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Artikel „Hirzel, Bernhard“ von Gerold Meyer von Knonau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 483–484, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirzel,_Bernhard&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 01:32 Uhr UTC)
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Hirzel: Bernhard H., Orientalist und politischer Agitator, geb. 1807, gestorben im Juni 1847. Der Sohn eines wohlhabenden zürcherischen Industriellen, studierte H. am Züricher Carolinum Theologie und zeichnete sich schon in diesen Jahren durch seine tüchtige Kenntniß des Hebräischen und Arabischen aus. Seine Lehrer waren der gründliche Ulrich Fäsi (vgl. Bd. VI, S. 579) und Ludwig Hirzel (s. d. Art.). Zu Berlin, wo er promovirte, und Paris setzte dann H. seine Lieblingsstudien fort (1831—1833). Unter Bopp in Berlin, dem er ein recht lieber Schüler war, begann er das Sanskrit, dessen Studium er dann unter Chézy weiter führte. Schon 1833 erschien von H. eine Uebersetzung des auch von Goethe so hoch gestellten Dramas Çakuntalâ, eine metrische Uebertragung, welche im Ganzen geschmackvoll ist, aber, wie es in jener Zeit und bei der kurzen Frist, welche H. diesen Studien erst gewidmet hatte, kaum anders möglich war, hinsichtlich des genauen Verständnisses des Originales manches zu wünschen übrig ließ. Bei der Umgestaltung des höheren zürcherischen Schulwesens, nach der Aufhebung des Chorherrenstiftes 1832, wurde H. Inspector der Stipendiaten, und an der 1833 neugegründeten Hochschule habilitirte er sich als Privatdocent für Sanskrit. Ein eifriger Schüler schildert den persönlichen Eindruck, den er damals von H. gewann, folgendermaßen: „Hirzel's orientalisches Aussehen, seine leidenschaftliche Erregtheit für das Vordringen in neue Wissensgebiete machten großen Eindruck auf mich. Regelrecht war sein Unterricht nicht, und er hielt auch die angewiesenen Stunden nicht ein; bald blieb er aus und bald arbeiteten wir statt während einer Stunde drei Stunden nach einander. Regelmäßiger wird wohl sein Unterricht in der Zeit gewesen sein, als Sauppe, Ettmüller (vgl. Bd. VI, S. 398—400) und Andere seine Zuhörer waren. Neben seinem Inspectoramte predigte er oft auf dem Lande, und er muß sich offenbar auch politisch bethätigt haben, da, wie ich mich erinnere, er im „Republikaner“ (vgl. Bd. VIII, S. 266) als Lehrer der Gaunersprache verspottet wurde“. Getäuschte Hoffnungen hinsichtlich seiner Stellung in Zürich, unerquickliche Familienverhältnisse bewogen H., sich nach dem Dorfe Pfäffikon in den östlichen Kantonstheil 1837 als Pfarrer wählen zu lassen. Zwar beschäftigte er sich auch da noch eifrig wissenschaftlich: 1838 erschien von ihm eine metrische Uebersetzung der Urvaçi und der Meghadûta, Zeugnisse fortgeschrittenen Studiums auf dem Boden des Sanskrit. Aber die Bewegung im Kanton Zürich von 1839 riß nun H. mit sich fort: er war erlesen, geistlicher Führer des „betenden Aufstandes“ vom 6. September zu sein, der die in sich selbst uneinige und geschwächte Regierung der Regeneration umwarf (s. d. Art. Hegetschweiler, J. J. Heß, M. Hirzel). An sich nicht Fanatiker, aber heißblütig, enttäuscht und in ungünstigen privaten Verhältnissen, dann mitten unter einem zu gewaltsamem Ausbruche sich neigenden Volke in der Höhe einer religiös gefärbten politischen Bewegung als Seelsorger thätig, so erschien H. zu der Rolle gemacht, die ihm, wie übrigens auch den übrigen Präsidenten der Bezirkscomités, durch die Zuschrift des Vicepräsidenten des Centralcomités, Dr. Rahn-Escher, am 5. September von Zürich aus aufgetragen wurden war: „Ich ersuche Euch, Euch in Bereitschaft zu halten, damit, wenn die Glocken gehen, Alles zum Sturm bereit sei. Ein guter Theil kommt dann nach Zürich, und ein anderer Theil bleibt zu Hause zu Bewachung des eigenen Heerdes“. „Der bloße Gedanke an fremde Einmischung — (d. h. die Intervention aus anderen radikalen Kantonen, wie sie Rahn andeutete) —, an Zwang zu verabscheuten Zwecken von Seiten der verachteten Regierung regte mich und alle, denen ich es mittheilte, so auf, daß wir lieber sterben wollten, [484] als solchen Zwang erdulden“ — so schrieb H. in seiner nachherigen im Druck veröffentlichten Berichterstattung: „Mein Antheil an den Ereignissen des 6. September 1839, ein Wort der Wahrheit an die Schweitzerbrüder in der Nähe und Ferne.