ADB:Freylinghausen, Johann Anastasius

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Artikel „Freylinghausen, Johann Anastasius“ von Gustav Kramer in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 370–371, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Freylinghausen,_Johann_Anastasius&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 10:20 Uhr UTC)
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Freylinghausen: Johann Anastasius F., der Mitarbeiter und Nachfolger A. H. Francke’s in der Direction des Waisenhauses, geb. zu Gandersheim am 2. Dec. (a. St.) 1670, † am 12. Februar 1739, wurde in seinem Elternhause, und insbesondere von seinem mütterlichen Großvater, dem pastor primarius in Einbeck, wo er das Gymnasium besuchte, streng kirchlich erzogen. Zu Ostern 1689 bezog er die Universität Jena, um Theologie zu studiren. Von dort aus kam er in Beziehung zu Breithaupt und Francke, siedelte nach Erfurt über und schloß sich ihnen, trotz der bereits gegen den letzteren begonnenen Verfolgungen, aufs engste an. Als dieser ausgewiesen wurde, verließ auch er Erfurt, folgte aber nach einem halbjährigen Aufenthalt in der Heimath 1692 beiden Männern nach Halle und beendete dort 1693 unter ihrer Leitung seine Studien. Im J. 1695 folgte er dem Rufe Francke’s, ihm als Pfarradjunct zur Seite zu treten und wurde anfangs 1696 als solcher von der Regierung bestätigt. Von jener Zeit an hat er Francke in der hingebendsten, uneigennützigsten (er erhielt bis 1715 nie ein Gehalt) und thätigsten Weise zur Seite gestanden. Seine hauptsächlichste, sehr ausgedehnte und mannichfaltige Thätigkeit bestand in der Unterstützung Francke’s in seiner geistlichen Arbeit in der Gemeinde sowol als in den von ihm ins Leben gerufenen Anstalten. Aber auch sonst stand er ihm überall, wo es Noth that, zur Seite, namentlich unterrichtete er anfangs im Pädagogium, zu dessen Gründung er gewissermaßen den Anlaß gegeben hatte, indem er drei Knaben, die von ihm in seiner Heimat unterrichtet waren, mit nach Halle brachte. Selbst in dem Verhältniß zu den Studirenden wirkte er mit ihm, indem er, in Folge einer von der theologischen Facultätan ihn gerichteten Aufforderung, homiletische Uebungen mit ihnen anstellte, das erste Beispiel eines homiletischen Seminars. Das alles geschah ganz im Geiste Francke’s, in den er ganz eingegangen war, und auf dieser innigen Gemeinschaft und kräftigen Mitwirkung ruhte großentheils das Gedeihen der großartigen Anstalten Francke’s, der ihn deshalb seine rechte Hand zu nennen pflegte. Bei alledem hielt er sich stets in der Stille und größten Bescheidenheit. Als Francke 1715 zum Oberpfarrer an St. Ulrich erwählt wurde, folgte er ihm auch dorthin als Adjunct; 1723 wurde er zum Subdirector und 1727 nach Francke’s Tode zusammen mit dessen Sohn zum Director des Pädagogium und des Waisenhauses ernannt, und zugleich zum [371] Oberpfarrer an St. Ulrich erwählt. Beide Stellungen bekleidete er bis zu seinem Tode, wurde aber in der Führung derselben durch Kränklichkeit gehemmt, besonders durch verschiedene Schlaganfälle, die ihn von 1728 an wiederholt trafen und deren letzter 1737 erfolgter ihm die Sprache in dem Maße nahm, daß er nicht mehr predigen konnte. Doch fuhr er fort, sonst nach Kräften thätig zu sein. Indessen wurde deshalb zur Hülfe in der Direction des Waisenhauses Johann Georg Knapp 1738 als Subdirector desselben berufen. Trotz dieser zeitweiligen Störungen seiner Gesundheit nahm er thätigen Antheil an der Leitung der Anstalten und seine reife Erfahrung, sowie seine mit Milde gepaarte Besonnenheit und Festigkeit, von der er bei verschiedenen Gelegenheiten entschiedene Beweise gab, hatte nicht geringen Antheil an dem weiteren Gedeihen derselben, wie es sich, wenigstens im Aeußerlichen, auch nach dem Tode des Stifters zeigte. Daß sich allerdings in dem inneren Leben derselben eine Abnahme mehr und mehr bemerklich machte, blieb ihm freilich, der die Zeiten der ersten Liebe gekannt und mit durchlebt hatte, nicht verborgen, wie er denn öfter gegen Freunde äußerte, „das Beste im Lande sei gegessen“. Die letzten Monate seines Lebens brachte er nach einem neuen heftigen Schlagfluß in großer Schwachheit zu, bis er sanft entschlummerte.

