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Artikel „Mohr, Johann Melchior“ von Placid Meyer von Schauensee in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 71–73, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mohr,_Johann_Melchior&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 23:15 Uhr UTC)
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Mohr: Johann Melchior M., ehemaliger helvetischer Minister, geb. im J. 1762, † am 25. Mai 1846, aus einem angesehenen luzernerischen Patriziergeschlecht, studirte einige Jahre an dem von Exjesuiten geleiteten Gymnasium seiner Vaterstadt und trat dann, fast noch im Knabenalter, in französische Dienste, kehrte jedoch bald wieder in die Heimath zurück, um Theologie zu studiren. Zum Priester geweiht, wirkte er eine Zeit lang als Pfarrer in Geiß und wurde schon 1792 zum Canonicus am Collegiatstift zu Luzern befördert. In den aufgeregten Zeiten der französischen Revolution verließ jedoch M. den geistlichen Stand und ward, als im October 1798 der Sitz der helvetischen Regierung von Aarau nach Luzern verlegt wurde, Secretär beim Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, wo er sich unter Leitung des Wadtländer Begoz schnell in das Verwaltungsfach hineinarbeitete. Er wurde schon im December 1800 Minister [72] des Unterrichts. Auf seine Anregung faßte die Vollziehungsbehörde den Beschluß, jede Gemeinde habe unter Androhung von Strafe für eine Schule zu sorgen, und jeder Hausvater sei verpflichtet, seine Kinder gehörig unterrichten zu lassen. Ebenso wurde unter seiner Verwaltung Pestalozzi’s neue Lehrmethode geprüft und unterstützt, die medicinische Schule in Bern gegründet und manches Andere für Wissenschaft und Volksbildung gethan. Als jedoch in Folge der Ereignisse vom 27./28. October 1801 die helvetische Tagsatzung aufgelöst und an die Stelle derselben ein Senat gesetzt wurde, nahm M. mit den sogenannten Einheitsfreunden die Entlassung und kehrte mit Rüttimann und Meyer nach Luzern zurück, wurde jedoch schon im April 1802 beim Siege der Einheitsfreunde in den neuen unter dem Namen der Notabeln bekannten Verfassungsrath nach Bern zurückberufen. Die Versammlung der Notabeln constituirte sich den 30. April, ernannte M. zu ihrem Präsidenten und beschloß, den Verfassungsentwurf vom 29. Mai 1801 durch eine Siebenercommission, in welche auch M. gewählt wurde, prüfen zu lassen. Am 20. Mai genehmigten die Notabeln die endgültige Redaction und es wurde die Abstimmung durch eine Proclamation des Kleinen Rathes vom 26. Mai 1802 eröffnet. Im Kanton Luzern, wo ein großer Theil der katholischen Geistlichkeit, der Fürstbischof von Constanz und der bischöfliche Commissar Thaddäus Müller an der Spitze, für die Annahme dieser Verfassung wirkten, ergab sich für dieselbe die absolute Majorität der Stimmfähigen. M., zum Mitglied des ersten constitutionellen Senats ernannt, schloß sich in seiner Zuschrift an die Gemeinden Willisau und Hochdorf, welche ihn zur Annahme der Senatorstelle eingeladen hatten, der Auffassung des bischöflichen Commissars an, wornach die neue Verfassung nichts gegen die Lehre der katholischen Kirche enthalte, weist, ausdrücklich versichernd, er habe sich in der Notabelnversammlung stets bemüht das Ansehen der Religion und die Rechte der Kirche durch die neue Verfassung zu sichern, darauf hin, daß das theologische Studium von der für Helvetien allgemeinen Lehranstalt nur deswegen ausgeschlossen worden, damit der katholische Jüngling, welcher sich dem Priesterstand widme, von katholischen Lehrern, in katholischen Seminarien seinen Unterricht erhalte, der Kirche aber ihr Eigenthum durch die Verfassung gesichert worden sei, indem der Grundsatz Aufnahme gefunden, daß die Kirchengüter weder veräußert noch ihrer gegenwärtigen Bestimmung entzogen werden dürften und im Kirchlichen endlich weder vom Senat, noch von der Tagsatzung irgend eine Veränderung vorgenommen werden könne, über die man sich vorher nicht mit der oberen geistlichen Behörde berathen und ihre Einwilligung dazu erhalten hätte. Der am 3. Juli eröffnete constitutionelle Senat wählte dann den