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Artikel „Otto von Passau“ von Philipp Strauch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 741–744, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Otto_von_Passau&oldid=- (Version vom 9. November 2024, 16:37 Uhr UTC)
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Otto von Passau ist der Verfasser einer in zahlreichen Handschriften und Drucken auf uns gekommenen christlichen Sittenlehre in deutscher Prosa, wie wir solche seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts besitzen, seit der Zeit, als die Wissenschaft auf die weitern Kreise mehr und mehr Rücksicht zu nehmen begann, insbesondere auch darauf, die kirchlichen Lehren dem gebildeten Laienpublicum in zusammenfassender Darstellung zu erschließen und zugänglich zu machen. Ueber das Leben Otto’s wissen wir nur, was er uns selbst in der Vorrede zu den „Vierundzwanzig Alten oder der goldene Thron“ – so benannte er sein Erbauungsbuch unter Zugrundelegung von Apocalypse cap. 4, 1 ff. – über sich sagt. Darnach war er Franciscaner, „weiland“ Lesemeister zu Basel und hat sein Werk, das er „allen Gottesfreunden“ zum Gebrauch bestimmte, am 2. Februar 1386 abgeschlossen. Es ist eine den 24 Alten in den Mund gelegte [742] Sentenzensammlung, zusammengetragen aus der Bibel, namentlich aber aus den Kirchenvätern und den Vertretern der mittelalterlichen Scholastik sowie, jedoch in geringerem Maße, aus den heidnischen Autoren, soweit sie „die heilige christliche Kirche nicht verwirft“. Nicht ohne Selbstbewußtsein und Wohlgefallen an der eigenen Belesenheit zählt O. im Eingang 104 Lehrer und Meister auf, aus denen er das beste und geeignetste aushob, „der Biene gleich, die über viele schöne Blumen dahinfliegt, ihnen den Saft und die edelste Kraft aussaugt und diese in sich zu Honig umwandelt“. Am Schlusse seiner Widmung empfiehlt er sich in das Gebet aller Gottesfreunde, „geistlich und weltlich, edel und unedel, frowen und man oder wer sie seind, die sich der lehr disz buochs gebessern mögen“. Der Verfasser, der in seiner Blumenlese jedem Citat die genaue Quellenangabe beifügt, hat wol versucht, einen systematischen Gang einzuhalten, aber er ist betreffs der Ausführung mit seinem Vorsatz sehr in den Anfängen geblieben. Er verirrt sich in dogmatische Spitzfindigkeiten und schweift auch sonst oft genug ab. Er beginnt seine Ermahnung an die „lieb habende Seele“, die sich im Himmel einen Thron erwerben soll, mit Betrachtungen über das Wesen des Menschen und seines Schöpfers, über ihr gegenseitiges Verhältniß (I. II.), über die verschiedenen Vorbedingungen, die allein zur Vollkommenheit und zum ewigen Leben führen – Reue, Beichte, Buße, die der von Geburt an sündigen Seele in erster Linie Noth tun (III), entbildet werden von der Kreatur (IV), Gewissen, Absicht und Wille (V), wohlgefälliges äußeres und inneres Leben: züchtiger Wandel, Meiden des Müssiggangs, sittiges Benehmen bei Tische, einfache Kleidung (VI), Gedanken, Rede, Träume (VII) – und über das Wesen der Liebe, über die Liebe zu Gott und seinem Nächsten (VIII). Aber alles dies vermag nichts, wenn nicht dem Menschen die göttliche Gnade (IX) und ein reiner christlicher Glaube zu Hilfe kommt (X). Den höchsten Gnadenbeweis hat Christus uns durch das Sacrament des Altars geliefert (XI), einen weiteren Gott dadurch, daß er Maria zu Christi Mutter auserkor (XII). Die beiden letztgenannten Abschnitte sind an Umfang weitaus die größten des ganzen Werkes und treten aus dem Rahmen der Anlage heraus. Das Leben der Maria wird nach verschiedenen Quellen ausführlich wiedererzählt (XII, 2 Berufung auf die alten Historien, XII, 3, 4 auf die Offenbarungen der Elisabeth von Schönau, XII, 5 auf „der