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Artikel „Philipps, Obbe und Dirk“ von Karl Ernst Hermann Krause in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 26 (1888), S. 78–80, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Philipps,_Obbe&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 12:35 Uhr UTC)
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Philipps: Obbe (Ubbo) und Dirk P. oder Filipszon, zwei der in Norddeutschland am meisten genannten „Täufer“ oder Wiedertäufer, waren die beiden im Concubinat (ongeoorloofde betrekking) erzeugten Söhne eines Priesters Filip in Leeuwarden; Dirk 1504 geboren, Obbe wohl etwas älter. Der Vater gab ihnen eine gelehrte Erziehung, Obbe studirte Heilkunde als Wundarzt und „Scherrier“ (Bartscheer); Dirk lernte die alten Sprachen, um Priester zu werden; da ihm aber seine Geburt hinderlich war, trat er in das Franziscanerkloster zu Leeuwarden ein. Ebenda ließ sich ca. 1530 Obbe als „Scherrier oft Barbier“ nieder und verheirathete sich. Etwa 1531 trat er in eine heimliche Genossenschaft der Taufgesinnten, 1533 taufte dann Bartholomeus van Halle, ein Buchbinder aus Herzogenbusch, ihn und „Hans den Barbier“ und weihete sie durch Handauflegung zu Priestern und Aeltesten der Gemeinde im Auftrage des Propheten Henoch, d. h. des Bäckers Jan Matthijszon van Haarlem. Im Auftrage desselben taufte gleich darnach „Pieter de Houtzager“ (der Holzsäger) den Dirk, dessen Guardian Johan van Haarlem auch schon ketzerisch gepredigt hatte, und Obbe weihte dann seinen Bruder zum Prediger. Da Pieter communistischen [79] Aufruhr brachte, wurde Obbe von seiner Frau gedrängt, sich zu verbergen, und am 23. Februar 1534 wurde er vom Statthalter in einem offenen Placat mit Melchior Hoffmann, Jacob van Kampen und Pieter Houtzager als Aufrührer genannt. Er floh nach Amsterdam; den Aufstand und den Zug nach Münster am 21. März 1534 machte er nicht mit, sondern gehörte zum Anhang des Jacob van Kampen, der Ruhe zu halten und sich der Obrigkeit zu fügen mahnte. Am 26. März 1534 wurden die Täufer der beiden Brüder zu Haarlem geköpft; flüchtig, aber doch predigend, zog Obbe nach diesem Bluttage heimathlos herum. Der Lehre Jacobs von Kampen blieb er treu; nur in der Auslegung „der gespaltenen Klauen“ d. h. der Annahme, daß alles im Alten Testament bildlich zu verstehen, im Neuen aber zu erfüllen sei, geistlich oder wörtlich, wich er ab und folgte der vernünftigeren Ansicht des gesunden Menschenverstandes, während Dirk sich der mystischen Jacobs zuneigte. Ende 1534 bekehrte und weihte Obbe den „Sacramentirer“, d. h. den Reformirten, David Joris oder Joriszon. Gegen den wüthenden Münsterschen Racheaufruf, das Buch „van de Wraak“ hielt er tapfer Stand und predigte Geduld und Fügsamkeit gegen die Obrigkeit; den wilden Banden Jan Dirks van Batenburg trat er, der selbst Verfolgte, scharf gegenüber und schleuderte den Bann gegen sie, wo er sie antraf. Seine Stellung wurde dadurch eine fast verzweifelte, da er mit diesen von ihm Gebannten eins blieb in der Verwerfung der Kindertaufe, der Lehre vom Abendmahl, von der Menschwerdung, vom freien Willen und der Rechtfertigung. Das Buch „van de Wraak“ widerlegte im Einzelnen im Mai 1535 der katholische Priester Menno Simons, und sofort warb Obbe um ihn als Genossen; es gelang: Menno floh nach Groningen, wo Obbe ihn 1536 weihte; den Mennoniten ist dieser daher als Bekehrer (bevestiger) ihres Namengebers gewissermaßen der Ursprung ihrer Gemeinde. So war er gegenüber der communistischen Wiedertäuferei der Münsterschen und der Batenburger das Haupt der Gemäßigten, der „Taufgesinnten“, geworden, die nach ihm Obbiten oder Obbeniten sich nannten, deren Congreß zu Bocholt, im August 1536, er aus Furcht vor Verfolgung nicht zu besuchen wagte; seine Richtung wurde dort indessen eifrig von Jan Matthyszon van Middelburg und durch Jan van Trecht vertreten. 