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Artikel „Mirus, Adam Erdmann“ von Otto Kaemmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 780–782, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mirus,_Adam_Erdmann&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:10 Uhr UTC)
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Mirus: Adam Erdmann M., Schulmann und vielseitiger, namentlich populärwissenschaftlicher Schriftsteller, wurde am 26. Novbr. 1656 in Adorf im Vogtland geboren. Sein Vater, Johann M., damals Stadtpfarrer daselbst und zugleich Adjunct der Superintendentur Oelsnitz, war der Enkel des streitbaren kursächsischen Hofpredigers Martin M., der unter Kurfürst August an der Aufstellung der Concordienformel wesentlich sich betheiligte, später die Sache des orthodoxen Lutherthums leidenschaftlich vertrat und 1593 starb, seine Mutter hieß Rosina Höfer. Den ersten Unterricht erhielt M. theils in der Stadtschule, theils von seinem Vater. 1672–1674 wurde er dann Schüler des berühmten Zwickauer Rectors Christian Daum, wandte sich aber nach dem Tode des Vaters im J. 1674 – die Mutter war ihm um 4 Jahre vorangegangen – nach dem unter J. Prätorius blühenden lutherischen Stadt-Gymnasium in Halle, wo er bis 1677 blieb, und nach der Weise der Zeit bereits zweimal über theologische Fragen disputirte. Im J. 1677 bezog er die Universität Wittenberg, um Theologie, Philosophie und Philologie zu studieren. Sein Absehen war dabei auf die academische Laufbahn gerichtet. Durch zahlreiche Disputationen und Abhandlungen über theologische, philosophische, namentlich ethische, selbst juristische Gegenstände und gelegentlich auch über brennende Zeitfragen (so: an christianus magistratus in republica tolerare aut in eam recipere debeat Judaeos) in den Jahren 1680–1684 erwies er eine ausgebreitete Gelehrsamkeit und erwarb sich solche Anerkennung, daß ihn die philosophische Facultät zum Magister legens machte und er daran dachte, in der nächsten Zeit in sie förmlich einzutreten. Da gab im J. 1684 die Berufung in das Conrectorat des Gymnasiums in Zittau, die er in erster Linie gewiß seinem schon begründeten Rufe als Gelehrter verdankte, seinem Lebensgange eine völlig andere Richtung. Nachdem M. in zwei Disputationen (de obligatione iuramenti und Catholicum divinae benedictionis promtuarium ex Numeror. c. VI, v. 22 s. q.) Abschied von der Universität genommen hatte, wurde er am 20. Juni 1684 durch den Rector, den berühmten Christian Weise, mit einer trefflichen Rede de conscientia praeceptorum in sein neues Amt eingewiesen. Bis an seinen Tod, 44 Jahre hindurch, hat er dies inne gehabt, und während dieser Zeit vier Rectoren erlebt und meist überlebt, Christian Weise († 1708), Gottfried Hoffmann († 1712), Joh. Christoph Wenzel († 1723) und Polycarp Müller, ihnen auch die übliche Gedächtnißrede gehalten, von denen er die auf Weise und Hoffmann veröffentlichte (Zittau 1713). Seine amtliche Thätigkeit wurzelte in der Secunda, wo er neben dem Religionsunterricht auch die oratorischen und stilistischen Uebungen im Lateinischen leitete, sowie das im Ganzen stiefmütterlich behandelte Griechisch lehrte; dies Fach vertrat [781] er neben dem Hebräischen auch in der Prima; ebendort las er auch Justin. Treuster Eifer und festes Beharren auf der Einprägung und Einübung des Wesentlichen rühmt ihm sein Nachfolger Friedrich Bucher nach. Auch seine schriftstellerische