ADB:Niese, Karl Eduard senior

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Artikel „Niese, Karl Eduard sen.“ von Paul Mitzschke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 629–631, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niese,_Karl_Eduard_senior&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 15:38 Uhr UTC)
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Niese: Karl Eduard N. sen., evangelischer Theolog, geboren am 21. October 1804 in Torgau, † am 14. October 1882 in Bahrendorf bei Magdeburg. Seine Schulbildung empfing N. seit 1818 auf dem Lyceum zu Wittenberg, seit 1820 auf dem Gymnasium zu Erfurt, wohin er dem dorthin versetzten Professor Frz. Spitzner nachzog. In Erfurt schloß er mit seinem [630] Mitschüler Fr. Ritschl, dem nachmaligen princeps philologorum, enge Freundschaft, die lebenslang von Bestand blieb. Ausgerüstet mit gründlichen classischen Kenntnissen, die ihn z. B. noch in hohem Alter zum Abfassen tadelloser lateinischer Oden und Elegieen befähigten, besuchte er 1823–1826 die Universität Leipzig, um Jura zu studiren. In dieser Zeit des Jugenddranges, in der er auch Philosophie und Philologie tractirte, schrieb N. ein handschriftlich erhaltenes Drama „Die Akademiker“. Nach Berlin übergesiedelt, wo er mit dem Philosophen und Aesthetiker H. Ulrici eine zweite Lebensfreundschaft anknüpfte, wandte er sich, angezogen von Neander, Schleiermacher und besonders Hegel, der Theologie zu, legte 1831 dort die erste, und, nach abermaligem Besuch der Leipziger Universität, 1832 in Magdeburg die zweite theologische Prüfung ab, worauf er unmittelbar zum dritten Diakonus der Stadtkirche seiner Heimath Torgau berufen ward. Im J. 1839 ernannte ihn das Ministerium zum ersten Prediger, geistlichen Inspector und Professor an der Landesschule Pforta. Bei sehr zarter Constitution war N. eine edle, milde, von johanneischem Geiste beseelte Natur, gemüthvoll und treu, von lebhaftem und beweglichem Geist, anregend und dialektisch gewandt, gewissenhaft und von unermüdlichem Fleiß. Mehr als durch Predigt und Unterricht wirkte er in Pforta durch seine cura animarum und das väterlich-wohlwollende Verhalten gegenüber den Zöglingen. So erwarb er sich die Achtung und Liebe seiner Collegen, das Zutrauen und die Verehrung der Schüler, die ihm den Beinamen „Vater Niese“ gaben und ihm nachrühmten, daß er Vergehungen niemals vor die Lehrerconferenz gezogen, sondern stets unter vier Augen abgemacht habe. Um bessere geistliche Versorgung der wachsenden Gemeinde Kösen, die nach Pforta eingepfarrt war, bemühte sich N. mit dem Erfolg, daß ein eigner Geistlicher für Kösen angestellt und der Ort 1867 bald nach seinem Weggang zur eignen Parochie erhoben wurde. In der freigemeindlichen Bewegung nahm er 1845 Stellung gegen Wislicenus durch die Broschüre „Ob Schrift? Ob Geist?“ Für die Sache des Gustav-Adolf-Vereins trat N. durch Wort, Schrift und That bis an sein Lebensende auf das wärmste ein: er bereiste die böhmische Diaspora, gründete die Gustav-Adolf-Frauenvereine zu Torgau und Naumburg a. S., schrieb für den „Boten des Gustav-Adolf-Vereins aus Thüringen“ zahlreiche Aufsätze über Vorreformatoren, Reformatoren, evangelische Märtyrer, kirchengeschichtliche Ereignisse u. dgl., die zum Theil auch in Sonderdruck herauskamen, und veranlaßte seine herangewachsenen Kinder zu schriftstellerischen Arbeiten auf dem gleichen Gebiete. An dem wissenschaftlichen Leben in Pforta und an den Bestrebungen