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Artikel „Paulus, Karl Eduard von“ von August Wintterlin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 25 (1887), S. 295–297, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Paulus,_Karl_Eduard_von&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 08:35 Uhr UTC)
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Paulus: Karl Eduard von P., Topograph, Geognost und Alterthumsforscher, geb. am 29. Januar 1803 in Berghausen bei Speier, † am 16. Juni 1878 zu Stuttgart, stammte aus einer altwürttembergischen Beamtenfamilie. Schon im Jahre 1806 kam er mit seinen Eltern, welche sich nur vorübergehend in der Pfalz aufgehalten hatten, nach Stuttgart, wo sein Vater eine Anstellung als Registrator fand. P. durchlief das dortige Gymnasium bis zur achten Classe (Obersecunda) mit mehr Eifer für leibliche als für geistige Uebungen, wie er selbst[WS 1] oft zu erzählen pflegte. Sein „freier froher Sinn“ leitete ihn auch bei der Berufswahl. Er trat im J. 1819 in eine stuttgarter Privatforstschule ein und ging das Jahr darauf als Zögling zu dem Revieramte Böblingen. Allein, so wohl es ihm im Walde war, konnte er doch nicht widerstehen, als er im J. 1822 von Mittnacht[WS 2], dem Vorstande der damaligen württembergischen Landesvermessung, eine Stelle als Zeichner angeboten erhielt. Er hatte die dem Forstmanne nöthige Kunst der Terrain-Aufnahme und -Darstellung mit besonderer Lust und ungewöhnlichem Geschicke zu betreiben angefangen. Nach zwei Jahren zog ihn der Vorstand des statistisch-topographischen Bureaus, Memminger, (s. A. D. B. XXI, 309) zu dieser Anstalt herüber, wo sein kartographisches Talent unter der Leitung des ehemaligen Ingenieur-Officiers Ferd. Dürrich[WS 3] eine treffliche Schulung fand. Der von dem Bureau nach den Ergebnissen der Landesvermessung in den Jahren 1821–1851 herausgegebene topographische Atlas des Königreichs Württemberg im Maßstabe von 1 : 50,000 gab die schönste Gelegenheit, auf diesem Felde Lorbeeren zu pflücken. Auf nicht weniger als 23 von den 55 Blättern dieses Werkes ist P. als Mitarbeiter genannt. Den wärmsten Dank der wanderfrohen Jugend in Schwaben erwarb sich P. durch seine erstmals im J. 1834 im Maßstabe von 1 : 450 000 herausgegebene Karte des Königreich Württemberg, an deren Stelle im J. 1841 seine Karte des Königreich Württemberg und der hohenzollern’schen Fürstenthümer im Maßstab von 1 : 400 000 trat, welche fortwährend verbessert mehrere neue Auflagen (die letzte im Jahre 1874) erhielt. Das Blatt darf sich neben den besten Leistungen seiner Zeit sehen lassen. Auch zu kartographischer Lehrthätigkeit wurde P. von der württembergischen Regierung zuweilen verwendet, so zum Unterricht im Planzeichnen an der Akademie Hohenheim im Jahre 1845 und 1851 und im Kartenlesen für Officiere im J. 1869. – Mit der Aufnahme und Darstellung der Oberfläche des Landes verband P. von Anfang an auch das Studium der geognostischen Verhältnisse. Er erwarb sich autodidaktisch die allgemeinen geognostischen Kenntnisse seiner Zeit und trug durch eigene Untersuchungen nicht wenig zur Erweiterung der württembergischen Gesteins- und Bodenkunde bei. Der geognostische Theil von vielen Oberamtsbeschreibungen ist von ihm bearbeitet. Bei der im J. 1863 begonnenen Herausgabe der geognostischen Specialkarte von Württemberg war er als Mitredacteur betheiligt; einige Blätter derselben und deren Begleitworte sind von ihm selbst gefertigt. Die genannten Oberamtsbeschreibungen, deren 26 von 64 (vom Jahre 1850 an) dem Hauptinhalte nach von ihm verfaßt sind, gaben ihm manchfache Gelegenheit, sich auch auf anderen [296] Gebieten der Landeskunde zu erproben. So sind z. B. die darin von ihm gegebenen Landschafts- und Ortslagebeschreibungen, die Schilderungen der Lebensweise und Sitten der Bevölkerung kleine Meisterstücke seiner „schlichten guten Feder“. Auch in dem Werke: Das Königreich Württemberg, eine Beschreibung von Land, Volk und Staat. Herausgegeben vom