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Artikel „Neumann, Balthasar“ von Otto Albert Weigmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 668–679, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Neumann,_Balthasar&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 16:31 Uhr UTC)
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Neumann *): Balthasar N., Artillerie- und Ingenieur-Obrist des fränkischen Kreises, fürstlich Bambergischer und Würzburger Oberarchitekt und Baudirector, geboren zu Eger 1687, † zu Würzburg am 18. August 1753.

Ueber seine Herkunft und die ersten drei Jahrzehnte seines Lebens sind die Nachrichten unsicher und spärlich. Es heißt, daß sein Vater, der Kaufmann Johann Christian Neumann zu Eger, ihn die Stück- und Glockengießerei erlernen ließ, und das der junge Geselle auf der Wanderschaft zu Anfang des 18. Jahrhunderts nach Würzburg kam, wo er neben seiner Arbeit in der Werkstatt des Glockengießers Sebald Kopp bei den Büchsenmeistern die „Ernst- und Lustfeuerwerkerey“ erlernte. Der Lehrbrief ist von 1711 datirt. 1712 trat er als Gemeiner bei der fränkischen Kreisartillerie ein, in deren Reihen er den Feldzug gegen die Türken (1716–18) bereits als Officier mitmachte. Die dürftigen Berichte der Biographen von „Feldzügen nach Ungarn und Gegenwart bei berühmten Belagerungen, geführt von großen Kriegshelden“ [669] können wol nur auf seine Theilnahme an der Schlacht bei Peterwardein und der Eroberung von Temesvar (1716) sowie an der Einnahme von Belgrad (1717) unter Prinz Eugen bezogen werden. 1718 wieder nach Würzburg zurückgekehrt, bekleidet er schon Ende 1719 den Rang eines Hauptmanns; auch seine weitere militärische Laufbahn ist eine für damalige Verhältnisse glänzende gewesen: 1724 zum Major befördert, avancirt er nach fünf Jahren zum Obristlieutenant und im October 1741 hat er als Obrist die höchste Charge seiner Waffengattung erreicht.

Auf militärischem Gebiete liegt seine Bedeutung hauptsächlich in seiner fortifikatorischen Thätigkeit. Schon als Hauptmann hatte er im Gebiete des Würzburger Fürstbischofs die Neubefestigung von Königshofen (von 1720 an) und Würzburg (von 1723 an) anzulegen. Der Kurfürst von Trier läßt nach Neumann’s Plänen die starken, in ihrer Zeit uneinnehmbaren Festungswerke von Koblenz und Ehrenbreitstein (von 1733 an) ausführen und die Festung Thrarbach a. d. Mosel in „Defensionsstand stellen“ (1733); und im Bisthum Bamberg wird ihm die Erweiterung der Befestigungen von Kronach und Forchheim (ab 1741) übertragen. Welche Stellung ihm in der Geschichte des Heereswesens gebührt, ist noch nicht genügend erforscht. Als Oberstcommandirender der Artillerie – dieses Amt entspricht ungefähr unsern heutigen Inspectionen der Ingenieurcorps und der Festungen – hatte er darüber zu wachen, daß die fränkischen Festungen stets mit Geschützen und Munition in erforderlicher Menge und Brauchbarkeit ausgerüstet waren. Er hatte auf fürstlichen Befehl die Zeughäuser der Artillerie zu visitiren und die Anfertigung neuer Geschütze zu leiten; auch die Verbesserung der Infanterieschußwaffen unterstand seiner Aufsicht. Daß er auch die Ausbildung der Artillerie- und Ingenieurtruppen im activen Dienst zu überwachen hatte, ist von seinen Biographen zwar nicht erwähnt, doch wol als selbstverständlich anzunehmen.

Diese umfassende Bethätigung als Officier, sonst wol genügend das ganze Leben eines Mannes auszufüllen, tritt bei N. vollständig zurück hinter einer staunenswerthen Arbeitsleistung als Architekt, die ihn für die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zum anerkannt führenden Künstler nicht allein in Würzburg, sondern weit über die Grenzen der fränkischen Bisthümer hinaus gemacht hat. Es erscheint heute ganz unbegreiflich, wie der junge Artillerist neben seinen Dienstverpflichtungen die Zeit fand, sich mit den theoretischen Gesetzen der Baukunst von Grund auf vertraut zu machen und auch ihre künstlerische Seite in entsprechender Weise auszubilden. Als sein Lehrmeister wird ein als Architekt kaum bekannter Hauptmann Müller genannt. Mehr Einfluß hat wol die damals noch das Würzburger Bauwesen beherrschende italienische Architektur eines Petrini († 1701)[WS 1] und Pezzani († 1719)[WS 2] auf den jungen Baubeflissenen ausgeübt. Wenn neuerdings die Abhängigkeit Neumann’s von den Wiener Meistern Fischer v. Erlach und Lucas v. Hildebrand[WS 3] betont wird, so muß dem gegenüber darauf hingewiesen werden, daß er in seinem ersten selbständigen Bau aus dem Jahre 1716, der Abtei im Kloster Ebrach, ganz unter der Einwirkung des Bamberger Hofbaumeisters Johann Dienzenhofer († 1726)[WS 4] steht, dessen Pommersfeldener Schloßbau (1711–16) als vorbildliche Leistung galt. Es ist noch in keiner Weise aufgeklärt, wie es kam, daß damals der noch unerprobte junge Baumeister vom reichen Kloster Ebrach den Auftrag erhielt, die Pläne für einen neuen Abteibau zu entwerfen. Die monotone Fassade des 1687–98 von Leonhard Dienzenhofer[WS 5] errichteten Conventgebäudes sollte durch einen mächtigen Mittelbau mit Prunkstiegenhaus durchbrochen werden, die bestehenden Trakte nach der Westseite [670] eine prächtige Schauseite mit vorliegender Terrasse und zwei abschließenden stattlichen Eckpavillons erhalten. Wenn auch N. selbst an der Ausführung dieser Pläne, deren Originale noch erhalten sind, durch den Ausbruch des Türkenkrieges verhindert wurde, so war doch sein Name als Architekt durch diesen Bau begründet; und es ist erklärlich, daß man ihn alsbald nach seiner Rückkehr im J. 1718 auch zu allen maßgebenden Aufgaben heranzog. Sein erstes Werk in Würzburg ist der „rothe Bau des Bürgerspitals“, ein Nutzbau, der in den Formen der italienischen Spätrenaissance gehalten, sich nach dem Hof in einer Arkadenhalle öffnet. Inwieweit N. bei Vollendung des von Pezzani († 1719) begonnenen Umbaus des Neumünsters betheiligt war – es wird ihm die Kuppel zugeschrieben – ist nicht des Näheren bekannt; ebensowenig sein Antheil am Ausbau der Peterskirche, die von Greising († 1722)[WS 6] begonnen worden war, dem Bauunternehmer, der Neumann’s Pläne für Kloster Ebrach auszuführen hatte. Beim Rückermaingebäude, einem mit reicher Fassade geschmückten Würzburger Privathause, wird sein Name mit Unrecht genannt.