Verheirathet war er seit seinem Eintritt als Adjunct an St. Ulrich 1715 mit der einzigen Tochter A. H. Francke’s Johanne Sophie Anastasia, die er einst aus der Taufe gehoben. Sie schenkte ihm einen Sohn Gottlieb Anastasius und zwei Töchter.

Was seine weitere, über seine amtliche Stellung hinausgehende Wirksamkeit betrifft, so ist vor allem der Einfluß hervorzuheben, den er als Dichter geistlicher Lieder und Herausgeber seiner Gesangbücher ausgeübt hat und zum Theil noch ausübt. In ersterer Beziehung nimmt er nicht allein unter den aus den Kreisen des Pietismus hervorgegangenen Männern, sondern unter seinen Zeitgenossen überhaupt die erste Stelle ein. Ein großer Theil seiner im Ganzen 44 betragenden Lieder hat sich durch Innigkeit und Tiefe weit und breit im kirchlichen Gebrauch eingebürgert, darunter vor allem die Lieder „Wer ist wol, wie du“, „Wer ist würdig sich zu nahen“, „O Lamm, das keine Sünde je beflecket“, „O reines Wesen, lautre Quelle“, „So ist denn nun die Hütte aufgebauet“, „Der du bist A und O“, „Wir Menschen sind in Adam schon“, „Der Tag ist hin, mein Geist und Sinn“, „Mein Herz gib dich zufrieden“ etc. Durch die Herausgabe seiner trefflichen Gesangbücher, des großen in 2 Theilen, zuerst 1704 und 1714, mit 1566 Liedern, und des Auszugs, seit 1718 mit 1056, erwarb er sich um die christliche Andacht ein großes Verdienst. Sie wurden in vielen Gemeinden eingeführt und erlebten in ihren verschiedenen Theilen sehr zahlreiche Auflagen. Unter den übrigens von ihm herausgegebenen Schriften sind außer vielen einzelnen Predigten und vier Predigtsammlungen, sowie manchen theologischen Bedenken besonders zu nennen die beiden oftmals aufgelegten dogmatischen Schriften, die „Grundlegung der Theologie“ und das „Compendium der christlichen Lehre“, die beide auch in das Lateinische übersetzt worden sind. Obwol sie zunächst für den Unterricht im Pädagogium bestimmt waren, wurden sie doch auch in akademischen Vorlesungen gebraucht. Sie tragen seiner ganzen Richtung nach mehr den Charakter der Anwendbarkeit auf das thätige Christenthum, als der wissenschaftlichen Entwicklung, zeichnen sich aber durch Klarheit, Uebersichtlichkeit und biblische Gründlichkeit aus.

G. A. Francke, Wohlverdientes Ehrengedächtniß des etc. Herrn Joh. Anast. Freylinghausen’s, 1740. G. C. Knapp, Joh. Anast. Freylinghausen in der Zeitschrift Francken’s Stiftungen, 1794, 2. Bd., S. 305 ff. Walter, Leben Joh. Anast. Freylinghausen’s, 1864.