ADB:Mayer, Christian (Jesuit)

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Artikel „Mayer, Christian“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 89–91, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Mayer,_Christian_(Jesuit)&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 10:18 Uhr UTC)
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Mayer: Christian M., Astronom. Geb. zu Mesritz in Mähren, nach der einen Angabe am 19. Juli, nach der anderen am 20. August 1719, entzog sich M. seinem Vaterhause durch die Flucht, um seinen Wunsch, in den Jesuitenorden treten zu können, zur Ausführung zu bringen; wo er vorher seine Studien gemacht, ist anscheinend nicht bekannt. Am 26. September 1745 wurde er zu Mannheim Novize des Ordens, der den jungen Mann nach und nach in verschiedenen Lehrerstellungen verwendete. Zuerst lehrte er in Aschaffenburg die klassischen Sprachen, alsdann ward ihm daselbst auch der mathematische Unterricht übertragen, und zuletzt wurde er Professor der Mathematik und Physik an der Universität Heidelberg. Mit dieser Professur, welche M. auch als Exjesuit beibehielt, war die Direction der neuen Mannheimer Sternwarte verbunden, aber auch in dem nahe gelegenen Schwetzingen, wo er häufig weilte, erbaute Kurfürst [90] Karl Theodor seinem Hofastronomen ein eigenes Observatorium. M. verließ die Pfalz nur zum Zwecke wissenschaftlicher Reisen; so besuchte er die Pariser Gelehrten, begleitete Cassini[WS 1] bei seinen Gradmessungsarbeiten in Deutschland und machte schließlich sogar einen Abstecher nach Rußland, wohin ihn Katharina II. wie manchen anderen auswärtigen Astronomen zur Beobachtung des Venusdurchganges von 1769 berufen hatte. Bei seinem Tode, der am 16. April 1783 in Heidelberg – nach einer anderen Quelle in Mannheim – erfolgte, stand M. als ein hochgeachteter Forscher da, den die Akademien von Mannheim, München, Bologna und Philadelphia, die königl. Gesellschaft von Göttingen und die englische Royal Society zu ihrem wirklichen oder correspondirenden Mitgliede ernannt hatten. Mayer’s schriftstellerische Thätigkeit erstreckte sich über den ganzen Kreis der damals zur Mathematik gerechneten Gegenstände. So handelt z. B. eine seiner Universitätschriften (Mannheim 1758) von der ersten Fortifications-Manier Vauban’s[WS 2]. Physikalische Lehrbücher schrieb er ebenfalls, und zwar in eigenthümlicher Anordnung, wie das „Specimen physicae experimentalis in terra“ und das „Specimen physicae experimentalis in aqua“ (beide Heidelberg 1755) beweisen. Selbständig scheint sich M. besonders mit Forschungen über die chemische Harmonika beschäftigt zu haben. Der reinen Mathematik sind unter seinen litterarischen Arbeiten gewidmet: „Brevis trigonometriae planae institutio selectis matheseos et physicae partibus applicata“, Heidelberg 1754 und „Elementa arithmeticae“, ibid. 1762. Auch mit dem vom Grafen Pacheco erfundenen Distanzmesser[WS 3] beschäftigte er sich viel und behandelte ihn nicht blos in einer eigenen Monographie, sondern veranlaßte auch eine denselben behandelnde Dissertation des P. Stengel (Mannheim 1762, 1767). Aber nicht nur die niedere Geodäsie war sein Fach; er maß auch in der Rheinebene einen Grad des Erdmeridians (vgl. seine „Basis Palatina anno 1762 ad normam acad. r. Par. sc. exactam bis dimensa“, Mannheim 1763) und interessirte sich lebhaft für Kartographie. Sowol um die Mappirung der pfälzischen Lande als auch um diejenige Rußlands hat er Verdienste sich erworben, indem er während seines Aufenthaltes in dem nordischen Reiche – wahrscheinlich auf den Wunsch der Kaiserin – die „Nouvelle méthode pour lever, en peu de temps et à peu de frais, une carte géographique et exacte de toute la Russie, approuvé par l’académie royale de Saint-Pétersbourg“ (ibid. 1770) verfaßte. Was seine „Charta geographica per tractum Rhenanum Moguntia Basileam usque“ anlangt, so müssen wir uns auf einen Brief von Franz Huber an den Prager Mathematiker Stepling verlassen, worin erstere als nach ganz neuen Grundsätzen angefertigt bezeichnet wird, denn das Original selbst ist bei einem Brande zu Grunde gegangen. Seine astronomischen Beobachtungen hat M. an verschiedenen Orten veröffentlicht, in den „Phil. Transactions“, in den Berichten der Societät von Philadelphia, im „Journal des Savans“, wo er (1781) den Gang einer Arnold’schen Pendeluhr[WS 4] erörterte, endlich auch in einer besonderen, acht Jahre umfassenden Sammlung. Seine Schilderung des Venusdurchganges von 1769 – den von 1761 hatte er in Schwetzingen beobachtet – wegen dessen er eben die Reise nach Petersburg unternommen hatte, erschien noch im selben Jahre und bald darauf im Auszuge