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Artikel „Rößler, Emil Franz“ von Wilhelm Wattenbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 264–266, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%B6%C3%9Fler,_Emil_Franz&oldid=- (Version vom 19. April 2024, 07:04 Uhr UTC)
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Rößler: Emil Franz R., Rechtshistoriker, geboren am 5. Juni 1815 zu Brüx in Böhmen, † am 5. December 1863 in Sigmaringen. Als Deutschböhme und Sohn eines sehr geachteten und unterrichteten Justitiars, den er oft auf seinen amtlichen Reisen begleitete, wurde R. frühzeitig aufmerksam auf die Verschiedenheit der Bevölkerung und auf die Lage des Bauernstandes, welcher vielfach durch die Anwendung von Sätzen des römischen Rechts auf die völlig unverstandenen Verhältnisse der Abkommen freier Ansiedler zu leiden hatte. Die hierauf bezüglichen Studien betrieb er mit dem größten Eifer als Hörer der Rechte in Prag, und als Conceptspractikant der böhmischen Kammerprocuratur daselbst, begann auch schon hier seine Forschungen in Bibliotheken und Archiven, welche ihn zu so vielen glücklichen Funden geführt haben. Im J. 1842 promovirte er mit einer Dissertation über das Ausgedinge auf deutschen Bauerngütern, und lehrte dann als Supplent der Lehrkanzel für österreichisches Civilrecht an der Prager Universität. Als erste reife Frucht seiner besonderen Studien erschien 1845 der erste Band der „Deutschen Rechtsdenkmäler aus Böhmen und Mähren“, mit einer Vorrede von Jacob Grimm, dem er den Anfang übersandt und dessen warme Theilnahme er in vollem Maße sich gewonnen hatte. In der Einleitung zu dem Altprager Stadtrecht wies er hier, was damals völlig neu war, den Ursprung der Stadt aus der ersten deutschen Niederlassung nach, verbunden mit sehr eingehenden und lehrreichen Untersuchungen über die Verhältnisse des deutschen Bürgerthumes und die Verwandtschaft der Stadtrechte unter einander. Der zweite Theil, welcher erst 1852 erschien, enthält die Stadtrechte von Brünn, vorzüglich das berühmte Schöffenbuch, ebenfalls mit ausführlicher Einleitung, welche in lichtvoller Weise die deutsche Colonisation im Osten beleuchtete. Für Rechtsgeschichte war damals noch kein Raum in dem fest abgegrenzten Lehrkreise österreichischer Universitäten, die Fachmänner hielten sie für schädlich, und es war daher ein epochemachendes und bahnbrechendes Ereigniß, daß es R. gelang, von der Studienhofcommission versuchsweise die Gestattung rechtsgeschichtlicher Vorlesungen an der Wiener Universität zu erwirken, wohin er 1846 übersiedelte. Es war die Glanzzeit Rößler’s, als hier, weniger Studenten, als vielmehr eine große Anzahl z. Th. schon hochgestellter Männer zu seinen Vorträgen sich einfand, gefesselt durch sein reiches Wissen und viele hier ganz neue Gesichtspunkte, während die Form des Vortrages wenig fließend und durchgearbeitet war. Bezeichnend für die damalige Sachlage sind die zwei bei Eröffnung des folgenden Studienjahres gehaltenen Vorträge „Ueber die Bedeutung und Behandlung der Geschichte des Rechts in Oesterreich“, welche er 1847 mit einem Anhange rechtsgeschichtlicher Quellen veröffentlichte. Eine Professur war ihm in Aussicht gestellt, und voll froher Hoffnungen trat er 1847 eine Reise durch Deutschland an, welche ihn auch zu der Germanistenversammlung in Frankfurt a. M. führte. Endlich hatte er seinen Wunsch erfüllen, die Meister seines Faches persönlich begrüßen können, und auch an deutschen Universitäten die von der österreichischen ganz verschiedene Lehrweise kennen gelernt. Seitdem jedoch fühlte er sich in Oesterreich nicht mehr recht heimisch. die anfängliche Begeisterung für seine Vorträge war bald erkaltet, und er fand wenig gleichgesinnte und gleichstrebende Seelen. Da bereitete die Märzrevolution den Vorlesungen ein jähes Ende, und R., welchen der in Böhmen stark aufflammende [265] Nationalitätenhaß lebhaft berührt hatte, wurde für den Wahlbezirk Saaz zum Abgeordneten ins Frankfurter Parlament erwählt. Hier überzeugte er sich bald, vorzüglich aber mit voller Entschiedenheit nach dem Erlaß der neuen Verfassung für den Gesammtstaat, daß eine gemeinsame Verfassung für Deutschland und für Oesterreich ein Unding sei, und schloß sich der Gagern’schen Partei in der Abstimmung über das preußische Erbkaiserthum an, wodurch die Rückkehr in die Heimath für ihn zwar nicht unmöglich, aber doch erschwert wurde. Auch sehnte er sich nach dem freieren wissenschaftlichen Streben und Verkehr der deutschen Universitäten und