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Artikel „Kießling, Gustav“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 514–516, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kie%C3%9Fling,_Gustav&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 14:17 Uhr UTC)
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Kießling *): Gustav K., † am 15. September 1884, Philolog und Schulmann. Friedrich Wilhelm Gustav K. wurde am 13. Juni 1809 in Zeitz, dem Hauptorte des damals sächsischen Stiftes Naumburg-Zeitz, geboren. Sein Vater Johann Gottlieb Kießling (1777–1849), gebürtig aus Reichenau (Oberlausitz), war dort seit 1803 Conrector an der Stiftsschule, ein hochgelehrter und trefflicher Mann, der nach dem Uebergange von Stadt und Gymnasium an Preußen 1819 des letzteren Director ward. Er wird noch heute mit Ehren genannt als Herausgeber von Schriften des Jamblichos, Porphyrios, Theokritos, Johannes Ttzetzes, Tacitus. Der Sohn, dem ein älterer Bruder voranging und vier Schwestern nachfolgten, entsann sich später noch einzelner Schreckensscenen aus den Kämpfen von 1813 und deutlicher des unwilligen Ueberganges von Stadt und Stift an Preußen 1815, sowie der eindrucksvollen Jubelfeier der Reformation 1817. Von 1817–27 besuchte er die Stiftsschule, in der ihn der besorgte Vater ein Jahr länger als nöthig zurückhielt, und verließ sie mit dem Reifezeugnisse Nr. 1. Er studirte dann bis 1830 in Halle Philologie unter Karl Reisig, J. A. Jakobs und Eduard Meier, Geschichte besonders unter E. G. Voigtel. Auch unterrichtete er in der letzten Zeit seines Studiums bereits im Pädagogium der Francke’schen Stiftungen. Zum Schlusse erlangte er den Doctorgrad und die Facultas docendi in den classischen Sprachen mit einer Dissertation „De Menaechmo Sicyonio et Hieronymo Cardiano“ (Zeitz 1830). Der Wunsch, die akademische Laufbahn verfolgen zu dürfen, erfüllte sich ihm nicht. Als gelehrter Philolog hat er in seinem Leben voll erfolgreicher vielseitiger Arbeit nur noch kleinere Abhandlungen, meist Programmbeilagen, erscheinen lassen; „Quaestionum Atticarum specimen“ (Zeitz 1832); „Lycurgi deperditarum orationum fragmenta“ (Halle 1832); „De Hyperide commentar. I. II.“ (Hildburghausen 1837), „III.“ (Posen 1846); „Virgiliana“ (Hildburghausen 1838); „Lycurgi fragmenta collegit disposuit illustravit G. K.“ (Halle 1847). Desto reichere Erfolge erntete er früh als praktischer Lehrer und Schulmann. Von seinem väterlichen Freunde, dem Curator der Stiftsschule, Geheimen Rathe und Superintendenten Delbrück, wurde er als Probandus und bald als Hülfslehrer angenommen. Leider starb dieser Gönner bald darauf, bewies aber noch im letzten Willen dem jungen Freunde das besondere Vertrauen, seinen später berühmt gewordenen Sohn Rudolf bis zu weiterer vormundschaftlicher Bestimmung unter dessen Leitung zu stellen. Diese währte allerdings nur einige Monate, begründete aber ein dauerndes freundliches Verhältniß. Bald auch fest angestellt, blieb Gustav K. unter seinem Vater fünf Jahre und bewies nach dessen Zeugnisse „ein vorzügliches Talent, junge Leute für die Wissenschaften zu begeistern und den erweckten Eifer fortwährend durch unverdrossene Leitung lebendig zu erhalten“. Freilich war solche Einwirkung auf die Schüler erleichtert durch deren geringe Zahl: die Stiftsschule zählte nur reichlich 100 Schüler, darunter wenig über ein Dutzend Primaner. Im J. 1835 folgte G. K. einem Rufe der meiningischen Regierung als zweiter Professor an das neugegründete Gymnasium Bernhardinum zu Meiningen, vertauschte aber diesen Posten 1837, nach anderthalb Jahren, mit dem des Directors am Gymnasium Georgianum zu Hildburghausen und wurde schon 1838 als Consistorial- und