ADB:Runge, Friedlieb Ferdinand

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Artikel „Runge, Friedlieb Ferdinand“ von Richard Anschütz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 684–686, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Runge,_Friedlieb_Ferdinand&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 19:45 Uhr UTC)
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Runge: Friedlieb Ferdinand R. wurde am 8. Februar 1795 *) (1794) **) in Billwärder bei Hamburg als Sohn des Pastors Joh. Gerhardt R. geboren. Ursprünglich Pharmaceut, wandte er sich später dem Studium der Medicin zu und erwarb 1819 an der Universität Jena auf Grund einer Inaug.-Diss. „De nova methodo veneficium belladonae, daturae, nec non hyoscyami explorandi“, den medicinischen Doctorgrad. In der Wahl dieses Themas für die medicinische Inaug.-Diss. verräth sich der Pharmaceut und Chemiker. In der That wandte sich R. nach dem Abschluß seiner medicinischen Studien ausschließlich der Chemie zu und wurde 1822 in Berlin zum Doctor philosophiae promovirt mit der Inaug.-Diss. „De pigmento indico ejusque connubiis cum metallorum nonnullorum oxydis“. Zwischen die Abfassung seiner medicinischen und seiner philosophischen Doctorarbeit fällt eine Veröffentlichung unter dem Titel: „Neuste phytochemische Entdeckungen zur Begründung einer wissenschaftlichen Phytochemie“. Kurz nach seiner Promotion habilitirte sich R. in Berlin und las dort über Pflanzen- und Thierchemie. Nach einem längeren Aufenthalt in Paris wurde R. zum außerordentlichen Professor der Technologie an der Universität Breslau ernannt. Im Anfang der dreißiger Jahre finden wir ihn [685] im Dienste der Berliner Seehandlung, als Director einer diesem Geldinstitute gehörigen chemischen Fabrik in Oranienburg an der Havel. Von 1854 an lebte R. in Oranienburg als Pensionär der Seehandlung in keineswegs glänzenden äußeren Lebensverhältnissen bis zu seinem am 25. März 1867 erfolgten Tode.

