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Artikel „Sacer, Georg Wilhelm“ von Max von Waldberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 111–113, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sacer,_Georg_Wilhelm&oldid=- (Version vom 6. November 2024, 06:14 Uhr UTC)
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Sacer: Georg Wilhelm S., deutscher Dichter und Rechtsgelehrter, wurde als der Sohn des Oberbürgermeisters Andreas S. zu Naumburg am 11. Juli 1635 geboren. Er genoß zu Hause und sodann in der unter Leitung des Rector Saltzmann stehenden „schola patria“ bis zum Jahre 1649 den ersten Unterricht, besuchte hierauf die nahe bei seiner Vaterstadt gelegene kurfürstliche Landesschule zu Pforta und bezog 1653 die Universität zu Jena, wo er sich durch vier Jahre dem Studium der Philosophie und Jura widmete. Im Begriffe, 1657 zur weiteren Ausbildung die Hochschule zu Frankfurt a. O. aufzusuchen, lernte er auf der Reise in Berlin den durch seine zahlreichen Widmungsgedichte in den damaligen poetischen Kreisen sehr bekannten kurbrandenburgischen [112] Kammergerichtsrath Gabriel Luther kennen, der ihn als seinen Nachfolger für die Stelle eines Secretärs beim Director der Kriegskanzlei Claus v. Platen empfahl. Nach zweijährigem Dienste begann er ein, wie es scheint, mehr vom Wander- als Lerntriebe beeinflußtes Leben, und besuchte, meistens als Lehrer reicher Zöglinge mit diesen die hervorragendsten Hochschulen Deutschlands, wie Greifswald, Halle, Kiel u. s. w., lernte dabei die bedeutendsten Städte des Vaterlandes, später auch Holland und Dänemark kennen. In Kiel erwarb er 1667 den Grad und Titel eines Doctor juris, nachdem er vorher anderthalb Jahre hindurch Kriegsdienste als Regimentssecretär und Fähnrich in Hamburg geleistet hatte. Schon im J. 1660 war er von Rist in den Elbschwanenorden aufgenommen, wo er den Dichternamen Hierophilus führte, 1663 durch Vermittlung eines kunstbegeisterten Gönners vom Kaiser zum Dichter gekrönt worden. Im J. 1670 ließ er sich, zunächst nur vorübergehend in Braunschweig nieder, begründete dort bald einen eigenen Hausstand und wirkte daselbst seit 1683 als Kammer- und Amtsadvocat, seit 1690 als Kammerconsulent in treuer Pflichterfüllung bis zu seinem am 8. September 1699 erfolgten Tode.