Schulrath an die Spitze des gesammten Schulwesens im Herzogthume Sachsen-Meiningen berufen. Seine Thätigkeit in dieser Stelle, aus der die Organisation der Realschulen zu Meiningen und Saalfeld (Ordnung vom 11. Mai 1842) besonders hervorzuheben ist, in der er aber auch den kirchlichen Angelegenheiten des Landes warme Theilnahme widmete, [515] trug seinen Namen in weitere Kreise und blieb in Preußen nicht unbeachtet. In dieser Zeit verheirathete G. K. sich 1840 mit Thekla v. Krauseneck, Tochter des soeben geadelten Generals und Chefs des preußischen Generalstabes, mit der er bis an sein Ende in glücklichster, allerdings kinderloser Ehe lebte. – „Im J. 1843 siedelte er auf den Ruf der preußischen Schulverwaltung als Director des Friedrich-Wilhelmsgymnasiums, jedoch mit Beibehalt seines Titels, nach Posen über. Hier zuerst durfte er seine Begabung an einer Schule von größerem Umfange und in schwieriger Lage gegenüber der zweisprachigen Bevölkerung erproben, und er wußte nicht nur diese wirksam zu pflegen, sondern auch persönlich rasch eine sehr angesehene Stellung in den Militär- und Beamtenkreisen der Stadt wie im Schulwesen der ganzen Provinz zu gewinnen. Die Frequenz des Gymnasiums wuchs unter ihm bis 1847 von 218 auf nahezu 400 Schüler, die Zahl der Classen von sieben auf elf. Freilich blieb auch hier die Zahl der Primaner gegenüber der Gesammtziffer gering, da das Gymnasium in den unteren und mittleren Classen zugleich die fehlende Real- oder Bürgerschule zu ersetzen hatte. Mit den Lehrern außerhalb des Gymnasiums suchte und fand der rührige und weitblickende Schulmann freundliche Fühlung, namentlich durch Gründung eines Pestalozzivereins bei der Hundertjahrfeier für den berühmten schweizerischen Pädagogen (12. Januar 1846). Weise und fest steuerte er das ihm anvertraute Schiff durch die in Posen besonders stürmisch brandenden Wogen des unruhigen Jahres 1848. Auf den weiteren Umkreis der Deutschen in der Provinz, namentlich der deutschen Lehrer, wirkte er als Leiter des Hauptvereines der deutschen Verbrüderung ermuthigend und sammelnd. Zugleich gehörte er in dieser Zeit der mannichfachen Berathungen und Erwägungen zu den Vertrauensmännern des Unterrichtsministeriums. Sein Rath wurde in Berlin gern gehört und hoch geschätzt. Im J. 1849 wurde er im Nebenamte unbesoldeter Stadtrath und Schuldecernent der Stadt Posen und Kirchenvorsteher der evangelischen Kreuzkirche. So schien er fest gewurzelt in seinem Standorte, als der dringende Ruf des Ministeriums ihn mit Schluß des Schuljahres im März 1850 in das Provinzialschulcollegium zu Berlin versetzte, damit er als geeignetster Mann auch in den märkischen höheren Schulen nach allen Erschütterungen wieder den ruhigen Gang des Schullebens einrichten helfe. Die sich anbahnende Reaction war Kießling’s Ueberzeugungen nicht durchaus entgegen. Wer wollte auch heute verkennen, daß etwas Berechtigtes in ihr lag gegenüber der Ausgelassenheit der beiden letzten Jahre! Aber er wußte darin Maaß zu halten, und es sind manche Fälle nachweisbar, in denen er das schroffe Urtheil des Ministers v. Raumer im milderen Sinne beeinflußte; in allen eigentlichen Schulsachen dagegen fanden Lehrer und Leiter der ihm unterstellten Anstalten an ihm einen ebenso kundigen wie treuen Berather und Helfer. Lebhaftes Bedauern erweckte daher in der märkischen Lehrerschaft Kießling’s Entschluß, als Nachfolger August Meineke’s im Directorate des Joachimsthalischen Gymnasiums zur eigentlichen Unterrichts- und Erziehungspraxis zurückzutreten. Er führte ihn Ostern 1857 aus und trat, nur noch als Ehrenmitglied dem Provinzialschulcollegium verbunden, damit in die Berufsstelle ein, die ihn am längsten von allen fesselte. Drei