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Artikel „Lossow, Heinrich“ von Hyacinth Holland in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 85–87, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lossow,_Heinrich&oldid=- (Version vom 27. November 2024, 19:15 Uhr UTC)
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Lossow: Heinrich L., Genremaler, geboren am 10. März 1843 und † am 19. Mai 1897 zu München, war als der Sohn des Bildhauers Arnold L. (s. A. D. B. 1884, XIX, 221) zur Plastik bestimmt, arbeitete anfänglich auch im Atelier des Vaters, folgte aber dem Beispiele seiner Brüder, des Historienmalers Karl L. (ebenda XIX, 223) und des Thiermalers Friedrich L. (ebenda XIX, 222), indem er bei Ph. Karl Piloty und Arthur v. Ramberg seine unverkennbare Begabung entwickelte. Schon 1864 trat L. mit einem sorgfältigst durchgeführten kleinen „Mozart als Orgelspieler“ in die Oeffentlichkeit und cultivirte mit großer Geschicklichkeit gleichzeitig Oelbild und Illustration. So zeichnete er, nach Grützner’s Vorgang, Scenen zu den „Lustigen Weibern“ und zu „Kabale und Liebe“, während er mit seinem Freunde Rudolf Seitz (geboren am 15. Juni 1842) im ganz entgegengesetzten mittelalterlichen Stile, ein „Manuale precum“ für den jungen König Ludwig II. mit Pergament-Aquarellen schmückte, eine höchst eigenthümliche Leistung, welche erst 1892 aus der Vergessenheit wieder auftauchte und in das Bairische Nationalmuseum gelangte. Unentwegt dadurch machte sich L. darauf an das seinem ganzen Wesen sehr sympathische „Buch der Lieder“ von H. Heine, wo der junge Dichter die Sphinx umarmt und der vom Kuß des Mundes Beglückte gräßlich durch die Tatzen verwundet wird. L. bewies sein Talent, daß er (taktvoller als nach ihm der gefeierte Franz Stuck) die widerwärtige Scene der Tatzenumarmung vermied und dafür mit dem süßen Schauer der Romantik zu umgeben wußte. Indem er die jungen Poeten in Rococotracht kleidete, betrat L. zugleich das Gebiet, welches er sich später zu seiner Domäne erkor. Als echter Pilotyaner machte er gründliche Studien der Architektur und Geräthe des XVIII. Jahrhunderts, die er während des Krieges 1870 und 1871 vor Paris und in Versailles, an jener Quelle der Rococokünste, vervollständigte. Ein ganzer Schwarm von üppigen, schäferlichen Hof- und Zopfdamen tänzelte vorüber mit pikanten Kammerkätzchen, Putzmacherinnen und galanten Courschneidern; er [86] übersetzte den graziösen Antoine Watteau, sein unverkennbares Ideal, ins Deutsche, freilich ohne dessen Feinheit und Eleganz zu erreichen, obwol L. an Roben, Spitzen und anderem Beiwerk sein Mögliches that. Dadurch unterschied er sich von den Fadaisen des rohen Heinrich Ramberg, der als Imitator von Jean-Baptiste Greuze schon zufrieden war. Man sieht bei L. das Vergnügen, jegliches Detail von Stoffen, Möbel, Geräthen, alles, was zur Folie seiner Herrscher und Dämchen gehört, mit größter Sorgfalt und Sauberkeit durchzuführen. Das ganze pikante Recept dreht sich um Spiegel und Putztische, um eine musikalische Unterhaltung, um Cavaliere oder Kammerdiener, die nach höherem Vorbilde ein leichtgeschürztes Zöfelein „en passant“ im Vorzimmer kußlich bedrängen („Rose in Gefahr!“), um eine Suppenterrine-tragende Küchenfee, deren Kleid von der zufallenden Flügelthüre eingezwängt ist, oder eines Backfischchen, welches, in eigene Gedanken versunken, aufdämmert, über ein im Park befindliches Skulpturwerk, worauf eine Nymphe durch den zu täppigen Faun umstrickt wird; eine entschlummerte Schäferin erwacht zu ersehnten Träumen in den Armen des erwarteten Freundes und dergleichen Schwerenöthereien. Alle diese porzellanenen Nippes-Sächelchen sind mit der unerläßlichen Zierlichkeit und jungblütigen Glätte, mit der gehörigen salonhaften Causerie und sarkastischen Humoristik vorgetragen. Hohe Aufgaben stellte er sich nicht, löste aber alles mit vielem Fleiß. Zu einem „Ich thue was ich will“ benannten Oelbild (1874) ist das eigensinnige Handschuhanziehen der nervösen, aber fascinirenden Reiterin mit bestem Chic dem Leben abgelauscht. Allerlei Getändel des unermüdlich neckenden Flügelknaben mit seiner eigenen Frau Mama und anderweitigen mehr oder minder jugendlichen Substituten, wie beispielsweise eine im Bett liegende Coquette ihr Leibhündchen auf den Fußsohlen jonglirt und dergleichen nicht gerade immer zum Ruhme der deutschen Kunst gereichenden Firlefanzweisen wären wol besser unsern westlichen Nachbarn überlassen. Auch bearbeitete L. einen in „hochpikanten Bleistifttändeleien“ gezeichneten „Götterdecameron“ und zwölf „Metamorphosen“ à la Ovid unter King Eduard’s Devise „Honni soit qui mal y pense“ (München, bei Ackermann 1881 und 1884). Indessen ennuyirte ihn doch selbst der ewige Parfüm dieser ganzen Demimonde; er warf sich auf Landschaften, wie sie ihm der Park von Schleißheim, woselbst L. seit 1885 als Galerie-Conservator eine Stelle fand, in bereitwilliger Auswahl bot. Hier huldigte er auch dem Plainair und quälte seine armen Modelle mit kalten Bädern in den von schattigen Kastanien oder mageren Akazien überwölbten geradelinigen Canälen. In dieser Zwitterstellung zwischen alter und neuer Methode verdarb es L. mit der Ausstellungs-Jury 1897, welche ganz unerwarteter Weise seine Einsendungen abwies. Es kam zu heftigem Zank und beiderseitigen Erörterungen. Ins Herz getroffen, verschied der erzürnte Künstler während der kurzen Heimfahrt nach Schleißheim in der Station Moosach. Im Wagen sitzend bat L. um ein Glas Wasser: es mußte schlecht um ihn stehen, wenn er nach so ungewohntem Trunk verlangte! Bis dasselbe beinahe augenblicks kam, war L. schon eine Leiche. Das beanstandete, mit Trauerschleife ausgezeichnete Bild erhielt aber zu Sühne die Aufnahme im Glaspalast!

