ADB:Meyer von Knonau, Ludwig (schweizerischer Staatsmann)

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Meyer von Knonau, Ludwig (schweizerischer Staatsmann)“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 621–628, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meyer_von_Knonau,_Ludwig_(schweizerischer_Staatsmann)&oldid=- (Version vom 10. Oktober 2024, 04:32 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 21 (1885), S. 621–628 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Ludwig Meyer von Knonau (Staatsmann) in der Wikipedia
Ludwig Meyer von Knonau in Wikidata
GND-Nummer 100819524
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|21|621|628|Meyer von Knonau, Ludwig (schweizerischer Staatsmann)|Gerold Meyer von Knonau|ADB:Meyer von Knonau, Ludwig (schweizerischer Staatsmann)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=100819524}}    

Meyer von Knonau: Ludwig M. v. K., schweizerischer Staatsmann und Geschichtsschreiber, geb. am 12. September 1769, † am 21. September 1841 zu Zürich. – Ein Enkel des Joh. Ludwig M. v. K. (s. d. Art.), war M. v. K. ein Sohn des Hans Kaspar M. v. K. (seit 1778 zürcherischer Rathsherr, † 1808): er sagte selbst über diesen seinen Vater, daß derselbe sich in seinem Auftreten zwar wenig von den anderen zürcherischen Staatsmännern unterschieden habe, aber in seiner selbständigen, durch geschichtliche Kunde geläuterten Denkungsweise von der Heerstraße seiner Collegen abgewichen sei. Schon 1771 folgte der Sohn mit der ganzen Familie dem auf die sechsjährige Verwaltungszeit als Landvogt des zürcherischen Gebietstheiles Eglisau ernannten Vater in das landvögtliche Schloß dorthin nach, und hier am Rheine gewann der Knabe die ersten bleibenden Jugendeindrücke, sowie durch öftere Theilnahme an der hier sehr ergiebigen Jagd förderliche körperliche Stärkung. Auch nach der Rückkehr nach Zürich dauerte der häusliche Unterricht, die Absonderung von anderen Kindern, noch einige Zeit fort und führte zu vielfach zielloser, andererseits aber auch anregender Vielleserei. Dann machte M. v. K. von 1780 an nicht den gewöhnlichen Gang der damaligen Zürcher Schulen durch, was jedoch bei deren ungenügend gewordenen Gestalt eher zum Vortheile gereichte: am meisten versicherte er dem vorzüglichen philologischen Lehrer Steinbrüchel zu bleibendem Danke verpflichtet zu sein. Von 1789 auf 1790 folgte noch ein Studienjahr in Halle, wo vorzüglich Fr. Aug. Wolf Anziehungskraft ausübte; daran schloß sich eine Reise über Berlin, durch die Niederlande und Frankreich, die bereits im Stadium der Revolution sich befanden – die Reisenden waren bei dem großen Föderationsfeste vom 14. Juli 1790 anwesend –, über Genua wieder nach der Heimath. In der zu jener Zeit gewohnten Weise trat nun der zurückgekehrte junge Mann in den Staatsdienst ein, indem er sowol auf der Staatscanzlei arbeitete, als auch auf dem gerichtlichen Felde sich zu bethätigen begann. Zugleich aber setzte er auch seine wissenschaftlichen Bestrebungen fort – 1794 z. B. war er einer der Zuhörer eines Privatcollegiums Fichte’s – und war ihm Gelegenheit geboten, sich auch selbständig auf dem Boden der Praxis zu erproben. Denn geärgert durch die steten Eingriffe theils der zürcherischen Behörden, theils der landvögtlichen Gewalt der gemeinen Herrschaft Baden, hatte der Vater an M. v. K. die Verwaltung der Familienherrschaften Weiningen [622] und Oetwil (vgl. S. 620) übertragen, und so war in dieser eigenthümlichen feudalen Kleinwelt Gelegenheit zu manchen Erfahrungen, sowie zu näherer Bekanntschaft mit den Interessen der Landwirthschaft geboten. Als Secretär der landwirthschaftlichen Abtheilung der naturforschenden Gesellschaft trat M. v. K. zu Hans Kaspar Hirzel (vgl. Bd. XII, S. 486) in nähere Beziehung und gab selbst 1794 eine „Anleitung zum Weinbau“ heraus. Inzwischen wurde er 1793 als Stetrichter im Vogtgerichte ernannt, 1795 mit einem Notariate betraut. Aber die Ereignisse der großen Umwälzung im Westen fingen nun an, auch die Schweiz, und in deren Osten besonders den Kanton Zürich, in ihren Wirbel hineinzuziehen, und als 1795 die Bewegung in Stäfa Maßnahmen der Regierung herbeiführte (vgl. Bd. III, S. 24), hatte M. v. K. als Secretär der bestellten Commission mitzuwirken. Doch besonders lehrreich gestaltete sich 1797 eine diplomatische Sendung nach St. Gallen, zum