Arbeit wandte er z. Th. der Schule zu. So gab er im J. 1685 „Poemata Phocylidis, Pythagorae et Naumachii“, 1690 „Rudimenta grammaticae graecae“ heraus. Zu einer noch ausgebreiteteren litterarischen Thätigkeit fühlte er sich daneben durch inneren Trieb wie durch die Verpflichtung zur Abhaltung der zahlreichen Gedächtnißreden auf verstorbene Wohlthäter des Gymnasiums beständig aufgefordert. So zersplitternd diese Nöthigung auch wirken mochte, da sie ihn zu zahllosen kleinen Einzelpublicationen zwang, so begannen doch seine Studien selbst sich mehr und mehr auf zwei bestimmte Gebiete zu concentriren. Mehr äußerlich war wohl die Veranlassung, die ihn dazu trieb, sich mit der Geschichte der Stadt und Landschaft zu beschäftigen, in der er thätig war. So versuchte er in einer Gedächtnißrede im J. 1694 eine kurze zusammenfassende Darstellung der Lausitzischen Geschichte von den ältesten Zeiten bis zum Anfalle des Landes an Sachsen, keine selbständige Arbeit natürlich, aber nicht unverdienstlich durch die strenge Periodisirung, die Hervorhebung des Wesentlichen und eine gewisse kritische Nüchternheit („de rebus Lusatorum“, Budiss. 1695, 72 SS. 8°); er beschäftigte sich mit den Gelehrten der Landschaft („de Lusatorum in rempublicam litterariam meritis“, Zittav. 1718) und fühlte sich durch das zweihundertjährige Jubiläum der Reformation in Zittau zu zwei kleinen darauf bezüglichen Gelegenheitsschriften aufgefordert („de initiis doctrinae evangelicae per Lusatiam superiorem sparsae“ und „de historia scholae Zittaviensis ante et post reformationem“, beide Zittav. 1721). In engem Zusammenhange mit seinen in Wittenberg gepflegten Studien dagegen stehen eine ganze Anzahl kleiner deutsch geschriebener Abhandlungen, die zunächst für seine Schüler bestimmt waren und in dichter Reihe von 1705–1714 erst in Görlitz, dann in Dresden und Leipzig erschienen (kurze Fragen aus der genealogia sacra, oeconomia sacra, ethica sacra, politica sacra, musica sacra, physica sacra; von der Reise der Israeliten durch Arabien u. s. f.). Sie bildeten alle Vorarbeiten für drei größere, lexicalische Werke. Zuerst im J. 1714, dann in zweiter, ansehnlich vermehrter Auflage 1727 erschien sein „Biblisches Antiquitätenlexikon“; (Leipzig 1714 und 1727, 1290 bezw. 1372 Spalten, in der 2. Auflage mit vier Indices, gewidmet dem damaligen Landesherrn seiner Heimath, Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz, 1681–1718). Ihm folgte 1717 das „Lexicon antiquitatum ecclesiasticarum“ (Bautzen 1717, 936 SS. ohne die Register); den Abschluß bildete das „Onomasticon biblicum“ (Leipzig 1721, 994 Spalten ohne die Register). Seine ursprüngliche Absicht war bei allen dreien gewesen, sie in lateinischer Sprache zu veröffentlichen; indeß auf die Veranlassung seines Rectors Gottfr. Hoffmann arbeitete er sie in deutsche Form um, denn nur so konnte er seinen Zweck, zum Ersatz der schwerfälligen und kostspieligen Reallexika ähnlicher Art practische, jedem zugängliche Handbücher zu schaffen, wirklich erreichen. Trotz dieser populären Absicht sind sie übrigens ganz wissenschaftlich gehalten, und setzen demgemäß auch eine gewisse wissenschaftliche Bildung, namentlich die Kenntniß der beiden class. Sprachen und theilweise sogar des Hebräischen voraus, denn überall geht M. auf die Bezeichnung der Sachen in den Ursprachen, bei dem Onomasticon sogar auf die Etymologie der Eigennamen, besonders der hebräischen zurück. Daher