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Artikel „Sander, Philipp“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 318–319, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sander,_Philipp&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 09:29 Uhr UTC)
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Sander *): Bernhard Heinrich Friedrich Philipp S., protestantischer Geistlicher und Politiker, geboren am 11. Aug. 1806, † am 24. Oct. 1874. Geboren unter preußischer Hoheit im stifthildesheimischen Städtchen Elze auf einem kalenbergischen Meierhofe, studirte S., von zwei Landgeistlichen und auf dem Andreanum zu Hildesheim vorbereitet, von 1824–27 in Halle und Göttingen Theologie. Nach einigen Jahren privater pädagogischer Thätigkeit auf dem Lande in Mecklenburg und in seiner Vaterstadt, übernahm er 1831 die Stelle eines Rectors an der Stadtschule zu Dransfeld und ward von da 1833 durch das Consortium der Käufer des früher Hardenbergischen, zuletzt Uslar-Gleichenschen Rittergutes zu Geismar bei Göttingen auf die dortige Pfarre berufen, die er bis zu seinem Tode inne hatte. Seinem thatkräftigen Eintreten gelang es, die gefährdete Sache der Bauern, welche das Rittergut erkauft hatten, zu retten und nach jahrelanger Verwaltung des Gutes (mit Patrimonialgericht etc.), Ablösung der Zehntendienste etc. dieses unter die Gemeinbesitzer zur allgemeinen Befriedigung zu theilen. Er wurde dadurch der Wohlthäter des Dorfes und mittelbar der Begründer seines heutigen blühenden Zustandes. Sein geistliches Amt übte er im Sinne eines gläubigen, an der Geschichte orientirten und maßvoller Kritik zugänglichen Lutherthumes; sein Wirken für christliche Vereins- und Liebesthätigkeit, äußere und innere Mission erstreckte sich in jenen Jahren vielfach auch auf die benachbarte Stadt Göttingen. Bald wurde der vielseitig empfängliche, beredte und feurige Theolog in das gesellige Leben der Universitätskreise gezogen und verkehrte freundschaftlich mit Lücke, Dahlmann, den Brüdern Grimm[WS 1] u. A. Die Krisis des Jahres 1837 griff daher auch in sein Leben ein. Sein offenes Eintreten für die „Sieben“ trug ihm seitens der Stadt Göttingen die Wahl in die zweite Kammer der Ständeversammlung, aber auch den Groll des Königs Ernst August und der Regierung ein, die ihn wegen zweier Aufsätze im Altonaer Merkur: „Aus dem Hannoverschen“ (Dec. 1837) und „Die hannoversche Frage und die hannoversche Geistlichkeit“ (Dec. 1838) in längere Disciplinaruntersuchung verwickelte und dadurch vom Landtage fernhielt. Das Verfahren endete mit Geldbuße von fünfzig Thalern und Verweis. Regen Antheil nahm S. an der Gründung und ersten Constituirung des Gustav-Adolf-Vereins, dessen Centralvorstande er bis 1846 angehörte, wo er zufolge des Rupp’schen Streites als Gegner der Zulassung Rupp’s nicht wieder gewählt ward. 1844 gehörte er zu den Vertrauensmännern, die in Berlin über den Anschluß der preußischen Vereine verhandelten, und trat dort auch Friedrich Wilhelm IV. vorübergehend näher. Das Jahr 1848 fand S. auf der Seite der Ordnung und des geschichtlichen Rechtes. Sein deutsches Programm war das der großdeutschen Partei. Wiederholt vertrat er den Göttinger constitutionellen Verein auf größeren Versammlungen und gehörte 1849–55 als Abgeordneter der Geistlichkeit der I. Kammer der hannoverschen Ständeversammlung an. Mit lebhafter Theilnahme verfolgte er auch weiterhin die staatlichen und kirchlichen Verfassungsfragen, namentlich die Entwicklung des Synodalwesens in der lutherischen Kirche. Von unmittelbarer Thätigkeit im öffentlichen Leben drängte ihn dagegen die politische und kirchliche Reaction der fünfziger Jahre zurück. Er widmete fortan sich mehr wissenschaftlichen, namentlich – mehrfach im Vereine mit jüngeren Göttinger Kräften, so dem damaligen Rechtsanwalte, jetzigen Finanzminister Miquel – agrargeschichtlichen Studien, deren Ergebnisse er in der landwirthschaftlichen Gesellschaft zu Göttingen vortrug. Die königliche landwirthschaftliche Gesellschaft zu Celle (von A. Thaer begründet), in deren Journal die Vorträge erschienen, ernannte ihn dafür zu ihrem Ehrenmitgliede. Im Zusammenhange damit steht seine Thätigkeit [319] als Vertrauensmannes der bäuerlichen Klosterpachtmeier des Fürstenthums Göttingen, für die er Anerkennung eines beschränkten Eigenthumes und daher Zulaß zur Ablösung und zum Vollerwerb ihrer Höfe durch den mit geschichtlicher Gründlichkeit bis zum Könige hinauf in allen Instanzen verfochtenen Nachweis der thatsächlichen Rechtslage erstritt. Doch fand diese Sache erst zu preußischer Zeit ihren Austrag. Das Jahr 1866 mit der Beseitigung des großdeutschen Gedankens und des Königreichs Hannover erschütterte den lebhaft empfindenden Mann tief; aber er zögerte nicht, die deutsche Sache über die hannoversche zu stellen, als die Bildung der hannoverschen Legion in Frankreich bekannt ward, und sprach dies in einem „Offenen Briefe an König Georg V.“ aus, der am 5. Mai 1867 in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erschien. Das Jahr 1870 und namentlich die Erneuerung der Kaiserwürde, die stets, wenn gleich in anderer Weise, sein Traum gewesen war, erfüllte ihn mit begeisterter Freude und erweckte seine alte poetische Neigung, der er in Ems 1871 im vertrauten Verkehre mit Oskar v. Redwitz eifrig nachging. Doch hatten die aufregenden Zeiten seine Gesundheit untergraben. Er starb nach längerem Siechthume am 24. October 1874. S. hat in Zeitschriften und Zeitungen viel geschrieben, doch meist kleinere Sachen. Selbständig erschienen von ihm: „Der Gustav-Adolf-Verein“ (Göttingen 1845); „Die Landwirthschaft als Culturmoment“ (daselbst 1864); „Die Synodalfrage“ (das. 1864), sowie mehrere als Handschriften gedruckte Gutachten über Hamburgische Kirchenverfassung und einige Predigten.

Vgl. F. Sander, Briefwechsel Friedrich Lücke’s mit den Brüdern Grimm. Hannover 1891.

[318] *) Zu Bd. XXX, S. 352.


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