Behufe der Intervention von der Seite der vier Schirmorte, zwischen dem Fürstabte Pankraz und seinen Unterthanen, wobei M. v. K. das Secretariat der Repräsentantschaft zu übernehmen hatte. Ganz am Beginne des folgenden Jahres 1798 endlich begleitete er als Secretär des ersten – zürcherischen – Gesandten eine durchaus aussichtslose Botschaft an den Congreß zu Rastatt, welcher selbst, wie schon auf dem Hinwege zu Basel von dem dort weilenden fränkischen Abgeordneten, Bürger Mengaud, vernommen werden konnte, nichts als ein Blendwerk war. Als die zürcherischen Mitglieder der Abordnung am 17. Februar wieder zu Hause anlangten, fanden sie in ihrem Kanton die Staatsumwälzung schon im vollen Gange.

M. v. K. hatte zu denjenigen jüngeren Angehörigen der Stadt Zürich gezählt, welche die Nothwendigkeit einer Aenderung, das Aufhören der städtischen Vorrechte gegenüber der Landschaft, schon vor dem Eintreten der Nöthigung zum Verzichte, klar eingesehen hatten. Zum Theil hing das mit seiner genaueren Bekanntschaft mit der Lage der Landbewohner, von der Herrschaft Weiningen her, zusammen, während andererseits das sicher vorauszusehende Erlöschen der dort bisher genossenen Rechte eine bedeutende Einbuße in Aussicht stellte: mit Fug und Recht konnte er später betonen, er habe seine Einlaßkarte in die neue Ordnung der Dinge, durch diesen Verlust der Patrimonialherrschaften, theurer, als kein Anderer im Lande Zürich bezahlt. Einzig das Gewaltsame des Ueberganges, und vorzüglich der Umstand, daß die Umwälzung die Folge fremder Einwirkung, der französischen Invasion, sein sollte, machten peinlichen Eindruck auf ihn. Hinsichtlich der Frage der Neugestaltung der gesammtschweizerischen Dinge zählte er in der nun beginnenden Zeit der helvetischen Einheitsverfassung zu den gemäßigten Unitariern. Als er als Districtsrichter in die neu gebildeten helvetischen Behörden 1798 erwählt wurde, entzog er sich dem Rufe nicht und legte seine seit kurzer Zeit übernommene Stelle bei der neuzusammengesetzten zürcherischen Verwaltungskammer wieder nieder. Von der vorübergehenden Herstellung, nach Abwerfung der helvetischen Ordnung, zwischen den beiden Schlachten bei Zürich 1799, in der Zeit der Anwesenheit österreichischer und russischer Truppen (vgl. Bd. XIII, S. 207 u. 208), hatte er gedeihliche Dauer nicht erwartet; aber daß die nach Rückkehr der Franzosen auch über Zürich wieder zur Macht gelangten helvetischen Gewalthaber sich vor seiner selbständigen Haltung scheuten, ging daraus hervor, daß das vom 17. October datirte terroristische Absetzungsdecret des helvetischen Directoriums gegen eine Anzahl helvetischer Beamten auch ihn traf. Nach dieser Erfahrung trat er im November in die zürcherische Municipalität ein; aber weit erwünschter war ihm kurz darauf die Wahl als Mitglied des Kantonsgerichtes, im Januar 1800, in welcher Behörde er nun auch bald den ihm geistesverwandten Winterthurer Humoristen Ulrich Hegner [623] kennen und schätzen lernte (vgl. Bd. XI, S. 289). – Auf dem Boden dieses Wirkungskreises, der ihm bald so lieb wurde, daß er weitere Aufträge, so im September 1801 eine Mission als Regierungscommissär des helvetischen Vollziehungsrathes nach Rätien, ausschlug, gewann M. v. K. bald einen umfassenden Einblick, und die Ueberzeugung von vorliegenden Mißverhältnissen bewog ihn auch 1802 zu einer litterarischen Kundgebung: „Bemerkungen über die Gebrechen des helvetischen Criminal-Wesens“. Inzwischen rückte das Ende des als immer unhaltbarer sich herausstellenden helvetischen Systemes heran. Als helvetischer Beamter und nach seiner gesammten Auffassung und Stellung hatte sich M. v. K. im September 1802 von der Insurrection der Stadt Zürich gegen die helvetische Regierung durchaus ferne gehalten; dagegen sah er nachher auch ohne großes Bedauern das Ende dieser Regierung herannahen, da dieselbe die öffentliche Achtung und das Zutrauen verloren hatte. Das Einschreiten des französischen ersten Consuls erachtete er als eine Wohlthat für die Schweiz, da dieselbe sonst der Anarchie anheimgefallen wäre. Doch gab er Anfang 1803 bei der ihm ganz unerwarteten Ernennung als Mitglied der Siebener-Commission für Organisation des Kantons Zürich auf Grund der neuen der Mediationsacte entsprechenden Verfassung und für Uebernahme der Regierung bis zur Einführung der Verfassung selbst seine Ablehnung.

