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Artikel „Lysius, Heinrich“ von Wilhelm Heinrich Erbkam in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 19 (1884), S. 741–742, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lysius,_Heinrich&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 15:41 Uhr UTC)
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Lysius: Heinrich L., geb. am 24. October 1670 zu Flensburg, † am 16. October 1731 zu Königsberg, ein lutherischer Theolog und Pädagog. Sein Vater Joh. L. war Propst, Assessor des Oberconsistoriums und Pastor zu St. Marien in Flensburg, und war im Stande, seinen Kindern eine gründliche gelehrte Bildung zu verschaffen. Im J. 1687 bezog L. zuerst die Universität Jena, darauf im folgenden Jahre Leipzig. Dort 1689 durch Krankheit am weiteren Studium gehindert, mußte er dann im Hause seines Vaters die Genesung abwarten, bis er im Stande war, im J. 1690 seine Studien in Königsberg fortzusetzen. Hier blieb er bis 1693; nur einmal durch einen längeren Aufenthalt bei seinem Vater unterbrach er die hier zugebrachte Studienzeit. Der Einfluß, den die damaligen Lehrer in Königsberg, v. Sanden[WS 1], Dreier, Pfeiffer, welche der synkretistischen Schule zuneigten, auf ihn ausübten, war nicht nachhaltig. Dagegen ergriff er die andere geistige Bewegung, welche damals in steigendem Maße die Gemüther aller Vorwärtsstrebenden mit sich zog, den Pietismus mit der vollen Entschiedenheit seines tiefen und charaktervollen Gemüths. Schon im elterlichen Hause war ihm von väterlicher wie mütterlicher Seite das Erbtheil lebendiger Frömmigkeit zu Theil geworden, und da sich zu dem widrige Erfahrungen mit einem ihm vorgesetzten, streng orthodoxen Geistlichen gesellten, so war es erklärlich, daß er sich zur Gemeinschaft der im Lande wie in ganz Norddeutschland zerstreuten Pietisten hingezogen fühlte. Eine im J. 1694 unternommene Reise über Berlin nach Halle zur Inauguration der neugestifteten Universität Halle führte ihn in die Bekanntschaft mit den Häuptern der neuen Richtung, Spener, Francke, Breithaupt, ein, und er wurde von diesen als Bundesgenosse und Mitarbeiter anerkannt und für weitere Wirksamkeit ins Auge gefaßt. Diese fand sich nach einigen Jahren. Durch den Tod seiner beiden Eltern 1694 und 1695 ward ihm die Pflicht auferlegt, für seine jüngeren Geschwister Sorge zu tragen. Er ging deshalb nach Flensburg zurück 1695, verheirathete sich daselbst und mußte verschiedene Reisen nach Danzig, Schweden, Norwegen und Dänemark 1695–98 in häuslichen Angelegenheiten unternehmen. Da traf ihn ein Ruf Spener’s zur Uebernahme eines Pfarramtes in der Altmark 1701. Schon war er, eingedenk eines Gelübdes seines Vaters, der ihn zum geistlichen Amte bestimmt hatte, zu diesem Zwecke 1701 nach Berlin gegangen, als sich zwar diese Berufung wegen Uneinigkeit der Patrone zerschlug, dagegen ihm auf Empfehlung von Spener ein anderes, viel bedeutenderes Amt angeboten wurde, nämlich das eines außerordentlichen Professors der Theologie in Königsberg. Damit war zugleich die Direction einer vor wenigen Jahren aus privaten Anfängen neu gegründeten königlichen Schule verbunden, die seit der Krönung 1701 den Namen des Collegium Fridericianum erhalten hatte. Gern nahm er diese Berufung an, und nachdem er in Halle unter Breithaupt 1702 den Grad eines Doctors der Theologie erlangt hatte, siedelte er noch in demselben Jahre nach Königsberg über und trat sein schwieriges Doppelamt an. Mehr als 31 Jahre [742] hat er hier gewirkt und nach Ueberwindung zahlloser Schwierigkeiten und Hindernisse, die ihm die Ungunst der Verhältnisse, der Neid seiner Collegen und die geringe Dotation der neuen Anstalt verursachten, endlich das Ziel erreicht, das Collegium Fridericianum zu einer der besuchtesten und angesehensten höheren Schulen Königsbergs zu erheben. Noch jetzt besteht diese Anstalt in Segen. Obwol ihm als einem Fremdling und Pietisten von Seiten der Geistlichkeit und des Consistoriums nur gehässige Anklagen und stete Opposition entgegen gebracht wurden, so fehlte es ihm doch nicht an treuen Freunden und Förderern seines Werkes. In der Ferne unterstützten ihn A. H. Francke und Spener mit Rath und Zusendung von geeigneten Hülfsarbeitern. Vornehmlich war für ihn von vorzüglichem Werth die treue Mithülfe seines Freundes und Geistesgenossen, des Holzkämmerers Theodor Gehr, eines Anhängers von Spener (der die erste Anregung zu der neuen Schule gegeben hatte). Auch in der Regierung fanden sich einzelne Gönner der neuen Anstalt, und insbesondere war es der König Friedrich I., der diese seinen Namen führende Anstalt nicht fallen ließ, und ihm selbst vielfache Beweise seines Vertrauens schenkte. So gelang es ihm, eine Kirche, verbunden mit der Schule, zu erbauen und hier in dem sonntäglichen Gottesdienste eine zahlreiche, ihm ergebene Gemeinde um sich zu versammeln. Der Einfluß, der hierdurch auf die Stadt Königsberg und weiterhin auf die ganze Provinz ausgeübt wurde, war ein nachhaltiger und bis in die Gegenwart noch fühlbar. Auch seine äußere Stellung wurde nach und nach durch Beförderung zu höheren Aemtern eine gesichertere und ehrenvolle. Im J. 1707 wurde er ordentlicher Professor, 1715 Consistorialrath und dritter Hofprediger an der Schloßkirche, und erhielt er zugleich die Inspection über die Schulen und Kirchen in dem litthauischen District des Königreichs Preußen. Der König Friedrich Wilhelm I., der ihn hatte predigen hören, hat ihm persönlich dies Amt übertragen. Zweimal wählte ihn der Senat zum Rector, zehnmal verwaltete er das Decanat seiner Facultät. Im J. 1721, als er zum Primarius und Senior der theologischen Facultät avancirt war, wurde er zum Pastor der Stadtkirche und Inspector bei den Schulen im Löbenicht ernannt. Allen diesen Aemtern hat er mit seltener Treue und Ausdauer bis an sein Ende vorgestanden. Seine Feinde waren inzwischen gestorben, seine Freunde und Schüler an ihre Stelle getreten, und trotz vieler Enttäuschungen, die er an seinen eigenen Anhängern erleben mußte, konnte er doch bei seinem Tode mit Befriedigung auf sein reichgesegnetes Tagewerk zurückblicken.

Vgl. Acta Borussica III. 1, 3; 1731. Hier seine Biographie. – Arnoldt’s Historie der Königsbergischen Universität, II, 1746. – Horkel, Der Holzkämmerer Theodor Gehr und die Anfänge des Königl. Friedrichs-Collegiums zu Königsberg. (Königsberg 1855.) – Evangel. Kirchenzeitung 1881, Nr. 34.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: v. Sander