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Artikel „Reiner, Jakob“ von Paul Beck in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 23–25, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reiner,_Jakob&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 07:25 Uhr UTC)
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Reiner: Jakob R., trefflicher Kirchenmusiker und Componist, geb. vor d. J. 1560, wahrscheinlich zu Altdorf, einem damaligen kaiserlichen Reichsflecken nächst Weingarten in Oberschwaben (im jetzigen württembergischen Oberamtsbezirke Ravensburg), † am 12. August 1606 als magister chori musici (rector musicorum) des dortigen Benedictinerreichsstiftes. Genauer hat sich sein Geburtsjahr wie sein Geburtsort, welcher möglicherweise auch in Tirol gelegen sein könnte, bis jetzt nicht erheben lassen. Jedenfalls ist Weingarten aber der Ort, wo R. mit andern begabten Jünglingen nicht nur seine Bildung erhielt, sondern auch sein Leben größtentheils zubrachte. Wie aus der in zierlichem Latein gehaltenen Vorrede seines ersten gedruckten, von Dreßler (1875) neuaufgelegten Werkes: „Liber cantionum sacrarum quinque et sex vocum quae cum viva voce, tum omnis generis Instrumentis Musicis commodissime applicari possunt etc.“ (München exudebat Adam Berg, 1579) an den damaligen Abt Joh. Christoph Raitner von Weingarten hervorgeht, war R. noch unter dem berümten Prälaten Gerwig Blarer von Constanz (1520–67) und dessen Nachfolger Joh. Hablitzel (1567–75), ein Zögling der Klosterschule Weingarten, jener altehrwürdigen Pflanzstätte der Wissenschaften und auch der Musik, und wurde von den Obern, welche bald seine geniale Anlage erkannt hatten, hauptsächlich in der Musik ausgebildet und zu den kirchenmusikalischen Aufführungen herbeigezogen und den besten Lehrern des Tonsatzes auf Kosten des Stifts übergeben. Wer alles seine [24] Lehrer waren, ist bis jetzt nur zum Theile bekannt. Auf dem Titelblatte seines 3. gedruckten, Abt, Prior und Convent Weingarten gewidmeten originellen Werkes: „Septem Psalmi poenitentiales tribus vocibus ad singulos musicos tonos artificiosa compositione concinnati et 6 mutetae“ (ebendas. 1586) bezeichnet sich R. erstmals öffentlich: „Excellentissimi Musici Orlandi di Lasso olim discipulus“ und auf dem Titel seines 4., dem Abt Ludwig Mangold des Prämonstratenserklosters Schussenried, einem großen Musikfreunde decidirten interessanten Opus: „christliche Gesang Teutsche Psalmen auß grund der Music auff drey Stimmen zusingen mit sonderlichem Fleiß Componiert und allen Liebhabern dieser löblichen Kunst zu christlichem gefallen in Druck verfertiget u. s. w.“ (Dillingen bei Johs Mayer, 1589) steht: „Weingartischer Kapelmeyster, vor zeit geweßnen Discipul und Junger des fürtrefflichen fürstlichen Beyrischen Musici Orlandi di Lasso.“ Wann R. aber Unterricht bei Orlando, nächst Palestrina dem größten Meister des Contrapunktes, genoß und ob R., wie sich übrigens nicht anders als annehmen läßt, zu diesem Zwecke in München war, woselbst von 1557–1595 Lasso als Capellmeister am bairischen Hofe, zunächst bei Herzog Albrecht V., dem Großmüthigen, fungirte, hat sich bis jetzt nicht feststellen lassen. Jedenfalls bekennt sich R. bereits in dem oberwähnten ersten Werke als erklärten „Orlandiner“. Gelegenheit die Compositionen Orlando’s kennen zu lernen, hatte er schon in Weingarten genug, woselbst dieselben bald nach ihrem Erscheinen aufgeführt wurden. Das Gotteshaus Weingarten stand nämlich von Alters her mit den Herzogen von Baiern, so namentlich mit Wilhelm V., Pfalzgraf bei Rhein, Herzog zu Ober- und Niederbaiern, und mit dessen Voreltern stets in „guter Vertraulichkeit.“ Lasso selbst wurde einmal im Mai 1589 von Herzog Wilhelm mit einem mündlichen Auftrage nach Weingarten entsandt und hatte dem Stift hierbei zwei Pokale als Geschenk und Zeichen des allezeit guten Einvernehmens zu überbringen – war also im selben persönlich gut bekannt. – Nach Beendigung der Lehr- und Wanderjahre kehrte R. in die stillen Räume des Klosters zu Weingarten zurück und wurde daselbst zunächst als ausübender Musiker und weltlicher Musiklehrer an der Klosterschule und später, wohl zwischen 1586–89 als magister chori musici (phonascus monasterii Weingartensis d. i. Musikdirector, Capellmeister) angestellt; Benedictinermönch, wie Fétis in seiner Biographie universelle des Musiciens etc. (tom. VII, p. 217, Paris 1877), Mendel in seinem musikal. Convers.