Bei den Neuwahlen der Behörden wurde M. v. K. Mitglied des Großen Rathes, trat aber keiner der beiden sich scharf sondernden Parteien – der Aristokraten und Demokraten – bei. Gerade aus diesem Grunde, um freier zu sein, nahm er auch gerne im April 1803 die Wahl in die neu bestellte oberrichterliche Behörde an (im November 1802 hatte er, als er die früheren Behörden immer mehr des Ansehens verlustig sah, sein Amt als Kantonsrichter niedergelegt), und er bewirkte, um den ihm bekannten bevormundenden Gelüsten des in seinen Befugnissen sehr fest stehenden Kleinen Rathes auch schon äußerlich einen Damm zu setzen, daß sich das neue Tribunal den Namen Obergericht gab. In dieser richterlichen Stellung vermochte er 1804 nach Niederwerfung der demokratischen Insurrection im Kanton Zürich mehrfach ermäßigend einzugreifen. Als Präsident des Ehegerichtes, seit 1804, hatte M. v. K. außerdem für die Umarbeitung des Matrimonialgesetzbuches seine Thätigkeit einzusetzen. Ebenso gehörte er seit 1799 und wieder neu gewählt seit 1803, dem Erziehungsrathe an. Aber die nicht gesuchte Wahl in den Kleinen Rath am 13. Septbr. 1805 führte ihn nun dazu, die ihm erwünschtere richterliche Stellung aufzugeben. Als Rathsmitglied verpflichtete sich M. v. K. wieder auf keine ausgesprochene Partei, und er sah, theils um dieses Umstandes willen, theils da seine freie Auffassung der Dinge vielfach von vornherein beargwöhnt wurde, oft seine Rathschläge unterliegen. Dennoch gelang es ihm als Mitglied der Finanzcommission mit 1807 die Vorlegung der Staatsrechnungen vor dem Großen Rath zu erzielen, im Domänendepartement die Vermehrung des Wiesenbaues und die Verwandlung einzelner uneinträglicher Höfe in Holzpflanzungen herbeizuführen; auch an den Arbeiten des Straßendepartements nahm er schon jetzt, noch mehr in den nachfolgenden Epochen, wo unter freierer Regung Neuschöpfungen möglich wurden, den regsten Antheil. Im Erziehungswesen war jetzt die Widerstandskraft der alten Gliederungen, voran des Chorherrenstiftes am Großmünster, zu groß; dagegen suchte M. v. K. mit uneigennütziger Selbstbethätigung die Schöpfung des politischen Institutes, gewissermaßen einer freien juristischen Facultät, zu fördern. Er selbst hielt am 2. Febr. 1807 die Rede bei Eröffnung der neuen Anstalt (abgedruckt in der Zeitschrift „Isis“, III. Jahrgang, 1807: Aprilheft, Zürich), übernahm neben Hans Konrad Escher und Heinrich Escher (vgl. Bd. VI, S. 369 u. 353) die dritte Professur, für das Rechtsfach, und behielt bis 1813 [624] diese Verpflichtung bei. Schon bis 1806 hatte er sich auch in eingehender Arbeit einem Entwurf eines Zürcherischen Strafgesetzbuches gewidmet, den dann aber die aristokratisch gesinnte Partei des Großen Rathes verwarf. Nur ein Mal, 1811, nahm M. v. K. ein Mandat als Tagsatzungsgesandter an – das Prunkhafte des gesammten Apparates beleidigte seinen einfachen republikanischen Sinn –: es war die Versammlung in Solothurn, in deren Verhandlungen die gespannteren Beziehungen zu der immer stärkere Anforderungen stellenden Regierung des kaiserlichen Mediators zu Tage traten. Ueberhaupt blickte er mit wachsender Besorgniß auf das stetig sich