ADB:Pape, Heinrich Eduard
[751] Damals aber auch schon muß man an leitender Stelle seinen besonders ausgeprägten Beruf für die Aufgaben der Gesetzgebung erkannt haben: die Betrauung mit solchen setzt nun ein, um ihn in immer wachsendem Umfange in Anspruch zu nehmen.
Pape: Heinrich Eduard P., hervorragender Jurist und Gesetzgeber – Condotor juris Germanici nannte ihn bei seinem Abschiede aus Leipzig die dortige Universität –, ward am 13. September 1816 zu Brilon in Westfalen geboren als Sohn eines tüchtigen praktischen Juristen, des Stadtrichters Caspar Anton Pape. Er legte die dritte Staatsprüfung, nachdem ihm schon in den beiden vorangegangenen Prüfungen das Prädicat „vorzüglich“ zu Theil geworden war, am 28. März 1843 „sehr gut“ ab und wurde in demselben Jahre zum Oberlandesgerichts-Assessor ernannt; er war dann zunächst an verschiedenen Orten als Hülfsrichter thätig. 1849 ward er Abgeordneter in der zweiten Kammer des Landtags. Am 24. Juni 1850 wurde er als Kreisrichter bei dem Kreisgerichte in Stettin angestellt. Bei der Abtheilung dieses Gerichts für See- und Handelssachen wirkte er längere Zeit; er sammelte dort die Kenntnisse und Erfahrungen, die als Keim für sein späteres Wirken bezeichnet werden können. Am 14. Juni 1856 zum Kreisgerichtsrath befördert, wurde er schon am 20. September desselben Jahres als Rath an das damalige Appellationsgericht (Tribunal) zu Königsberg in Preußen berufen.Als zunächst Berathungen über ein gemeinsames deutsches Seerecht stattfanden, wurde er dazu von seiten der preußischen Regierung abgeordnet. Diese Conferenz, die in Hamburg in der Zeit vom 26. April 1858 bis zum 22. August 1860 tagte, bestellte ihn zum Berichterstatter. Seine allseitig anerkannten ausgezeichneten Leistungen dort verschafften ihm schon damals einen nicht geringen Einfluß. Inzwischen am 25. Juli 1859 zum Geheimen Justizrath und vortragenden Rath im Justizministerium ernannt, nahm er als einer der preußischen Bevollmächtigten Theil an den Conferenzen, die am 19. November 1860 zur dritten Lesung des Handelsgesetzbuchs in Nürnberg eröffnet wurden. Im August 1861 wurde er von der juristischen Facultät der Universität Breslau zum Doctor juris honoris causa promovirt. Ihm fielen hauptsächlich die Arbeiten zur Last, die dem Justizministerium zur Einführung des Handelsgesetzbuchs in Preußen oblagen.
Im J. 1861 noch wurde er Mitglied der unter dem Vorsitze des Präsidenten Dr. Bornemann tagenden Commission zur Revision des preußischen Civilproceß- und Strafproceßrechtes. Aus diesen Berathungen ging 1864 der Entwurf einer Proceßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den preußischen Staat hervor.
Im J. 1866 und in der folgenden Zeit war er vorzugsweise mit der Vorbereitung der Gesetze befaßt, die erforderlich erschienen, um auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts den Rechtszustand in den neu hinzugetretenen preußischen Landestheilen einigermaßen mit dem in den alten Landestheilen in Einklang zu bringen. Besonders betheiligt war er bei der Ausarbeitung der Gesetze betreffend das Civilproceßverfahren in jenen Landestheilen (Gesetz vom 24. Juni 1867 und Gesetz, betreffend die Errichtung eines obersten Gerichtshofes vom 27. Juni 1867). Außer an zahlreichen anderen gesetzgeberischen Arbeiten wirkte er mit an dem preußischen Gesetze vom 29. Juni 1865 über die Gerichtsbarkeit der Consuln, einem Gesetze, das durch § 24 des Gesetzes vom 8. November 1867 als für die Bundesconsulate maßgebend erklärt wurde.