errangen sich diese Bücher auch rasch eine gewisse Geltung, die das bibl. Antiquitätenlexicon bis in die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts behauptete. Neben solchen gelehrten Arbeiten fehlte es M. keineswegs an Interesse für die gewaltigen rasch wechselnden Begebenheiten seiner bewegten Zeit. So gedenkt er gelegentlich (in der oben citirten zweiten Einladungsschrift [782] zur Reformationsfeier) der glänzenden und Anfangs so erfolgreichen Regierung Ludwigs XIV. und der Umgestaltungen, die Rußland durch Peter den Großen erfuhr; ja er fühlte sich ganz im Geiste und vielleicht auf die Veranlassung seines Rectors Weise veranlaßt, den glücklichen Umschlag der Ereignisse des spanischen Erbfolgekrieges seit der Schlacht von Turin und namentlich die Eroberung Neapels durch einen weitläufigen Actus oratorius zu feiern, bei welchem dreizehn ingenui atque bonae spei adolescentes pro captu aetatis die Geschichte des Königreichs Neapel von der normännischen Zeit bis auf die eben erfolgte habsburgische Occupation abschnittweise in lateinischer Rede behandelten (15. Novbr. 1707). Die Einladungsschrift gab eine kurze Uebersicht desselben Gegenstandes (historia regni Neapolitani). In ähnlicher Weise veranstaltete M. zur Feier des Reformationsjubiläums im J. 1721 eine scenische Darstellung, bei welcher die Religion und die sechs oberlausitzischen Schwesterstädte, durch allegorische Figuren vertreten, den Fortgang der Reformation in der Oberlausitz betrachtend und glückwünschend verfolgten. Mit Stadt und Landschaft, in denen er wirkte, kam M. in um so engere Beziehungen, als er sich mit einer Zittauerin, Anna Rosina Gerber, der Tochter eines Arztes, vermählte. Von den vier Söhnen, die sie ihm außer drei Töchtern gebar, starb der älteste Joh. Friedrich, der sich der Theologie gewidmet hatte, vor dem Vater. Zwei andere, Christian Erdmann und August Aenotheus, schlugen die juristische Laufbahn ein, der vierte, der sich dem kaufmännischen Berufe zugewandt, verscholl auf einer Seereise nach Westindien. Da auch Christian Aenotheus jung starb, so erbte der Name des Vaters sich nur durch den zweiten fort († als Stadtschreiber in Zittau 1772), denn eine zweite Ehe, die M. mit Anna Rosina Nesen, der Wittwe des verstorbenen Tertius Joachim Curtius schloß, blieb kinderlos. Schon lange kränkelnd wurde M. im Juli 1726 von einem Schlaganfall betroffen und erlag einer Wiederholung desselben am dritten Pfingstfeiertage (3. Juni) d. J. 1727. Für die Erhaltung seines Andenkens sorgten die drei ihn überlebenden Söhne durch die Stiftung einer Gedächtnißrede, die noch heute alljährlich gehalten wird. Seinen Charakter zeichnet Polycarp Müller, Rector seit 1723, mit den Worten: „Senex sine vitiis senectutis, in labore nunquam laboriosus, inter quaerimonias nunquam querulus, inter tristia hilaris semper, etiam cum doleret sine sensu doloris stoicus erat extra stoam, i. e. philosophus vere christianus – nec schola, molestissima plurimis, ei molesta unquam.“

Sühnel, Decemviralia lusatica (Bautzen 1730) 55–64. – Joh. Gottfr. Kneschke, M. Adami Erdmanni Miri, Gymnasii Zittav. quondam conrectoris memoria, Zitt. 1812. H. Kämmel, Rückblicke auf die Gesch. des Gymnasiums in Zittau (1871), S. 24, 25, 30, 34, 36. Ein Verzeichniß seiner Schriften bis 1709 in Ludovici’s Schulhistorie II, 97 ff., vgl. Kneschke, passim und Otto, Lexicon der Oberlausitzischen Schriftsteller II, 613 ff.