steigernde Willkürsystem des Militärkaisers, und in seinen mit Hegner getauschten vertrauten Briefen hoffte er schon vor dem Eintritt der Katastrophe (am 9. März 1813 schreibt er: „Als Mensch freue ich mich der aufgestandenen Nemesis“) auf den Fall nach dem Uebermuth. Aber als nun, nach dem Umsturze der Mediationsacte in den letzten Tagen des Jahres 1813, auch in Zürich Gelüste nach der Herstellung der vorrevolutionären Verfassung zu Tage traten (vgl. Bd. XII, S. 289), war M. v. K. durchaus entschlossen, wenn es nothwendig würde, einem gewaltsamen Reactionsversuch der städtischen Mißvergnügten einen Kern der Vertheidigung auf der Landschaft gegenüberzustellen, und das zürcherische Staatshaupt selbst, Bürgermeister Reinhard (s. d. Art.), willigte darein, daß so gehandelt werde, wenn es sein müsse. Es kam nicht so weit; aber immerhin erfuhr auch der Kanton Zürich seine Restauration. Doch wurde wenigstens, unter bestimmtester Zustimmung von M. v. K., der bisherigen unbedingten Initiative des Kleinen Rathes, zum Vortheile einer freieren Bewegung des Großen Rathes, ein Ende gemacht, dadurch in die neue städtische Aristokratie eine gewisse demokratische Beimischung gebracht.

Auch in dieser Periode von 1814 bis 1830 gehörte M. v. K. dem Kleinen Rathe als Mitglied an, lehnte aber sogleich 1814 die Wahl in die engere Körperschaft des Staatsrathes ab. – 1817 wirkte er als Mitglied des eigens bestellten Rathsausschusses für Maßregeln zur Erleichterung der Folgen der großen Theuerung mit. Immer von neuem, doch auch in dieser Epoche noch ohne Erfolg, kämpfte er auf dem Boden der Matrimonialgesetzgebung für die Zulassung der Ehe zwischen Schwager und Schwägerin. Als Vicepräsident des Erziehungsrathes seit 1820 arbeitete er, insbesondere mit dem Historiker Heinrich Escher, seinem früheren Collegen vom politischen Institute, und mit J. J. Hottinger (vgl. Bd. XIII, S. 200) an einer Verbesserung des Schulwesens, die dann allerdings erst 1830 rasch und in ungeahnt größerem Umfange ins Leben trat. – Doch bis gegen das Ende der zwanziger Jahre erwuchs nun, theils aus den Kreisen der jüngeren juristischen Schule (vgl. den Art. Fr. L. Keller Bd. XV, S. 574 u. 575), theils aus einer freisinnigen Publicistik (s. d. Art. H. Nüscheler), in der Hauptstadt selbst eine regsame Opposition gegen die Regierung und ihre Handlungsweise. Derselben schloß sich M. v. K., so sehr er im Rathe vielfach sich berufen fühlte entgegenzutreten und zu Besserem zu wirken, nicht an. Von der Nothwendigkeit einer tiefer gehenden Aenderung, der Unhaltbarkeit des besonders durch Finsler’s Sturz (vgl. Bd. VII, S. 26) schwer erschütterten Regierungssystems war auch er überzeugt; aber er billigte es nicht – so sagt er selbst –, „daß das Volk der Stoff sein sollte, an welchem Theoretiker und Systematiker gewagte und bald wieder verschwindende Theorien versuchten“. Immerhin, so gut er mit der Volksstimmung schon vor dem Juli 1830 bekannt war und der Ueberzeugung lebte, daß es zur Herbeiführung von Veränderungen in der Schweiz nicht der französischen Einwirkungen bedurft hätte, war er doch von der Raschheit der Entwickelung der Dinge selbst überrascht.