Man darf wol annehmen, daß das Aufsehen, welches die entstehenden Prachtbauten im Kloster Ebrach hervorriefen, die Aufmerksamkeit des (1719) neu erwählten Würzburger Fürstbischofs Johann Philipp v. Schönborn auf ihren Schöpfer hinlenkte. Denn als dieser Fürst, dem Beispiel folgend, das ihm sein Oheim, der Kurfürst Lothar Franz v. Schönborn, im Bamberger Sprengel durch seine Bauten gegeben hatte, den Plan zum Neubau einer bischöflichen Residenz in Würzburg faßte, betraute er (1719) gleichfalls den jungen Hauptmann Neumann mit der Durchführung seiner hochstrebenden Pläne. Die Bevorzugung des jüngeren Architekten gegenüber dem erfahrenen Bamberger Hofbaumeister Johann Dienzenhofer ist für die Entwicklung des Würzburger Bauwesens von höchster Bedeutung geworden. Der alternde Dienzenhofer hatte mit dem Pommersfeldener Bau den Höhepunkt seiner Schaffenskraft erreicht. Dem Zuge der Zeit folgend, suchte der Würzburger Bischof die Bamberger Bauten an Pracht und Größe noch zu übertreffen; und deshalb berief er einen jüngeren Architekten, dessen Ausbildung er durch Entsendung auf Studienreisen noch zu fördern gedachte. Aber noch bevor N. die geplanten Studien in Paris begann, entwarf er mit der dem echten Genie eignen Sicherheit die Pläne zu seinem Meisterwerke, das mit vollem Rechte als „eines der größten architektonischen Kunstwerke Deutschlands“ gepriesen wird (Dehio). Wenn dann auch der Fürstbischof die Pläne zur Begutachtung nach Mainz und Wien sandte, so geschah dies mehr, um sich des Beifalls seiner kunstverständigen Verwandten, des Kurfürsten Lothar Franz v. Schönborn und seines Bruders, des Reichsvicekanzlers Friedrich Karl v. Schönborn, zu versichern als um Verbesserungsvorschläge entgegenzunehmen. Auch die Beiziehung der tonangebenden Pariser Architekten, Robert de Cotte[WS 7] und Germain Boffrand[WS 8], denen N. auf seiner Reise nach Frankreich im J. 1723 die Pläne vorlegte, konnte das Werk nicht fördern; im Gegentheil, einem wenig ehrlichen, von Mißgunst eingegebenen Rathe Boffrand’s ist die von N. geplante doppelseitige Treppenanlage zum Opfer gefallen, die bei ihrer Ausführung das großartigste und kühnste Treppenhaus der Welt geworden wäre. Seinen Aufenthalt in Paris benutzt N. zu gründlichen Studien an vorhandenen Bauwerken. Nicht sowol der Außenarchitektur, als insbesondere der Innenausstattung lenkt er seine Aufmerksamkeit zu. In vielen Aufnahmen zeigt er, daß er „den hiesigen gout wohl observieret“; für allerlei Geräthschaften sammelt er Modelle und Muster und studirt mit Eifer die Wasserkünste des Schlosses Marly.

[671] Zu den berühmten Wiener Architekten Hildebrand und Fischer v. Erlach d. J. – der ältere Fischer war schon 1723[WS 9] gestorben – trat N. erst in Beziehung, als Friedrich Karl v. Schönborn (1729) den bischöflichen Thron bestiegen hatte. Bald nach seinem Regierungsantritt sandte der Fürst seinen Baumeister nach Wien, „um sich zum Besten beider Hochstifter in Bausachen zu qualifizieren“; auf dem Rückwege besuchte N. damals auch die Schlösser in Nymphenburg und Schleißheim. Gegenüber den Bedenken Hildebrand’s, der auch den abgeänderten Treppenhausentwurf noch für zu gewagt hielt, bedurfte es der ganzen Energie Neumann’s, um sein Project zur Ausführung zu bringen. Nur die verschieden gestalteten Fenster der Seitenflügel gegen den Ehrenhof zu sollen nach Hildebrand’s Vorschlägen umgeändert worden sein. Wenn somit N. diesem Meister zu seinem Leidwesen vom Fürstbischof anfänglich in gewissem Sinne künstlerisch untergeordnet war, so stand er mit Johann Dienzenhofer mehr auf dem Fuße gleichgestellter Collegialität. Die Ueberlegenheit, die dem älteren Meister eine reichere Erfahrung gab, wurde durch Neumann’s freiere künstlerische Veranlagung, mit der er alle fremden Anregungen in genialer Selbständigkeit zu verarbeiten wußte, reichlich aufgewogen. Schon 1721 wird N. neben Dienzenhofer in einer Sitzung des Würzburger Rathes als Sachverständiger bei Berathung einer Bauordnung vernommen. Auch zu dem Leiter des Mainzer Bauwesens General v. Welsch († 1729)[WS 10] stand N. in freundlichen Beziehungen; der strengere Stil des kurmainzer Hofarchitekten vermochte jedoch keinen Einfluß auf den jüngeren Meister auszuüben, wie ja auch sein Project für die Ausgestaltung der Hofkirche in der Würzburger Residenz ohne Berücksichtigung blieb.