Am 2. August 1867 zum Geheimen Oberjustizrath befördert, wurde er gleichzeitig als einer der ersten zum Bevollmächtigten Preußens bei dem Bundesrathe des Norddeutschen Bundes und des Zollvereines ernannt. Bis Ende Juli 1870 wurden ihm die wichtigsten Arbeiten der Justizgesetzgebung und deren Vertretung im Bundesrathe anvertraut. Zugleich war er Mitglied der von dem Bundesrathe zur Ausarbeitung des Entwurfes einer „Proceßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten“ berufenen Commission, deren Berathungen vom 3. Januar 1868 bis zum 20. Juli 1870 dauerten, und zwar als Berichterstatter und Mitglied des Redactionsausschusses. In dieser Commission sind auch die Gesetze über Aufhebung der Schuldhaft und über den Lohnarrest von ihm entworfen, das Gesetz über Gewährung der Rechtshülfe und das Genossenschaftsgesetz theils entworfen, theils überarbeitet worden.
Unter dem 2. Januar 1870 wurde er zum ersten Präsidenten des Bundes-Oberhandelsgerichts und unter dem 11. Juli 1873 zum Präsidenten des mit dem Reichsoberhandelsgerichte verbundenen Disciplinarhofes für die Reichsbeamten ernannt. Schon unter dem 29. November 1873 wurde er Wirklicher Geheimer Rath mit dem Prädicate Excellenz.
[752] Ueber seine Wirksamkeit als Präsident dieses Gerichtshofes haben seiner Zeit und unverändert bis heute Wissenschaft und Praxis einhellig geurtheilt. Inmitten der größten, politischen und juristischen, Schwierigkeiten, galt es, dem einheitlichen Deutschen Recht eine erste feste Stätte zu bereiten, dem Geiste der modernen Handels- und Industrie-Entwicklung gerecht zu werden und so Neu-Deutschland, auch auf diesem Boden und von dieser Seite her, vorzubereiten. Daß diese Aufgabe so voll gelöst worden ist, daß das Reichs-Oberhandelsgericht das höchste Ansehen genossen hat, und daß dessen Entscheidungen die Praxis des neuen deutschen Handelsrechtes zur Befriedigung aller betheiligten Kreise fest und elastisch begründet haben, viele darunter auch noch heute als Vorbild dienen, ist zum nicht geringen Theile das Verdienst seines Präsidenten Pape gewesen.
Am 22. Juni 1874 beschloß der Bundesrath, auf Grundlage des Gesetzes vom 20. December 1873, eine Commission zur Ausarbeitung des Entwurfes eines allgemeinen Deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches einzusetzen. Am 17. September 1874 eröffnete Dr. Pape, der vom Reichskanzler zum Vorsitzenden dieser Commission ernannt war, die Sitzungen der Commission. Schreiber dieser Zeilen war von Anfang an bis einige Zeit nach dem Tode des Dr. P. der Schriftführer dieser Commission. Die Commission, in der das gemeine Recht, das preußische Recht, das sächsische Recht, das württembergische Recht und das sogenannte französische Recht vertreten waren, und zwei Professoren (Windscheid, später Mandry, und Roth) mitwirkten, bestellte zunächst Berichterstatter für den Allgemeinen Theil (Professor Dr. Gebhardt aus Baden), für das Obligationenrecht (Präsident v. Kuebel aus Stuttgart), für das Sachenrecht (Obertribunalsrath Johow), für das Familienrecht (Excellenz Dr. Planck) und für das Erbrecht (Ministerialrath Dr. v. Schmitt). Um diesen Zeit zu lassen zur Ausarbeitung der Vorlagen, trat die Commission in den Jahren 1875 bis 1879 regelmäßig im Herbst auf einige Wochen zusammen zur Berathung der von den Berichterstattern vorgeschlagenen grundlegenden Principien für den Entwurf.
Im Herbst 1879 verlegte Dr. P., der – anscheinend gegen seine Erwartung – nicht zum Präsidenten des neuen Reichsgerichts bestimmt wurde, seinen Wohnsitz nach Berlin. Erst im Herbst 1881 konnte in die Berathung der im wesentlichen fertiggestellten Theilentwürfe eingetreten werden. Diese Beschlußfassungen zogen sich durch eine Reihe von Jahren hin. Während dieser Zeit widmete Dr. P. sich ausschließlich der Herstellung des Entwurfes. Trotz seiner unglaublichen Arbeitskraft und der unermüdlichen Bemühungen zur thunlichsten Förderung der Arbeiten, war es nicht möglich, die erste Lesung des Entwurfes früher als am Ende des Jahres 1887 abzuschließen. Im Beginne des Jahres 1888 konnte die Berathung des Einführungsgesetzes angefangen werden. Im Juli 1888 wurde noch die Berathung der Grundbuchordnung begonnen. Als die Erholungspause während der Sommerzeit gemacht wurde, war zu erwarten, daß auch dieser Entwurf in kurzem fertiggestellt sein werde. In einer am 22. August abgehaltenen Sitzung konnte Dr. P. noch die Hauptfragen, deren Entscheidung in dem Entwurfe eines Gesetzes über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen erfolgen sollte, einer vorläufigen Erörterung unterziehen. Aber als er sich am 5. September 1888 zur Sitzung begeben wollte, wurde er von heftigen Schmerzen befallen. Es zeigte sich eine Unterleibsentzündung, die den anscheinend gekräftigt von einer Erholungsreise Heimgekehrten in kürzester Frist, am 8. September, seiner Thätigkeit und dem Leben entzog. Noch die letzten Gedanken des Sterbenden befaßten sich mit der Commission und der Förderung ihrer Arbeiten.