M. v. K. war im November 1830, noch vom bisherigen Großen Rathe, als fünftes Mitglied einer aus 21 Gliedern bestehenden Commission erwählt [625] worden, welche die Revision der Verfassung beginnen sollte, und als nach der Volksversammlung zu Uster am 22., welche gegenüber den ungenügend gefundenen vorgeschlagenen Zugeständnissen weitere Begehren aufstellte, der Große Rath zurücktrat, wurde er am 6. December von seiner Zunft in den neuen Großen Rath erwählt, erklärte aber sogleich, daß er den gemachten Ansprüchen der Landschaft, auf ein billigeres Repräsentationsverhältniß gegenüber der Stadt, sich entgegenkommend erweisen werde. Allein er wurde nun durch die Wahl als erster Abgeordneter Zürichs, auf die wegen der erschütterten Lage Europas vom Vororte Bern einberufene außerordentliche Tagsatzung, der weiteren Mitarbeit an den zürcherischen Verfassungsfragen entzogen. Er selbst hatte im Großen Rathe ganz wesentlich die Form der zürcherischen Gesandtschafts-Instruction herbeigeführt, nach welcher eine Intervention der Bundesgewalt gegenüber Verfassungsabänderungen ausgeschlossen sein sollte, und so verstand sich, daß er zur Vertheidigung dieses Standpunktes nach Bern entsandt wurde, obschon z. B. Reinhard glaubte, eine Gesandtschaft Zürichs mit solcher Instruction werde gar nicht angenommen werden. Aber auf der Tagsatzung, welche dann mit der Verlegung des Vorortes Anfang 1831 nach Luzern übersiedelte, siegte, zumal nun auch der Kanton Bern von der Bewegung ergriffen wurde, die durch Zürich verfochtene freie Auffassung. – Während noch die Tagsatzung in Luzern versammelt war, wurde M. v. K. bei den Neuwahlen auf Grund der im März 1831 angenommenen neuen zürcherischen Verfassung als Mitglied des neu bestellten Regierungsrathes erwählt. Aber zugleich warfen nun auch schon die zwischen Stadt und Landschaft Basel über die Frage der Repräsentation ausbrechenden Wirren ihren bedenklichen Schatten in die Verhandlungen der Tagsatzung, und da M. v. K., welchem bei seiner gründlichen Abneigung gegen alles Parteitreiben der stets sich verschärfende Gegensatz in der Basler Frage unbegreiflich erschien, aus seinen Erkundigungen im Kanton Zürich genau wußte, welche Gährung, bis zur Gefahr eines allgemeinen Bürgerkrieges, diese Mißhelligkeiten in die in Verfassungsumgestaltung begriffenen Kantone hineinwarfen, trat er von Anfang an für entgegenwirkende, beschwichtigende Maßnahmen der Tagsatzung auf und behielt auch angesichts der späteren Kämpfe diese berechtigten Wünschen der Landschaft Basel günstige Gesinnung bei. – An den für die neubestellte Zürcher Regierung äußerst reich gehäuften Aufgaben, deren Inhalt vielfach einer eigentlichen Neuschöpfung gleich kam, nahm nun M. v. K. in den nächsten Jahren, und zwar nicht nur auf dem ihm zunächst zugewiesenen Arbeitsfelde, demjenigen der Finanzen, den allerregsten Antheil und schloß sich, wenn er von der Nützlichkeit oder Nothwendigkeit durchdrungen war, von Beschlüssen nicht aus, von denen er von vornherein wissen konnte, daß seine Betheiligung ihm als Angehörigen der Stadt zum giftigen Vorwurfe gemacht werden würde, so gleich bei der Aufhebung des Chorherrenstiftes und wieder bei der Niederlegung des die Stadt noch von der Landschaft abtrennenden Festungsgürtels. Ebenso schwankte er nicht, als wegen der Entstehung des sogenannten „Schutzvereins“ und der von ihm selbst auch nicht unterschätzten Gefährlichkeit dieser Verbindung (vgl. Bd. VIII, S. 266) beide Bürgermeister