So ist der Bau der Residenz, wie er heute steht, das alleinige geistige Eigenthum des genialen Würzburger Architekten. Die Veränderungen, die die ursprüngliche Grundrißanlage durch fremde Einreden erlitt – auch die Schloßkirche wurde nicht an dem von N. projectirten Platze (im ovalen Pavillon des rechten Flügels) aufgeführt – gereichen dem Werke nicht zum Vortheil. Dem Urtheil der zeitgenössischen Pariser Architekten: „es sei viel auf Italienisch Manier und etwass teutsches dabey“, können wir heute nur noch bedingt beistimmen. Wir wissen, daß N. Italien nie bereist hat; er kannte die italienische Palastarchitektur nur in der Fortbildung, die sie in Wien gefunden hatte. Der Stil seines Werkes erscheint uns vielmehr als „ein persönlicher auf Grund der internationalen Barocküberlieferung“ (Dehio). Der Bau, der den Meister während seines ganzen Lebens beschäftigte, gibt zugleich das Bild seiner künstlerischen Entwicklung. Als Architekt in modernem Sinne liefert N. nicht nur den Rohbau, sondern arbeitet das Ganze bis ins kleinste Detail einheitlich aus. Gerade in der Innendecoration ist seine allmähliche Stilwandlung am klarsten zu erkennen. In ihrem äußeren Gewande wahrt die Residenz den Charakter seiner Anfangswerke, die im Gefolge der Wiener Barockkunst auf klare, kräftige Massengliederung und strenge Durchbildung des structiven Details bei maßvoller Verwendung der reinen Schmuckmotive Gewicht legen. Die jenem Stile entsprechende Stuckdecoration der Innenräume des rechten Flügels (vollendet 1737) wurde bei den Umbauten zu Beginn des 19. Jahrhunderts zerstört; in ihrem Verzierungssystem hat, nach den wenigen Resten zu schließen, das dünnrankige Bandwerk mit Glockenblumenkette und Palmette vorgeherrscht. Demgegenüber macht sich in den folgenden Gemächern, im Spiegelzimmer und Thronsaal, die Einwirkung der französischen Decorationsmotive in einer zarteren Gestaltung des Reliefs und in graziöserer, schwungvollerer Behandlung des Bandwerks geltend, das bereits das Muschelmotiv zu verwenden beginnt. Mehr und mehr überwuchert in der [672] Salle des Gardes das Rocaillenmotiv des Rococo, bis endlich in den anstoßenden Zimmern auch die letzten barocken Reminiscenzen schwinden und Muschelwerk ohne structive Gebundenheit, mit fremden Zuthaten durchsetzt, sich über die zu verzierenden Flächen hinrankt. – Bei Ausbildung des Grundrisses und bei der decorativen Abstufung der Innenräume folgte N. den Regeln der französischen Theoretiker, deren Vorschriften über Bienséance und Ordonnance er in Einklang brachte mit dem Repräsentationszwecke der fürstlichen Residenz. Den Mittelpunkt der hufeisenförmigen Anlage bilden im Obergeschoß die von der Haupttreppe aus zugänglichen beiden Prachtsäle. Die Gemächer der beiden Hauptappartements sind um je zwei kleinere Nebenhöfe gelagert. Die Cour d’honneur war ehedem mit einem kunstreichen Eisengitter abgeschlossen. Das System der Außenarchitektur baut sich aus einem Ober- und Untergeschoß auf, das sich aus je einem Haupt- und Zwischengeschoß zusammensetzt. Die Eckpavillons sind durch Pilasterstellungen und Giebelfrontons ausgezeichnet. Reicheren architektonischen und plastischen Schmuck zeigen der Ehrenhof und der vorspringende Mittelbau der Gartenfront.

Nach 24jähriger reger Bauthätigkeit war das umfangreiche Werk am 30. December 1744 im Rohbau vollendet; die vollständige innere Einrichtung, die erst in der Mitte der 60er Jahre zum Abschluß gebracht wurde, sollte N. nicht mehr erleben. Unter fünf Fürstbischöfen hat er, von gleicher Gunst getragen, das verantwortungsvolle Amt der fürstlichen Bauleitung innegehabt; als oberste Instanz in Bausachen hat er auch in das Privatbauwesen der Residenzstadt gestaltend eingegriffen, weniger durch eigene Bauten, die meist sehr einfach gehalten sind, als vielmehr durch die Aufstellung einer neuen Bauordnung (1722), welche auf Anlegung gerader, breiter Straßen und Plätze, sowie Errichtung einheitlich durchgeführter gesunder Wohnungen abzielte. Als Haupt der Commission, welcher die Pläne für Neubauten zur Genehmigung vorgelegt wurden, hat er die ganze Bauthätigkeit in Würzburg ein Menschenalter hindurch beherrscht. Von eigenen Werken, die unter der Regierung von Johann Philipp v. Schönborn (1719–24) und Christian Franz v. Hutten[WS 11] (1724–29) entstanden, werden genannt: die Einrichtung des Juliusspitales, der Bau eines neuen Schlachthauses und einer Kaserne, eines Jagdzeughauses (Zellerstraße 40), der früheren Kanonikatshöfe in der Heinestraße, der Umbau der Spielsäle der Universität zur Bibliothek, die Errichtung eines eigenen Hauses, des Hofes „Ober-Frankfurt“ (Franziskanergasse 2), und eines Hauses für Hofrath Ludwig Fichtel (Brombachergasse 8), der Neubau des Hutten’schen Hofes und der damit verbundenen Huberspflege (Kapuzinerstraße 2–4), der ehemalige Husaren- oder Gardistenbau (Kapuzinerstraße 8), der Hutten’sche Zwergbau am jetzigen Priesterseminar, endlich das zierliche Hutten’sche Schlößchen. Außerdem legt eine große Anzahl einfacher Bürgerhäuser, „der sach N. das jahr wohl 20 bis 30 machte“, Zeugniß ab von seiner gewaltigen Arbeitskraft. Die Fürstbischöfe setzten ihren Stolz darein, ihre Residenzstadt zu verschönern und wußten durch Steuererlaß und kostenlose Ueberweisung von neuaufgelassenen Bauplätzen die Bürgerschaft zur Errichtung von stattlichen Neubauten zu veranlassen. Insbesondere unter Friedrich Karl v. Schönborn entstanden auf diese Weise, von Neumann angelegt und zum Theil von ihm selbst ausgeführt, einige ganz neue prächtige Straßen, wie die Theaterstraße mit dem Damenstiftsgebäude und dem Lobdenburger Hof, die Neubau- und Hofstraße, die Juliuspromenade. Auf dem Marktplatz ließ der Fürst 1739–41 sechzehn kleine Häuser einlegen und an deren Stelle durch N. ein ansehnliches Häuserquadrat in acht Abtheilungen errichten; ob das ebenda gelegene „Haus zum Falken“ mit seiner reichen Rococofassade [673] unserm Baumeister zugeschrieben werden kann, wird neuerdings bezweifelt. Bei den meisten dieser und ähnlicher Bauten, wie bei dem „Hof Marmelstein“ (1747) oder dem Ursulinenkloster (1738) mußte sich der Architekt mit der Wirkung durch schöne Verhältnisse begnügen. Gelegenheit zu größerer Prachtentfaltung war ihm bei den Umbauten in der Universität, insbesondere bei der Ausschmückung der Aula, geboten.