S. kann mit seinem bewegten Leben, der merkwürdigen Vermischung von abenteuerlichem Thatendrang, Lern- und Wanderlust, frischer Weltlichkeit und streng religiöser – allerdings von Anfechtungen nicht freier – Gesinnung, als typisches Bild einer Reihe gleicher Existenzen aus der Zeit des „großen Krieges“ und nachher gelten. Die schweren Zeiten, in denen das äußere und das innere Leben den bedenklichsten Schwankungen ausgesetzt war, erzeugten auch in den Gemüthern im Wollen und Handeln eine Unsicherheit, bei der der Charakter meist nicht ungefährdet davon kam, schärften aber anderseits die Sinne und führten selbst in kleinen Verhältnissen lebenden Persönlichkeiten eine Fülle von Welt- und Menschenkenntniß zu, die den späteren Generationen wieder abging. Auch S. reifte an solchen Verhältnissen heran und der geschärfte praktische Sinn, eine frische Objectivität in der Beurtheilung sonst kritiklos bewunderter Autoritäten machen sich bei ihm schon früh geltend. Zuerst in seinen, im wesentlichen auf dem Standpunkte der Renaissancepoetik stehenden „Nützlichen Erinnerungen wegen der Deutschen Poeterey“ (Alten Stettin 1661), die zwar „meistentheils aus Herrn Opitzens, Herrn Harßdörffers, Herrn Ristens, Herrn Tschernings, Herrn Schottels und anderer vornehmer Poeten Anmerckungen erwachsen“ sind, aber oft genug selbständiges Urtheil und frische Polemik enthalten. S. ist einer der ersten, der gegen die allzu häufige Verwendung der Diminutiva im Reime, durch die Plavius (s. A. D. B. XXVI, 268) so berüchtigt war, auftrat, und mit dem scheinbar entschuldigenden Gemeinplatz „quandoque bonus dormitat Homerus“ hechelt er auch Dichter wie Opitz, Rist, den „sonst netten Poeten Fleming“, besonders aber das allerdings beliebte Object aller litterarischen Satire jener Zeit, Zesen, wegen ihrer „Fehlgriffe“ durch. Die Polemik gegen den „vom Schustergeist regierten Hans Sachs, den Purismus u. s. w., die schon in seinen „Nützlichen Erinnerungen“ durch ihre Schärfe auffällt, erhebt sich in der anonym erschienenen, aber aus inneren und äußeren Gründen zweifellos S. zugehörigen Schrift „Reime dich, oder ich fresse dich … von Hartmann Reinholden“ (Nordhausen 1673) zu einer geradezu meisterhaften Höhe der Satire, und wol kaum ein zweites Werk aus dem siebzehnten Jahrhundert verräth so viel Geist, Schlagkraft, souveränen Humor und ein fast modernes, ästhetisches Empfinden, wie diese in ihrer Composition allerdings sehr formlose Satire. In der Begünstigung erlebter Dichtung gegenüber der unwahren, innerlich hohlen Gelegenheits-, Conversations- und banausischen Poesie seiner Zeit repräsentirt er einen ganz isolirten, damals neuen und bedeutenden Standpunkt. Die Sprache dieser Schrift, welche, wenn auch nicht direct, in manchen Punkten auf ältere [113] spanische Muster zurückgeführt werden könnte, schöpft auch aus dem reichlich fließenden Quell eines J. B. Schupp u. a., ist aber in ihren kräftigen und heiteren Wirkungen manchmal den Originalen überlegen.

S. dankt aber seinen Namen bei den Zeitgenossen und bei der Nachwelt weder diesen Leistungen, noch seinen Trauerreden, oder juristischen Arbeiten, auch nicht seinen ja ganz unbekannt gebliebenen Uebersetzungen aus dem Französischen (Mascarous, Letzte Worte des sterbenden Seneca. Budissin 1666) und Lateinischen (Lipsius’ Rede von der Lästerung), sondern seinen geistlichen Liedern, die er während seines ganzen bewegten Lebens gedichtet, die aber in ihrem poetischen Werthe selbst von Kennern überschätzt wurden. Ihnen fehlt die zarte Innigkeit des Gefühls, durch die sich die geistliche Lyrik vieler mitstrebender Zeitgenossen auszeichnet, und die etwas forcirte Kraft, die sich schon in der, in jugendlichem Alter anonym herausgegebenen Sammlung „Der bluttriefende, siegende und triumphierende Jesus (1661) äußert, artet oft in Lohensteinische Rohheit aus. Sacer’s Lieder erschienen später von seinem Schwiegersohne, dem Generalsuperintendenten Nitsch in Gotha, gesammelt unter dem Titel: „Herrn G. W. Sacer’s geistliche liebliche Lieder auf die vornehmsten Festtage, Passion und andere Fälle eingerichtet zum Dienst der Liebhaber des Worts Gottes. Gotha 1714. Unter den in dieser Sammlung enthaltenen 65 Liedern, die der Herausgeber überschwänglich zu denen rechnet, „in welchen Christus ganz und gar lebet und worin noch die Lüftlein des heiligen Geistes nicht wenig zu spüren und anzutreffen“, entsprachen die wenigsten dieser Charakteristik, aber einzelne, namentlich die Passionslieder, sind von einer das Gemüth tief ergreifenden Gewalt. Eines der besten „Durch Trauern und durch Plagen“ ist ihm allerdings von Zeitgenossen abgesprochen worden. Die letzte Zeit seines Lebens scheint durch Milde, treue Hingabe an den Beruf und einen gottergebenen Wandel verklärt gewesen zu sein. „Seine Name hieß Sacer“, heißt es von ihm „und die Sacra, ob er gleich ein Jurist, waren größtentheils der Gegenstand seiner Bemühungen“.

Gottofr. Guil. Saceri memoria auctore Joanne Arn. Ballenstädt. Helmstedt 1745.