und noch mehrere der Stadt Zürich nach ihrer Geburt angehörende Mitglieder des Regierungsrathes am 13. März 1832 ihre Entlassung nahmen und damit die bisherige Fusion der Parteien in der Executive ihr Ende erreichte; sondern in der Ueberzeugung, daß es seine Pflicht sei, sich nicht um dieser Sache willen von der Betheiligung an förderlichen und nothwendigen Entwickelungen und Umgestaltungen abzutrennen, blieb er in der Behörde. Dagegen wies er jetzt, im Hinblick auf sein Alter und seine seit Jahren sehr geschwächte Sehkraft, das ihm angebotene [626] Bürgermeisteramt entschieden zurück. Unbekümmert um die entgegengeschleuderten Anfeindungen setzte er mit unvermindertem Fleiße seinen Weg fort; als ihn beim Eintritt einer neuen Wahlperiode seine eigene Zunft demonstrativ bei der Bestellung des Großen Rathes überging, entschädigte ihn der Große Rath selbst, indem er auf ihn in ehrenvoller Weise die erste der ihm zustehenden indirecten Wahlen lenkte. Als Mitglied des Staatsrathes bestrebte sich M. v. K. 1833 und 1834, in welchen Jahren Zürich im vorörtlichen Range sich befand (vgl. Bd. XII, S. 290 u. 495), nach seiner Ueberzeugung, daß der Schweiz die internationale Verpflichtung obliege, die Verfassungen und die Ruhe anderer Staaten zu achten und zu schonen, vorzüglich in den so geräuschvoll verhandelten Angelegenheiten der Flüchtlinge für eine correcte Haltung der vorörtlichen Behörde zu wirken. Insbesondere hielt er es 1834, nach dem von schweizerischem Boden aus geschehenen Einbruche polnischer und italienischer Flüchtlinge nach Savoyen, für in jeder Hinsicht angemessen, aus Anlaß des Besuches des Königs Karl Albert in Savoyen an denselben eine Deputation nach Chambery abzuordnen, und er stand auch im Großen Rathe für die Richtigkeit des Verfahrens angesichts radicaler Angriffe ein, während der bestimmbare Bürgermeister Heß sich nun nach der andern Seite hinüber wandte und die Erklärung abgab, er bedauere seine Zustimmung. – Solche Schwankungen, ähnliche Erscheinungen des Mangels eines inneren Zusammenhanges in der Regierung, die daraus entstehende Verringerung ihres Ansehens entgingen dem erfahrenen Staatsmanne nicht; mochte von der gegnerischen Partei, in oft unglaublich plump gemeiner Weise, über ihn als „den blinden Mann“, gespottet werden, so erkannte er deutlicher, als die meisten seiner Collegen, die von der eigenen Partei gemachten Fehler. Das Volk wurde allmählich seinem größten Theile nach gleichgültig gegen die Verfassung und verlor die Achtung vor der Vollziehungsgewalt; die höchst fruchtbare, doch allzu große Thätigkeit auf dem Boden der Gesetzgebung belästigte und machte auf die Länge den Unwillen rege. Allein die unverkennbaren Anzeichen solchen Mißvergnügens im Volke wurden an maßgebender Stelle vielfach übersehen. Schon seit der Mitte der dreißiger Jahre hatte M. v. K. mehrmals sich mit dem Gedanken getragen, aus den Geschäften zurückzutreten; doch Beweise des Vertrauens, die ihm stets wieder entgegengebracht wurden, schienen es ihm zur Pflicht zu machen, auszuharren, so lange er kräftig genug sich fühle. Die Wahl eines ländlichen Kreises, welche die früheren Weininger Herrschaftsgenossen 1838 auf ihn bei Besetzung des Großen Rathes lenkten, bewog ihn, nochmals, bis Ende 1840, sich das Ausharren im Staatsdienste aufzulegen; doch gab er nun wenigstenes Präsidium und Sitz im Straßendepartement ab, welches ihn in den letzten zehn Jahren ganz besonders in Anspruch genommen hatte.

