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Artikel „Obernier, Franz“ von Franz Weinkauff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 24 (1887), S. 103–106, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Obernier,_Franz&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 06:19 Uhr UTC)
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Obernier: Franz O., berühmter Arzt und Universitätsprofessor, geb. zu Bonn am 16. December 1839, † ebendaselbst am 26. October 1882, Sohn des Hauptlehrers an der städtischen Elementarschule, Johann Franz O., verdankte seiner Vaterstadt sowol den ersten Jugendunterricht, als auch die höhere Bildung des Gymnasiums (1849–1858) und der Universität. Student der Medicin seit Herbst 1858 besuchte er mit gewissenhaftestem Fleiß und Eifer acht Semester die Vorlesungen seiner Facultät. Nachdem er den anfänglichen Schauder vor Leichenöffnungen und den ihn krank machenden Eindruck anatomischer Vorlesungen und Demonstrationen durch die Energie seines Willens überwunden, [104] hatte er sich bald durch die offenbare außerordentliche Begabung für den ärztlichen Stand die Bewunderung seiner Lehrer wie seiner Mitstrebenden erworben. Unter Professor Pflüger’s Leitung arbeitete er im J. 1860 fleißig in dessen Laboratorium und löste 1861 die von der medicinischen Facultät gestellte höchst schwierige Preisfrage (Auf Experimente gestützte Untersuchungen der Nerven des Uterus, ihres Verlaufes und ihrer Thätigkeit). Auf Grund dieser als Dissertation benutzten, seinem Lehrer Pflüger gewidmeten Preisschrift: „De nervis uteri“ wurde er am 16. August 1862 zum Doctor medicinae „multa cum laude“ promovirt und nach „vorzüglich gut“ bestandenem Staatsexamen (Winter 1862/63) als „Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer“ approbirt. Vom Mai 1863 bis Ende April 1864 als Assistenzarzt an der großen Provinzial-Irrenheilanstalt zu Siegburg und zugleich als Präsident des dortigen Turnvereins thätig, erhielt er nach Ableistung seiner Militärpflicht, als Einjährig-Freiwilliger im Bonner Königshusaren-Regiment, durch königliche Cabinetsordre im August 1865 den Charakter als „Assistenzarzt“ in Professor Rühle’s medicinischer Klinik zu Bonn, in welcher Stellung er sieben Jahre (1865–1871) verblieb. Inzwischen hatte er sich am 20. April 1866 als Privatdocent habilitirt und war am 10. Februar 1870 zum außerordentlichen Professor ernannt worden. Die Theilnahme am Feldzug 1870 hatte ihm außer der Kriegsdenkmünze und dem Eisernen Kreuz zweiter Classe auch die Ernennung zum „Stabsarzt“ eingebracht; aber die Strapazen des Lazarethdienstes, infolge deren er schwer erkrankte, haben wahrscheinlich auch den Grund gelegt zu seinem nun wiederholt auftretenden Magenleiden, das schließlich sich zum Magenkrebs verschlimmerte. Mit Anfang des Jahres 1872 übernahm er die, mit keinem Gehalt verbundene Stelle eines Hausarztes für innere Medicin (neben dem Chirurgen Professor W. Busch) am St. Johannes-Hospital in Bonn, welche Stelle er bis zu seinem Lebensende versah. Den zweimaligen Anträgen anderer Hochschulen (Göttingen und Jena), eine ordentliche Professur und die Direction der Klinik zu bekleiden, hat er nicht Folge gegeben; er blieb seiner Vaterstadt getreu und hielt unter regster Betheiligung der Studirenden und mit glänzendstem Erfolge seine Vorlesungen über klinische Propädeutik (physikalische und chemische Diagnostik), Laryngoskopie, Elektrotherapie, allgemeine Pathologie, Balneotherapie, daneben klinische Demonstrationen der Kinderkrankheiten, ununterbrochen bis zum Schlusse des Sommersemesters 1882.

Obernier’s akademische Wirksamkeit muß als eine bedeutende und glänzende bezeichnet werden: sein Vortrag war ebenso anregend als gründlich und gediegen, seine Vorlesungen waren stets stark besucht, seine Schüler liebten und verehrten ihn, obwol er hohe Anforderungen an sie stellte; seine mannigfaltigen wissenschaftlichen Arbeiten (s. unten) fanden Beifall und Anerkennung bei den Fachgenossen. Seine ärztliche Praxis begann in der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Als Assistenzarzt in der Klinik und durch seine Armenpraxis wie durch die – reichlich lohnende – Privatpraxis veranlaßt, alle Zweige der medicinischen Wissenschaft zu verfolgen, hatte er sich immermehr durch den wunderbaren und glücklichen Erfolg seiner Kuren (zumal bei Kehlkopfs- und Magenleiden) das Vertrauen vieler Tausende erworben, so daß er seit dem Jahre 1872 als der berühmteste und gesuchteste Arzt gelten konnte für ganz Rheinland und Westfalen, der sogar in ferne Gegenden zu Consultationen berufen wurde. O. besaß schon in der äußern Erscheinung etwas ungemein Einnehmendes: von mittlerer Statur, hatte er einen interessanten Kopf, dunkelblondes üppiges Lockenhaar, große, geistvolle, braune Augen und einen lebhaften Gesichtsausdruck; ein Meister in der Menschenkenntniß wie im sprachlichen Ausdruck wußte er in allen Schichten der Gesellschaft