“ Als H. in der Nacht zum 6. mit einer zu 4—5000 angewachsenen Volksmenge nur noch wenige Stunden östlich von der Hauptstadt entfernt war, fand er eine schriftliche Aufforderung des Centralcomités zur Rückkehr vor, willigte aber leicht in die Forderung des Volkes, vorwärts geführt zu werden: „Im Rückwärts sah ich nicht nur für mich, sondern für die Volkssache selbst nichts als Verderben“. Hegetschweiler's Sendung, die in einer nördlichen Vorstadt den Zug traf (vgl. Bd. XI, S. 278), blieb erfolglos. Zwei getheilte Colonnen, nur noch etwas über 2000 zählend — „ihr Aussehen war im Ganzen nicht ansprechend“: urtheilte der Augenzeuge Baumgartner: doch hielten sie Ordnung — rückten unter Rahn's und Hirzel's Führung durch die Stadt über die Limmat, an deren linkem Ufer sich wieder vereinigend, gegen das Sitzungslocal der Regierung heran mit dem geistlichen Liede: „Dies ist der Tag, den Gott gemacht“. Dann erfolgte vor der Fraumünsterkirche der Zusammenstoß mit der kleinen, von der Regierung zur Vertheidigung bereit gehaltenen militärischen Abtheilung; nach dem Falle Einzelner wich die Masse über die Brücken in verzweifelter Flucht zurück. Aber durch die Auflösung der Regierung hatte dennoch der Aufstand thatsächlich gesiegt. — In den nächsten Jahren wandte sich H. zur hebräischen Litteratur zurück: 1840 erschien von ihm als „Das Lied der Lieder, oder der Sieg der Treue“, eine Uebersetzung des hohen Liedes, und 1844 gab er sogar ein von ihm geschaffenes hebräisches Gedicht nebst Uebersetzung. „Gedicht des Todesboten über dem Erdkreis“ heraus, wie die Vorrede sagt, als Ausdruck „der Stimmung, aus welcher der 6. September hervorging, und des wissenschaftlichen und geistigen Standpunktes dessen, der damals zum „Hämmerer“ sich berufen fühlte“. Aber daneben beschäftigte ihn noch das Gotische und Althochdeutsche, und er suchte derartige Anregungen durch privaten Unterricht auf jüngere Lehrer der Umgegend zu übertragen. Doch inzwischen war durch die immer unordentlichere Lebensführung und die schlimmen häuslichen Verhältnisse, auch bei der abermaligen Umwandlung der politischen Lage durch die Zurückschiebung des 1839 begründeten Systems seine Stellung als Pfarrer bis 1845 unhaltbar geworden. H. mußte, um nicht schwere Maßregeln gegen sich zu erfahren, seine Stelle in Pfäffikon aus scheinbar eigener Initiative niederlegen und den geistlichen Stand aufgeben. Er ging wieder als Docent nach Zürich, wo er z. B. über den Zürcher Dialekt ein Colleg ankündigte, dann aber auch in anderer Stellung, als Rechtsrathgeber, eine Stellung sich zu schaffen suchte. Umsonst bemühte sich sein Jugendfreund Bluntschli insbesondere, in treuer Gesinnung den Unglücklichen zu retten. Derselbe sank immer tiefer und mußte Ende 1846 wegen Wechselfälschung fliehen. Er ging nach Paris, wo er etwa nochmals den Boden früherer wissenschaftlich sicherer Geltung zu erringen hoffen mochte. Allein zu seinem Unglück folgte ihm das unwürdige weibliche Wesen, das schon längst sein Leben vergiftet, die Lösung der Ehe Hirzel's herbeigeführt hatte, ebenfalls dahin. Er kam in das tiefste Elend und nahm sich endlich durch Gift das Leben. Es hätte H. gelingen sollen, von seinem früheren Aufenthalte in Paris hinweg nach London oder nach Indien auf das Gebiet zu kommen, wo er Bedeutendes zu schaffen berufen war. Denn „entschieden war er ein hervorragendes Talent und dazu angethan, eine wissenschaftliche Größe zu werden, hätte ihn das Schicksal nicht zerdrückt“.

Zumeist nach sehr verdankenswerthen Mittheilungen von Prof. H. Schweizer-Sidler (vgl. auch Neuer Nekrolog der Deutschen, XXV. Jahrg., S. 835 bis 838).