Beim Beginn des für Zürich so verhängnißvoll gewordenen Jahres 1839 stand, wie M. v. K. selbst urtheilte, im Kanton Zürich, der 1838 auch seine Partialrevision der Verfassung noch in aller Ruhe durchgesetzt hatte, das politische Barometer zunächst nicht tiefer, als in den meisten anderen Theilen der Schweiz. Aber die Unzufriedenheit gegenüber manchen Erscheinungen des öffentlichen Lebens schlummerte nur und dieselbe wurde nun durch die verblendete Maßregel geradezu geweckt, welche die talentvollsten Persönlichkeiten der politisch und intellectuell leitenden Kreise durchführen zu sollen meinten (vgl. Bd. XII, S. 291, 483 u. 484, 496 u. 497). M. v. K. war sich der großen Gefahr vollkommen bewußt, welche in der einer Provocation gleich kommenden Berufung von Strauß an eine theologische Professur der Hochschule lag, und er theilte durchaus nicht die oft schwärmerischen Gedankenflüge des Haupturhebers der folgereichen Maßregel, des rastlosen Bürgermeisters Melch. Hirzel. Aber er hielt, nachdem einmal der Erziehungsrath, freilich nur durch Hirzel’s Stichentscheid, am [627] 26. Januar 1839 in der Sache Stellung genommen, die Angelegenheit für eine vollendete „Partei- und Ehrensache“, in welcher nach dem Gefühle der Solidarität mit den Collegen vorgegangen werden müsse, und so gab er am 2. Febr. in der entscheidenden Sitzung des Regierungsrathes ebenfalls für Strauß seine Stimme ab, doch unter bestimmtem Ausdruck seiner Befürchtungen –: er wolle sich von der Mehrheit nicht trennen, sondern mit ihr das Unangenehme theilen. Zugleich jedoch sprach er auch die Hoffnung aus, daß, nachdem der Ehre des Berufenen Rechnung getragen worden, die mit Strauß in naher Verbindung stehenden Männer denselben über die Lage der Dinge belehren und zum Verzicht auf seine Stelle bewegen würden, und in diesem Sinne schrieb er z. B. am 25. Februar an Professor Ferd. Hitzig. Was auf diesem Wege nicht erreicht werden konnte – die Verhinderung der Wirksamkeit des Verfassers des Leben Jesu in Zürich –, das wurde durch die wachsende Agitation des „Glaubens-Comité’s“ bald erzwungen: schon im März wurde Strauß pensionirt. Aber damit war nun der Sturm nicht mehr zu beruhigen, und alle Anstrengungen, welche M. v. K. noch fortsetzte, zu beschwichtigen, die Regierungspartei zur richtigen Einsicht in die Sachlage zu bringen, eine Verständigung zu erzielen, blieben erfolglos; seine Ansicht, daß es, wenn die weit überwiegende Mehrzahl des Volkes auf der Seite der Vereine stehe, besser sei, gelassen abzutreten, nicht mit Gewalt auf den Regierungsstühlen sich zu behaupten und so einen Bürgerkrieg zu veranlassen, wurde nicht gehört. So kam es zu dem bewaffneten Zuge gegen den Sitz der Regierung am 6. September. – Vom frühen Morgen dieses Tages an wohnte M. v. K. der nach einigen Stunden außerordentlicher Weise in ein geschützteres Local, das Postgebäude, verlegten Regierungsrathssitzung bei, und nach der tödtlichen Verwundung seines Collegen Hegetschweiler (vgl. Bd. XI, S. 278) war er der erste, der sich des Sterbenden annahm; dann fand er nach der Rückkehr von dessen Seite das Sitzungszimmer leer, und allein kehrte er in seine Wohnung zurück. Einzig die Erwägung, daß es, bei seiner Eigenschaft als Mitglied des Staatsrathes des eidgenössischen Vorortes, während der Dauer der in Zürich versammelten Tagsatzung seine Pflicht sei, den Vorort nicht ohne Vertretung zu lassen, den eidgenössischen Staatsrath vervollständigen zu helfen, bewog ihn, dem Bürgermeister Heß, welcher ihn zu Hause aufsuchte, auf dessen Bitte die Zusage, zum Eintritte in eine zu bildende provisorische Regierung zu geben, und er folgte demselben gleich in den ersten Nachmittagsstunden auf das interimistische Sitzungslocal im Stadthause nach. Allein sobald er – am 13. September – erkannte, daß die anfangs fest gegebene Zusicherung, wegen genauer Beobachtung der Verfassung, nicht werde gehalten werden, daß an den Bestand gesetzlicher Behörden gerührt werde, besuchte er die Sitzungen nicht mehr, und ebenso lehnte er am 19. die auf ihn gefallene indirecte Wahl des neuen Großen Rathes ab. – Damit trat der Greis völlig in das Privatleben zurück.