[753] War doch P. nicht bloß formal der Vorsitzende dieser Commission gewesen, sondern thatsächlich ihr Arbeits-Mittelpunkt, der alle Einzel-Thätigkeit in Fluß und Verbindung erhielt. Unermüdet unterzog er sich der Mühe, die Verhandlungen zu leiten, die Beschlüsse durch einleitende Vorträge vorzubereiten, die Streitfragen mit den geäußerten Bedenken und abweichenden Ansichten auszusondern, das Ergebniß zur Abstimmung zusammenzufassen, und vor allem widersprechende Mehrheitsbeschlüsse so zu verbessern, daß sie als Grundlage dienen konnten. Ganz besonders hervorragend war seine Auffassungsgabe. Ueblich war, daß das einzelne Mitglied sich darauf beschränkte, Vorschläge (ohne Begründung) zu machen, wie die Vorschrift zu fassen sei. Nicht eines einzigen Falles vermag ich mich zu erinnern, in dem er von dem Antragsteller darauf aufmerksam gemacht werden mußte, seine Gründe seien nicht richtig erkannt, während er häufig in dem einleitenden Vortrage bemerken konnte, es sei schwierig, zu erkennen, ob der Antrag nicht noch etwas Anderes bezwecke. Zuweilen unterbrach er die Sitzung, um in seinem Zimmer sich zurecht zu legen, wie scheinbar widersprechende Beschlüsse so zu berichtigen seien, daß sie neben einander bestehen könnten.
Meist noch an dem Sitzungstage entwarf er die Fassung der Vorschrift nach Maßgabe der gefaßten Beschlüsse und versah häufig auch diese Fassung mit Bemerkungen. Dann leitete er die Verhandlung der Redactionscommission, die aus ihm, dem Präsidenten v. Weber, solange dieser schon vor ihm verstorbene vortreffliche Jurist der Commission angehörte, und dem jedesmaligen Berichterstatter bestand, und jede Woche zusammentrat. Nicht minder leitete er die Sitzung der Gesammtcommission, der das Ergebniß dieser Berathung vorgelegt wurde.
Die Kritik des ersten Entwurfes hat vielfach übersehen, daß die Commission nicht den Auftrag hatte, dem Rechte neue Bahnen zu eröffnen, vielmehr der Auftrag nur dahin ertheilt war „unter Berücksichtigung der geltenden Gesetzbücher und der … ausgearbeiteten Gesetzentwürfe das den Gesammtzuständen des Deutschen Reiches entsprechende bürgerliche Recht in einer den Anforderungen der heutigen Wissenschaft gemäßen Form kodifizirend zusammenzufassen“.
Beanstandet wurde ferner die zum Theil künstliche Sprachweise des Entwurfes. Diese ist ja nicht zu leugnen. Allein sie war das Ergebniß des Bestrebens, denselben Gedanken stets in gleicher Weise auszudrücken. Dr. Pape beklagte, daß die Civilproceßordnung vielfach nach seiner Meinung nicht richtig verstanden werde, weil, wenn derselbe Gedanke mitunter in verschiedener Fassung ausgesprochen sei, Wissenschaft und Rechtsprechung daraus hergeleitet hätten, es könne nicht dasselbe gemeint sein. Um dem bei dem neuen Gesetze vorzubeugen, wurde beständig ein Wortregister geführt, mit dessen Hülfe die Redaction dann Wendungen wählen zu müssen glaubte, die gleichmäßig zuverlässig sind, wennschon sie sprachlich als schwerfällig bezeichnet werden.
