden: Die gesammten technischen Lehranstalten bestanden dort vom Jahre 1835/36 ab noch in der alten „Elementarzeichnungsschule“, die in zwei Jahrescursen und sechs Abtheilungen Schüler des zweiten und dritten Cursus der Volksschule in einigen Nachmittags- und Abendstunden unterrichtete; in der ehemaligen „Handwerkerschule“ für Gewerblehrlinge, die an Sonntag-Vormittagstunden im Zeichnen, Bossiren, Modelliren, Graviren, Holzschneiden, und an einigen Werktagsnachmittagen Anleitung im Formen, Gießen, Ciseliren und Metalltreiben erhielten; dann in der neugeschaffenen „Kreisgewerbschule“ mit Mathematik, Naturwissenschaften und Zeichnen als Hauptlehrgegenständen und den sogenannten Realien, Deutsch, Geschichte, Geographie und Französisch; endlich in der nunmehr drei Curse umfassenden „Polytechnischen Schule“, an welcher höhere Mathematik, mit darstellender Geometrie, Physik, Chemie, Mechanik, Linear- und Ornamentenzeichnen so ziemlich in gleichem Umfange getrieben wurden, wie gegenwärtig an den technischen Hochschulen. Allgemein bildende Fächer waren an der polytechnischen Schule nicht vertreten, Privatcurse der französischen und englischen Sprache konnten jedoch gehalten werden. Die Betheiligung an den Arbeiten der mechanischen Werkstätte blieb freigestellt, und das chemische Laboratorium diente nur für Untersuchungen des Professors und zur Herstellung der Präparate für dessen Vorlesungen.

Im J. 1839 legte S. freiwillig die Direction der technischen Lehranstalten nieder, nicht ohne die allerhöchste Anerkennung seiner Aufopferung und wirksamen Dienstleistung empfangen zu haben. Sein Amtsnachfolger wurde der berühmte Physiker Georg Simon Ohm, der schon seit sechs Jahren als Professor und an Stelle des nach Erlangen berufenen Dr. v. Staudt als wissenschaftlicher Inspector eingetreten war.

Gebührt Scharrer’s Wirken im Bürgermeisteramte und auf dem Felde der Schule ein dankbares Andenken, so verdienen seine ausdauernden Bemühungen um Schaffung eines nationalen Verkehrswesens noch weit mehr hervorgehoben und sein Name neben einem Friedrich List für alle Zeit genannt zu werden.

Die deutsche Bundesacte vom Jahre 1815 hatte ein nationales Handelssystem in Aussicht gestellt, aber statt einer Verminderung der im Uebermaße vorhandenen Zolllinien wollte jeder der 38 Bundesstaaten zur Mehrung seiner Einnahmen sein eigenes Handels- und Zollgebiet mit seinem eigenen Maß und Gewicht aufrecht erhalten. Die Adern, welche Deutschland frisches Blut und [608] Leben allein zuführen konnten, waren unterbunden und der tiefgesunkene Wohlstand mahnte dringend zur Abhülfe. Gelegentlich der Frühjahrsmesse 1819 vereinigten sich zu Frankfurt a. M. eine Anzahl Kaufleute, um in einer Petition dem Bundestag den Ernst der Lage vorzustellen. Es traf sich glücklich, daß Professor List um die nämliche Zeit dort weilte und, um die Redaktion ersucht, der Denkschrift eine eindringliche und den nationalen Gesichtspunkt scharf betonende Fassung gab. Aber List rieth zugleich den petitionirenden Kaufleuten zu einem dauernden Verein zusammenzutreten, um durch Abgeordnete und sachkundige Federn auf die deutschen Regierungen und die öffentliche Meinung aufklärend einzuwirken und in jährlichen Zusammenkünften am Orte des Bundestages neue Schritte zu besprechen und auszuführen. Sein Gedanke fand lebhaften Anklang und Unterstützung, namentlich durch den Kaufmann Bauereis zu Nürnberg, der mit einem Opfer von mehr als zehntausend Gulden in Darmstadt, Stuttgart und München Agenten zu diesem Zwecke unterhielt. Der Abschluß des Zollvertrags zwischen Baiern und Württemberg im Januar 1828, die Zolleinigung zwischen Hessen und Preußen im Februar des nämlichen Jahres und die Gründung des deutschen Zollvereins im Jahr 1833 darf man wohl als wesentliche Folge der Wirksamkeit jenes deutschen Handels- und Gewerbevereins ansehen, obgleich derselbe über dem Streite, ob Freihandel oder Schutzzölle, zu zerfallen drohte.