in den Nova acta eruditorum; zugleich ward eine französische Uebersetzung des lateinisch geschriebenen ersten Berichtes veranstaltet. M. hat sich nicht darauf beschränkt, das mitzutheilen, was er selbst gesehen, sondern auch den Beobachtungen anderer in Rußland stationirter Astronomen ihr Recht angedeihen lassen, so daß seine Schrift zu den wichtigeren gehört, welche dem merkwürdigen Phänomen ihre Entstehung verdankten. Als praktischer Himmelsforscher hat sich M. auch durch seine Schrift über die geographische Breite der Schwetzinger Warte bethätigt. Es ist jedoch höchst bemerkenswerth, [91] daß all’ diese zahlreichen Leistungen, in deren Anerkennung seine Zeitgenosem rückhaltslos übereinstimmten, Mayer’s Namen bei weitem nicht so bekannt gemacht haben, als ein kleines Buch über Fixsternkunde, welches seinen Verfasser in eine endlose litterarische Polemik verwickelte und wenigstens bei den deutschen Fachmännern nicht den mindesten Beifall fand. In der „Mannheimer Zeitung“ vom 20. October 1777 erschien ein Referat über eine Vorlesung, welche M. der kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften gehalten und worin er mitgetheilt hatte, daß er im Verlaufe der letzten dreiviertel Jahre, im Vereine mit seinem Assistenten P. Mezger, etwa 100 Trabanten von Fixsternen aufgefunden. Kaum war diese Nachricht bekannt geworden, so brachte schon das Wiener „Diarium“ vom 8. November 1777 eine scharfe Entgegnung aus der Feder des Hofastronomen Hell, der zwar selbst Exjesuit war, aber dennoch mit seinem Confrater nichts weniger als schonend umging und dessen Entdeckungen kurzweg als optische Fictionen bezeichnete. M. ließ in dem nämlichen Mannheimer Blatte einen erwidernden Artikel einrücken, worin er sein Recht, das Wort „comes“ auch auf den Fixsternhimmel auszudehnen, in ganz zutreffender Weise vertheidigt. Natürlich antwortete Hell aufs Neue, und zwar ließ er das gröbste Geschütz persönlicher Invectiven auffahren, und in diesem Tone erfolgte seine Replik noch zweimal, obwohl M. einen feineren Ton der Polemik beibehielt und auch den Versuch machte, seinen Gegner durch einen englischen Gelehrten, der damals Deutschland bereiste, umstimmen zu lassen. Auf dieser Grundlage entstand das oben genannte Werkchen: „Gründliche Vertheidigung neuer Beobachtungen von Fixsterntrabanten, welche zu Mannheim auf der kurfürstlichen Sternwarte entdecket worden sind“, Mannheim 1778. In demselben wird der richtige Weg zur Vertheidigung der früher ausgesprochenen Ansichten eingeschlagen; der Autor vergleicht mit den älteren Beobachtungen von Flamsteed[WS 5], Römer[WS 6] u. A. sowol mehrere der von Tobias Mayer vorgenommenen Ortsbestimmungen als auch seine eigenen und kommt zu dem Schluß, daß die thatsächlich erwiesenen Veränderungen sich nur durch eine Centralbewegung erklären ließen. M. hat mit dieser Neuerung, die er auf dem Gebiete der Stellarastronomie anzubahnen versuchte, entschiedenes Unglück gehabt. Wir meinen, indem wir dies aussprechen, weniger den Umstand, daß ihm außer Hell noch ein zweiter Widersacher in Nikolaus Fuß[WS 7] erstand, der gegen ihn seine „Réflexions sur les satellites des étoiles“ (Petersburg 1789) vom Stapel ließ, sondern wir wollen darauf hinweisen, daß Mayer’s Arbeit durch die nur wenige Jahre nachher erschienene von William Herschel vollständig in den Schatten gestellt wurde. Herschel’s Katalog umfaßte fast sämmtliche von M. entdeckten Sternpaare und noch eine Menge neuer; auch hat sich der deutsch-englische Gelehrte frei zu halten gewußt von der allerdings nicht glücklichen Bezeichnungsweise seines deutschen Collegen, und das Gewicht seines Namens sicherte seinen Arbeiten schon von vorn herein ihren Einfluß. Bei alledem wird die Nachwelt nicht umhin können, zuzugeben, daß M., wenn er auch das Wesen seiner Fixsternbegleiter Mangels mikrometrischer Messung nicht richtig auffaßte und wenn er auch mehrfach optische Sternpaare mit physischen verwechselte, gleichwohl den eigentlichen Anstoß zu den in neuerer Zeit zur höchsten Bedeutung gelangten Untersuchungen über Doppelsterne gegeben und zugleich sich als einen ungleich weitsichtigeren Forscher den zunftmäßigen Astronomen vom Schlage Hell’s gegenüber bewährt hat.

Wolf, Geschichte der Astronomie, München 1877 S. 620, 644, 740 ff. – W. Meyer, Geschichte der Doppelsterne, Vierteljahrsschr. d. naturf. Gesellsch. zu Zürich, 1876. S. 395 ff. – Pfälzisches Museum, 1. Heft, Mannheim 1783. – Klüber, Die Sternwarte zu Mannheim, Mannheim 1811. – Augustin et Alois de Backer, Bibliothèqe des écrivains de la compagnie de Jésus, V. série, Liège 1859. S. 526 ff.


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