Außerhalb der Stadt war N. im Gebiete des Fürstenthums mit dem Bau des Schlosses Werneck (1737–40) eine größere Aufgabe gestellt. Zur Sommerresidenz des Fürsten bestimmt, zeigt die kunstreiche Anlage das in Hufeisenform errichtete Herrenhaus mit den Nebengebäuden zu einem imposanten, geschlossenen Complex vereinigt. Von der kostbaren inneren Einrichtung ist leider seit Adaptirung der Räume zur Irrenanstalt nichts mehr erhalten. Einfacher waren die Schlösser in Steinbach (1725–28) und Guttenberg (1744 ff., jetzt zerstört) gehalten, in ihrer bewegten Grundrißbildung an die Ebracher Curie zu Burgwindheim erinnernd, deren Pläne wol auch N. zugeschrieben werden müssen. Mit der Berufung des Fürstbischofs Friedrich Karl von Schönborn auf den bischöflichen Stuhl zu Bamberg (1724) gewann unser Baumeister, dem alsbald die Leitung der dortigen fürstlichen Bauten übertragen wurde, auch in den östlichen fränkischen Gebieten an Einfluß. Schon 1730 wurde unter seiner Leitung mit zwei stattlichen, correspondirend angelegten Gebäulichkeiten, dem Katharinenspital und dem Priesterseminar in Bamberg, begonnen; gleichzeitig legte er dort den Grundstein zum Domcapitelshaus an der Südseite des Domes, das mit reicherer Außenarchitektur ausgestattet wurde. Auch die Baupflege der Bamberger Residenz und des Pommersfeldener Schlosses, sowie der Marquardsburg (Schloß Seehof) erforderte das wiederholte Eingreifen Neumann’s, dessen Thätigkeit sich bei diesen Gebäuden allerdings meist auf Zimmereinrichtungen und Aufführung von Nebenanlagen wie Orangerien, Stallungen, Gartenterrassen etc. beschränkte. Wenn auch nicht bezweifelt werden kann, daß der geschätzte Baumeister auch in Bamberg, Kronach und Forchheim eine große Anzahl von Bürgerhäusern ausgeführt hat, so ist doch die Zuschreibung im einzelnen nur mehr in seltenen Fällen möglich und, wo sie versucht wurde, wie bei dem Hause der Concordia in Bamberg, kaum aufrecht zu erhalten; auch beim Umbau des dortigen Rathhauses und dem Aufsessianischen Studiengebäude kann sein Name nur mit Vorbehalt genannt werden.

Daß auch die reichen Klöster N. beriefen, wenn sie zur Errichtung von Neubauten schritten, kann bei dem Ansehen des Meisters nicht wunder nehmen. Des Ebracher Abteibaus (1716) wurde bereits Erwähnung gethan. Dem Beispiel des Schwesterklosters folgten die Cistercienser im Kloster Schönthal (Württemberg), wo neben der Kirche nach Neumann’schen Plänen ein mächtiges Abteigebäude aufgeführt wurde (vollendet 1750). Auch das Prämonstratenserkloster Oberzell bei Würzburg übertrug ihm den Neubau der Abtei (1744), die bei vornehmer äußerer Gestaltung ein prächtiges Treppenhaus, ähnlich dem in Ebrach, birgt. Eine ausgedehnte Klosteranlage schuf der Baumeister für die Benedictiner in Münsterschwarzach (1727–43). Im Benedictinerkloster Banz wurden nach seinem Entwurfe die alten verstreut gelegenen Verwaltungsgebäude zu einem regelmäßigen der Abtei auf der Nordseite vorgelagerten Gebäudecomplex vereinigt (1752).

Neben dieser umfangreichen Thätigkeit im Profanbau entfaltete N. eine nicht minder umfassende Wirksamkeit im Gebiete des Kirchenbaus. Er hat selbst in einer Schrift: „Die Lieb zu Zierd des Hauss Gottes etc.“ ein Verzeichniß aller der Kirchen und Capellen aufgestellt, die er allein während der [674] Regierungszeit des Fürstbischofs Friedrich Karl v. Schönborn in beiden Bisthümern ausgeführt hat. Außer den dort genannten 92 Bauten werden dem Meister, der 1747 auch zum Bauinspeetor des Domcapitels ernannt worden war, von Keller a. a. O. noch weitere 37 Kirchen zugetheilt. Sind auch viele dieser Bauten nur Wiederherstellungs- und Erweiterungsarbeiten, zeigen die meisten wie etwa die Pfarrkirchen in Wiesentheid, Steinbach, Schwarzenberg, Retzbach nur einen bescheidenen Grund- und Aufriß (einschiffiges Langhaus ohne Wölbung mit einem in die Fassade eingebauten Thurm), so konnte sich der Baumeister doch auch bei einigen reicheren Anlagen zu wahrer künstlerischer Freiheit erheben. Das erste bedeutendere Werk ist die Schönborncapelle am Würzburger Dom (1721–36), ein kreisrunder Kuppelraum mit 2 elliptischen Exedren. Während das Aeußere Neumann’s Formensprache in aller Vollendung zeigt, kommt die innere Ausstattung in Stuckmarmor infolge wenig glücklicher Lichtführung nicht nach ihrem Werthe zur Geltung (Dehio). In der Propstei Holzkirchen schuf er Ende der 20er Jahre einen kleinen, zierlichen Centralbau, der innen rund, außen achteckig in seinen Stuckornamenten noch den reinen Bandstil zeigt. Das Problem des Centralbaues beschäftigte ihn noch mehrmals: theoretisch hat er sich in den unausgeführten Plänen zur Burgwindheimer Wallfahrtskirche (Würzburger Universitätsbibliothek) in verschiedenen Lösungen versucht. Bei der Wallfahrtskirche („Käppelle“) auf dem Nikolausberge bei Würzburg (1748–50) gelangte er zu einer complicirteren Grundrißanlage: an den großen centralen Kuppelraum schließen sich auf drei Seiten elliptische Absiden und gegen den Eingang zu eine Vorhalle an, die von zwei Thürmen mit hohen Zwiebeldächern flankirt ist. Eine Verbindung von Kreuzform und Centralanlage ist die Peterskirche in Bruchsal, die N. im Auftrage der Bischöfe von Speier (1742 ff.) zu errichten hatte. Eine kleine, kuppelgedeckte Rotunde auf dem Kreuzberg bei Kloster Schönthal wird als schöner, stimmungsvoller Raum gerühmt.