Auch S. war unter den Streitern, Er hatte seit 1818 Adam Smith und die einschlägige Litteratur studirt und erbot sich sogar 1827 der Cotta’schen Buchh. in Stuttgart eine deutsche Uebersetzung des englischen Werkes mit den Noten des französischen Uebersetzers Marquis Garnier zu liefern und seine eigenen auf langjährige Erfahrungen gestützten Abhandlungen über wichtige Fragen der Nationalökonomie anzuschließen. Das auf fünf Bände berechnete Werk sollte für Christian Garve’s nicht mehr genügende Uebersetzungen aus den Jahren 1794 und 1799 allen denjenigen dienen, die, an der Gesetzgebung und Verwaltung betheiligt, in staatswirthschaftlichen Fragen mitzusprechen hatten. Leider unterblieb die Ausführung, doch ist die vortreffliche Einleitung – eine Uebersicht der von den Regierungen befolgten wirthschaftlichen Systeme und eine summarische Darstellung der Lehre Smith’s im Vergleich zu jener der Oekonomisten – noch im Manuskripte vorhanden.

Als Anhänger Smith’s huldigte S. natürlich dem Freihandel, aber praktische Erfahrungen auf verschiedenen Gebieten mäßigten seine Ansichten und er wollte nicht Handelsfreiheit um jeden Preis. Wie er dachte, geht aus seinen „Bemerkungen über den deutschen Zollverein und[WS 1] die Wirkung hoher Zölle in nationalökonomischer Hinsicht“, welche er gelegentlich der 1828 in der baierischen Ständekammer gepflogenen Verhandlungen über Zollfragen veröffentlichte, unzweifelhaft hervor. Er bekennt sich hier zu den staatswirthschaftlichen Grundsätzen über Zollgesetze und Zölle, die kurz vorher in der badischen Ständeversammlung als diejenigen der Großherzoglichen Regierung vom Finanzminister v. Böckh mit den Worten bezeichnet worden waren:

„Bei Festsetzung des Eingangszolls sind die Interessen des Staatsschatzes ober aller Steuerpflichtigen, welche den Zollausfall auf andere Weise ersetzen müßten, die Interessen der Landwirthschaft, des Gewerbfleißes, des Handels und der Consumenten zu berücksichtigen. Diese Interessen vereinigen sich nur in mäßigen Zöllen, die keine Production stören, keine auf Kosten anderer künstlich in die Höhe treiben, welche die Consumtion nicht vermindern, den Handel nicht beeinträchtigen, die sich ohne drückende Maßregeln, ohne ein Heer von Zollbeamten und Aufsehern erheben lassen, und die keinen Reiz zum Einschwärzen darbieten, der nicht durch mäßige Geldstrafen in Schranken gehalten werden könnte.“

[609] Zur Zeit, als S. seine Bemerkungen schrieb, sahen viele Regierungen in hohen Zöllen das Hauptförderungsmittel der Industrie und stützten sich auf das Beispiel Englands, Frankreichs, Oesterreichs und Preußens, wo unter dem Schutze hoher Zölle eine colossale Industrie entweder schon bestand oder sich zu entwickeln begann. Der Einfluß der geographischen Lage und der politischen Verfassungen fand dabei eben so wenig Beachtung, als man überhaupt klare Vorstellungen besaß von den Wirkungen übertrieben gesteigerter Industrieen auf das Gesammtbefinden der Bevölkerung. Da sich auch die baierische Regierung im December 1826 für hohe Zölle entschieden hatte, hielt es S. für eine nützliche Arbeit, den Einfluß der Zollsysteme auf die Vertheilung des Nationalreichthums unter alle C1assen von Staatsangehörigen gemeinfaßlich an einigen Fällen zu erörtern, welche den Zollverhältnissen Englands und Frankreichs entnommen waren.