Besonders eingehend beschäftigte sich R. mit den Farben und der Färbekunst. Seine reichen Erfahrungen auf diesen Gebieten, die Resultate eingehender Studien und zahlreicher eigner Versuche legte er in seiner „Farbenchemie“ nieder, die er mit zahlreichen Mustern gefärbter Zeuge ausstattete. Dies für die Geschichte der Farbenchemie sehr werthvolle Werk erschien in drei Bänden in den Jahren 1834, 1842 und 1850, also der letzte Band noch vor der Einführung des ersten künstlichen organischen Theerfarbstoffes, des Mauveïns, in die Technik. Auf diesem für den Nationalreichthum Deutschlands wichtigen Gebiete der chemischen Technik gehörte R. zu den Pionieren, denen wir die ersten Kenntnisse über den Steinkohlentheer, das Ausgangsmaterial für die Gewinnung der Theerfarben verdanken. R. gebührt das unbestreitbare Verdienst, zuerst und zwar schon 1834, also lange Zeit vor der Einführung des Mauveïns durch Perkin, darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß sich im Steinkohlentheer Substanzen finden, die sich in intensiv färbende Körper umwandeln lassen. Bekanntlich ist der Steinkohlentheer ein äußerst complicirt zusammengesetztes Gemisch von flüchtigen, flüssigen und festen Zersetzungsproducten der Steinkohlen durch Hitze. Neben indifferenten Körpern, von denen die aromatischen Kohlenwasserstoffe weitaus die wichtigsten sind, enthält der Steinkohlentheer Substanzen von basischem und Substanzen von saurem Charakter. Runge’s Untersuchung des Steinkohlentheers fällt in das Jahr 1834, er fand in ihm verschiedene Basen, von denen er die eine Kyanol nannte, weil sie mit Bleichkalk, der die Pflanzen- und Thierfarben entfärbt, einen intensiv blauen Farbstoff lieferte. A. W. Hofmann bewies 1843, daß das von R. im Steinkohlentheer gefundene Kyanol mit dem von Unverdorben bei der Destillation von Indigo entdeckten Krystallin oder Anilin identisch ist. Das Anilin ist bekanntlich später eines der wichtigsten Ausgangsmaterialien für die Herstellung von Theerfarben geworden; seine Bildung durch Reduction von Nitrobenzol wurde 1842 von Zinin aufgefunden. Ferner entdeckte R. im Steinkohlentheer das Pyrrol und das Leukolin, von R. so bezeichnet, weil dieses Oel zum Unterschied von Kyanol (Anilin) durch Chlorkalklösung keine blaue Färbung gibt, sondern farblos bleibt, unser heutiges Chinolin, als dessen Abkömmlinge die meisten Pflanzenalkaloide aufzufassen sind, sowie das Phenol, das er Carbolsäure nannte. Er erhielt „bei der Behandlung des Destillationsrückstandes von roher Carbolsäure mit Kalk in alkoholischer Lösung ein rosenrothes in Wasser lösliches und ein braunes in Wasser unlösliches Kalksalz. Die Säure des letzteren bezeichnete er als Brunolsäure, in dem löslichen nahm er eine Säure an, die er Rosolsäure nannte. Er beobachtete schon, daß diese Säure sich wie ein Farbstoff verhält und mit geeigneten Beizen schöne rothe Farben und Lacke erzeugt“. Vergebens versuchte R. die Seehandlung zu veranlassen, den Steinkohlentheer auf die von ihm darin entdeckten Stoffe in ihrer chemischen Fabrik verarbeiten zu lassen. Sein Bemühen scheiterte, wie er später im J. 1862 voll Bitterkeit schrieb, „an dem Gutachten eines unwissenden Beamten“; er setzt hinzu: „Es ging mir hiermit, wie mit meinen Lichten aus Torf und Braunkohlen, von denen ich pfundweise Proben einschickte, aber ohne Erfolg. Jetzt sind sie Handelswaare.“ Bei der Gewerbeausstellung in London 1862 wurde R. für seine in das Jahr 1834 fallenden Entdeckungen auf dem Gebiete der Steinkohlenchemie einstimmig als Belohnung die Preisdenkmünze zuerkannt. „Es ist nur gut“, schreibt R., „daß mich diese Nachricht noch am Leben getroffen hat.“ Bemerkenswerth ist der Streit, in den R. 1834 mit dem Chemiker Reichenbach, [686] dem Entdecker des Kreosots und des Paraffins, verwickelt wurde. Reichenbach bestritt in einer sehr heftig gehaltenen Abhandlung theils die Originalität von Runge’s Entdeckungen, theils die Existenz der von R. als neu beschriebenen Verbindungen. Allein R. wiederlegte die Einwürfe Reichenbach’s in überzeugender Weise, ohne auf die kränkenden Vorwürfe, sowie die in diesem Falle sehr zu Unrecht ertheilten guten Lehren Reichenbach’s auch nur ein Wort zu entgegnen. Runge’s Vorliebe für die Farben kam in origineller Weise in seinem 1846 erschienenen Grundriß der Chemie zur Geltung. Durch das ganze Werk finden sich gefärbte Papierquadrate vertheilt, die durch ihre Farbe das Aussehen der festen anorganischen Substanzen, von denen gerade der nebenstehende Text handelt, veranschaulichen sollen. Aus seinen Schriften spricht ein lebhafter Geist, eine gute Beobachtungsgabe und ein heiteres Gemüth. Besonders originell ist sein Buch: „Der Bildungstrieb der Stoffe, veranschaulicht in selbständig gewachsenen Bildern“. Bald nach dem Tode Runge’s entstand in Berlin auf Veranlassung von A. W. Hofmann die deutsche chemische Gesellschaft. Sie übernahm es im Verein mit den Freunden Runge’s, die Mittel zu sammeln, die es ermöglichten, dem im Leben nicht nach Verdienst gewürdigten Forscher auf dem Kirchhof zu Oranienburg ein Denkmal zu errichten, welches am 9. December 1872 dem Magistrat der Stadt Oranienburg übergeben werden konnte.

In dem Verzeichniß der von R. verfaßten Schriften und Abhandlungen: Poggendorff’s Handwörterbuch II, 721, fehlt: „Chemisch-technische Monographie des Krapps oder vergleichende Untersuchungen der Krappfarbstoffe und der verschiedenen Krappsorten etc.“ Berlin 1845, gedruckt auf Kosten des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes bei Petsch. Vgl. ferner: Das Wesen der Bleicherei, Färberei und Druckerei von Ferdinand Winkler. Ratibor, Druck und Verlag von V. Wichmann & Comp. 1871, S. 108–115. – Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft (1869) II, 325; (1872) V, 839, 1119. – Die Chemie des Steinkohlentheers etc. von Gustav Schultz. Braunschweig, Vieweg & Sohn, 2. Auflage I, 289, 432, 544; II, (Rosolsäure).

[684] *) Vgl. Poggendorff, Handwörterbuch II, 721 und Koner bei Ascherson, Urkunden zur Geschichte der Jubelfeier der königl. Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin im October 1860, Berlin 1863, 8°, S. 252.

[684] **) Vgl. Oettinger, Moniteur des dates.