volle Lustra hindurch hat er die berühmte Anstalt im Segen geleitet, hochangesehen und wahrhaft beliebt bei Lehrern und Schülern. Um das innere Leben wie um die äußere Ordnung auch dieser Anstalt wie der früheren hat er sich wesentlich verdient gemacht. Er vereinigte wieder, wie es bis auf Ludwig Wiese’s Eintritt gewesen war, die Aufsicht über das Alumnat mit der Leitung der ganzen Anstalt, ohne deshalb die besonders für jenes berufenen Adjuncten in ihrer Freiheit unnöthig zu beengen. Würdig wußte er besonders [516] die Haus- und Schulfeiern beim Jahresbeginn, beim Schulschlusse und bei der Entlassung der Abiturienten, am Geburtstage des Herrschers, beim 250jährigen Jubiläum der Anstalt, bei Einführung von Lehrern, unter dem unmittelbaren Eindrucke wie zum jährlich wiederkehrenden Gedächtnisse der großen Ereignisse von 1866 und 70/71 zu gestalten. In seinem Nachlasse fanden sich 137 Schulreden, die er bei derartigen Gelegenheiten gehalten hat. Sein Nachfolger nennt sie einen „wahren Schatz praktischer Erfahrung, edler Gesinnung, pädagogischer Weisheit“. Unerwartet für seine Freunde und Mitarbeiter faßte inmitten dieser ansehnlichen Wirksamkeit K. 1872 den Entschluß, aus dem Amte zu treten. Die Collegen stellten ihm ihre Betrübniß darüber in beweglichen Worten vor. Manche Freunde riethen unter Hinweis auf seine unerschütterte Kraft und Frische zum Ausharren. Aber er blieb dabei, weil er, wie er sagte, das Maaß seiner Kräfte für unzureichend zu halten begann. Schwierigkeiten wegen des nothwendigen Umbaues des alten Gymnasiums, die in den letzten Jahren hervorgetreten waren, fielen wohl mit ins Gewicht. Er wünschte durchaus den Neubau auf der alten Stelle auszuführen und vermochte angesichts der großen Schwierigkeiten der provisorischen Unterbringung von Schule und Alumnat die Behörden nicht zu überzeugen. Mit Ehren trat er Ostern 1872 ab und erhielt den Charakter eines Geheimen Regierungsrathes. Ueber zwölf Jahre noch genoß er dieses Otii cum dignitate. Aber es war kein träges Otium. Von 1875 an leitete er vier Jahre lang die Wissenschaftliche Prüfungscommission für Candidaten des höheren Lehramtes; eine Reihe von milden und wissenschaftlichen Stiftungen erfreute sich seiner fördernden Mitwirkung; dem evangelisch-kirchlichen Leben hatte er immer warme Liebe zugewandt, diese blieb sich treu bis ans Ende und fand im Gustav-Adolfvereine wie in der brandenburgischen Provinzialsynode, der er seit 1875 durch königliche Berufung angehörte, Gelegenheit, sich auch für weitere Kreise zu bethätigen. Mehrere gelehrte Gesellschaften und Vereine zählten ihn zu ihren eifrigsten Mitgliedern und Besuchern, so die Archäologische und die Gymnasiallehrergesellschaft. Diese hat er wiederholt im Laufe der Berliner Jahre auch geleitet. Mehrfach hielt er hier pietätvolle Nachrufe auf geschiedene Freunde, so 1876 auf Ferdinand Ranke. Es war seinem Einflusse zu danken, daß die Gesellschaft ihre Reihen den Collegen der Realschulen öffnete. Die Freunde hatten noch kaum Besorgliches an dem rüstigen, jugendlich empfänglichen Greise wahrgenommen, als er 1884 nach Königsbrunn bei Hütten (Sächsische Schweiz) in die Sommerfrische ging. Aber er sollte nicht von da zurückkehren. Nach kurzer Krankheit ist er dort am 15. September entschlafen, eine edle, sympathische, bedeutende Gestalt aus der Geschichte des neueren deutschen gelehrten Schulwesens.

Vgl. besonders die Nachrufe von Kießling’s Nachfolger am Joachimsthale K. Schaper in Bursians Biogr. Jahrbuche für 1884 und der Berl. Zeitschrift für Gymnasialwesen (1885), für die Jugendzeit nach Kießling’s eigenen Aufzeichnungen; auch A. v. Bamberg, Kießling’s Schulreden (Berl. 1887; nebst Vorwort).

[514] *) Zu S. 145.