vertraute auf die einflußreichen Freunde (u. a. auch G. Waitz), welche er unter den Professoren gewonnen hatte. Allein der Verlauf der Dinge verkehrte vielmehr seine Zugehörigkeit zur Kaiserpartei zu einem schweren Hinderniß seiner Beförderung, während zugleich gerade in entscheidenden Momenten eine Verwechselung mit dem radicalen Rösler von Oels (s. o. S. 240) ihm geschadet hat. Doch darf auch nicht verschwiegen werden, daß die Vorlesungen, welche er nun als Privatdocent in Göttingen hielt, zwar reich an anregenden Gedanken, aber zu wenig systematisch durchgearbeitet waren; er hatte als Docent wenig Erfolg, hat aber auf jüngere Gelehrte, welche sich ihm freundschaftlich anschlossen, im Privatverkehr eine dankbar anerkannte, sehr förderliche Einwirkung geübt. Auffallend war bei ihm eine große Unstätigkeit, das Ergreifen stets neuer Entwürfe, ohne etwas durchzuführen, vielleicht zeigte sich darin schon damals der Beginn des Gehirnleidens, dem er später erliegen sollte. Den zweiten Theil seiner „Rechtsdenkmäler“ mit der musterhaften Einleitung vollendete er 1851, dann veranlaßte ihn die Auffindung höchst werthvoller, bis dahin unbeachtet gebliebener Briefe und Acten zu dem Buche über „Die Gründung der Universität Göttingen“, 1855, dem letzten, welches er, unterstützt und gedrängt von seinen Freunden, zu Ende geführt hat. Sehr werthvolle Vorarbeiten über Leibniz, zu welchen ihn in Hannover gefundene wichtige Papiere veranlaßten, benutzte er zu einer Mittheilung in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie (Bd. 20), überließ sie aber dann, da er keinen Verleger fand, dem Franzosen Foucher de Careil. Nachdem jede Aussicht auf eine Beförderung in Göttingen abgeschnitten war, mußte R. sich entschließen, 1858 einer durch seinen Freund Aegidi vermittelten Berufung nach Erlangen als zweiter Bibliothekar zu folgen. Die Aufgabe, fast ohne Mittel und Hülfe die gänzlich verwahrloste Bibliothek in Ordnung zu bringen, war unausführbar, aber auch hier entdeckte er eine fast unbeachtete, sehr kostbare Sammlung alter Handzeichnungen, Kupferstiche und Holzschnitte, deren Ordnung und Reinigung ihn nun ganz in Anspruch nahm; der Plan einer Veröffentlichung derselben beschäftigte ihn bis in die letzten Tage seines Lebens. In Erlangen hatte R. sich endlich auch ein häusliches Glück begründet durch die Verbindung mit Bertha Heres († am 19. Februar 1881), Tochter des weiland bairischen Ministers v. Heres, aus welcher Ehe ein Sohn Wilhelm, jetzt Officier in Erfurt, entsprossen ist. Um so mehr aber bedurfte er einer Verbesserung seiner kärglichen Lage, und fand dieselbe (auf Empfehlung M. Duncker’s) 1862, wenn auch in sehr bescheidener Weise, als Bibliothekar des Fürsten von Hohenzollern in Sigmaringen, mit dem Titel eines Hofraths. Die Bibliothek sollte größtentheils erst neu begründet werden; damit und zugleich mit der Durchsicht des ganz ungeordneten und lückenhaften Archivs, dessen Uebergabe ihm in Aussicht gestellt war, zugleich mit den vorher erwähnten Entwürfen, war er rastlos beschäftigt und auf einer deshalb unternommenen Reise fiel den Freunden seine krankhafte Aufregung sehr auf. Diese steigerte sich nach seiner Rückkehr, bis er plötzlich am 5. December 1863 seinem Leben selbst durch einen raschen Schnitt ein Ende machte; der Schmerz der Seinigen darüber wurde etwas gemindert durch die bestimmte Erklärung der Aerzte, daß ein unheilbares [266] Gehirnleiden sonst unfehlbar sehr bald zum Ausbruch gekommen sein würde.

R. gehörte zu den ersten geistigen Vermittlern zwischen Oesterreich und Deutschland in der Zeit, da jenes nach langer Entfremdung infolge der Revolution von 1848 in die deutsche wissenschaftliche Bewegung wieder einzutreten begann. Persönliche Liebenswürdigkeit, wie sie bei sanguinischen Naturen nicht selten ist, zeichnete ihn in hohem Maße aus, er besaß eine ungewöhnliche Gabe, den Menschen rasch näher zu treten und sie zu gewinnen, wozu sein Humor viel beitrug. Ungemein vielseitig in seinen Interessen, die sich in seiner Bücherliebhaberei widerspiegelten, wußte er von allen zu lernen, alle anzuregen, sehr vieles aber, was seinen reichen Geist beschäftigte, blieb unter äußeren wie inneren Hemmungen nur Entwurf.

Nekrologe von Prof. Wahlberg, Allg. österr. Gerichtszeitung 1863, Nr. 152 vom 19. Dec.; von Wattenbach, Südd. Zeit. 1864 Jan. Nr. 5. 7. 9; von Kluckhohn, Beil. zu Nr. 55 d. Allg. Z. vom 24. Feb. 1864; von A. Schmalfuß, Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 2. Jahrg. Prag 1864, S. 135–142.