-Lexikon (Bd. VIII, S. 287) und die meisten andern Nachrichten über ihn melden, war R. aber nie, sondern stets Laie und zweimal verehelicht; er hatte mehrere Kinder, u. a. einen als Conventualen im Benedictinerstifte Ochsenhausen, im J. 1622 gestorbenen Sohn Georg und einen jüngeren Sohn Ambros R. (s. o. S. 22), welcher in die Fußstapfen des Vaters trat. Reiner’s Aufgabe war die Ertheilung des Unterrichtes im Gesang und in der Instrumentalmusik, sowie die Leitung des Kirchenmusikchores, Organist (phonourgos) war er indeß für die Regel nicht und ebensowenig nahm er als Laie am Chorgesange theil. In dieser Stellung verblieb unser Meister, nicht allein von seinen Vorgesetzten, besonders auch von dem seit 1586 regierenden bedeutenden Prälaten Georg Wegelin, sondern auch von seinen auswärtigen Zeitgenossen als „musicus celeberrimus, insignis“ angesehen und hochgeachtet bis zu seinem Lebensende, welches nach einer aus dem Kloster stammenden Notiz am 12. August 1606 erfolgte. Nicht bloß als Lehrer hatte er eine segensreiche Wirksamkeit entfaltet, sondern noch mehr hatte er einen bedeutenden Ruf erlangt als hervorragender und productiver Componist von Messen, Motetten, Psalmen, Madrigalen, welche vielfach den benachbarten Aebten und Potentaten, so dem Constanzer Bischof Cardinal Andreas v. Austria, dem Deutschordenscommenthur Christoph Freiherrn v. Thumb-Neuburg in Altshausen, dem Baron Georg Fugger v. Kirchberg-Weissenhorn [25] u. s. w. gewidmet sind. In allen seinen Werken zeigt sich R., wie bereits erwähnt, als ausgeprägten „Orlandiner“, in etlichen seinem großen Vorbilde nachstehend, an Großartigkeit der Conception, Tiefe und Originalität der Empfindung, freier Beherrschung der technischen Mittel demselben ebenbürtig, vielleicht aber an Zartheit der Empfindung, besonders an Klarheit der Gruppirung eher überlegen. Und es ist, wenn auch an sich aus der total veränderten Richtung der Kirchenmusik im Jahrhundert des Zopfes erklärlich, kaum zu begreifen, wie ein solcher Mann in so gänzliche Vergessenheit gerathen konnte. Erst dem († 1885) Chordirector Ottmar Dreßler von Weingarten, einem würdigen Nachfolger Reiner’s, gebührt das Verdienst, mit vielen Mühen diesen genialen Meister polyphoner Kunst durch Ausgrabung, Sammlung und Sichtung dieser herrlichen, unter dem Staub und Schutt von zwei Jahrhunderten begraben gelegenen Schätze einer glorreichen kirchenmusikalischen Vergangenheit, durch Wiederaufführung Reiner’scher Tonschöpfungen, namentlich bei den zu Weingarten, Ehingen, Sigmaringen, Biberach, Friedrichshafen abhaltenen Kirchenmusikfesten, bei welchen man sich so recht von der grandiosen Wirkung der Reiner’schen Compositionen überzeugen konnte und in welchen man mit Recht einen mächtigen Factor für die Hebung und Förderung des kirchlichen Gesangs erkennen darf, der unverdienten Vergessenheit entrissen und denselben wieder zu der ihm gebührenden Geltung und Anerkennung gebracht, dessen eminente Bedeutung für die Entwicklung der kirchlichen Kunst festgestellt und insbesondere durch die Herausgabe des sauber und elegant ausgestatteten, von Franz Witt in seiner musica sacra (7. Jahrg., Nr. 10 und 12, S. 81–84 und 108) trefflich und eingehend recensirten Motettenbandes (Stuttgart, lithogr. Anstalt von G. F. Krauß, ausgeführt von E. Schuncke), durch die Partiturirung der Septem Psalmi nach den Originalien der Münchener Hofbibliothek und endlich durch eine Biographie in Rob. Eitner’s Monatsheften für Musikgeschichte (III. Jahrg. 1871, Nr. 7, S. 97–114) einen werthvollen Beitrag zur Beleuchtung jener denkwürdigen classischen Musikepoche geliefert zu haben. Von den Reiner’schen Compositionen sind wol manche verloren gegangen oder wenigstens noch verborgen; der Biographie ist ein Verzeichniß über das, was sich an gedruckten und ungedruckten Werken Reiner’s noch auffinden ließ, beigegeben; dieselben sind überaus selten und liegen in den Musikbibliotheken zu München, Regensburg, Wien, Berlin, Breslau, Liegnitz, St. Gallen etc. und möchten wir hier außer den bereits angeführten namentlich die für die Geschichte des deutschen Volksliedes sehr wichtigen, mit einer interessanten Einleitung versehenen, dem Erbtruchseß Jakob v. Waldburg-Wolfegg-Waldsee dedicirten „Schöne newe Teutsche Lieder, mit 4 und 5 Stimmen, sambt zwayen zu end Lateinischen Liedlein, welche nit allein lieblich zu singen, sonder auch auff allerley Instrumenten zu gebrauchen“ etc. (München, ebendas. 1581), die „teutsche und lateinische Lieder mit 3 und 4 Stimmen“ (Lauingen, 4°, 1593) und verschiedene Messen hervorgehoben haben. Es ist auf die von Dreßler gegebene Anregung hin nicht ausgeschlossen, daß mit der Zeit noch das eine oder andere Reiner’sche Werk wieder zum Vorschein kommt und auch in Reiner’s Leben und Wirken noch weiteres Licht gebracht wird. – Ein Bildniß von R. hat sich bis jetzt nicht auffinden lassen.

Die in den verschiedenen Musiklexicis von Gerber, Gaßner, Schladebach-Bernsdorf etc. über R. sich findenden Angaben sind als äußerst spärlich und vielfach unrichtig, bezw. durcheinandergeworfen von keinem Belang.