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Artikel „Ruehle, Hugo Ernst Heinrich“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 29 (1889), S. 609–610, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:R%C3%BChle,_Hugo&oldid=- (Version vom 24. November 2024, 04:35 Uhr UTC)
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Ruehle: Hugo Ernst Heinrich R., Arzt und Kliniker, ist am 12. September 1824 zu Liegnitz geboren. Er bezog 1842 zum Studium der Medicin die Berliner Universität, wo er als Genosse und Freund von Traube, Virchow und Reinhardt, zum Theil auch Schüler des Erstgenannten, mit besonderer Vorliebe pathologisch-anatomischen und klinischen Specialstudien sich widmete. Nachdem er 1846 die medicinische Doctorwürde erlangt hatte, setzte er bis zur Absolvirung des Staatsexamens (1848) seine Studien in Berlin fort, machte hierauf eine einjährige wissenschaftliche Reise nach dem Ausland und ließ sich 1849 in Breslau nieder, wo er zunächst als Armenarzt in der Klostervorstadt seine Wirksamkeit begann. Vorher war er während der bekannten oberschlesischen „Hungerpest“–Epidemie so angestrengt thätig gewesen, daß er selbst erkrankte und fast ein Opfer seines Berufes geworden wäre. Im Januar 1851 trat er als Secundärarzt in das Allerheiligenhospital zu Breslau ein und übernahm in dieser Eigenschaft auch 1852, als Frerichs von Kiel nach Breslau berufen worden war, bei Letzterem die klinische Assistentenstelle. 1853 habilitirte er sich als Docent an der dortigen medicinischen Facultät mit einer 30 Seiten langen Abhandlung, betitelt: „Untersuchungen über die Höhlenbildung in tuberculösen Lungen“, wurde 1857 zum außerordentlichen, 1859 zum ordentlichen Professor ernannt, legte die Hospitalarztstelle nieder und übernahm dafür die Direction der Poliklinik an der Universität. Doch folgte er bereits 1860 einem an ihn ergangenen Rufe als Director der medicinischen Klinik nach Greifswald. Hier wirkte er bis 1864, um darauf in gleicher Eigenschaft nach Bonn übersiedeln, wo er zum Geheimen Medicinalrath ernannt wurde und nach 24jähriger segensreicher Thätigkeit als Arzt und akademischer Lehrer an den Folgen einer eitrigen Brustfellentzündung am 11. Juli 1888 starb. – R. war einer der hervorragendsten Lehrer der Bonner Hochschule, um die er sich durch sorgfältige Pflege und Verbesserung des medicinischen Unterrichts mannichfache Verdienste erwarb. Als Vertreter der Ansicht, daß in der Neuzeit ein klinischer Lehrer für den Unterricht in der inneren Medicin nicht mehr genüge, und von der Nothwendigkeit und dem großen Werth genauer Kenntnisse in den Specialfächern für die Aerzte überzeugt, bewirkte er gleich nach der Eröffnung der neuen Bonner medicinischen Klinik die Heranziehung geeigneter Lehrkräfte für die betreffenden Sonderdisciplinen. So ist es lediglich seinen Bemühungen zu verdanken, daß das Ambulatorium für Laryngologie erweitert, die Poliklinik für kranke Kinder einem besonderen Docenten übergeben, das chemische Laboratorium der Klinik dem Lehrer der physikalischen Untersuchungsmethoden übertragen, ein Ambulatorium für Nervenkrankheiten geschaffen und andere wichtige Neuerungen und Verbesserungen eingeführt wurden. – Die Wissenschaft selbst hat R. durch hervorragende und umfassende schriftstellerische Leistungen auf fast allen Gebieten der inneren (klinischen) Medicin erheblich gefördert und bereichert. Außer der oben angeführten Habilitationsschrift heben wir zunächst als größere Arbeiten Ruehle’s hervor: „Ueber den Antheil des Magens beim Mechanismus des Erbrechens“ (im 1. Heft der „Beiträge zur experimentellen Pathologie und Physiologie“, herausgeg. von L. Traube, Berlin 1846); ferner die Monographie: „Die Kehlkopfkrankheiten, klinisch bearbeitet“ (mit 4 Kupfertafeln, Berlin 1861, 290 S.), eine sehr gediegene und dankenswerthe Abhandlung, in welcher die krankhaften Processe im Kehlkopf klinisch bearbeitet und einer ausführlichen Darstellung unterzogen