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Artikel „Lindenborn, Heinrich“ von Johann Jakob Merlo in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 689–691, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lindenborn,_Heinrich&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 09:12 Uhr UTC)
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Lindenborn: Heinrich L., geb. zu Köln am 6. Juni 1712, † zu Bonn am 21. April 1750, war einer der originellsten Gelehrten seiner Zeit. Begabt [690] mit leichtem und raschem Begriffsvermögen, mit scharfem Verstande und ausgezeichnetem Gedächtnisse, gelang es ihm bald, sich in den Besitz reicher und vielseitiger wissenschaftlicher Kenntnisse zu setzen und sich den Doctorgrad in der Philosophie zu erwerben. Zu einer geregelten Thätigkeit, zu einem bestimmten Berufsfache aber mochte er sich nicht bequemen. Das Ideal, dem er nachzufolgen sich entschloß, erleichterte ihm eine solche Querköpfigkeit in hohem Grade – es war der alte griechische Cyniker Diogenes von Synope, dessen Grundsatz, alles Entbehrlichen sich zu entäußern, er auf seine Fahne schrieb. Eine dürftige Dachstube genügte ihm zur Wohnung, aus einem Tische, ein paar einfach hölzernen Stühlen und einer alten Bettlade bestand sein gesammtes Hausgeräth, und seine Kleidung war dem entsprechend. Im J. 1740 begann er im Verlage von G. A. Schauberg, die moralisch-satirische Wochenschrift: „Der die Welt beleuchtende Kölnische Diogenes“, herauszugeben, die auf 104 Nummern anwuchs. 1742 erschien eine Gesammtausgabe in 2 Bänden. Unter den Zeitgenossen fand sie keine weite Verbreitung, von neueren Kritikern wird sie jedoch als eine sehr beachtenswerthe Erscheinung auf dem Gebiete der deutschen Litteratur in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewürdigt und dem Verfasser mitunter sogar der Vorrang vor dem einst so geschätzten Rabener zuerkannt. „Er hielt es für seine heilige Pflicht, die Thorheiten der vornehmen Welt sowohl wie des gewöhnlichen Bürgersmannes mit scharfer Satire zu züchtigen, die Entfernung von der Einfalt des Lebens, den Widerspruch der Cultur mit der Natur, der Wirklichkeit mit dem Ideal vor das Forum seiner schonungslosen Kritik zu ziehen. Seine Laune ist unerschöpflich; alles an ihm lebt, spricht und trifft. Er vereint das Schalkhafte des Horaz mit dem strengen Zorne des Juvenal. Er ist bitter und unbarmherzig in seinen Sarkasmen und fragt nicht danach, ob sein scharfes Wort der erreg- und reizbaren Constitution des Volksgeistes zusagt oder nicht. Er gehört nicht zu denen, die, wie Voltaire sagt, die Geier schonen und die Tauben zerreißen“ (Ennen). In der äußeren Form aber ist L. rauh und häufig sogar trivial. Nach 1743 übernahm er für kurze Zeit die Redaction des beim Buchdrucker Wilms erschienenen sehr heruntergekommenen Kölnischen Staatsboten, dem er ein neues Dasein, einen reißenden Absatz verschaffte. 1748 ließ er sich in Bonn nieder, heirathete und unternahm daselbst eine politische Zeitung mit dem Titel: „Auszug Europäischer Geschichten“, die bei Hilberz in Poppelsdorf gedruckt wurde und dreimal wöchentlich erschien. Gegen Ende desselben Jahres begann er eine neue satirische Wochenschrift: „Morpheana“, die als Fortsetzung des Diogenes gelten sollte. Sie ging bald ein. L. griff dann 1750 nochmals zu einem neuen Unternehmen; es war dies die satirische Sittenschrift: „Nächte der träumenden Sterblichkeit“. Erkrankt hatte er dieselbe begonnen, bei der 18. Wochennummer war er eine Leiche. Einen dauernderen Werth als die vorgenannten Schriften wird sein, jetzt auch in weiteren Kreisen gekanntes und geschätztes religiöses Liederbuch, die Tochter Sion, behalten. Der vollständigere Titel lautet: „Neues Gott und dem Lamm geheiligtes Kirchen- und Hausgesangbuch der auf dem dreifachen Wege der Vollkommenheit nach dem himmlischen Jerusalem wandernden Tochter Sion“. Es enthält 206 Lieder, „mit jedem Lied beigedruckten, von bewährten Musikverständigen neugefertigten Singweisen“. Die erste Ausgabe erschien 1741, die zweite 1768. „Mit diesem Buche hat er seinem poetischen Talente, seiner innigen Gläubigkeit, seinem moralischen Gefühle und seiner herzlichen Gemüthlichkeit ein schönes Denkmal gesetzt. In diesem Gesangbuche wollte er dem katholischen Volke die ganze christliche Glaubens- und Sittenlehre in poetischer Form vortragen und durch anziehende Melodien sollte den Liedern auch der Weg in Haus und Leben gebahnt werden“ (Ennen). Sie halten sich an den Volkston, die Gedanken sind edel und durch tiefe Innigkeit ergreifend, die Ausdrucksweise leidet dagegen häufig [691] an Unbeholfenheit. Von untergeordneter Bedeutung sind zwei andere Arbeiten Lindenborn’s: eine (verloren gegangene) Comödie, welche der Kurfürst Clemens August im Poppelsdorfer Schlosse aufführen ließ, und eine Gelegenheitsschrift, welche 1742 beim feierlichen Einzuge des Kurfürsten von der Pfalz, Karl Theodor, in Düsseldorf als Herzog von Jülich und Berg erschienen ist.

v. Mering, Die Bischöfe und Kirchen d. St. Köln I, 113 ff. Ennen, Zeitbilder.[1]

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 691. Z. 7 v. o.: Vgl. „Heinrich Lindenborn, der kölnische Diogenes; sein Leben und seine Werke.“ Von Karl Beckmann. Bonn 1908. [Bd. 55, S. 890]