des litterarischen Vereines zu Naumburg a. S. nahm er regen Antheil und ließ bei seiner poetischen Begabung zu festlichen Gelegenheiten gern ernste oder schalkhafte Gedichte vom Stapel. Beim 300jährigen Jubelfeste der Landesschule (1843) schrieb N. in das Collectivprogramm eine „Aussicht auf Pforta“ und ließ mit seinem Collegen Bittcher „Abendgebet und Predigt“ der Feier im Druck erscheinen. Zwei andere Programmabhandlungen von N. beschäftigen sich mit dem Evangelisten Johannes, dem er sich geistig so verwandt fühlte und in dessen Ideenwelt er sich gern versenkte: „Die Grundgedanken des Johanneischen Evangeliums“ (1850) und „Die Johanneische Psychologie“ (1865); und noch wenige Jahre vor seinem Tode kehrte er zu diesem Lieblingsgegenstande seiner Studien zurück in einem populär geschriebenen „Leben des heiligen Johannes“ (1878), das sich freilich über die Grundlagen der historischen Kritik hinwegsetzte und den Beifall der Wissenschaft nicht erlangen konnte. Als Früchte seiner pädagogischen Erfahrungen veröffentlichte N. 1855 ein Buch „Das christliche Gymnasium“ und 1857 anonym ein „Liederbuch für [631] deutsche Gymnasien“, das mit seinen 400 verschiedenartigen Liedern hauptsächlich unter den Gymnasiasten von Pforta Verbreitung fand. Im J. 1864 feierte er das Fest seiner 25jährigen Thätigkeit in Pforta. Anfang 1866 ward er auf die Pfarrstelle Bahrendorf bei Magdeburg versetzt, wo es ihm, wenn auch unter allmählicher Erlahmung, vergönnt war, weitere 16 Jahre zu wirken und zuletzt noch zwei seltene Feiern in Heiterkeit zu begehen: am 7. Juni 1882 sein 50jähriges Dienstjubiläum und am 17. Juli desselben Jahres im fast vollzählig versammelten Kreise seiner zahlreichen Familie die goldene Hochzeit. Die Gemeinde Bahrendorf übergab ihm dabei ein gesammeltes Capital als „Niesestiftung“ mit der Bestimmung, daß der Zinsertrag den Ortsarmen zu gute kommen und dadurch sein Name dauernd in gesegnetem Andenken bleiben solle. Sein Wunsch, noch einige Jahre des Ruhestands zu genießen, ging nicht in Erfüllung. Kurz vor der erbetnen Pensionirung nahm ihn ein Schlagfluß am 14. October 1882 ohne vorgängige Krankheit dahin. Die Kreissynode und Geistlichkeit des Bezirks bezeichneten ihn in ihrem Nachruf als eine „anima candida, ein durch wissenschaftliche Bildung, glaubenstreue Herzenswärme und stets gleichbleibende collegialische Liebenswürdigkeit und Aufrichtigkeit ausgezeichnetes Mitglied“ ihres Kirchenkreises.

Stammtafeln der Familie Niese aus Torgau (1893). – Kirchner, Die Landesschule Pforta in ihrer geschichtlichen Entwicklung, S. 145. – Programme der Landesschule Pforta, 1839 S. XII; 1864 S. XI; 1866 S. XI. – C. Steinhart, Niso carissimo gratulatur etc. (1864). – H. Jacoby in den „Grenzboten“ 1878, I, S. 336 f. – Ecce der Landesschule Pforta 1882, S. 29–32 und 1903, S. 6. – Bote des Gustav-Adolf-Vereins aus Thüringen 1882 Nr. 11, S. 89–90 und 1904 Nr. 1, S. 1–3. – K. Plath, Die goldene Hochzeit, in der „Kleinen Biene auf dem Missionsfeld“ 1882 Nr. 11 S. 147–150. – B. Rogge, Pförtnerleben, S. 47, 63, 119. – P. Deußen, Erinnerungen an Fr. Nietzsche, S. 20. – O. Ribbeck, Fr. Wilh. Ritschl I, S. 12, 26, 49, 76, 95, 132; II, S. 390, 461 f., 467. – Album des litterarischen Vereins in Naumburg a. S. 1846 S. 33, 37; 1871 S. 24, 28, 43, 58, 59, 62. – Chr. Johnen, Festbuch zur 100jährigen Jubelfeier der deutschen Kurzschrift (1896), S. 42. – G. Plath, Karl Plath, ein Lebensbild (1904), S. 48 f., 56 f., 84, 86.