Landesstatthalter V. Rüttimann zum Interimspräsidenten und M. neben Pidou als Secretär, sodann wurde M. auch in die Commission für Berathung des Reglements und am 8. Juli mit Sprecher, Morell und Mittelholzer in die der inneren Angelegenheiten berufen. M. hat als Senator an allen Schicksalen der Regierung theilgenommen, sich mit ihr nach Lausanne begeben und ist später mit ihr wieder nach Bern zurückgekehrt, nachdem er noch im November 1802 als Staatssecretär das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten übernommen und mit Wieland und Sprecher sich der Wahl zum Suppleanten des Vollziehungsraths unterzogen. Als Staatssecretär des Auswärtigen desavouirte er die harten Maßregeln des französischen Gesandten, General Ney, welcher die angesehensten Männer der alten eidgenössischen Partei verhaften und als Staatsgefangene auf die Festung Aarburg abführen ließ, sandte den Senator Stockar von Schaffhausen als außerordentlichen Gesandten nach Regensburg, erlangte durch ihn bei der deutschen Theilungs- und Säcularisationsfrage für die Schweiz günstigere Entschädigungsbedingungen als zu hoffen war und wurde besonders durch die Arbeiten der Consulta in Paris und die ununterbrochene [73] Correspondenz mit dem schweizerischen Gesandten daselbst in Anspruch genommen. Nachdem M. sodann an die fremden Gesandten eine Abschiedsnote der helvetischen Regierung gerichtet, das Inventarium der Archive dem neuen Landammann d’Affry nach Freiburg überbracht und damit die unvolksthümliche Periode der Helvetik abgeschlossen hatte, zog er sich, der in den helvetischen Räthen stets zur Partei der Gemäßigten hielt und dem von seinen Mitbürgern das schöne Lob ertheilt wurde: „von den Parteien unabhängig stets nur nach seiner besten Ueberzeugung für das Wohl des Vaterlandes gehandelt zu haben“, wieder auf sein Canonicat zurück. Von seiner Regierung zweimal zum infulirten Propst und Prälaten seines Stifts ernannt, lehnte er beide Male diese Würde ab und nahm, von allen höheren Stellen und Aemtern zurückgezogen, das extreme Parteigetriebe perhorrescirend, am kirchlichen und politischen Leben stets mit gleicher Liebe zum Vaterland regen Antheil. Nachdem er noch zum Senior seines Stifts vorgerückt, machte am 25. Mai 1846 Morgens 7 Uhr ein Schlagfluß seinem Leben im 84. Altersjahr ein rasches Ende. – Von M. besitzen wir eine Schrift: „Analytischer Versuch zu einer Modification der Einheit im Staate mit Hinsicht auf die Schweiz“, Luzern bei Meyer, 1800. M. hält dafür, die Schweizer seien bis anhin nur dem Namen nach ein und dasselbe Volk gewesen. Es seien gegenwärtig (1800) noch nicht 30 Monate verflossen, seitdem die Kantone durch eine fremde Hand zu einem untheilbaren Staate zusammengeschmolzen worden: wie könne man nun da vermuthen, daß in dieser kurzen, jammerreichen Epoche jener Geist der Unabhängigkeit, der in glücklicheren Zeiten bei jedem von ihnen so tiefe Wurzeln geschlagen habe, bereits bis auf die letzte Spur vertilgt sei? Wem es also Ernst damit sei, die Ein- und Untheilbarkeit der helvetischen Republik zu behaupten, der habe darauf bedacht zu sein, diese kleinen Völkerschaften stufenweise zu einem Volke heranzubilden, um endlich einen Nationalcharakter und ein Nationalinteresse herauszubringen. Damit aber jener Geist der Selbstthätigkeit, der noch in den einzelnen Kantonen rege sei, nicht unnöthig gekränkt, sondern ihm vielmehr eine glückliche Richtung zum Nutzen des Ganzen gegeben werde: so will der Verfasser den Abtheilungen des helvetischen Bodens alle jene Freiheit gestatten, welche sie der allgemeinen Wohlfahrt unbeschadet genießen könnten; auf diese Weise will er das Recht mit dem Interesse des Schweizervolkes ausgleichen und beiden Genüge leisten. Dieses große Geschäft der allmählichen Vereinigung zur Einheit werde aber hauptsächlich durch die Erziehung bewirkt, weswegen M. ihre Organisation nirgends weniger als in Helvetien den einzelnen Abtheilungen überlassen will.

Neuer Nekrolog der Deutschen XXIV (1846), 2. Thl., S. 988 u. ff., das Zeitungsblatt „Der Republikaner“ von 1802 u. Geschichte des Kantons Luzern von Dr. Casimir Pfyffer, 2. Bd.