Die Cistercienser in Schönthal hatten, wie erwähnt, N. berufen, um den ins Stocken gerathenen Bau der von Leonhard Dienzenhofer begonnenen Kirche (geweiht 1724 [36]) weiterzuführen. Inwieweit der Architekt bei diesem großartigen Werke (dreischiffige, kreuzförmige Hallenkirche mit Fortführung der Seitenschiffe über das Querschiff) an die bereits bestehende Anlage gebunden war, steht nicht fest; jedenfalls hat er das kunstreiche System der Wölbung – Kuppeln statt der Kreuzgewölbe – und die noch barocke decorative Ausstattung durchgeführt. Auch die Außenarchitektur, insbesondere die Fassade, die in drei Stockwerken sich aufbauend, von zwei Thürmen überragt wird, scheint durch N. vielfach modificirt zu sein; denn zwei seiner späteren, größten Kirchenbauten, in Gößweinstein und Münsterschwarzach, stimmen hierin ganz mit Schönthal überein. Die erstere Kirche (1730–39), in ihrer inneren Ausstattung bereits einheitlich in Rococoformen gehalten, ist kreuzförmig mit nur wenig vorspringenden Querarmen angelegt und mit flachem Kuppel- und Tonnengewölbe gedeckt. Ungleich großartiger war die Kirche in Münsterschwarzach (1727–43), eine pseudobasilikale, kreuzförmige, tonnengewölbte Anlage, bei der durch Einziehung der Strebepfeiler im unteren Geschoß die seitlichen Capellenreihen gebildet waren; eine mächtige Vierungskuppel und ein kleiner Thurm am Chorfirst belebten mit den beiden Fassadenthürmen die Silhouette des Baues. Ueber dieses Meisterwerk Neumann’s geben nur noch Pläne und ein Modell Aufschluß; es fiel 1821–27 dem blinden Vorurtheil gegen die Kunst des 18. Jahrhunderts zum Opfer. Wesentlich einfacher, wenn auch auf demselben Compositionsschema beruhend sind die kreuzförmigen tonnengewölbten Kirchen in Heussenstamm (Provinz Starkenburg) (1739–42) und [675] in Etwashausen bei Kitzingen (1741–45), deren flache Vierungskuppeln auf gepaarten Säulen ruhen; auch die Kirche in Gaibach (1740–45), deren Thurm nicht an der Portalseite, sondern hinter dem Chore steht, nähert sich diesem Typus.

Bei der Augustiner- (früher Dominicaner-) Kirche in Würzburg (1743 u. ff.) war der Baumeister genöthigt, den hohen gothischen Chor beizubehalten und die Dimensionen des neu zu erbauenden basilikalen Langhauses den alten Bestandtheilen anzupassen. Die Hauptbedeutung dieses Baues liegt demgemäß in seiner Ausstattung mit prächtigen Stuckarbeiten und reichen Rococoaltären. In gleich kunstvoller Weise staffirte N. die einschiffige Deutschordenskirche in Mergentheim (1730–35) aus, eine zweithürmige Anlage mit plastisch reich verzierter Fassade.

In ihrem struktiven System weisen die meisten der bisher besprochenen Bauten die strengen Architekturformen der Spätrenaissance auf. Doch fehlt es auch nicht an Beispielen, die das überlegene Können des Barockmeisters bekunden. In diesen Werken ist bei Ausgestaltung des Grundrisses alles Geradlinige, Winkelrechte sorgsam vermieden. Die elegant geschwungene Kurve herrscht vor und das strenge Architekturgebilde ist in ein System lebhaft bewegter Linien aufgelöst. Eine überreiche Decoration steigert noch die Unruhe der Formen. Als Flächeneinheit ist das Oval zu Grunde gelegt (Beispiel: Schloßkirche in Werneck und die ehemalige katholische Pfarrkirche in Baireuth, 1745). Bei der Residenzkirche in Würzburg fügt der Architekt dem Längsoval oben und unten noch je ein Queroval an; die innere Ausstattung ist durch ein kräftiges ringsum laufendes Gurtgesims bestimmt, das durch die gegebene Außenarchitektur gefordert war. Noch einen Schritt weiter geht N. bei der Kirche in Neresheim (begonnen 1745): durch Beifügung von zwei kleineren Längsovalen zu beiden Seiten des mittleren elliptischen Raumes erreicht er eine kreuzförmige Anlage, die er noch um je ein Queroval in der Längsrichtung erweitert. Der Tod des Meisters hat die schwierigen Wölbungen nicht zur Ausführung gelangen lassen; sein Nachfolger begnügte sich damit, die Gewölbe in Holz zu construiren. Noch verwickelter ist die Grundrißbildung bei der Wallfahrtskirche zu Vierzehnheiligen (1743 begonnen). Auch hier nimmt ein größeres Längsoval den Mittelraum ein, dem sich zwei kleinere einander entsprechende Längsovale als Chor und Eingangsraum anschließen, während zwei kreisrunde Flächen die Kreuzarme bilden und zwei Ellipsen in die Seitenschiffe einspringen. Die äußere Architektur ist schlicht und läßt nur eine einfache kreuzförmige basilikale Anlage erwarten; die Innenausstattung ist in reinen Rococoformen gehalten.

Neumann’s Thätigkeit im Kirchenbau in den nichtfränkischen Landen ist noch wenig aufgeklärt. Die Annahme Keller’s, daß er für die Pfarrkirchen, die Fürstbischof Friedrich Karl auf seinen österreichischen und ungarischen Besitzungen, in Göllersdorf, Stranzendorf, Munkacz, Bereghsags und Semlin, erbaute, die Risse angefertigt hat, ist wol gerechtfertigt. Bei den Kirchenbauten zu Andernach, Leutersdorf und der Paulinuskirche in Trier scheint er nur als Sachverständiger vernommen worden zu sein; vielleicht beschränkte sich seine Mitwirkung auch nur auf die innere Ausstattung mit Altären. – Gerade diesem Zweige hatte N. eine besondere Pflege angedeihen lassen. In einer noch erhaltenen Sammlung von Handzeichnungen des Meisters befinden sich an 80 Entwürfe zu Altären, Kanzeln, Epitaphien, von denen manche auch zur Ausführung gelangt sind. Erwähnt wurden bereits die kunstvollen Altäre der Deutschordenskirche in Mergentheim und der Dominicanerkirche in Würzburg, denen sich der Hochaltar in Schönthal in der Form des Aufbaues [676] nähert. Wenn die Altäre in der Residenzkirche in Würzburg mit ihren gewundenen Säulen noch den Meister der Barocke verrathen, so stellen die Hochaltäre in Gößweinstein und Vierzehnheiligen berühmte Meisterwerke des reichsten Rococostiles dar. Es war für die Würzburger Bildhauerwerkstätten von höchster Bedeutung, daß durch Neumann’s Vermittlung auch von auswärts viele Bestellungen einliefen. Der Kurfürst von Köln läßt für die Franziscanerkirche in Brühl einen „hohen Altar in Marmor“, der Kurfürst von Trier für die dortige Paulinuskirche gleichfalls ein größeres Altarwerk in Würzburg herstellen. Für den Dom in Mainz werden die kostbaren Epitaphien (1745) für die beiden Kurfürsten aus dem Hause der Schönborn ebenfalls dort nach Neumann’s Angaben gearbeitet. Auch der Hochaltar und das prächtige Chorgestühl im Dom zu Worms (1738) sind nach seinen Plänen ausgeführt.

