ADB:Montanus, Martin
„Lauter“ könnte ihn als Protestanten erscheinen lassen, wenn nicht vorsichtige Aeußerungen im „Wegkürzer“, der zeitlich so nahe steht, und das Marienlob im Anhang des „Untreuen Knechts“ seine katholische Confession bezeugten. Er schriftstellerte „jung und unverstanden“, ohne gelehrte Bildung, scheint außer dem Italienischen ein paar lateinische Brocken aufgeklaubt zu haben, bezeichnet sich ausdrücklich als „keinen wolbelesenen Historicus“ und spricht in der Widmung des „Andreitzo“ an seinen Freund, den „wolgelehrten Jüngling Michael Ziegler, jetzund zu Ulm studirend“ sehr bescheiden von seinen Leistungen, welche in die zweite Hälfte der fünfziger Jahre fallen. Seine Voraussetzungen sind besonders Wickram und Frey, H. Sachs, der pseudosteinhöwelsche Boccaz, dem er in seinen Schwankbüchern eine Reihe Nummern abstiehlt. Aus dem Decameron bearbeitete er in kleinen undatirten Separatausgaben (s. Scherer, Die Anfänge des deutschen Prosaromans und J. Wickram von Colmar, S. 12 f.): „Eine sehr schöne lustige vnnd auch klägliche Hystoria von dem thewren vnnd mannlichen Ritter Thedaldo …“ (Dec. 3, 7); „Ein sehr schöne lustige vnd auß der maßen klägliche Hystoria, von zweyen liebhabenden Menschen …“ (Dec. 4, 1, Guiscard und Ghismonda); „Ein schöne vnnd klägliche Hystoria, von zweyen jungen gesellen …“ (Dec. 5, 1, Cimon und Lysimachus); „Ein sehr schön vnnd fast nutzlichs Büchlein, darinn die jungen Gesellen, beuorab die sich frembder Land brauchen wöllen, waß sie sich halten sollen, vnderwisen werden, mit schönen Historien gezieret, vnd newlich durch Martinum Montanum von Straßburg in Truck geben lassen“ (Dec. 2, 5, Andreuccio, in Montanus’ 2. Schwanksammlung Nr. 96 als „Reichart von Perusa“, später von Ayrer dramatisirt). Alle bei Knoblouch in Straßburg gedruckt. Der „Andreitzo“ ist schlecht nacherzählt, zerrissen, mit Einlagen belastet, widerspruchsvoll angelegt; vorn Widmung und Vorbericht, hinten Moralgerede zum Frommen reisender Jünglinge, eigene Erinnerungen, litterarische Belege aus Wickram’s „Knabenspiegel“ u. s. w., sehr schlechte Verse, die M. selbst tadelt: „nicht sonderlich gut vnnd Componieret, dann ich kein Poet bin“. Vgl. Olla Potrida 1779, S. 179 ff. Auch als Schwanksammler im Gefolge anderer Elsässer (Pauli Wickram Frey) schöpft M. vieles aus Boccaccio, wie er überhaupt im Borgen gar nicht schüchtern ist und die Prosaauflösung von Reimerzählungen, z. B. H. Sachsens, ganz obenhin besorgt; vgl. Goedeke, Schwänke S. XXIII. 1557 erschien der „Weg Kürtzer … in Gärten, zechen vnd auff dem Feld sehr lustig zulesen“, wo gleich der Titel dem Frey nachgebildet ist und später die bekannte Versicherung der Decenz abgegeben wird: „dann wo es vnder die edlen jungfrawen kommen solte, würden sie ir züchtige euglein mit scham niderschlagen vnd dem schreiber dieses buchs wenig eren vnd zucht nachsagen“. Wie Frey’s „Gartengesellschaft“ sich „den andern Theil des Rollwagenbüchleins“ [181] nennt, so heißt der Wegkürzer „das dritte theil des Rollwagens“. M. ist meist ausführlicher als seine Vorgänger. Er moralisirt viel, theilt mit andern Elsässern die Neigung „dise Facetias“ (Widmung an den Statthalter Jacob Herbrot in Langingen, Martinstag 1557) nahe zu localisiren, und die beiden Frankfurter Ausgaben, welche gelegentlich die eingestreuten Reime bessern, lassen zwei vorgeschobene Geschichten eben in Frankfurt spielen. Manches ist sehr salzlos. Schwänke von verbuhlten Weibern, Mägden, Bauern, Gartbrüdern, Pfaffen, Mördern. Ein Halbdutzend aus Boccaccio, zum Schluß „Historia Titi und Gisippi“. In der zweiten Sammlung verwandelt sich „Maseto“ nach Pseudosteinhöwel in einen „Lawel“. Ansätze zu stofflicher Ordnung werden gemacht; so heißt es einmal „das sey nu gnug von München“ oder „dieweyl ich lang von frölichen kurtzweiligen vnd lächerligen dingen geschriben hab, so ist nun von nöten das ich etwas von kläglichen dingen schreibe …“ und wieder nach traurigen