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Artikel „Kindermann, Balthasar“ von Franz Muncker in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 754–756, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kindermann,_Balthasar&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 11:32 Uhr UTC)
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Kindermann: Balthasar K. wurde am Palmsonntag 1636 (16. März gregorianischen Kalenders) zu Zittau als Sohn des „vornehmen Bürgers und [755] Brauers“, nach anderen Nachrichten Schwertfegers Bartholomäus K. geboren. Nachdem er sich daselbst unter der Leitung von Elias Weisius auf das Studium der Theologie vorbereitet hatte, wurde er am 1. Juli 1654 unter dem Rector August Buchner († am 18. October 1654) an der Universität Wittenberg immatriculirt. Fleißig widmete er sich den philosophischen Studien, errang sich 1657 den Magistertitel und bewährte sich nicht minder eifrig als Theologe, ein rühriger und unverdrossener Kämpfer bei den akademischen Disputationen. Seine Kenntnisse im Hebräischen erwies er noch später durch eine „Dissertatio de voce מד“. Auch in der Poesie that er sich durch verschiedene Gelegenheitsgedichte frühzeitig hervor und ward darum von Johannes Rist zum kaiserlichen Poeten gekrönt (spätestens im Beginn des J. 1658) und in seinen 1660 gestifteten Elbschwanorden unter dem Namen Kurandor aufgenommen. 1659 wurde er Conrector, 1664 Rector der Schule zu Alt-Brandenburg. 1667 wurde er als Diakon an die St. Johanneskirche in Magdeburg berufen. Von da ging er 1672, nachdem er ein Jahr zuvor eine Vocation nach dem nahen Städtchen Groß-Salze abgelehnt hatte, als Pastor an die Kirche zu St. Ulrich und Levin in Magdeburg über und wirkte hier, allmählich zum Senior, Assessor und Scholarchen aufsteigend, 34 Jahre bis zu seinem Tode am 12. Febr. 1706. Neben mehreren Predigten veröffentlichte er eine Reihe halb erbaulich-didaktischer, halb poetischer Schriften, die sämmtlich in den ersten Jahren seiner philologisch-theologischen Thätigkeit entstanden. In denselben erscheint er von seinem Gönner Rist, den er in Prosa und Versen zu verherrlichen nie müde wird, sowie von den Dichtern der Nürnberger Schule, namentlich Harsdörffer, abhängig und überhaupt unter dem Einfluß der durch Opitz bewirkten litterarischen Reform, als Dichter ohne Originalität und Selbständigkeit, von nur geringer künstlerischer Begabung. 1658 gab er seinen (bereits 1657 verfaßten) „Lobgesang des Zerbster Bieres, in welchem die Würde, Kraft, Lieblichkeit und Mißbrauch desselben fürgestellet wird“, zu Wittenberg heraus. Schon damals war nach der Vorrede dieses ziemlich frischen Lobgesanges auch die (1660 gedruckte) „unglückselige Nisette“ vollendet. In demselben J. 1660 übertrug er den „Ineptus orator“ von Johann Balthasar Schupp „mit Einwilligung seines Meisters“ in ein von augenfälligen Fehlern nicht freies, im ganzen aber den Sinn des Originals klar und einfach ausdrückendes Deutsch. Als Anhang zu seinem „Deutschen Redner“ erlebte der „Ungeschickte Redner“ mehrere Auflagen. Eine weitere Probe seines Uebersetzertalentes lieferte 1662 die Verdeutschung von „C. Sallustii Crispi römischer Geschichtbeschreibung“, welche sämmtliche erhaltene Schriftstücke des lateinischen Autors gegenüber der allzu wörtlichen Uebertragung Wilhelm von Kalcheims, genannt Lohausen, in einer fließenderen und allgemein verständlicheren Sprache wiedergeben sollte. Vorher schon war 1661 zu Jena „Kurandors Schoristenteufel“ erschienen. In zwei „Gesichten“ schildert K. hier die Qualen, welche die verschiedenen Sünder und Schoristen (eigentlich Studentenausdruck = die eben vorgerückten Pennalen, die ihre jüngeren Genossen necken und quälen, dann überhaupt = Peiniger, „Bauernplacker“) in der Hölle zu leiden haben; erbauliche Mahnrede und Beschreibung der mancherlei Laster mit Beispielen aus der heiligen und profanen Geschichte und Sage wechselt unter einander, in ungemein klarer und gewandter Prosa vorgetragen. Gleichfalls 1661 erschien zu Zeitz „Die böse Sieben, von welcher heut zu Tag die unglückseligen Männer grausamlich geplaget werden“, und zu Frankfurt a. O. „Der deutsche Redner“, Kindermann’s gelesenstes Werk, das bereits 1662 eine zweite, reich vermehrte, 1665 eine dritte Auflage erlebte und noch 1680 vollständig umgearbeitet und „nach heutiger politischen Redensart gebessert“, von dem „Spaten“ neu herausgegeben wurde, eine ausgiebige Mustersammlung von Reden und [756] Briefen, deren man sich bei den mannigfachen Anlässen des täglichen Lebens, bei Brautwerbung, Verlobung und Hochzeit, Kindtaufe und Begräbniß, bei Einladungen, Glückwünschen, Bitt-, Dank- und Trostschreiben u. dgl. mehr zu bedienen hat, wohl gegliedert nach den Ständen, denen der Redende oder der Angesprochene angehört. Ein ähnliches Lehrbuch der Dichtkunst sollte der 1664 zu Wittenberg herausgegebene „Deutsche Poet“ sein. Neben allgemeinen Erörterungen und Regeln über das – ziemlich äußerlich aufgefaßte – Wesen und „nothwendige Zugehör“ der Poesie bringt auch dieses Werk eine Musterlese der verschiedenartigsten Gelegenheitsgedichte, theils eigene Versuche Kindermann’s, theils Stücke von Opitz, Fleming, Rist, Tscherning, Dach und andern, aus deren Zergliederung nach nüchternen Verstandesbegriffen ein sklavisch dem Muster nachgebildetes Schema für weitere poetische Leistungen derselben Gattung gewonnen wird. Die Vorschriften über gewisse sprachliche und metrische Formen und Künsteleien bekunden das Studium von Harsdörffer’s „poetischem Trichter“, sowie die Theilnahme an den Bestrebungen dieses und anderer Zeitgenossen für die Regelung der Grammatik und der Orthographie. In weitaus größerem Maße, als hier, hatte K. in seinem ein Jahr früher erschienenen, 1664 wieder aufgelegten „Buch der Redlichen“ die Gelegenheit ergriffen, seine zahlreichen, in Abschriften oder Einzeldrucken bekannten Gedichte in einem breiteren Rahmen zu sammeln. Die äußere Form einer Reisebeschreibung gestattete dem Verfasser, in den Gesprächen der Reisenden alle möglichen Kenntnisse von Ethnographie und Geographie, Geschichte und Sage, selbst von den Naturwissenschaften und einzelnen bürgerlichen Gewerben auszukramen, diätetische Vorschriften zu ertheilen, halb philosophische Fragen zu behandeln; die Absicht zu lehren schaut überall hervor. Unter den poetischen Versuchen, meist Gelegenheitsgedichten der herkömmlichen Art in den mannigfaltigsten lyrischen Formen – sogar die antike strophische Gliederung wird in Reimen nachgebildet – und geistlichen Liedern in einem etwas edleren Stil von einfacherem und natürlicherem Charakter, ragt das mythologische Schäferspiel „Die kreißende Kleanthe“ in fünf Acten ohne alle dramatische Entwickelung, aber in wechselreichen, leichten Versen und „Der neugeborne Jesus“ hervor, eine epische Darstellung der Geburt Christi mit lyrisch-didaktischen Betrachtungen über die religiöse Bedeutung derselben. Auch einige wenige Uebersetzungsproben aus Horaz, Properz und Martial finden sich darunter. – Von ferneren Schriften Kindermann’s wird unter anderen noch ein „Christlicher Student“ (spätestens 1663 erschienen) und ein „Christlicher Redner“ genannt.

M. Friedrich Gottlieb Kettner, Clerus Johanneus Magdeburgensis und Clerus Ulrico-Levinianus (Magdeburg 1728). – Karl Goedeke, Grundriß z. Geschichte der deutschen Dichtung. – Mittheilung aus dem Wittenberger Universitätsalbum. (Durch die Güte der Herren Professoren Dr. R. Haym in Halle und Dr. G. Hertel in Magdeburg.)