Mit dieser verwirrenden Fülle von Werken, die N. neben seiner Thätigkeit in fürstbischöflich würzburgischem Dienste schuf, ist seine künstlerische Lebensarbeit noch in keiner Weise erschöpft. In demselben Jahre (1719), in dem Johann Philipp v. Schönborn in Würzburg zum Fürstbischof gewählt wurde, bestieg sein jüngerer Bruder Damian Hugo[WS 12] den bischöflichen Stuhl von Speier, mit dem von 1740 an das Fürstbisthum Konstanz Verbunden war; und im Jahre der Bischofswahl des Friedrich Karl v. Schönborn (1729) erlangte ein 4. Bruder Franz Georg den Kurhut von Trier, mit dem er auch die Würde eines Fürstbischofs von Worms und eines gefürsteten Propstes von Ellwangen vereinigte. Wie alle Schönborn waren auch diese beiden Fürsten von einer regen Baulust erfüllt. Es lag nahe, daß sie zur Durchführung ihrer Pläne den berühmten Würzburger Baumeister zu gewinnen trachteten, der sich im Dienste ihres fürstlichen Bruders in glänzendster Weise bewährt hatte. Bald nach seinem Regierungsantritt legte Damian Hugo (1722) den Grundstein zu einer neuen Residenz in Bruchsal. Die Bauten waren schon ziemlich weit vorgeschritten – es standen die beiden Flügelbauten und die rechte Hälfte des Hauptbaues – als 1728 N. die Leitung übertragen erhielt. Vorerst erstreckte sich seine Thätigkeit auf den Ausbau der rechten Hälfte des Hauptbaues und auf die Anlage des Stiegenhauses, das eine seiner bedeutendsten Raumschöpfungen werden sollte (1732 vollendet). Die innere Ausstattung wurde erst unter Damian Hugo’s Nachfolger Cardinal v. Hutten (1746)[WS 13] in Angriff genommen. In seiner einheitlichen Durchführung stellt der prunkvolle Ausbau des ganzen Obergeschosses den Gipfelpunkt der künstlerischen Bestrebungen des Meisters dar. Der in der Mitte gelegene ovale Treppenhausraum bildet, zugleich als Saal ausgestattet, die Verbindung zwischen den beiden Repräsentationsräumen, dem Fürsten- und Speisesaal, um die sich die durch die Etikette vorgeschriebenen Gemächer gruppiren. Bei der Innenausstattung, die in den freiesten Rococoformen gehalten ist, wahrt sich der Künstler seine eigene Formensprache, so daß das Bruchsaler Schloß als eines der wichtigsten Werke des deutschen Rococo gelten darf.

In wieweit N. noch berathend oder selbst gestaltend in den regen Baubetrieb der Speierer Bischöfe eingegriffen hat, ist im einzelnen noch nicht klargelegt. Die von ihm erbaute Peterskirche wurde bereits erwähnt. Eine Briefnotiz, die auf einen Riß zu einer „neu einzurichtenden Residenz zu merschenburg“ (Meersburg im Fürstbisthum Konstanz) Bezug nimmt, läßt darauf schließen, daß auch dort von Damian Hugo ein neues Schloß gebaut werden sollte; ob Neumann’s Pläne dem jetzigen Bau zu Grunde liegen, ist nicht erwiesen. – Die Werke, die unser Architekt für den Kurfürst von Trier ausführte, sind heute zum größten Theile zerstört. Ein großer Schloßbau [677] „Schönbornslust“ bei Kesselheim am Rhein näherte sich der Bruchsaler Residenz; im Aeußeren soll er dem noch bestehenden Dikasterialgebäude in Ehrenbreitstein ähnlich gewesen sein, einem für die Verwaltungsbehörden bestimmten, bescheidener ausgestatteten Bau unseres Meisters (1738–48). Auch der Bischofshof in Worms, der durch N. zur Residenz ausgebaut wurde (1732–41) fiel den republikanischen Banden (1794) zum Opfer, ein Schicksal, welches auch das von N. umgebaute Schloß zu Kärlich (1741–44) traf. Kleinere Aufgaben waren dem Baumeister mit der Einrichtung des „Trierer Hofes“ in Frankfurt (1741, jetzt zerstört) und den nicht näher bestimmten baulichen Veränderungen in der Propstei Ellwangen gestellt. Wenn wir noch seiner Thätigkeit im Kloster zu Prüm und bei der Paulinuskirche in Trier, sowie seiner fortifikatorischen Arbeiten für Koblenz, Ehrenbreitstein und Thrarbach gedenken, so erscheint es ganz berechtigt, wenn N. als die rechte Hand des Kurfürsten in allen seinen Bausachen bezeichnet wird (Keller). – Einen Sieg der deutschen Kunst bedeutet die Berufung des fränkischen Architekten an den Hof des Kurfürsten Clemens August in Köln, wo bis dahin die französischen Meister dieselbe führende Rolle spielten wie an dem engverwandten bairischen Hofe. Von 1740–46 war N. jährlich in Köln anwesend. Seine Wirksamkeit muß jedoch mehr eine berathende und begutachtende gewesen sein, da der dortige Hofbaumeister Leveilly[WS 14] nach wie vor im Amte thätig war. Ausdrücklich als sein Werk wird nur die Scala santa auf dem Kreuzberg in Bonn (1745) genannt, ein schmaler Bau, der in seinem Innern in der ganzen Breite eine dreigetheilte, zu einem kleinen Altar emporführende Treppe aus rothem Marmor enthält. In der Fassade waltet eine freie malerische Auffassung der Architekturformen vor. Zu dem überaus prächtigen Treppenhaus des Schlosses in Brühl gibt N. in einem Modell die „Hauptidee“. Seiner Einwirkung wird die Verwendung menschlicher Figuren als Träger von Baugliedern, eine der französischen Architektur fremde Verbindung, zugeschrieben; auch die Wahl der in seinem Sinne arbeitenden Stuckateure ist von ihm beeinflußt. Sein Antheil am Ausbau des Schlosses in Poppelsdorf und Bonn ist bei dem Mangel an archivalischen Nachrichten kaum mehr festzustellen.