statistisch-topographischen Bureau, Stuttgart 1863, sind diese Abschnitte von ihm ausgeführt. – Sein Lieblingsfeld aber, dessen Bebauung ihm einen bleibenden wissenschaftlichen Namen sichert, war die Alterthumskunde. Schon als Zögling in Böblingen fing er an, die Spuren, welche die Römer in Straßen und Wohnplätzen auf württembergischem Boden zurückgelassen hatten, aufzusuchen; bald aber ging er auch den Resten der germanischen und vorgermanischen Vorzeit, den Reihengräbern und Grabhügeln nach. Seine kartographischen und geognostischen Berufsarbeiten führten ihn kreuz und quer durch das Land; er benützte diese Reisen und längeren Aufenthalte in den verschiedensten Landestheilen immer zugleich auch für seine archäologischen Forschungen. Im Umgange mit Pauly, Stälin und anderen Archäologen von Fach lernte er von römischer Alterthumskunde so viel zu, als ihm für seine praktischen Bedürfnisse nöthig war; auch mit den früheren Ausgrabungen und Funden, soweit sie litterarisch fixirt waren, machte er sich bekannt. Aber es fiel ihm in seiner klugen Bescheidenheit nie ein, selbst den gelehrten Archäologen spielen zu wollen. Er setzte sich vielmehr als den Praktiker gerne in einen erklärten Gegensatz gegen den Buchgelehrten, übrigens mit so viel gutem Humor und aufrichtiger Achtung vor höheren Kenntnissen, daß ihm niemand darüber gram werden konnte. Sein Hauptbestreben war darauf gerichtet, das Netz der römischen Straßen- und Befestigungslinien, soweit es sich über württembergischen Boden erstreckte, wieder aufzufinden. Von den in älteren Ausgrabungsberichten sicher nachgewiesenen oder von ihm selbst entdeckten Wohnplätzen und Straßenstücken ausgehend, schritt er, wo möglich immer auf neue Funde fußend, langsam und bedächtig vorwärts. Füllte er wol zuweilen auch ein Mittelstück durch Combinationen aus oder machte er einen Schritt ins Ungewisse voraus, so stützte er sich dabei nicht auf historische Hypothesen, sondern auf seine in der Praxis allmählich erworbenen Anschauungen von der römischen Straßenführung, Befestigungweise und Ansiedlungsart. Mit immer schärferem und sicherem Blicke wußte er dieselben auf jedes gegebene Terrain anzuwenden. Konnten seine Vermuthungen durch Grabungen, wozu ihm selten zureichende Mittel zu Gebot standen, nicht sogleich erhärtet werden, so wartete er geduldig Jahre und Jahrzehnte lang, bis zufällige Aufdeckungen oder kleine Schürfungen den nachträglichen Sachbeweis lieferten. Lange Zeit nur für sich sammelnd und aufzeichnend fing er zuerst an, in den württembergischen Jahrbüchern von 1830, 33, 34 Nachrichten über neuentdeckte Alterthümer und Römerstraßen zu veröffentlichen. Der Jahrgang 1835 brachte eine Abhandlung von ihm über den Limes, derselbe Jahrgang und der von 1837 einen Aufsatz über die Peutinger’sche Tafel. Später legte er einzelne Resultate seiner Forschungen auch in den Oberamtsbeschreibungen nieder, erstmals unter seinem Namen in der von Geislingen (1843) und in der Folge hauptsächlich in denjenigen Heften, welche von ihm als Hauptverfasser herausgegeben waren. Die ersten Versuche von größeren Zusammenstellungen machte P. in den Veröffentlichungen des Württembergischen Alterthumsvereins, dessen Hauptgründer und Leiter er war, so in den „Jahresheften“ (I–XII, 1844–1862 in gr. Fol.) und namentlich in dem von ihm fast ganz geschriebenen 1. Bande der „Schriften“ (1850–1868 in gr. 8°), z. B. in Heft 4, 1856: „Die Römerstraßen im Allgemeinen mit besonderer Rücksicht auf das Zehntland, nebst einer Anleitung zur Erforschung der alten Römerwege“ (auch sep.); in Heft 5, 1859: „Der Schönbuch mit seinen Alterthümern“ (auch sep.); [297] in Heft 6, 1863: „Der römische Grenzwall vom Hohenstaufen bis an den Main“ (auch sep.); in Heft 8, 1866: „Erklärung der Peutinger’schen Tafel u. s. w.“ (auch sep.). Trotz dieser Vorarbeiten aber erregte es unter den deutschen Geschichts- und Alterthumsforschern großes Aufsehen, als P. erstmals im J. 1859 über den Gesammterwerb seiner Forschungen öffentliche Rechenschaft ablegte in der: „Generalkarte von Württemberg, 4 Blätter im Maaßstab: 1 : 20 000 (=die Mittnacht’sche Karte.) Mit archäologischer Darstellung der römischen und altgermanischen (keltischen) Ueberreste.