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Artikel „Oliver“ von Hermann Hoogeweg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 305–308, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Oliver&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 14:13 Uhr UTC)
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Oliver (Oliverus und Oliverius) von Paderborn. Ein Anhaltspunkt für die Sicherstellung seiner Herkunft, seiner Familie, seines Vaterlandes ist bisher nicht gefunden worden. Der Name Oliver ist nicht häufig in Deutschland, er weist eigentlich nach England; dennoch können wir annehmen, daß O. von Geburt ein Deutscher, specieller ein Westfale ist. Sein Name erscheint zuerst in einer Urkunde des Patroclusstiftes in Soest von 1196 Mai 3, in der O. als Zeuge aufgeführt und Oliverus de Patherburne genannt wird. Bereits 1202 finden wir ihn in Köln als magister und scholasticus majoris ecclesiae und 1203 als major scholasticus in Urkunden bezeichnet. Als solcher gehörte er zu den Canonikern des Stiftes, und wir können hieraus wol einen Schluß auf seine adlige Abstammung machen; seine spätere Wahl zum Bischof von Paderborn spricht für die Zugehörigkeit zu einer westfälischen Adelsfamilie. Mehr läßt sich nicht sagen; die Spielerei mit dem Namen O., wie sie Schaten (Annales Paderb. I, S. 698 in der Ausg. von 1774) macht, ist ebenso zurückzuweisen, wie der Versuch des Gelenius (Vita Engelb. S. 74), aus einem Wappen Olivers Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie zu beweisen. Sicher ist, daß seine Stellung als Scholaster in Köln eine über das Gewöhnliche hinausgehende Begabung und Fülle erworbener Kenntnisse voraussetzt. Sein Vorgänger im Amte, der Scholaster Rudolf, war ein Mann von umfassendem Wissen und weitreichendem Ruhme gewesen, und hatte auch eine Zeit lang in Paris gelehrt. Gewiß nicht zufällig war nach diesem die Wahl auf O. gefallen. Als Scholaster war ihm die Leitung der Domschule unterstellt und als Magister ertheilte er Unterricht in den theologischen Wissenschaften. Doch war er unter Erzbischof Bruno auch politisch thätig und bekleidete die Stellung eines Kanzlers. Wie lange er noch in Köln gewesen, ist nicht sicher. Im J. 1207 finden wir ihn in Paris. Ob er in dieser Metropole der Wissenschaften längere Zeit verweilte oder sich nur vorübergehend dort aufhielt, kann ebenfalls nicht angegeben werden, wahrscheinlich ersteres. Hier erhielt er mit dem Decan und Archidiakon von Paris am 26. März 1207 durch Papst Innocenz III. den Auftrag, einen Streit zwischen dem Reimser Canonicus D. und dem Kloster des heiligen Remigius zu entscheiden (Potthast, Reg. pont. 3063). Mit seinem Aufenthalt in Frankreich verband er zugleich seine Bemühungen, gegen die Albigenser das Kreuz zu predigen. Die Zahl der Deutschen, welche an dem Glaubenskriege gegen diese theilnahmen, war keine kleine, und ist nicht ausgeschlossen, daß rein der Eifer für die heilige Sache unsern O. hierher getrieben. Doch ist sein Wirken gegen die Albigenser ganz dunkel. Wahrscheinlich hat er noch im J. 1207 Paris verlassen und sich nach dem Süden Frankreichs begeben. Am 30. Januar 1208 schrieb derselbe Papst an den Bischof von Genf und den Abt von Bonnevaux in der Diöcese Vienne und forderte sie auf dahin zu wirken, daß der Bischof von Grenoble dem Magister O. die Kirche in Epernay mit ihren Einkünften nicht länger vorenthielte (Potth. 3286). Es läßt sich mit ziemlicher Gewißheit annehmen, daß dieser Magister O. der unsere ist. Sein Aufenthalt hierselbst war aber nur ein kurzer. 