Leugnen wird Niemand, der den Vollendeten näher gekannt hat, daß er mit großem Wissen und ungewöhnlicher Kenntniß fast aller Lebensverhältnisse eine unbeugsame Unparteilichkeit und humane Anschauungen verband. Ihnen Allen, die mit oder unter ihm zu wirken berufen waren, wird er allezeit ein leuchtendes Vorbild bleiben, dem nachzueifern ist. An sich stellte er allezeit die höchsten Anforderungen, aber freilich auch an die, die unter und neben ihm thätig sein sollten.
Noch seien einige Worte seinem Familienleben gewidmet. Er lebte in überaus glücklicher Ehe. Die körperlichen Leiden, von denen seine Gattin [754] wiederholt auf das schwerste heimgesucht wurde, hatten dies Glück nicht zu mindern vermocht. Zwei Söhne waren ihm in noch jugendlichem Alter entrissen. Die einzige ihm verbliebene Tochter, die er aufrichtig liebte und schätzte, starb nach kurzer glücklicher Ehe im Alter von nur wenig über zwanzig Jahren. Der große Schmerz, an dem er bis ans Lebensende trug, vermochte nicht seine Arbeitslust und seine Arbeitskraft zu mindern.
Sein Dienstjubiläum hatte er am 11. Januar 1887 in aller Stille und Zurückgezogenheit begangen, obschon es an glänzenden Anerkennungen nicht gefehlt hatte.
Die ersten Kritiken des schon gedruckten Entwurfes hat er noch gesehen. Unvergeßlich ist mir die schöne Aeußerung über die verschiedenen Tadelsäußerungen. Die Herrn sollten nicht bloß tadeln, sondern bessere Vorschläge bringen; dann werde sich zeigen, wie leicht es ist zu tadeln, und wie schwer, selbst es besser zu machen. Die Kritik übersehe aber ferner, daß es sich um Beschlüsse von elf Personen handele, nicht um die Arbeit eines Einzelnen. – Diese letzte Bemerkung war um so berechtigter, als natürlich P. keineswegs stets mit seinen Anschauungen im Schoße der Commission durchgedrungen ist; besonders pflegte er zu beklagen, wenn einzelne Mitglieder infolge „zu reicher juristischer Phantasie“, d. h. durch Construction und Berücksichtigung seltener und weit abliegender Fälle, auf die der vorgeschlagene Paragraph nicht passe, eine „Verwässerung“ der betreffenden Vorschrift, namentlich etwa ihre Verallgemeinerung durchsetzten. Gerade für manche nach dieser Seite hin liegenden, oft gerügten Schwächen des großen Werkes wird man also P. am wenigsten verantwortlich machen dürfen.
Dagegen wird man heute, nachdem die Zeit der ersten erregteren Polemik vorüber ist, gewiß als einstimmige Ansicht Aller, die mit dem neuen deutschen Recht eingehender sich zu beschäftigen haben, hinstellen können, daß diesem Recht ein besonders gründlicher und gediegener technisch-juristischer Aufbau eignet und das dieser wieder hauptsächlich das Verdienst des ersten Entwurfes ist. Und da wird gewiß letztlich dann wieder, soweit überhaupt einem einzelnen Mitgliede der Commission ein besonderes Verdienst zukommt, dieses ihrem Vorsitzenden, P., beizulegen sein. Sein Name bleibt mit dem ersten großen Central-Gerichte des neuen Deutschland, dem Reichs-Oberhandelsgericht zu Leipzig, und mit dem deutschen bürgerlichen Gesetzbuch untrennbar verbunden; sein Geist lebt fort, wennschon, einem tiefen Zuge seines ganzen Wesens entsprechend, ohne Hervortreten seiner persönlichen Wirksamkeit, im deutschen Handels- und Privatrecht; sein äußeres Bild wird der Nachwelt erhalten durch ein Denkmal, das dem echt westfälischen Juristen in seiner Heimathstadt Brilon gesetzt und am 13. September 1899 feierlich enthüllt worden ist.
- Artikel in dem Abendblatt der Schlesischen Zeitung vom 13. Septbr. 1888. – Desgl. im Deutschen Reichs- und Preußischen Staats-Anzeiger vom 12. Septbr. 1888. – Bericht über die Denkmals-Enthüllung, darin besonders Rede des Oberlandesgerichtsrathes Im Walle, Brilon 1899.