Römer Bücher“, und das „Buch von unser Frauen Leben das man heißet Marial“; von letzterem vgl. z. B. die Ausgabe Straßburg 1493). Nach diesen Abschweifungen setzt O. mit dem 13. Altvater eigentlich neu ein: indem dieser Gott preist, daß er die zwölf Vorgänger vermöge seiner ewigen Weisheit die Wahrheit habe reden lassen, stimmt er selbst das Lob der göttlichen Weisheit an. Nirgends aber hat letztere vollkommeneren Ausdruck gefunden als in der heiligen Schrift (XIV) und O. räth daher seinem Leser – er befindet sich hier im Einklang mit andern Gottesfreunden –, daß er die Schrift des alten und neuen Testaments oft, viel und mit Andacht und Ernst lese, „es sei auf deutsch oder latein, so du lateinisch verstehst“, dagegen stellt er diejenigen als abschreckendes Beispiel hin, die sich von der Wahrheit kehren, und volgent falscher ler nach und verkerten sinnen und erdahten meren und gestifter betrogner geschrift die dick und vil mit kätzri und mit zobri und mit betrugnúss und mit karactern des bösen gaistes gehandlet und vermúscht sind und och sagend von helden, von striten, von sponsieren, von liedern, von tihten und von lösbüchlin unde von vil aberglöben und von allen andren wundern die alle sind wider die hailigen geschrift und wider got. Zwei Wege führen zu Gott: das wirkende, übende und das schauende Leben (XV. XVI). Auf die von einigen Auserwählten und Gottesfreunden aufgeworfene Frage, ob das übende Leben besser und nützer sei als das schauende, antwortet er in Uebereinstimmung [743] mit den Lehrern, Niemand gelange zum schauenden Leben, er habe sich denn zuvor in göttlichem Wirken geübt. Die folgenden Abschnitte behandeln in losem Zusammenhange die Themata vom Beten (XVII), von Freundschaft, bei der der Begriff des Gottesfreundes nach Joh. 15,15 erklärt wird, Gehorsam und Demuth (XVIII), vom geistlichen Leben (XIX), von den Tugenden und Untugenden (die sieben Todsünden und ihre Töchter nach Gregor, XX), vom Verdienen des Lohnes, wofür Christus das Vorbild ist (XXI). Die Schlußcapitel XXII–XXIV befassen sich eingehend mit dem Sterben und Leben nach dem Tode. O. von Passau redet die Sprache der deutschen Mystiker, berührt sich mit ihnen aber auch inhaltlich, besonders durch das Betonen des innerlichen Lebens. Wenn er trotzdem keinen deutschen Mystiker citirt, so geschieht dies, wie schon Wackernagel hervorhob, aus keinem andern Grunde als dem, daß O. die Bekanntschaft mit dieser deutsch geschriebenen Litteratur in den Kreisen der Ungelehrten, auf die auch er wirken wollte, voraussetzen durfte. Gegenüber den die gezogenen Grenzen gelegentlich überspringenden Speculationen der Mystiker verhielt sich O., der strengkirchliche, gewiß ablehnend, die mystischen Schriften im allgemeinen brauchten ihm deshalb aber nicht unsympathisch zu sein. Ihr Einfluß auf ihn ist, wie schon bemerkt, nicht zu verkennen. Lebte doch auch O. längere Zeit in Basel, das kurz vorher geradezu Mittelpunkt für den Verkehr der mystischen Gottesfreunde, ein Zufluchtsort des papsttreuen Clerus gewesen war, worüber wir durch die Correspondenz Heinrichs von Nördlingen mit Margaretha Ebner gut orientirt sind. Von dem kühnen Gedankenschwung, der phantasievollen, poetischen Redeweise eines Eckhart, Seuse und Tauler ist auf O. so gut wie nichts übergegangen, er bezeichnet entschieden den Niedergang der deutschen Mystik. Seine Ausdrucksweise, die vor allem verständlich sein will, streift nicht selten an’s Triviale, aber die große Zahl handschriftlicher und gedruckter Exemplare seines Werkes zeigt doch, daß er für das, was er wollte, den richtigen Weg eingeschlagen hatte und so sind die 24 Alten denn auch über die Grenzen des südlichen Deutschlands hinausgekommen und am Niederrhein, in