Er wählte aus dem französischen Zolltarif das Eisen, nach dem Brode den wichtigsten Artikel für Gewährung von Arbeit und Erzeugung von Wohlstand. Vor der großen Revolution wurden in Frankreich etwa 2 Millionen Centner Eisen erzeugt und 400 000 Centner aus Spanien und Deutschland, namentlich aber aus Schweden eingeführt. Das schwedische Eisen zahlte damals, wie schon hundert Jahre vorher, nur zehn Centimes Eingangszoll für den Centner, ohne daß die Eisenwerkbesitzer im mindesten Klage erhoben hätten. Mit der Revolution trat in diesen gewohnten Verhältnissen eine Aenderung ein: der Eingangszoll für fremdes Eisen wurde im J. 1791 auf 1, 1806 auf 2, 1814 auf 15, 1822 auf 45 Frank erhöht, so daß nach und nach die Einfuhr ausländischen Eisens auf 80 000 Centner herabsank, die inländische Production auf 3 Millionen Centner stieg, die Holz- und Kohlenpreise um das Dreifache und die Preise des Stabeisens um das Doppelte (von 30 auf 65 Frank) sich vermehrten. Wird der Gesammtproductionswerth auf zehn Classen von Berechtigten verthei1t, so ergibt sich, daß auf die bei der Eisenproduction beschäftigten Arbeiter nur ein Sechstel, auf die Eigenthümer oder Pächter der Eisenwerke ebenfalls ein Sechstel, auf die capitalvorschießenden Creditinstitute ein Sechszehntel des Productionswerthes traf. Demnach zogen weder die Arbeiter noch die Eisenwerkbesitzer, welche nicht zugleich über Bergwerke und Wälder verfügten, größeren Nutzen, oder der Kapitalist höhere Zinsen, als unter den früheren Verhältnissen; nur die Besitzer von Bergwerken und Waldungen hatten gewonnen, denn auf sie entfiel der dritte Theil des Gesammtproductionswerths.

In ähnlicher Weise analysirte S. die Wirkungen der englischen Kornbill, welche fremdes Getreide in England zu hohen Zöllen nur dann zuließ, wenn die Preise eine bedeutende Höhe erreicht hatten. Die Folgen zeigten sich bald in einem solchen Steigen nicht nur der Getreidepreise, sondern aller Lebensbedürfnisse, so daß Tagelöhner und Fabrikarbeiter selbst bei erhöhtem Lohne nicht bestehen konnten und schließlich der Almosencasse zur Last fielen.

S. hatte durch diese kleine Schrift die Aufmerksamkeit der baierischen Staatsregierung wiederholt auf sich gelenkt, und er wurde deshalb auch von ihr in der vom Bundestag in Frankfurt angeregten Münzfrage, betreffend die Einführung eines gleichen Münzfußes in Süd- und Mitteldeutschland, zu Rathe gezogen. Insbesondere hatten er und die Handelsgremien von Nürnberg und Augsburg Gutachten darüber zu erstatten, ob der Conventionsfuß festgehalten oder der Kronenthalerfuß für die genannte Staatengruppe zum allgemeinen Münzfuß erhoben werden solle. Die von S. am 16. Januar 1829 abgegebene Denkschrift behandelte die vorliegende Frage am gründlichsten und klarsten, und es stimmte mit ihr das später erstattete Gutachten der verordneten Vorsteher der [610] Kaufmannschaft zu Nürnberg in allen wesentlichen Punkten überein, nämlich darin, daß unter den damaligen Zeit- und Handelsverhältnissen jede Abänderung im Münzwesen höchst bedenklich, eine Abwürdigung oder auch nur eine Herabsetzung der Kronenthaler von der gültigen Tarifirung völlig unnöthig, dagegen die Fortdauer des Kronenthalerfußes neben dem Vierundzwanzig-Guldenfuße ganz unschädlich und selbst nützlich sein würde.

Als S. am 2. März 1832 vom Staatsministerium des Innern zu München den schon erwähnten Auftrag erhielt, von den Berliner technischen Schulen und insbesondere von der preußischen Centralanstalt für polytechnischen Unterricht, dem Gewerbeinstitute genaue Einsicht zu nehmen und darüber ausführlich zu berichten, wurde er auch zugleich angewiesen, dem damals in Berlin bei den Zollvereinsverhandlungen thätigen baierischen Bevollmächtigten in allen technischen Fragen berathend zur Seite zu stehen, was auch während eines zweimonatlichen Aufenthaltes in der preußischen Hauptstadt aufs gewissenhafteste geschah. Unmittelbar nach der Abgabe seines Berichtes über die Sendung nach Berlin, im Sommer 1832, faßte S. den Plan zu einer Verbindung von Nürnberg und Fürth durch eine Locomotiveisenbahn.