Trotz seiner Jahrzehnte hindurch gehäuften amtlichen Geschäfte hatte M. v. K. schon in der Zeit seiner öffentlichen Functionen auch eine nicht zu unterschätzende wissenschaftliche und litterarische Thätigkeit entwickelt. Abgesehen von kleineren Arbeiten, die z. B. 1805 in der Zeitschrift „Isis“ erschienen - diese Fragmente von Reiseschilderungen fanden lebhaften Beifall des urtheilsfähigen Freundes Hegner –, oder später von ziemlich zahlreichen historischen Beiträgen für die Neujahrsblätter der Stadtbibliothek, von 1822 an, sowie in der Folge für die Encyklopädie von Ersch und Gruber, oder von einer feines philologisch-ästhetisches Verständniß verrathenden Einsendung: „Auch etwas über Homer“ in die „Zürcherischen Beiträge“, Bd. I, 1815, welche sich gegen verfehlte Bemerkungen Heinrich Meister’s (s. d. Art.) über „Homer und Virgil“ richtete, fand M. v. K. [628] auch für größere Unternehmungen Zeit. Gegenüber dem mit der Restauration neu sich emporhebenden, der Romantik die Hand reichenden Katholicismus legte er einen großen Werth auf die mit den Reformations-Gedächtnißfeiern frisch erwachende Erinnerung an das geistige Ringen des 16. Jahrhunderts, und aus dem Interesse, das er geradezu auch allgemein an diesen Fragen nahm, erwuchs 1822 das ohne Nennung des Verfassers erschienene Buch: „Geistesreligion und Sinnenglaube im XIX. Jahrhundert. Mit einem Anhange über die Vereinigung der christlichen Bekenntnisse“ (Winterthur). Doch am meisten zogen ihn die historischen Studien an. Zunächst gab er 1816 einen älteren beliebten historischen Grundriß eines seiner Lehrer, Rudolf Maurer († 1805), neu heraus: „Kurze Geschichte der Schweiz. Vierte Auflage, fortgesetzt bis auf 1815“. Dann aber wandte er sich, zumal er auch zum Präsidenten der nach 1815 erneuerten vaterländisch-historischen Gesellschaft erwählt worden war, und in Folge bestimmter Aufforderungen, vorzüglich auch von Hegner’s Seite, zu einer umfangreichen Arbeit, was ein um so größeres Unternehmen war, da seit 1812 seine Sehkraft so sehr abgenommen hatte, daß er bei seinen Studien und Arbeiten ganz auf fremde Augen und Hände angewiesen war. Das in zwei Bänden 1826 und 1829 erschienene „Handbuch der Geschichte der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ (Zürich) sichert M. v. K. wegen der darin niedergelegten eindringlichen Forschungen, aber vorzüglich wegen der sichtbaren staatsmännischen Erfahrung und weisen Vaterlandsliebe einen dauernden Platz in der schweizerischen Geschichtsschreibung.[1] – Nach seinem Rücktritte nun, 1839, trug sich der Greis mit neuen litterarischen Plänen. Allein ganz besonders verwandte er jetzt seine Muße, um eine Selbstschau seines Lebens zu dictiren, eine Arbeit, die er bis in seine letzten Lebenstage stets von neuem vornahm. Endlich in sicherer Voraussicht des nahen Todes widmete er am 12. Septbr. 1841, neun Tage vor seinem Lebensende, dem zürcherischen Volke die „Abschiedsworte an meine theuren Kantonsmitbürger“. In diesem politischen Testamente trat zum letzten Male seine reine Liebe zur Heimath, der vollendet klar von ihm erfaßte republikanische Staatsgedanke zu Tage; besonders erhellte noch einmal aus diesen letzten Rathschlägen des Staatsmannes, in wie hohem Grade er auf die innere Wahrheit eines gesetzmäßigen, besonnenen Fortschreitens vertraut, in welchem Maße er es durch seine ganze Laufbahn vermieden hatte, einer einzelnen Partei, statt dem Allgemeinen, zu dienen.

Vgl. die vom Verf. d. Art. herausgegebenen „Lebenserinnerungen von Ludwig Meyer von Knonau, 1769–1841“, mit den Abschiedsworten als Anhang (Frauenfeld 1883).

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 628. Z. 22 v. o.: Von L. Meyer von Knonau ist das Bruchstück einer Rede, in der ersten Versammlung der vaterländisch-historischen Gesellschaft, 1818, über das Thema: „Wie soll der Schweizer Geschichte studiren?“ in Escher’s und Hottinger’s Archiv für Schweizerische Geschichte und Landeskunde, Bd. I (Zürich 1827), abgedruckt, welches auch noch weitere Beiträge desselben enthält. [Bd. 24, S. 787]