Niederdeutschland wie in den Niederlanden gelesen worden. Die Jesuiten veranstalteten 1568 eine Erneuerung des Werkes und noch 1835 erschien zu Landshut ein modernisirter Druck „Die Krone der Aeltesten“ als 10. Band der „Leitsterne auf der Bahn des Heils“. Aber Otto’s Werk hat auch direct zur Nachahmung angeregt. Joh. Niders (seit 1431 Theilnehmer am Basler Concil, † 1438 s. A. D. B. XXIII, 641) Vierundzwanzig goldene Harfen, die aus einer reichen litterarischen Thätigkeit neben handschriftlich erhaltenen Predigten über die zehn Gebote als des Autors einziges Werk in deutscher Sprache zu nennen sind und schon darin ihre populäre Absicht bekunden (vgl. K. Schieler, Magister J. Nider S. 388 ff.), nehmen die gleiche Bibelstelle zum Ausgangspunkt und zeigen auch sonst in der Anordnung viele Berührungspunkte mit ihrem Vorbilde, dem sie aber an Werth nachstehen. Niders Werk wirkte wieder auf Geilers Alphabet in 23 Predigten. Die Beziehungen zu den deutschen Mystikern könnten bei Nider durch die gelegentlichen Citate aus Seuse (Ausg. Augsburg 1484 Bl. 5a 62, 76a) offenkundiger vorzuliegen scheinen als bei O. von Passau, doch sind Aufbau und Sprache des Nider’schen Werkes nicht derart, daß man ein irgendwie tieferes Eindringen in Seuse, eine nachhaltige Erwärmung durch ihn bei Nider annehmen darf. Die Ansicht, auch auf das Goldene Spiel des Straßburger Dominicaners Meister Ingold (1432) habe Otto’s Werk wesentlichen Einfluß geübt (Ausg. v. E. Schröder S. XXIX), scheint mir, so viel ich sehe, nicht berechtigt, einige wenige Uebereinstimmungen haben in der Benutzung gleicher Quellen ihren Grund. Beiläufig sei erwähnt, daß die Universität Wien am 17. October 1421 eine Sentenz an den Archidiaconus in superiori Stiria gegen die Hyperdulie der 24 Altväter erließ [744] (Clm. 14884 fol. 204–208); auf Otto’s Werk wird in jener epistola übrigens nicht Bezug genommen.

Steinmeyer hat im Anzeiger für deutsches Alterthum 2, 288 allein auf 28 Handschriften resp. Handschriftenfragmente der Vierundzwanzig Alten hingewiesen. Betreffs der Heidelberger Hs. (Cod. Pal. germ. 27) sei bemerkt, daß die Jahreszahl 1418 die Abfassungszeit der Handschrift meint (Wilken S. 319), betreffs der Pommersfelder (Zs. f. deutsches Alterthum 5, 371), daß sie noch dem 14. Jh. angehören soll, während alle andern mir bekannten Handschriften aus dem 15. Jh. stammen. Sodann seien noch erwähnt Hss. zu Dessau (geschrieben für Fürst Jürge von Anhalt, Germ. 24, 122), Gießen (Cod. 813 fol.), Nürnberg (Anz. f. Kunde d. deutschen Vorzeit 1874 Sp. 40. 88, mittelniederdeutsches Fragment), Stuttgart (Kgl. öffentl. Bibl. Cod. theol. et phil. fol. 63 vom Jahre 1477, fol. 103 vom Jahre 1474, fol. 144 vom Jahre 1427; in den drei Handschriften, die mir vorlagen, fehlt die Widmung an den Leser), Zeitz (Bech, Hss. der Dombibl. zu Zeitz Nr. XI), Zürich (Stadtbibl. C. 126 4°, Jahrb. f. Schweiz. Gesch. 1, 5 Note 4; Cantonalbibl. D. LXII). Ueber eine Hs. in Privatbesitz, jülichschen Dialect zeigend, s. Germ. 28, 25. Otto’s von Passau Werk besaß auch Püterich von Reichertshausen in seiner Büchersammlung (Zs. f. deutsches Alterthum 6, 52 Str. 113). Ueber die Drucke, deren ältester datirter (aber wol nicht überhaupt ältester) Augsburg 1480 erschien, vgl. Panzer, Annalen 1. 24. 112. 138. 244. Zusätze S. 5. 108; über niederländische Uebersetzungen, zu Utrecht gedruckt (zuerst 1480) vgl. Ersch u. Gruber 3, 7, 469. – Proben in den verschiedenen Anthologien z. B. Hasak, Der christliche Glaube des deutschen Volkes beim Schlusse des Mittelalters S. 133 ff. 248 ff. – Wackernagels Artikel über Otto von Passau in Herzogs Realencyklopädie für protest. Theologie², Bd. XI, S. 146 ist auch in seine Kleineren Schriften 2, 189 aufgenommen.