Wenn somit Neumann’s künstlerische Persönlichkeit außer den beiden fränkischen Bisthümern das Gebiet des ganzen Mittel- und Niederrheines beherrschte, kann es nicht überraschen, ihn auch von den weltlichen Höfen zu gelegentlichen größeren Concurrenzen herangezogen zu sehen. Die Pläne, die er für einen „neuen Kaisersitz“ in Wien geliefert haben soll, konnten seither nicht wieder aufgefunden werden. Da er jedoch in Oesterreich im Dienste des Bischofs Friedrich Karl, der als Reichsvicekanzler vielfach in Wien residirte, verschiedene Bauwerke ausführte und dadurch in nähere Beziehung zu den Wiener kunstverständigen Kreisen getreten war, ist diese litterarische Nachricht nicht ganz von der Hand zu weisen; außer den erwähnten Kirchen und dem Spital in Göllersdorf werden ihm das Schloß Schönborn in Niederösterreich (1715–20) und das Schlößchen in der Alservorstadt in Wien (um 1734) zugeschrieben Daß er der geeignete Mann gewesen wäre, beweist das großartige Project für den Schloßbau in Stuttgart, dessen Ausführung wol nur an der finanziellen Frage scheiterte; an Rauminhalt hätte die Anlage, die hufeisenförmig disponirt doppelte, miteinander verbundene Seitenflügel vorsieht, das Würzburger Schloß noch übertroffen. Einfachere Grundrißentwicklung weisen die noch erhaltenen Entwürfe für eine Residenz in Karlsruhe (1750/51) auf, bei welchen sich die Flügelbauten im Winkel von 45° an den hufeisenförmigen Hauptbau angliedern. Ein zweiseitig angelegtes Treppenhaus, ein großer Mittelsaal, Theater, Kirche und Wintergarten sind mit den Wohngemächern [678] zu einem praktisch disponirten Ganzen vereinigt. In ähnlichen Grundformen waren wol die Risse für die Residenz in Schwetzingen gehalten, die als verschollen gelten müssen.

Was sonst von künstlerischen Werken des Meisters noch bekannt ist, liegt auf dem Gebiete der Gelegenheitsarbeiten. Aus Anlaß des 700jährigen Jubiläums des h. Bruno errichtete er im Würzburger Dome (1745) ein prächtiges Schaugerüste, wie er ein ähnliches schon 1730 beim Jubiläum der Corporis Christi Bruderschaft erbaut hatte. Desgleichen hatte er in der Bartholomäuskirche in Frankfurt auf Befehl des Bischofs Friedrich Karl beim Tode der Wittwe des Kaisers Josef I. und der Mutter der regierenden Kaiserin ein prunkvolles Trauergerüste aufzuschlagen. Beim Empfang der zur Statthalterin der Niederlande ernannten Erzherzogin Elisabeth von Oesterreich bewies er durch ein glänzend veranstaltetes Feuerwerk seine Meisterschaft in der „Lustfeuerwerkerei“. Und wie er nicht verschmähte, gelegentlich auch in kleineren kunstgewerblichen Arbeiten, wie Fassung einer Kreuzpartikel, sein Geschick zu erproben, wie er selbst oft mit eigener Hand die kunstreichen Modelle zu seinen Bauten zimmerte, so verrieth er auch in rein technischen Fragen eine hervorragende praktische Veranlagung. Gleich ausgezeichnete Dienste wie als Architekt, leistete er als Tiefbauingenieur beim Straßen-, Fluß- und Brückenbau. Die Frankfurter große Brücke (1740) und die Kitzinger Mainbrücke (1744) wurden nach seinen Angaben wiederhergestellt; für Stauwerke, Wehre und Schleusen, Schöpfvorrichtungen, Brunnenwerke erfand er sinnreiche Maschinen. Besonderes Interesse wandte er der Herstellung von Wasserkünsten in den fürstlichen Lustgärten (Pommersfelden, Bruchsal) zu. Die Stadt Würzburg verdankt seiner Energie die Versorgung mit fließendem Wasser. In Kissingen entdeckte er bei Ableitung der Saale die Rakoczy-Quelle. Nach seinen Entwürfen wurden dort die ersten Badeeinrichtungen, das erste Curhaus und die Anlagen geschaffen, wie auch die Einrichtung des Bades Bocklet (1725) auf ihn zurückzuführen ist. Bei der Anlage der großen Hofgärten in Würzburg, Werneck, Pommersfelden, Seehof und Veitshöchheim schuf N. nicht nur die Risse, er leitete auch den Einkauf der benöthigten Bäume und Sträucher. Und als nicht minder geschickter Kaufmann bewährte er sich bei der Einrichtung einer Glashütte (1735) im Steigerwald, in der die Spiegel und Fenstergläser für die Würzburger Residenz hergestellt wurden. Das Werk, dessen Betrieb ihm der Fürstbischof auf eigene Rechnung überlassen hatte, blühte in kurzer Zeit in einer Weise auf – die Lieferungen erfolgten bis nach Holland –, daß er schon 1748 die ganze Einrichtung nebst den Vorräthen mit Gewinn verkaufen konnte.

Unerschöpflich zeigte sich seine Erfindungsgabe in Neuerungen technischer Art: er construirt eine neue Waage zum Wiegen großer Lasten, „fliegende Gerüste“ für die Handwerksleute der Residenz; er erfindet eine neue Art, Cementröhren herzustellen, und richtet eine Zinngießerei ein. Er denkt sich einen neuen Maaßstab aus, um die Dimensionen der verschiedenen Säulenordnungen und Ausladungen ablesen zu können; kurz, in allen Fragen der Praxis weiß er stets Rath und Abhülfe.

In richtiger Schätzung der vielseitigen Begabung seines Hofbaumeisters errichtete der Fürstbischof im Jahre 1731 für ihn an der Universität einen eigenen Lehrstuhl für Civil- und Militärbaukunst. Wie hoch Neumann’s Name schon damals in Ansehen stand, beweist die Thatsache, daß unter seinen Hörern sich nicht nur einheimische, sondern auch kaiserliche und preußische Officiere sowie andere Standespersonen befanden.