“ Eine solche Fülle von römischen Wohnplätzen, ein so reiches Netz von römischen Straßen fand sich hier eingetragen, daß die Sache vielen nicht geheuer scheinen wollte. Erst als P. im J. 1875 und 1876 in den Württembergischen Jahrbüchern mit der Abhandlung: „Die Alterthümer in Württemberg aus der römischen, altgermanischen (keltischen) und alemannischen (fränkischen) Zeit“ (auch sep. 1877) sozusagen den Text und die Belege zu der im J. 1867 zum zweiten und 1876 zum dritten Male aufgelegten und stets bereicherten Karte gab, fand sie allgemeinen Glauben und Württemberg wurde um eine Leistung beneidet, wie sie seine Nachbarstaaten noch heute nicht aufzuweisen haben. Noch in seinem letzten Lebensjahre widerfuhr P. auch die Genugthuung, daß eine von der württembergischen Regierung eingesetzte Commission für die archäologisch-topographische Aufnahme des römischen Grenzwalles von Lorch bis Osterburken, welche er selbst begleitete, die von ihm aufgestellte aber manchfach angezweifelte schnurgerade Linie vollkommen als richtig anerkennen mußte. – Das amtliche Leben von P. hatte seit seinem Eintritte in das statistisch-topographische Bureau einen ungewöhnlich einfachen Verlauf. Erst im J. 1836 erhielt er Staatsdienerrechte und einen festen Gehalt, 1852 den Rang, 1853 auch den Titel eines Finanzassessors, 1862 den Titel und Rang eines Finanzrathes und im J. 1877 bei seiner Pensionierung die Ehrenmitgliedschaft des Bureaus. Aber daß seine Verdienste nicht im Verborgenen geblieben waren, zeigt eine stattliche Anzahl von Medaillen und Orden seiner Landesherren, König Wilhelm und König Karl, ferner von Preußen, Baden und Hohenzollern, eine Reihe von Ehrendiplomen z. B. von dem germanischen Museum in Nürnberg als Mitglied des Gelehrten-Ausschusses, von dem römisch-germanischen Central-Museum in Mainz als auswärtiges Vorstandsmitglied, von dem archäologischen Institut in Rom und verschiedenen deutschen Geschichts- und Alterthumsvereinen, endlich die Ehrendoctorwürde von der philosophischen Facultät der Universität Tübingen, beim Jubiläum von 1877 verliehen. Sein von ihm frühe in alle seine Studien eingeweihter Sohn Eduard P.[WS 4] wurde ihm als Mitarbeiter aus dem statistisch-topographischen Bureau beigegeben, wo er sein Nachfolger geworden ist. Die poetische Ader, welche bekanntlich dem Sohne reichlich verliehen ist, war auch dem Vater nicht ganz versagt. Mit seinen im J. 1858 erstmals, 1861 wiederholt als Sammlung gedruckten „Waldbildern“ hat er seinen Freunden, deren der biedere Mann mit dem sonnigen Gemüthe unter allen Ständen eine große Anzahl besaß, ein köstliches Andenken hinterlassen.

Vergl. den Nekrolog von J. Hartmann in Württ. Jahrbücher f. Statistik und Landeskunde Jg. 1878 I, S. 5 ff. – Den Nachruf von demselben in Württ. Vierteljahrshefte für Landesgeschichte Jg. I, 1878 S. 152 ff. – Herzog, die Vermessung des röm. Grenzwalls in seinem Lauf durch Württemberg etc. in Württ. Vierteljahrshefte f. L. Jg. III. 1880 S. 81 ff. (auch sep.).


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sebst
  2. Franz Jakob (von) Mittnacht (1781–1849), Geodät und Kartograph (Mittnacht’sche Karte), Vater von Hermann von Mittnacht (1825–1909), von 1870 bis 1900 erster Ministerpräsident des Königreichs Württemberg.
  3. Ferdinand (von) Dürrich, Topograph, Autor (mit Wolfgang Menzel) von Die Heidengräber am Lupfen (bei Oberflacht), Arnold, Stuttgart 1847; Terrain-Zeichnungs-Schule in Vorlegeblättern nebst einer Anleitung zum Aufnehmen nach dem Augenmaße. Ebner & Seubert, Stuttgart 1852; Terrainlehre zum Unterricht für Militärzöglinge bearb., Herder, Freiburg i. Br. 1857; Atlas der Schlachten, Treffen und Belagerungen aus der Geschichte der Kriege von 1792 bis 1815, Herder, Freiburg i. Br. 1857.
  4. Eduard Paulus der Jüngere (1837–1907).