1209 bis 1213 finden wir O. wieder im Erzstift Köln politisch und kirchlich thätig, wo er vielleicht besser am Platze erschien als im Auslande. Denn bald traten in Deutschland jene Wirren ein [306] zwischen dem jungen Staufer Friedrich und dem Kaiser Otto, welche besonders das nordwestliche Deutschland in Mitleidenschaft zogen, wo Otto an den Fürsten des Niederrheins eine Hauptstütze hatte. Die Schlacht bei Bouvines entschied zu Gunsten des Staufers. Otto verlor mehr und mehr seinen Anhang; sein kriegerisches Mißgeschick wandte ebenso seine Anhänger von ihm ab, wie der kirchliche Bann, der auf ihm lastete, und die Begeisterung, welche die gerade jetzt wieder von Innocenz III. angeordneten Kreuzpredigten gegen die Sarazenen hervorriefen. Dieser Papst hatte den Plan eines neuen regelrechten Kreuzzuges aufgegriffen und mit der ihm eigenen Thatkraft durchgeführt. Ueberall in den europäischen Kirchenprovinzen trafen die Legaten des päpstlichen Stuhles als Prediger des Kreuzzuges ein, andere wurden durch päpstliche Schreiben dazu ernannt und bestimmten Districten zugetheilt. Die Erzdiöcese Köln war dem Scholaster O. und dem Magister Hermann von Bonn zugefallen (Potth. 4727). O. begann im Frühjahr 1214 seine Thätigkeit. Am 26. Februar ist er in Lüttich und waltete seines Amtes durch Predigen, Sammeln von Geldbeiträgen beim Volke und durch Briefe an die Großen. Zwar fehlte es nicht an Spöttern, die ihm sein Amt erschwerten, aber durch seine hinreißende Beredsamkeit, die oft genug von seinen Zeitgenossen gerühmt wird, hatte er doch den besten Erfolg. Das Wunderzeichen einer Kreuzeserscheinung am Himmel in Suirhuisum und Dokkum in Friesland unterstützte seinen Eifer. In Lüttich, Brabant, Utrecht und Friesland finden wir ihn thätig, und freudig konnte er dem Grafen von Namur und dessen Gemahlin berichten, daß es ihm gelungen sei, 50 000 Friesen, darunter 8000 Knappen und 1000 gepanzerte Ritter, zur Annahme des Kreuzes zu bewegen, und daß allein aus der Kölner Diöcese mehr als 3000 mit Pilgern, Lebensmitteln, Waffen und Kriegsgeräthen beladene Schiffe die Fahrt zum heiligen Lande unternehmen würden. Der Erfolg war enorm, zumal Innocenz gerade an die Bereitwilligkeit der seetüchtigen Stämme appellirt hatte. – 1215 finden wir O. wieder in Lüttich, wo er sich 3 Tage aufhielt und am Sonntag Exaudi (Mai 31) nicht nur ein angesetztes Turnier verhinderte, sondern auch treffliche Gelegenheit fand vor der in Erwartung des Festspiels herbeigeströmten riesigen Menschenmenge für die heilige Sache zu wirken. – Unterdeß hatte aber Innocenz III. das große Lateranconcil nach Rom berufen. Im November 1215 wurde dasselbe eröffnet. Unter den Anwesenden befand sich auch O., der mit dem Erzbischof Engelbert von Köln die Reise dorthin gemacht hatte. Heimgekehrt nahm er die Predigten wieder auf und durchwanderte dieselben Gegenden wie zwei Jahre vorher, brachte Briefe des Papstes mit und unterrichtete die Menschen über die in Rom getroffenen Bestimmungen; von seiner genaueren Thätigkeit fehlen die Nachrichten.

Im Frühjahr 1207 schloß sich O. den Kreuzfahrern des nordwestlichen Deutschland an. Wahrscheinlich nahm er seinen Weg längst des Rheines und der Rhone nach Marseille. Hier schiffte er sich ein und gelangte nach Syrien. Seine weiteren Erlebnisse während des Kreuzzuges des Königs Andreas von Ungarn 1217–18 hat er selbst in den ersten Capiteln seiner Historia Damiatina niedergelegt und es genügt, hierauf zu verweisen. Es muß aber hervorgehoben werden, daß wir von der Wirksamkeit Olivers durch ihn selbst so gut wie nichts erfahren. In bewundernswerther Bescheidenheit verschweigt er seinen Namen und erzählt er nur die Thatsachen, deren Urheber er oft war. So erfahren wir, daß, als der König von Ungarn heimgekehrt und die von O. gewonnenen Schaaren, welche um Spanien herumgesegelt waren, in Akkon eintrafen, es besonders der Bemühung Olivers zugeschrieben werden muß, daß man sich endlich daran machte, das lang geplante Vorhaben auszuführen und nach Aegypten zu gehen, um