Vom Glockengießergesellen hatte sich N. mit eiserner Energie, freilich auch [679] begünstigt von glücklichen äußeren Constellationen, zum fürstlichen „Premier-Architekt und Baudirector“ emporgearbeitet. Daß er sich in dieser Stellung mehr als ein Menschenalter behaupten konnte, verdankte er ebensosehr seinen hervorragenden künstlerischen Fähigkeiten, wie seinen trefflichen Charaktereigenschaften. Gewissenhafte Pflichterfüllung, strengste Rechtlichkeit, peinliche Genauigkeit und eine goldene Ehrlichkeit zeichneten die Amtsführung des Mannes aus, dem das Vertrauen seines bischöflichen Herrn als oberstem Beamten das ganze Rechnungswesen in Bauangelegenheiten übertragen hatte. Wenn vor ihm der Hofbaumeister zugleich Bauunternehmer zu sein pflegte, so vertrug sich dies nicht mehr mit Neumann’s Stellung als Officier; er hatte als Architekt ein bestimmtes Gehalt und dafür alle fürstlichen Bauten zu errichten; für besonders glänzende Leistungen pflegte ihm der Bischof in Form einer Gratifikation seine persönliche Anerkennung auszudrücken.

Ob N., wie einer seiner Biographen berichtet, in Würdigung seiner Verdienste in den Adelsstand erhoben wurde, muß zweifelhaft bleiben. Seit 1725 war er mit einer Tochter des Geheimen Rathes Franz Ignaz Schild vermählt, welcher Ehe außer fünf Töchtern drei Söhne entsproßten. Sein zweitältester Sohn Franz Ignaz Michael[WS 15], wie sein Vater Officier bei der fränkischen Kreisartillerie, ist auch sein Nachfolger als Architekt geworden; sein bekanntestes Werk ist der Vierungsthurm des Mainzer Domes.

Noch in seinem letzten Lebensjahr beschäftigte den alternden Meister das Project der Wiederherstellung des Speierer Domes in seiner alten Größe. An der Ausführung sollte ihn der Tod hindern, der seinem arbeitsamen Leben am 18. August 1753 ein Ende setzte. Mit allen militärischen Ehren wurde er in der Mariencapelle am Markte in Würzburg beigesetzt.

Mit N. hat die deutsche Rococokunst ihren Höhepunkt erreicht. Kurz nach seinem Tode schon setzen die Stilabwandlungen ein, die zum Classicismus hinleiten. Mit welcher Unduldsamkeit der neue Stil die Virtuosität der Neumann’schen Werke behandelte, haben uns manche Beispiele gezeigt. Geradezu barbarisch aber ging das beginnende 19. Jahrhundert gegen seine herrlichsten Schöpfungen vor. Sein einst so gefeierter Name gerieth allmählich ganz in Vergessenheit. Erst das wiedererwachende Verständniß für die Kunst des 18. Jahrhunderts hat die Aufmerksamkeit auf ihn zurückgelenkt; seitdem vollends eine treffliche Monographie auf die universelle Begabung dieses seltenen Mannes hingewiesen hat, lernte man mit Staunen wieder erkennen, daß N., wie ein Würzburger Schriftsteller des 18. Jahrhunderts schreibt, „ein Architekt von der ersten Classe und einer der verdientesten Männer in unserm [Würzburger] Fürstenthume“ gewesen ist.

Joseph Keller, Balthasar Neumann. Eine Studie zur Kunstgeschichte des 18. Jahrhunderts. Würzburg 1896. Dort ist ein Ueberblick über die ältere Litteratur gegeben. – Edmund Renard, Die Bauten der Kurfürsten Joseph Clemens und Clemens August von Köln. Bonner Jahrbücher, Heft 99 u. 100. – Derselbe, Die Schlösser zu Würzburg und Bruchsal, in „Die Baukunst“ hrsg. von R. Borrmann u. R. Graul. – Jakob Wille, Bruchsal. Bilder aus einem geistlichen Staat im 18. Jahrhundert. 2. Aufl. 1900. – Derselbe, Briefwechsel B. Neumann’s mit Kardinal Schönborn nebst einer Denkschrift (Zeitschrift f. d. Geschichte d. Oberrheins, N. F. XIV, S. 465 ff.). – Georg Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Bd. I: Mitteldeutschland. Berlin 1905. – Otto Weigmann, Eine Bamberger Baumeisterfamilie um die Wende des 17. Jahrhunderts. Studien zur Deutschen Kunstgeschichte, 34. Heft. Straßburg 1902.

[668] *) Zu S. 614.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Antonio Petrini (1621–1701); fränkischer Baumeister italienischer Abstammung. Petrini verband italienischen Barock mit deutscher Renaissance und führte den fränkischen Barock ein.
  2. Valentino Pezzani (* in Trento; † 1716) war ein norditalienischer Baumeister, der Anfang des 18. Jahrhunderts in Würzburg wirkte.
  3. Johann Lucas von Hildebrandt (1668–1745); einer der bedeutendsten Baumeister Mitteleuropas im Zeitalter des Barocks.
  4. Johann Dientzenhofer (1663–1726); ein Baumeister und Architekt der Barockzeit.
  5. Leonhard Dientzenhofer, auch Johann Leonhard Dientzenhofer, (1660–1707); ein deutscher Baumeister und Architekt aus der Künstlerfamilie Dientzenhofer.
  6. Joseph Greissing, auch Greising, (1664–1721); deutscher Hofbaumeister in Würzburg sowie Lehrmeister und Amtsvorgänger von Balthasar Neumann.
  7. Robert de Cotte (1656–1735); ein französischer Baumeister, Hofbaumeister und Innenausstatter. Er gilt als bedeutendster französischer Baumeister des frühen Rokoko.
  8. Germain Boffrand (1667–1754); französischer Baumeister und Innenarchitekt, der dem Rokoko zuzuordnen ist.
  9. Laut dem Artikel des Vaters ist das Sterbejahr 1724.
  10. Gemeint ist wohl Johann Maximilian von Welsch (1671–1745); Architekt, Oberbaudirektor und Festungsbaumeister in Mainz.
  11. Gemeint ist Christoph Franz von Hutten; war von 1724 bis 1729 Fürstbischof von Würzburg.
  12. Damian Hugo Philipp Reichsgraf von Schönborn-Buchheim (1676–1743); war ab 1721 Kardinal und Fürstbischof von Speyer und ab 1740 Fürstbischof von Konstanz.
  13. Franz Christoph Reichsfreiherr von Hutten zum Stolzenberg (1706–1770); war Fürstbischof von Speyer und Kardinal der römisch-katholischen Kirche.
  14. Michael Leveilly, auch Michael Leveillé, (1694–1762); war ein französischer Architekt.
  15. Franz Ignaz Michael Neumann (1733–1785); deutscher Ingenieur, Architekt und Baumeister des Barock, Rokoko und Klassizismus. Er war der älteste Sohn des berühmten Barockarchitekten Johann Balthasar Neumann.