Die geringe Entfernung und der bedeutende Personen- und Güterverkehr zwischen beiden Städten, die nur sehr geringe Bau- und Betriebskosten erfordernden günstigen Terrainverhältnisse, eine genaue Kenntniß der bei der Liverpool-Manchesterbahn gewonnenen Erfahrungen, endlich der schmeichelnde Gedanke, Deutschland die erste Dampfeisenbahn gegeben zu haben, erleichterten es Scharrer’s überzeugender Beredtsamkeit nicht wenig, die beiden Oberbürgermeister und einige unternehmende Kaufleute von Nürnberg und Fürth für seinen Plan und die Uebernahme der Kosten der Vorarbeiten zu gewinnen. Schon am 13. Mai 1833 erging die „Einladung zur Gründung einer Gesellschaft für die Errichtung einer Eisenbahn mit Dampfkraft zwischen Nürnberg und Fürth“, welche den Actionären auf Grund zuverlässiger statistischer und technischer Erhebungen eine Rente von 121/2 vom Hundert in Aussicht stellte und nicht versäumte, alle anderen irgend wirksamen Motive zu Gunsten des Unternehmens aufzuzählen. Sämmtliche Actien waren in kurzer Zeit gezeichnet und am 18. November desselben Jahres constituirte sich im Saale des Nürnberger Rathhauses die „Ludwigs-Eisenbahngesellschaft“. Ein aus sieben Mitgliedern bestehendes Directorium wurde gewählt, das seinerseits den Kaufmann und Abgeordneten Platner zum Vorstand und Kassier, unseren S. zum stellvertretenden Director und den Buchhändler Mainberger zum Schriftführer ernannte.

Das Directorium wollte anfangs einem von R. Stephenson empfohlenen englischen Ingenieur den Bahnbau übertragen, kam aber von diesem Gedanken ab, als es sich einer Forderung von siebentausend Gulden Jahresgehalt für den Ingenieur und einer weiteren von dreitausendfünfhundert Gulden für dessen Dolmetscher gegenübersah. Glücklicherweise fand sich eine einheimische technische Kraft. Der Director der Ludwigs-Eisenbahngesellschaft war während seines Aufenthaltes in München mit dem Königlichen Bezirksingenieur Denis bekannt geworden, der eben von einer Studienreise in England und Nordamerika heimgekehrt, sich bereit erklärte, den definitiven Bauplan und Kostenanschlag für die Nürnberg-Fürther Bahn aufzustellen und später die Bauausführung selbst zu übernehmen. Denis begann die Projectirungsarbeiten im Juli 1834, und mit solchem Eifer und Geschick wirkten er und S. zusammen, daß die Eröffnung der nahezu eine Meile langen Strecke auf den 7. December 1835 festgesetzt werden konnte. In der Tags vorher abgehaltenen Generalversammlung ward noch Rechnung über die Bau- und Einrichtungskosten abgelegt und über den jährlichen Betriebsaufwand berathen. Der Kostenanschlag, den Denis von anfänglich [611] angenommenen 132 000 fl. auf 150 000 Gulden mit Genehmigung der Gesellschaft erhöht hatte, war um 26 000 fl. überschritten worden, wovon jedoch nur 4000 fl. auf den Bahnbau, die übrigen 22 000 fl. auf Grunderwerbungen und Ankauf von Locomotiven, Personenwagen und Pferden trafen. Alle Ueberschreitungen wurden auf Scharrer’s Erläuterungen hin von der Generalversammlung bereitwillig gutgeheißen und durch Vermehrung der Actien zu decken beschlossen. Doch sollte auch hier der kurzsichtige Krittler nicht fehlen.

Der königliche Landrichter M. S. Wellmer in Fürth hatte nämlich wenige Tage vorher eine Flugschrift betitelt „Bericht an die Actionäre und das Publicum über die Ludwigseisenbahn-Angelegenheit“ verbreiten lassen, zunächst um seine Stimme gegen eine ausschließliche oder vorherrschende Anwendung des Dampfes als Motor der Bahnzüge zu erheben, dann aber auch, um sich gegen S. zu wenden, in dessen Kopfe allein solche Gedanken entspringen könnten, wie überhaupt die genialischen Uebergriffe eines solchen Kaufmanns Besorgniß erregen müßten, wenn seinem Enthusiasmus die Geldmittel der Gesellschaft, sein Verstand und seine Ehrliebe keine Zügel anlegen würden. So sehr war Wellmer von der Schädlichkeit der Dampfkraft als Bewegungsmittel überzeugt, daß er im Falle ihrer Anwendung seine Actien sofort verkaufen wollte und denjenigen für übervortheilt hielt, der ihm fünfzig vom Hundert dafür zahlen würde. S. selbst und ein Actionär, der Advocat Toussaint, fertigten in vorzüglichen Reden Wellmer’s Angriffe gebührend ab, die Generalversammlung erklärte einstimmig ihr Einverständniß mit dem Verfahren des Directoriums und mit Wellmer’s Austritt aus demselben.

Am 7. December 1835 wurde die Bahn feierlich eröffnet, und nach einjährigem mit Dampf- und Pferdekraft wechselnden Betrieb konnte die Generalversammlung am 12. December 1836 eine zwanzigprocentige Dividende für jede Actie festsetzen, 71/2 vom Hundert mehr, als die Einladung von 1833 in Aussicht gestellt und Wellmer sich hatte träumen lassen, der übrigens klug genug war, seine Actien zu behalten.