Lossow’s letzte größere Arbeit war ein Deckengemälde im ministeriellen Bureau des neuen Justizpalastes, darstellend, wie das Laster vor dem Spiegel der Wahrheit, zum Jubel kleiner schäckernder Genien, aus den Wolken herabstürzt – ein scharf in Boucher’s Manier imitirter olympischer Vorgang, wofür sogar die Cinquecentisten noch lieber an das jüngste Gericht appellirten. Ob diese Scene über dem Schreibtische der Excellenz eine Nothwendigkeit war? – Zur Vervollständigung seines Porträts muß noch hervorgehoben werden, daß [87] L. auch als Kleinmeister für das Kunstgewerbe, wie die zahlreichen Blätter mit praktischen, d. h. ausführbaren Entwürfen für Goldschmiede und Metallarbeiter beweisen, ganz Vortreffliches, natürlich im gleichen, leichtlebigen Genre leistete. Der heroische, plastische Stil seines Vaters war dem Sohne in das vorrevolutionäre Boudoir-Pläsir übergesprungen. Viele von Lossow’s Mustervorlagen wurden in der „Zeitschrift des Münchener Kunstgewerbe-Vereins“ reproducirt. Er kannte die Leistungsfähigkeit des zu bearbeitenden Materials und wußte, was man dem Stein, Glas und Metall zumuthen dürfe; er handhabte auch das Modellirholz und den Ciselirstahl mit Virtuosität. Als besondere Schöpfung Lossow’s könnte der Laden des Hof-Juweliers Julius Elchinger (derselbe starb jedoch mit seiner Frau am 29. Juni 1892, bald nach der durch L. durchgeführten Decoration. Vgl. Zeitschrift des Kunstgewerbe-Vereins 1893, Heft 3 und 4, S. 27 ff.) gelten, welchen L. als ein malerisch und plastisch wirksames Schatzkästchen ausstattete.

L. that mit bereitwilliger Liebenswürdigkeit überall mit. So malte er beispielsweise für die „Vitruvia“ ein muthwilliges Wappenbild, für den Mittelbau der Kunstgewerbe-Ausstellung die auf ihrem Siegeswagen von Löwen gezogene Patrona (1888); er half bei allen Künstlerfesten „mit kundigem Geist der Erfindung“ und stellte lebende Bilder sogar im Stile eines Dierick Bouts von Harlem. – Bei der Exposition seines zahlreichen Nachlasses im Münchener Kunstverein erschien auch Lossow’s sehr energisch gemaltes Selbstbildniß – eine höchst charakteristische Leistung. Seiner brillanten, geistreichen Zeichnung entsprach auch der glatte, einschmeichelnde Vortrag; demgemäß stand ihm immer der Erfolg zur Seite, um so leichter, da, „la femme“, die Caprice, am liebsten den Ton angab.

Vgl. Pecht, Gesch. der Münchener Kunst. 1888, S. 248. – A. Rosenberg, Die Münchener Malerschule seit 1871. 1887, S. 40. – Nr. 140 d. Allgem. Zeitung v. 21. Mai 1897. – Kunst für Alle, 1. Juli 1897. XII, 310. – Kunstvereinsbericht f. 1897, S. 75. – Fr. v. Bötticher 1895. I, 895. – Bettelheim’s Jahrbuch 1898, S. 187.