sind. Das Werk enthält nicht nur eine Fülle eigener Beobachtungen und die Resultate vieljähriger Studien, sondern zeichnet sich auch durch sachverständige kritische Berücksichtigung fremder Leistungen und ausgedehnte, lehrreiche litterarische Angaben aus. Für die Zeit, zu der sie erschien, war die Arbeit, die übrigens einer [610] überaus kurzen, bündigen, leicht faßlichen Schreibweise bei Vermeidung eines weitschweifigen und phrasenhaften Stils sich erfreut, deshalb so besonders verdienstvoll, weil das Gebiet der Kehlkopfkrankheiten in den damaligen Lehrbüchern der speciellen Pathologie nur sehr stiefmütterlich behandelt wurde. Freilich ist zu bemerken, daß das Werk noch aus der vorlaryngoscopischen Zeit stammt. Weitere Arbeiten Ruehle’s sind nach einer chronologisch geordneten Zusammenstellung: „Drei Fälle halbseitiger Lähmung verursacht durch Verstopfung einer Gehirnarterie“ (Virchow’s Archiv für pathol. Anat. V, 1852); „Mittheilungen von der Abtheilung für acute innere Krankheiten des Hospitals Allerheiligen zu Breslau“ (Günsburg’s Zeitschr. III, 1853); „Typhus und Bluterkrankung“ (Ebendas.); „Fälle von Cholämie“ (Ebendas. IV); „Ueber Rückenmarksblutung“ (Bericht aus Frerichs’ Klinik, Wiener med. Wochenschr. 1855); „Fälle von Pyelitis“ (Ebendas.); „Ueber Diabetes“ (Ebendas.); „Ueber Krankheiten der Leber“ (Deutsche Klinik 1855); „Ueber Gehirnkrankheiten“ (Greifswalder med. Beiträge, herausgegeb. von Ziemßen, Bd. II, Heft 1. 1863); „Ueber Tabes dorusalis“ (Ebendas.); „Zwei Fälle von Gliom des Hirns“ (Berl. klin. Wochenschrift 1867): „Ueber Wechselfieber in Bonn“ (Ebendas. 1868); „Ueber Pharynxkrankheiten“ (Sammlung klin. Vortr., herausgegeb. von Volkmann, Nr. 6 1870); „Ueber den gegenwärtigen Stand der Tuberculosenfrage“ (Ebendas., Nr. 30); „Ueber den Einfluß somatischer Krankheiten auf die psychischen“ (Allg. Zritschr. f. Psychiatr. 1872); „Tuberculose“ (im V. Bande des großen v. Ziemßen’schen Handbuches der speciellen Pathol. und Therapie: Handbuch der Respirationskrankheiten, Leipzig 1875); „Was kann die öffentliche Gesundheitspflege zur Bekämpfung der Lungenschwindsucht thun?“ (Vortr. g. in der General-Vers. des Niederrh. Vereins f. ö. Gesundheitspfl. zu Düsseldorf am 14. Nov. 1874, vergl. Corresp. Bl. des gen. Vereins 1875); „Bemerkungen über Diagnose, Verlauf und Behandlung des Magenkrebs“ (Deutsche med. Wochenschr. 1877); „Ueber essentielle Anämien“ (ib. 1878); „Zur Diagnose der Myocarditis“ (Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1878. XXII) u. s. w. u. s. w. – R. war bis an sein Lebensende permanent wissenschaftlich thätig. Mit erstaunlicher Elasticität des Geistes nahm er auf Congressen und in der Litteratur noch in der jüngsten Zeit an allen Discussionen über die schwierigsten Probleme seines Gebiets ganz im Sinne modernster Anschauung lebhaften Antheil. Die Verehrung seiner Fachgenossen und Schüler genoß er in hohem Maße. Er zeichnete sich als Mensch durch große Herzensgüte, fröhliches Temperament, liebenswürdiges Entgegenkommen gegen jüngere Collegen und Untergebene, auch gegen niedriger stehende Personen aus. Er war ein sehr pflichttreuer, gesuchter und bei Patienten aus allen Ständen beliebter Arzt. Für seine Tüchtigkeit und Vertrauenswürdigkeit spricht besonders der Umstand, daß Frerichs während einer schweren Erkrankung, die ihn im ersten Jahre seiner Breslauer Thätigkeit befiel, sich von keinem anderen behandeln lassen wollte als von R. – Verheirathet war R. in 32jähriger, sehr glücklicher Ehe mit der Schwester eines Patienten aus seiner ersten Breslauer Wirksamkeit, der Tochter eines friesischen Arztes.

Vergl. Leyden in Zeitschr. f. klin. Med. 1888 XV, Heft 1 u. 2, S. 1 bis 3. – Rumpf in Deutsch. med. Wochenschr. 1888 XIV, Nr. 30, S. 626. – Schultze-Bonn, Gedächtnißrede etc. gehalten auf dem 8. Congreß für innere Medicin zu Wiesbaden 15. April 1889. – Biogr. Lexikon hervorragender Aerzte etc., herausgegeb. von A. Hirsch V, 114.