gleich den rechten Ton zu treffen. Sein Benehmen und Sprechen weckte beim Patienten Vertrauen und Offenherzigkeit. Nach genauer sorgfältiger [105] Untersuchung und klaren bestimmten Fragen wußte er mit genialem Scharfsinn die Natur der Krankheit zu erkennen und die wirksamsten Heilmittel und Maßregeln anzuordnen. O. würde bei dieser unausgesetzten, ja von Jahr zu Jahr sich steigernden Thätigkeit in Klinik, Praxis, Vorlesungen und Studien sich schnell verbraucht und aufgerieben haben, wenn ihm nicht als Gegengewicht sein Sinn für Geselligkeit, seine Liebe zur Kunst und ihren Genüssen, und seine Reiselust in den Ferien Ausspannung, Erholung und Neukräftigung gebracht. Seine erste Reise 1867 führte ihn zur Weltausstellung nach Paris; später bereiste er Baiern, Tirol, Oesterreich, die Schweiz, Italien (wiederholt), Südfrankreich; die letzte Reise zog ihn nach Osten: nach Athen, Constantinopel, Brussa. Auf diesen Reisen bot sich dem scharfen Beobachter ein reicher Stoff, seine Kenntnisse über Land und Leute, ihre Cultur und Civilisation zu erweitern; Natur- und Kunstgenüsse konnten ihn bis zum Enthusiasmus, zur Andacht und Schwärmerei begeistern; als ein vortrefflicher Zeichner genoß er mit den kritischen Augen eines Malers die Reize und Schönheiten oder Eigenthümlichkeiten der Gegenden, die Werke der Malerei, Sculptur und Architektur; aber neben Museen, Galerien, Kirchen, Rathhäusern, Theatern und Opern vergaß er nicht auch die Hospitäler und Heilanstalten zu besuchen, um ihre Einrichtungen kennen zu lernen. Seine größte Freude war, seine Kunstsammlungen mehren zu können: Photographien, Stiche in Kupfer, Stahl, Stein von den bedeutendsten Gemälden, Aquarelle, Oelbilder, Sculpturen, Figuren, Büsten, Statuen, Urnen, Vasen, Pokale, Denkmünzen und Antiquitäten aller Art. Er hegte eine leidenschaftliche Liebe zur Musik und zur dramatischen Kunst; er war ein eifriger Besucher des Theaters, insbesondere der Oper, und der Concerte, sowol in der Beethovenhalle zu Bonn, wie im Gürzenichsaal zu Köln. In den letzten Lebensjahren hatte er sich für seine Kunstsammlungen nach eigenen Plänen eine künstlerisch ausgestattete Villa am Rhein erbaut, mit einem wundervollen Ausblick nach dem Siebengebirge und am 11. November 1880 im Kreise lieber Freunde mit Liedern, Festspiel und Festmahl eingeweiht. Als er im Frühjahr 1882 die bedenklichen Symptome seiner Krankheit erkannte, mochte er sich nicht dazu entschließen, seine akademische Thätigkeit einzustellen, um in einem milderen Klima seiner Gesundheit zu leben. Gerade damals betrieb er, besonders durch die Erwägung geleitet, wie der Arzt im spätern Leben oft in trostlose Gegenden verschlagen wird, den Plan, durch Subscription die Erbauung eines eigenen Theaters in Bonn zu ermöglichen, damit der Student der Medicin den nachhaltigen Einfluß der Kunst auf die Phantasie und den Schönheitssinn als Geistes- und Gemüthsnahrung sich ansammle und bewahre. Die Katastrophe des Wiener Ringtheaters hatte ihn, als er schon schwer erkrankt war, noch zu einer Erfindung (vgl. bei Schulte S. 24 die abgedruckte Schrift: „Zur Hygiene der Theater, insbesondere bei Feuerausbruch“) veranlaßt, welche nach seinem Tode im Juli 1883 mit der silbernen Medaille prämiirt wurde. Als er die nahende Auflösung voraussah, faßte er den Plan, „seiner lieben Vaterstadt“ sowol seine Villa mit allen Kunstschätzen zu vermachen als städtisches Museum unter dem Namen „Villa Obernier“, als auch die Summe von 130 000 Mark zum Unterhalt und Weitererwerb. Die Urkunde vom 20. October schließt mit der Hoffnung und Erwartung, daß Mitbürger und Kunstfreunde durch weitere Zuwendungen und Gaben sein Vermächtniß erweitern und vergrößern, und mit dem Wunsche, daß Viele unentgeltlichen Genuß an dem haben, was er durch Fleiß und Liebe zur Kunst gesammelt. Am 3. Mai 1884 war die Eröffnungsfeier im Museum, am Abend folgte eine Gedächtnißfeier in der Beethovenhalle: Professor v. Lasaulx hielt die Weiherede, in welcher nach markiger Charakteristik des Gelehrten und Menschen besonders der edle Bürgersinn des Stifters hervorgehoben wurde; hierauf wurde ein Festconcert von [106] den ersten musikalischen Kräften Bonns und Kölns ausgeführt. In der Mitte des Bildersaals der „Villa Obernier“ sieht die herrliche Marmorbüste des Stifters, ein Werk von dem (in Bonn gebornen) Bildhauer Karl Cauer, ein Geschenk von Landgerichtsrath Arthur Herstatt, dem langjährigen Reisegenossen und treuen Freunde des genialen, der Menschheit und der Wissenschaft zu früh entrissenen Mannes.

Professor Dr. Franz Obernier. Eine Lebensskizze. (M. photogr. Bildniß.) Bonn 1883. (Von Prof. Ritter v. Schulte.) Auf S. 35–36 eine Uebersicht der wissensch. Publicationen. – Bonner Zeitung vom 5. Mai 1884 (Eröffnungsfeier des Städtischen Museums. Gedächtnißrede von Prof. Dr. v. Lasaulx.) – Obernier’s Gedichte, gelegentlich der Feste des ärztl. Vereins (1866–70). Auf vielseitigen Wunsch von Freunden gesammelt. Bonn 1884.