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Artikel „Lichtenstein, Franz“ von Edward Schröder in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 694–695, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lichtenstein,_Franz&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 09:29 Uhr UTC)
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Lichtenstein: Franz L., Germanist, wurde am 1. September 1852 in Weimar geboren und verdankte dem Elternhause die frühe Einführung in litterarische und künstlerische Interessen. Das Weimarische Gymnasium entließ den Jüngling, einen seiner besten Schüler, im Sommer 1870 zu den Waffen: aus dem Kriege heimgekehrt, begann L. im Sommer 1871 seine Studienzeit in Jena, um sie in Leipzig durch zwei Jahre fortzusetzen. Aus dem Schwanken zwischen deutscher Philologie und Musikwissenschaft befreite ihn Konrad Hofmann in München. Von hier wandte er sich Ostern 1874 nach Straßburg, wo ihm Wilhelm Scherer die reizvolle, aber schwierige Aufgabe zuwies, den noch unedirten Tristrant des Eilhart von Oberge aus einer complicirten Ueberlieferung kritisch herzurichten und seine unsichere Stellung in der Frühzeit der mittelhochdeutschen Epik durch eine eingehende stilistische Analyse aufzuklären. [695] L. promovirte im Sommer 1875 mit einem Theil seiner Vorarbeiten und verwendete ein weiteres Capitel in der Schrift „Zur Kritik des Prosaromans Tristrant und Isalde“ 1877 zu seiner Habilitation in Breslau. Die Ausgabe des „Eilhart von Oberge“ selbst erschien mit einer sehr umfangreichen Einleitung unter der gleichen Jahreszahl erst im folgenden Jahre; sie ist das Ergebniß freudig hingebender Arbeit und wird in der Geschichte unserer Wissenschaft Lichtenstein’s Namen als den eines hoffnungsvollen Litterarhistorikers fortleben lassen. Denn auf dieser Seite allerdings liegt wie Lichtenstein’s beste Anlage, so auch sein Hauptverdienst: er verbindet ein natürliches Stilgefühl und früh erzogenen künstlerischen Sinn mit jener philologischen Bildung, die recht eigentlich Scherer zu geben vermochte; wir verstehen, daß L. seinem Lehrer nicht nur als liebenswerther Mensch, sondern auch als Gelehrter besonders befreundet ward. Nicht so entschieden zu loben wie die Einleitung (deren Werth durch die Anfechtung einzelner Ergebnisse kaum vermindert wird), ist die eigentliche Editionsarbeit: zwar mit dem methodischen Grundsatz, daß als Ziel der Ausgabe zunächst der Text anzustreben sei, den unsre Handschriften erschließen lassen, und nicht der dahinter liegende Originaltext, von dem sie nur eine Ueberarbeitung auf uns gebracht haben, damit wird L. gegenüber den eifersüchtigen Angriffen Bartsch’s Recht behalten; aber auch im Rahmen jener kritischen Principien könnte der Text mit besserer Sprachkunde durchgearbeitet und im Einzelnen sauberer sein.

Die wenigen Lebensjahre, die L. noch beschieden waren, sind in freudig geübter Lehrthätigkeit und in rastlos eifriger Arbeit verflossen, ohne daß er außer der Publication von „M. Lindener’s Rastbüchlein und Katzipori“ 1883 noch etwas Größeres zum Abschluß gebracht hätte. L. hat viel Schweres erlebt und die Noth des Lebens reichlich kennen gelernt; er bewahrte bei allem ein sonnig heiteres Gemüth und einen unbesiegbaren Optimismus. Endlich schien ihn die Lebenssonne mit vollem Glanz zu bestrahlen: im Sommer 1884 erhielt er ein Extraordinariat, und ein aus warmer Liebesneigung hervorgegangenes Verlöbniß hob ihn auf die Höhe des Glücks. Da ereilte den Lebensfrohen bei Binz auf Rügen, wo er mit seiner Mutter und seiner Braut zu kurzer Erholung weilte, im Bade ein jäher Tod.

Es ist sehr zu bedauern, daß L., den es nach Vollendung seines Eilhart leidenschaftlich zu litterar-historischen Problemen hinzog, auf Jahre hinaus bei Editionen (den Schwankbüchern und der gewaltigen Reimchronik Ottokar’s) festgehalten wurde; die für ihn Fronarbeit waren und zu denen er weder Neigung noch sonderliche Begabung mitbrachte. So ist von den schönen Aufgaben, die er sich gestellt und die er theilweise vielversprechend in Angriff genommen hatte (Wilhelm Meister und die Romantik, Hölderlin, Eichendorff) nichts zur Reife gediehen. Aber seine Freunde wissen nicht nur, was sie an ihm verloren haben, sondern auch was die Wissenschaft der deutschen Litteraturgeschichte von ihm erwarten durfte. Und Lichtenstein’s Freund ward, wer immer ihm im Leben und in der Wissenschaft nahe trat.

Erich Schmidt im Goethe-Jahrbuch VI, 365–367. – Kleinere Aufsätze enthält die Zeitschr. f. d. Alterthum Bd. 21. 22. 26. 27; längere und kürzere Recensionen der Anzeiger Bd. 4. 6. 7. 8. 9. 10.