Die nämliche Generalversammlung hatte vorschriftsgemäß ein neues Directorium zu wählen; dieses blieb bis auf Wellmer das alte, und es ernannte am 14. December Johannes S. zum Director der Ludwigs-Eisenbahngesellschaft. Damit gelangte S. zu einem Jahresgehalte von 1200 Gulden, eine bescheidene, ja fast antike Anerkennung gegenüber den Beträgen, mit welchen Verwaltungsräthe moderner Eisenbahngesellschaften sich ihren Geschäftseifer zum Voraus bezahlen ließen. In ehrenvollster Weise wurde S. von drei zu drei Jahren als Director neu bestätigt, und unter seiner Verwaltung sank selbst nach Abzug eines nicht unbedeutenden Betrags zum Reservefonds die jährliche Dividende nie unter fünfzehn vom Hundert, sowie sie auch heute noch, trotz der concurrirenden Staatsbahn, eine beträchtliche Höhe hat.

Der rastlosen Thätigkeit Scharrer’s stand in seinen letzten Jahren nicht mehr die gleiche körperliche Rüstigkeit zur Seite. Fand er auch im Schooße einer zärtlichen Familie die liebevollste Pflege, als ihn schweres Leiden auf das Krankenbett warf, hofften auch seine Freunde immer noch, daß der nahende Frühling und der Gebrauch eines Heilbads Besserung bringen werde, umsonst – S. erlag einem wiederholten Nervenschlag am 30. März 1844. Daß der Verlust eines Mannes, den ganz Nürnberg kannte und die Besten mit ihrer Hochachtung und ihrer Freundschaft ehrten, in allen Schichten der Bevölkerung ungeheuchelte Theilnahme erregte, bedarf keiner Ausführung. Hunderte von achtbaren Bürgern geleiteten den Geschiedenen von seiner Gartenwohnung zur letzten Ruhestätte im Johanniskirchhof, und tiefempfundene Worte zweier Redner erinnerten am Grabe nochmals an den Freund, an den Mitbürger an und das edle Herz, das [612] so lebendig für das Wohl des Einzelnen, der Gemeinde und des Vaterlandes geschlagen hatte.

Johannes S. war eine stattliche imposante Persönlichkeit. Seine lebhafte, leicht erregbare Natur wurde durch einen scharfen Verstand, dem keine Lebenserfahrung verloren ging, in Schranken gehalten und vor allzu kühnem Fluge bewahrt. Ein Meister der Rede und des geschriebenen Worts, gewann er Hörer und Leser jederzeit für seine Sache, die freilich auch jederzeit die gute war. Sein Wirken umfaßte nicht bloß den Kreis der Familie und der Gemeinde, sondern das ganze deutsche Vaterland, dessen Ohnmacht er sah und das er wenigstens auf dem Felde der materiellen Arbeit heben wollte. Er ging mit Friedrich List den gleichen Weg, wenn es sich um Zollverein und Locomotivbahnen handelte, und war nur in der Bemessung der Zölle auf fremde Production anderer Ansicht: niederste Eingangszölle, meinte er, würden die vaterländische Industrie spornen, ohne die unentbehrlichen Lebensbedürfnisse zu übertheuern. Die mächtige Entwickelung deutscher Arbeit und der wachsende Volkswohlstand, welchen die Zollvereinsperiode von 1833 bis 1870 bei einer zwar langsamen aber stetigen Ermäßigung der Einfuhrzölle zur Folge hatte, scheinen Scharrer’s Ansicht als die richtigere zu bestätigen. Seit 1823 vom kaufmännischen Geschäft abgetreten und durch die Vorliebe, welche er erst seinen Lehranstalten, dann den großen Fragen der Industrie und der Eisenbahnen zuwandte, dem alten Berufe entfremdet, lebte S. im glücklichsten Familienkreise, aufgesucht von bedeutenden Männern des In- und Auslandes, und in staats- und volkswirthschaftlichen Fragen zu Rathe gezogen. Er hat nicht immer Anerkennung geerntet, aber sie allein ist auch nicht der süße Preis männlichen Strebens: das sittliche Gesetz zu erfüllen, weil es Gesetz ist, war Scharrer’s und bleibt der Menschheit ideales Endziel.

Vgl. des unterzeichneten Verfassers Rede: Johannes Scharrer und seine Bedeutung für die Entwickelung der technischen Schulen und der Eisenbahnen. München 1881.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: uud