ADB:Kellner von Zinnendorf, Johann Wilhelm

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Artikel „Kellner von Zinnendorf, Johann Wilhelm“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 593–594, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kellner_von_Zinnendorf,_Johann_Wilhelm&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 04:30 Uhr UTC)
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Kellner: Johann Wilhelm K. v. Zinnendorf, stammt aus einem altadlichen fränkischen Geschlechte. Sein Vater, Matthias K. v. Z., war, nachdem er aus einem Kloster bei Halberstadt, wo er katholisch werden sollte, entflohen war, Schullehrer in Ackendorf bei Magdeburg geworden. Hier wurde Johann Wilhelm am 15. Januar 1665 geboren. Er besuchte die Schule in Quedlinburg und studirte dann in Leipzig Theologie. Hier ward er in die Kreise der Pietisten eingeführt und schloß sich denselben auch an, obschon er von anderer Seite darüber Spott erdulden mußte. Nachdem er eine Reise nach Dänemark und England gemacht, zu welcher er sich die Mittel durch Privatstunden erworben hatte, ward er im J. 1691 Hauslehrer in Muskau. Hier kann er nicht lange gewesen sein, falls die Nachricht richtig ist, daß er Feldprediger bei Hans Adam v. Schöning, als dieser kursächsischer Generalfeldmarschall geworden war, gewesen sei, da Schöning schon im Mai 1692 in Teplitz überfallen und nach Brünn ins Gefängniß geführt ward. Darauf soll K. im J. 1695 Generalstabsprediger bei Friedrich August dem Starken geworden sein und unter diesem einen Feldzug nach Ungarn mitgemacht haben. Aus diesem zurückgekehrt, ward er im J. 1696 Pfarrer zu Kieslingswalde in der Oberlausitz, nachdem er vorher andere Berufungen und, wie es scheint, selbst in hohe militärische Stellungen ausgeschlagen. In seinem geistlichen Amte wurden ihm besonders das Beichtesitzen, die Leichenpredigten und die Krankenbesuche beschwerlich, da er gegen die übliche Weise derselben Gewissensbedenken hatte; besonders aber eiferte er auf der Kanzel und sonst gegen den Unfug, der bei den Tanzbelustigungen, namentlich während der sogen. Bierzüge, eingerissen war; er erklärte um dieser mit ihm verbundenen Ausschreitungen willen das Tanzen selbst für Sünde und verweigerte denen, die davon nicht lassen wollten, die Absolution. Nachdem er nun aber in seiner Gemeinde die Abstellung dieser Tanzvergnügungen durchgesetzt hatte, kam er darüber mit seinem Patron, dem bekannten Mathematiker Ehrenfried Walther v. Tschirnhausen, in Streit; der letztere sah nämlich in Kellner’s Vorgehen einen Eingriff in seine eigenen Rechte und ließ nun seinerseits einen Erlaß ausgehen, demzufolge wer von den Großknechten des Ortes bei Hochzeiten Musik und Tanz unterließe, 20 Thaler Strafe zahlen, am Halseisen stehen und seine Stelle verlieren solle. Er verklagte auch K. beim Consistorium, so daß eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet wurde. Die Sache zog sich dann sehr in die Länge, endete aber damit, daß ein halbes Jahr nach Tschirnhausen’s Tode (er war am 11. October 1708, 57 Jahre alt, ganz plötzlich gestorben), nämlich am 9. April 1709 ein landesherrliches Rescript anlangte, daß K. seines Amtes entsetzte und Kieslingswalde zu verlassen anwies. Und nun verfuhr man aufs härteste mit [594] ihm; noch vor Nacht mußte er mit seiner hochschwangern Frau und einer Anzahl kleiner Kinder das Dorf verlassen und in dem benachbarten Görlitz um ein Unterkommen bitten. Er lebte dann auf Obergurk und Sorau bei Bautzen und zog hernach nach Halle a. S., wo er preußischer Hofrath und Pfänner wurde. Hier starb er im November 1738, nach anderer Angabe im J. 1731. – Die Geschichte seiner Streitigkeiten mit Tschirnhausen über das Tanzen veröffentlichte er 1715 in einer anonymen Schrift, „Tanzgreuel“ betitelt, welche angeblich zu Angstburg (nicht Augsburg) bei Jeremias Klagezeit, in Wahrheit bei Drachstädt in Bautzen erschien und zu deren Vertheidigung gegen Angriffe in den Unschuldigen Nachrichten vom J. 1716 er im J. 1718 in Frankfurt und Leipzig einen Anhang erscheinen ließ. Außerdem hat er noch einige andere, erbauliche Schriften veröffentlicht. Im „Tanzgreuel“ hat er auch einige eigne geistliche Lieder erscheinen lassen; das bekannteste unter diesen, das Lied „Christe, mein Leben, mein Hoffen, mein Glauben, mein Wollen“ findet sich schon im ersten Freylinghausen’schen Gesangbuch vom J. 1704 und hat von hier aus eine ziemliche Verbreitung gefunden; die Anfangsbuchstaben der Zeilen ergeben den Namen: „Curt Reinike, Reichsgrafe von (? vhn) Callenberg“. Die Beziehungen Kellner’s zu diesem Grafen sind, wie auch manches Andere in seinem Leben, noch nicht genügend aufgeklärt.

Vgl. Joh. Casp. Wetzel, Historische Lebensbeschreibung etc., 4. Theil, S. 265–270. – Rotermund, zu Jöcher, 3. Bd., Sp. 192 f. – Otto, Lexikon der oberlausitzischen Schriftsteller etc., 2. Bd., 1. Abthl., Görlitz 1802, S. 260 (hier das Todesjahr 1731 angegeben). – Koch, Geschichte des Kirchenlieds etc., 3. Aufl., 4. Bd., S. 396 ff. – Reinhard Zöllner, Das deutsche Kirchenlied in der Oberlausitz, Dresden 1871, S. 75. – Fischer, Kirchenliederlexikon, 1. Hälfte, S. 71 f. – Weller, Die falschen und maskirten Druckorte, Leipzig 1858, S. 44.