Liebesgeschichten „das seye nun genug von kläglichen dingen geschrieben“, weshalb Wirthshauspossen, Ehehändel, sexuelle Späße folgen, die endlich von ernsten Nummern abgelöst werden. Reicher ist 1558 das „Ander theyl der Gartengeselschafft“, 118 Nummern, eingeleitet durch holprige Verse „An den Leser“. Boccaccio hat fast anderthalb Dutzend, darunter viele seiner saftigsten Novellen, hergeben müssen. Neben dem Hans Sachsischen Landsknechtsschwank die Thierfabel, neben zwei Virgiliussagen die nicht localisirte That der Weinsbergerinnen (eine Ausnahme bei unserm Misogyn), neben einer Eulenspiegelei Cap. 3 als Cap. 5 ein höchst interessantes Volksmärchen von der Stiefmutter, zwei Töchtern und dem „Erdkülein“, der Frau Holle verwandt. Neben der blutigen Rosimundahistorie aus der „Lombarder Chronica“ (zweimal bei M. „Dietrich Bern“ als Ortsname) crasse Zoten: ein Mann widerlegt Klagen seiner geilen Frau im Familienrath durch Vorlegung seines Gliedes, ein Pfaff muß für seine Forderung des Coituszehnten einen Kübel voll Excremente leeren, einem andern wird wie bei Schumann der Penis weggeschnitten und er beißt der betrogenen Frau die Zunge ab, einen Jüngling verräth bei der Visitation des Nonnenklosters trotz seiner Vorrichtung eine Erection.
Montanus: Martin M., Dichter, geboren nach 1530 in Straßburg, bekannt in schwäbischen Städten, in Dillingen ansässig. Die 113. Nr. im „Andern Theil der Gartengesellschaft“, mit ihren Ausfällen gegen die klösterlichen „Hurheuser“ und dem Lob desAls Dramatiker hat M. drei Stoffe des Boccaccio in Knittelversen bearbeitet. „Der vntrew knecht“ mit Ansätzen zu leidenschaftlicherer Liebesrhetorik in dem frivolen Schwank (Dec. 7, 7) und sehr deutlichen scenischen Anweisungen für das Beilager, einem Heroldprolog und einem weiberfeindlichen Moralepilog. „Yetz scheid wir ab von dieser ban Zu jar ein anders heben an“. Zeitlich das nächste wird sein „Von zweien Römern Tito Quinto Fuluio vnd Gisippo, Ein newes lustigs, und sehr schönes Spiel aus der Römer Cronica gezogen, wie die so vnmenschliche grosse liebe zu einander gewunnen, das sich auch ye einer für den andern inn tod gab. Newlich durch Martinum Montanum zusammen gesetzt, vnd in druck geben. Gedruckt zu Straßburg bey Paulo Messerschmidt“ (Dec. 10, 8, s. o., 1623 lateinisches Drama des Speccius, s. Goedeke S. 138, Scherer a. a. O. S. 23), worin die Reden oft durch ihre abgezirkelte Schulweisheit sehr frostig wirken und die Technik unbeholfen stolpert. Pausen im Stück werden durch Narrenspossen oder Gesang ausgefüllt. Der kecken Rede des Narren folgt die fromme „Beschlußred“ zu Ehren der Freundschaft. Am freiesten bewegt sich M. gegenüber Dec. 2, 8, welche Novelle sammt einer englischen ballad Goethe’s „Ballade“ hervorgerufen hat: „Ein Newes sehr schönes, lustigs vnd aus der massen kurtzweiligs, auch cläglichs Spil von einem Grauen, wie der von der Königin von Franckreich, fälschlich, mit zweyen kindlin, in das ellend vertriben, doch letslich sein vnschuld an tag kame, wider in sein ersten stand gesetzet warde. Newlich durch Martinum Montanum zusamen gesetzt, vnd in druck geben“ (auch bei Messerschmidt). Die Vorrede „An den Leser vnd sonderlich, die das [182] Spil anzurichten gesinnet sind“ ist scenisch sehr interessant, wie auch spätere Bühnenanweisungen. Der Schluß wird übers Knie gebrochen, aber im 2. Act die Geschichte des kranken Königssohnes geschickt ausgebeutet; im 1. plündert die buhlerische Königin den von Ovid ausgegangenen Monolog der Sophora in Gart’s „Joseph“, eine Rede, die auch auf des Nicerius Monolog im 3. Aufzug gewirkt hat; außer Moralisation hübsche einfache Worte des Grafen und der Kinder. Auch sind die Verse nicht immer so schlecht, wie folgendes Reimpaar: „Laß sie ins vnglücks nammen ston Sie thun eben wie die, dauon sie herkon“. Der ernste Epilog zieht die Potipherageschichte heran.
- Exemplare der Berliner Bibliothek und Straßburger Copien von Franz Lichtenstein.