1537 verschwindet er aus Holland, weder dort noch in deutschen Landen, auch nicht in den Hansestädten wollte man einen Unterschied unter den „Täufern“ anerkennen. Im December 1537 nannte sein Gegner Batenburg in Vilvoorden auf der Folter ihn und seinen Bruder Dirk nach David Joriszon und Hendrik Krechtingk als „principalen dooper“. Um 1537 hat Dirk in Hamburg mit den lutherischen Predigern Garcaeus und Nossiophagus (von Lüneburg aus?) disputirt; von letzterem erfahren wir auch, daß Obbe als „Bischof“ (Aeltester, Aufseher) der Obbiter sich in Rostock aufhalte und dorthin seine Anhänger aus Lüneburg sammle. Er ist demnach der von Hamburg und Lübeck dort irrig als Melchior Hofmann vergeblich gesuchte Wiedertäufer, den man beim Pastor Heinrich Techens vermuthete. Die hansische Polizei paßte gut auf, das Signalement läßt einen stattlichen Mann erkennen, der sich vornehm hielt, als Dr. med. auftrat und mit den Vornehmen umzugehen verstand; man muß dabei wissen, daß große Volksschichten der Ostseestädte sich den Taufgesinnten zuneigten, und daß der wieder eingesetzte Lübecker Rath nach dem Falle von Jürgen Wullenweber sehr mißtrauisch war. Der Rath von Rostock erließ denn auch am 28. Juli 1538 ein scharfes Edict gegen die Wiedertäufer und zur Controle aller aus Holland kommenden Reisenden. Dennoch blieb Obbe; um 1539 war er noch „Bischof“ in Rostock. In diesem oder dem folgenden Jahre fiel er aber in bittern Zweifel über die Gültigkeit seiner eignen Priesterweihe und damit auch über das Priesterthum der von ihm weiter Geweihten; was er auch seinem [80] Bruder Dirk und Menno später mittheilte, wahrscheinlich vor 1547. Ersterer war seit 1551 der vornehmste Bischof für Preußen; Menno, seit dem Fortziehen Obbe’s das Haupt der Täufer in den Niederlanden, für Holstein, Leenert für Ostfriesland; sie alle hielten an der Richtigkeit ihrer Weihe fest, und Menno sprach über seinen Lehrer, bis er sich bekehre, den Bann aus; 1554 nannte er ihn „een demas“, ein Cadaver. Daraus ist die Angabe entstanden, Obbe sei zum Katholicismus zurückgekehrt, vermuthlich sehr mit Unrecht. Seine Erklärungsschrift „Bekentenisse Obbe Philipsz., waermede hy verclaert sijn predickampt sonder wettelicke beroepinghe gebruyckt te hebben, beclaecht hem dies en waarschuwet eenen yeden“, wahrscheinlich erst nach 1554 geschrieben, wurde geheim gehalten, auch von ihm anscheinend nicht verbreitet, sondern erst heimlich nach seinem Tode; gedruckt wurde sie erst 1584. Obbe’s ferneres Leben und der Ort und Tag seines Todes liegen im Dunkel; er starb 1568, sein Bruder schon am 13. Januar 1559. Ein hohes litterarisches Interesse hat sich an Obbe’s Namen geknüpft durch die Auffindung eines zweifellos aus der Officin von Ludwig Dietz hervorgegangentn holländischen Druckes von 20 höchst vorsichtigen täuferischen Sendschreiben aus den Jahren 1539–1545 o. O., welche aber nach Ad. Hofmeisters feiner Bemerkung zusammen 1545–1546 gedruckt zu sein scheinen. Das stimmt allerdings zu der Angabe, der erste Tractat sei schon vorher in Deventer gedruckt worden. Wenn nun auch alle 20 von David Joriszon verfaßt sind, wie A. v. d. Linde in der Biographie[1] der Mennonitenlitteratur und schon M. Fried. Jessen (Aufgedeckte Larve Davidis Georgii, Kiel 1670, 4°, S. 57) angiebt, so kann kaum auf einen andern als Obbe geschlossen werden, welcher den Rostocker holländischen Druck durch Dietz besorgen ließ. Da nun aber der einzige direct wiedertäuferische Ausdruck in diesen Tractaten (in Nr. 14 [19]) auch in der sog. lutherischen oder protestantischen, thatsächlich aber durchaus nichts lutherisches enthaltenden Glosse des Dietz’schen Reinke Voß von 1538 und 1549 (zu B. II, Cap. VIII, Bl. CLVIII, Rückseite der Ausgabe von 1549) ebenfalls vorkommt, so scheint dadurch eine Beziehung Obbe’s zu dieser berühmten Glosse hergestellt zu sein. Nach Carel van Gent bei Jehring, S. 152–160, und nach Ubbo’s Bekenntniß (das. S. 127) scheint Dirk P. erst 1568 oder 1569 gestorben zu sein, die Tractate desselben zählt jener S. 159 f. auf. Ubbo Philipps Rücktritt „in die Stille“ fällt sicher vor 1547, da von Menno Simonis (das. S. 227) für die damalige Aeltestenversammlung nur Dirk, nicht mehr Obbe, genannt wird.

Joachim Christian Jehring, Gründl. Historie von denen Begebenheiten, Streitigkeiten und Trennungen, so unter den Taufgesinnten oder Mennonisten etc. (Jena 1720). – J. G. de Hoop Scheffer, „De bevestiger van Menno Simons“ in Doopsgezinden Bijdragen 1884. S. 1–24. – A. Ritschl, „Wiedertäufer und Franziskaner“ in Ztschr. f. Kirchengeschichte v. Brieger. VI. Heft 3. – Wiechmann-Hofmeister, Mecklenburgs altniedersächs. Lit. III. S. 131–148. – Krause in Rostock. Ztg. 1885, N. 264, 270 und Lit.-Bl. f. germ. und rom. Philol. 1886. VII. S. 136 f. – Ueber Täufergemeinden in den norddeutschen Städten: L. Keller, Gesch. der Wiedertäufer S. 185 ff. und Preuß. Jahrb. 50, Heft 3, S. 238.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 80. Z. 21 v. o. l.: Bibliographie. [Bd. 26, S. 832]