Damiette zu belagern. Im Mai 1218 setzte man über. Oliver’s Wirksamkeit [307] in Aegypten war eine staunenerregende; trotz der Menge hoher geistlicher und weltlicher Würdenträger erlangte O. doch einen bedeutenden Einfluß auf die Ereignisse dieses Kreuzzuges. Den Weg zum Innern des Landes versperrte ein fester Thurm, der mitten im Nil errichtet war. Nachdem mehrere Versuche der Kreuzfahrer gescheitert waren, wurde auf Vorschlag des O. eine wunderbare Maschine eigener Construction, wie sie O. ersonnen, erbaut; seinen Bemühungen gelang es auch das nöthige Geld zum Bau zusammenzubringen aus freien Beiträgen. Der geniale Plan war vom besten Erfolge gekrönt; am 24. August 1218 wurde der Thurm von den Friesen genommen. Diese zogen dann heim, begleitet von einem Schreiben des O. und des Patriarchen von Jerusalem, in welchem diese ihnen das beste Zeugniß ihrer Aufopferung und Tapferkeit ausstellen und sie vor etwaigen Vorwürfen einer zu schnellen Heimkehr in Schutz nehmen. Nach mannigfachen Mühen und Kämpfen brachten die Pilger am 5. November 1219 Damiette in ihre Gewalt. Die Geschichte lehrt, ein wie trauriges Ende das Unternehmen hatte. Eingeschlossen auf einer Landzunge, welche der Nil durch Spaltung in zwei Arme bildet, blieb den Kreuzfahrern nichts übrig als ihr Leben zu erkaufen gegen die Versicherung, Damiette herauszugeben und Aegypten zu verlassen. Am 6. September 1221 ging Damiette wieder in den Besitz der Sarazenen über. Obwohl die meisten deutschen Pilger längst heimgezogen, so hielt O. doch bis zur Katastrophe aus und war noch bei mehreren wichtigen Geschäften activ betheiligt. Dann nahm er wahrscheinlich seinen Weg nach Akkon. Noch etwa ein Jahr wird er sich dort aufgehalten haben. Er benutzte auch diese Zeit noch, um für seinen Glauben zu wirken. Es sind uns zwei Briefe von ihm erhalten, der eine an den Sultan Al-Kamil von Aegypten, der andere an die Gelehrten des Islam, in denen er sich bemüht, mit der polemischen Gelehrsamkeit seiner Zeit sie von der Verwerflichkeit des muhamedanischen Glaubens zu überzeugen und zur Annahme des Christenthums zu bewegen.

O. scheint, wie viele Andere, noch bis zum September oder October 1222 im heiligen Lande geblieben und dann nach Europa gefahren zu sein, um an dem Hoftag, den Kaiser Friedrich auf den 11. November nach Verona berufen hatte, theilzunehmen. Doch fiel dieser aus und wir verlieren vorläufig die Spur Olivers. Wahrscheinlich wandte er sich gleich nach Deutschland. Unterdeß war aber Friedrich nun auch so weit, daß er seinen Kreuzzug antreten konnte. O. bemühte sich wieder in denselben Gegenden, welche er schon früher durchwandert hatte, Theilnehmer für den Kreuzzug zu gewinnen. Am Mittwoch den 15. Mai 1223 finden wir ihn in Groningen, wo ihm ein feierlicher Empfang bereitet war. Am Freitag darauf ging er nach Bedum und von hier am Sonntag nach Winsum, wo infolge seiner Predigten viele Vornehme das Kreuz nahmen. Er durchreiste dann Fivelgoo und blieb einen Tag in Menterne und zwei Tage im Reyderland, wo er am 1. Juni in Blumhof (Floridus hortus), dem Kloster des Emo, ausruhte. Am folgenden Tage reiste er nach dem Emderland, hielt sich in Uttum auf und ging von hier nach Groothusen in der Absicht, hier Frieden unter dem Volke zu stiften; doch hatte er keinen Erfolg und so kehrte er nach Hunsegoo zurück. Hier blieb er einige Zeit und predigte das Kreuz. Auch setzte er Schiedsrichter ein, um die Zurüstungen zum Kreuzzug besser handhaben zu können und gab ihnen Verhaltungsmaßregeln. Darauf kehrte er nach Köln zurück, wo er mit Konrad, dem päpstlichen Legaten für Deutschland, zusammentraf. Während seiner Abwesenheit schrieb er noch einen Brief an die Bewohner von Friesland, in dem er ihnen meldete, daß Friedrich II. die Sarazenen in Sicilien besiegt, der Landgraf von Thüringen das Kreuz genommen habe und auch die Diöcese Bremen und Köln sich zum Zuge rüsten. Er fordert sie auf, [308] ein Gleiches zu thun. – Am 12. Juli 1223 kehrte er nach Groningen zurück und kam von hier nach Vredewold, Suirhuisum und Dokkum. Hier wurde er feierlich empfangen und mit der Ausgleichung der Fehde zwischen den Rittern Tjaard und Wieger beauftragt. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Boerdiep kehrte er zurück und machte seinen Schiedsspruch bekannt. Doch war Tjaard mit der Entscheidung nicht zufrieden, und als O. durch Boten aufgefordert wurde, noch einmal den Versuch zu machen, die Zwistigkeiten unter dem Volke im Emderland beizulegen und auf dem Wege nach Groningen war, überfiel Tjaard sein Gefolge, tödtete einen und verwundete andere (27. Juli). – In das Jahr 1223 gehört auch noch die Thätigkeit Oliver’s in der Sache gegen den Propst Herderich von Schildwolde, der sich nicht nur weigerte, sein Stift der Paternität eines anderen Prämonstratenserstiftes zu unterwerfen, sondern auch durch seinen Lebenswandel vielfach Anstoß erregte. O. selbst schrieb einen Brief an den Prämonstratenserabt Konrad in dieser Angelegenheit, die bis nach Rom zum Papste ging und nicht ohne Blutvergießen endete. – Nach dem Tode des Bischofs Bernhard III. von Paderborn (28. März 1223) wurde O. zu dessen Nachfolger ausersehen. Indeß gegen ihn entschieden sich einige für Heinrich v. Brakel, den Propst von Busdorf. Die Sache wurde dem Papste zur Entscheidung vorgelegt, und erst am 7. April 1225 wurde O. durch Honorius III. als Bischof von Paderborn bestätigt. Bald darauf wird O. aber das Stift verlassen haben, um sich nach Italien zu begeben. Wahrscheinlich folgte er dem Rufe des Papstes, der ihn zu Höherem bestimmt hatte. Am 28. Juli finden wir ihn bei Friedrich II. in St. Germano, wo seine Belehnung durch den Kaiser erfolgte. Von hier wird er wol bald darauf nach Rom gegangen sein, wo er von Honorius III. zum Cardinalbischof von St. Sabina ernannt wurde. Bereits in der Urkunde des Papstes vom 18. September 1225 (Potth. 7478) hat er sich als solcher unterschrieben, und am 27. September zeigte Honorius der Diöcese Paderborn die Ernennung Olivers an und forderte sie zu einer neuen Wahl auf (Potth. 7486). – O. scheint Italien nicht mehr verlassen zu haben; die letzte Nachricht über ihn gibt uns seine Unterschrift in der Urkunde Gregors IX., gegeben in Anagnia am 29. August 1227. Wahrscheinlich ist er bald darauf seinem thatenreichen Leben entrückt worden.

Außer vereinzelten Briefen besitzen wir von O. als sein Hauptwerk die „Historia Damiatina“, entstanden aus Briefen an das Erzstift Köln (vollständig nur gedruckt bei Eccard, Corp. hist. med. aevi Tom. II, 1397–1450, worin 1439–1449 die Briefe an Al-Kamil und die Schriftgelehrten; eine neue Ausgabe dieses Werkes bereitet vor Reinhold Röhricht im 2. Bande der Quinti belli sacri scriptores minores, Genevae), ferner als Einleitungen zu jenem die „Historia regum terrae sanctae“, gedruckt bei Eccard a. O. 1355–1396 und die „Historia de ortu Jerusalem et eius variis eventibus“, bisher noch ungedruckt.

Junkmann, O. Scholastikus, Bischof von Paderborn etc. in der Katholischen Zeitschrift, Münster 1851, S. 99–129 und 205–230. – Troß in der Westphalia vom 12. Novbr. 1825, Stück 45. – Schaten, Annal. Paderb. I, 698–710. – Dirks, Noord–Nederland en de Kruistogten in De vrije Fries 1839, S. 221 ff. – Wilken, Geschichte der Kreuzzüge, Bd. VI passim. – Zarncke in den Berichten über die Verhandl. d. Kgl. Sächs. Gesellsch. der Wissensch., phil.-hist. Classe 1875, S. 138–148. – Histoire littéraire de la France XVIII, S. 14 ff. – Wybrand in s. Abhandl. über Dial. mirac. des Caesarius Heisterb. in Moll en de Hoop-Scheffer, Studien en Bijdragen II (1871) S. 27 ff.