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Artikel „Kaufmann, David“ von Adolf Brüll in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 81–84, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kaufmann,_David&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:23 Uhr UTC)
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Kaufmann: David K., hervorragender Geschichtsforscher und Religionsphilosoph, geboren in Kojetein am 7. Juni 1852, † in Karlsbad am 6. Juli 1899. K. ist der Sohn eines Landwirthes Leopold K. Sein Großvater, Rabbi Isaac K., der in seinem elterlichen Hause wohnte und neben seinem geschäftlichen Berufe dem Studium des Talmud oblag, hatte in seinen Frühjahren die jüdische Hochschule in Posen, die unter Leitung des berühmten R. Akiba Eger stand, besucht, und besaß eine sehr ansehnliche hebräische Bibliothek. Seine Mutter, Rosa, ist eine Tochter des Rabbi David, der durch jüdische Gelehrsamkeit ausgezeichnet war und dessen Vater Rabbi Jacob in Wagstadt wohnte und den Ehrentitel „Rosch Medina“ (Haupt der Provinz) führte. Im Elternhause und in der Judengasse in Kojetein, die nichts Ghettoartiges an sich hat und die durch eine anmuthig liegende Häuserreihe einen freundlichen Anblick darbietet, empfing K. die ersten geistigen Eindrücke. Die Lehrer, die ihm die elementaren Kenntnisse beibrachten, waren Abraham Seidel, J. Zimbalist, Josef Grün und Heinrich Böhm, welcher letztere ein guter Hebraist, der sich auch schriftstellerisch versuchte, ihn auch später in der französischen und englischen Sprache unterrichtete. Die eigentliche Grundlage zu seiner theologischen Ausbildung aber erhielt er durch den gelehrten Rabbiner der Kojeteiner Gemeinde, Jacob Brüll, der überhaupt seine Erziehung und Fortbildung, theils selbst leitete und theils um dieselbe aufs eifrigste bemüht war. In seinem Lebenslaufe, abgefaßt 1867, schreibt K.: Rabbiner Brüll hat einen großen, ja den größten Antheil an meiner Erziehung, und meistens war er es, der mich bis zu meinem gegenwärtigen Stande gebracht hat. Auch Nehemias Brüll, der später als einer der hervorragendsten jüdischen Gelehrten bekannt geworden, ertheilte K. eine Zeit lang Unterricht in der lateinischen Sprache. Der nachmalige Rector der Czernowitzer Universität, Prof. Dr. Loserth, ertheilte selbst noch Gymnasiast, K. eine Zeit lang Privatunterricht und übte einen nachhaltigen Einfluß auf dessen Bildungsgang aus. Nachdem K. einige Classen als Privatschüler im Piaristen-Gymnasium in Kremsier absolvirt hatte, brachte ihn Rabbiner Jacob Brüll, der um seine Fortbildung stets treu besorgte Lehrer, selbst im J. 1867 nach Breslau, um seine Aufnahme in das dortige jüdisch-theologische Seminar, dem damals Dr. Zacharias Frankel vorstand, und an dem Männer wie Prof. Graetz, Freudenthal, Rosin und Zuckermann als Docenten thätig waren, zu bewirken. Der Director der Anstalt und Dr. Rosin besonders, erkannten in dem neu aufgenommenen Schüler bald einen Zögling von ganz außerordentlicher Veranlagung und Vorbildung. Nach Absolvirung der Gymnasialabtheilung und bestandener Prüfung in Teschen 1869 kam K. in die Oberabtheilung des Seminars, woselbst er bis zu seiner am 27. Januar 1877 erfolgten Entlassung als Rabbiner verblieb. Er besuchte in Breslau gleichzeitig die Universität und hörte Vorlesungen bei Ferdinand Cohn (Naturwissenschaften), [82] Dilthey (Philosophie), Schmölders und Magnus (orientalische Sprachen). Auf Grund seiner Arbeit: Die „Religionsphilosophie des Saadia“, die später in seiner Geschichte der Attributenlehre zum Abdrucke gelangte, erhielt er am 4. Juli 1874 in Leipzig, wo er in freundschaftliche Beziehung zu dem Arabisten Prof. Fleischer trat, die philosophische Doctorwürde. 1874 löste K. am Seminar die Lehmann’sche Preisaufgabe mit der Arbeit: „Die Theologie des Bachja ibn Pakuda“, abgedruckt in den Publicationen der Akademie der Wissenschaften in Wien (1874). Im J. 1876 noch als Hörer am Seminar, bewarb sich K. um die vacant gewordene Rabbinerstelle in Berlin. Er predigte an den hohen Festen daselbst mit durchschlagendem Erfolge. Die Unterhandlungen führten aber infolge wesentlicher Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vorstande und K., der mehr zur conservativen Richtung hinneigte, nicht zu dem erhofften Resultate. Die aus diesem Anlasse gehaltenen Reden sind unter dem Titel: „Sieben Predigten in den Berliner Gemeindesynagogen“ bei Louis Gerschel erschienen und Leopold Zunz gewidmet, mit dem K. später einen sehr regen litterarischen Briefwechsel unterhielt. Bald nachdem sich die Unterhandlungen mit Berlin zerschlagen hatten, erhielt K. einen Ruf als Professor an die, auf Initiative der Regierung, in Budapest ins Leben gerufene Landesrabbinerschule (1877). Im Auftrage der Anstalt reiste K. nach Padua, um die käuflich erworbene Bibliothek Elie della Torres zu übernehmen. Als Bibliothekar der Landesrabbinerschule hatte er Gelegenheit, sich reiche bibliographische Kenntnisse anzueignen, die allen seinen litterarischen Publicationen einen erhöhten Werth verleihen. In Budapest, wo er sich bald auch die ungarische Sprache in Wort und Schrift aneignete, unterrichtete er in der Unterabtheilung der Landesrabbinerschule Deutsch und Griechisch und in der Oberabtheilung jüdische Geschichte, Religionsphilosophie und Homiletik. Er war durch seine ganze Persönlichkeit von großem Einflusse auf seine Schüler, die er nicht nur zu gediegenen Rabbinern, sondern auch zu tüchtigen jüdischen Gelehrten heranzubilden bemüht war. Seine ersten litterarischen Arbeiten sind 1872 und 1873 Recensionen in Rahmer’s Jüdischem Litteraturblatt und im Magazin für die Litteratur des Auslandes. 1877 sind von ihm erschienen: „Predigt, gehalten bei der Einweihung der Synagoge der Landesrabbinerschule am 6. October 1877“; „Jehuda Halewi, Versuch einer Charakteristik“ (Breslau, Schletter); „Geschichte der Attributenlehre in der jüdischen Religionsphilosophie des Mittelalters von Saadia bis Maimuni“ (Gotha, Perthes), und „Georg Elliot und das Judenthum, Versuch einer Würdigung Daniel Derondas“ bei B. L. Monasch in Krotoschin (Sonderabdruck aus der Frankel-Graetz’schen Monatsschrift, auch ins Englische übersetzt erschienen von J. W. Ferrier, London bei William Blackwood and Sons). 1880 erschienen: „Die Lichter am Abend“, Predigt am Sabbath vor dem Chunikafeste, gehalten in der Synagoge der Landesrabbinerschule zu Budapest; „Die Spuren Al-Batlajusis in der jüdischen Religionsphilosophie nebst einer Ausgabe der hebräischen Uebersetzung seiner bildlichen Kreise“, und „Ein Wort im Vertrauen an Herrn Hofprediger Stoecker“ (Berlin, Louis Gerschel). Am 10. April 1881 heirathete K. Frl. Irma Gomperz († am 19. Juni 1905), die ein lebhaftes Interesse für seine litterarische Thätigkeit bekundete. Durch seine glänzend gewordene materielle Position war er jetzt in der Lage, für seine litterarischen Liebhabereien auch große Mittel aufzuwenden. (Vgl. über die Familie Gomperz: An der Bahre Siegm. Gomperz’ von K. Budapest 1893.) K. bethätigte sich als fleißiger Mitarbeiter an vielen Zeitschriften (Göttinger Gelehrte Anzeigen, Revue des Etudes juives, Jewish Quart. Review, Allgem. Zeit. d. Judenthums, Archaeologia Extersito, Oesterreichische [83] Monatsschrift für den Orient, Haasif, Israelitische Letterbode, Magyar Zsido Szemle, Neue freie Presse, Israelitische Wochenschrift, Pester Lloyd), gab selbst im Vereine mit Dr. M. Braun seit 1892 die Frankel-Graetzsche Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums heraus und war nebstdem auch thätiges Vorstandsmitglied des hebräischen Litteraturvereins „Mekize Nirdamim“. Hervorgehoben sei auch seine Mitarbeiterschaft an der Allgem. Deutschen Biographie. 1887 veröffentlichte K.: „Die letzte Vertreibung der Juden aus Wien, ihre Vorgeschichte (1625–1670) und ihre Opfer“ (Wien, Konegen), und seine Schrift: „Paul de Lagarde’s jüdische Gelehrsamkeit“ (Leipzig, Otto Schulze), eine Gegenschrift zu Paul de Lagarde’s: „Erinnerungen an Friedrich Rückert, Lippmann Zunz und seine Verehrer“, in welcher Zunz als „ein Schwachkopf ersten Ranges, der in gröbster Weise die Wahrheit entstellt“ bezeichnet wurde. Durch diese mannhafte Schrift gegen Lagarde wurde K. von der weiteren Mitarbeiterschaft an den Göttinger Gelehrten Anzeigen ausgeschlossen. 1888 erschien von K.: Zur Geschichte jüdischer Familien: I. „Samson Wertheimer, der Oberhoffactor und Landesrabbiner 1658–1724 und seine Brüder“ (Wien, Friedrich Beck); 1891: „Urkundliches zu Samson Wertheimer“; 1892: „Die Familien Prags nach den Epitaphien des alten jüdischen Friedhofes in Prag, zusammengestellt von Simon Hock. Aus dessen Nachlasse herausgegeben, mit Anmerkungen versehen und eingeleitet“; 1893: „Die ersten hebräischen Melodien“. Uebersetzungen von S. Heller. Aus dessen Nachlasse herausgegeben (Trier, Siegmund Mayer, von seiner Wittwe von neuem herausgegeben in zweiter Auflage); „Wie heben wir den Sinn unserer Mädchen? Eine Antwort an Herrn Wilhelm v. Gutmann“ (Trier, Siegmund Mayer); 1894: Zur Geschichte jüdischer Familien: II. „R. Jair Chajim Bacharach (1638–1702) und seine Ahnen“ (Trier, Siegmund Mayer); 1895: „Dr. Israel Conegliano und seine Verdienste um die Republik Venedig bis auf den Frieden von Carlowitz. Die Erstürmung Ofens und ihre Vorgeschichte nach dem Berichte Isaae Schulhofs (1650–1732) herausgegeben und biographisch eingeleitet“ (Trier, Siegmund Mayer); 1896: „Aus Heinrich Heine’s Ahnensaal“ (Breslau, Schlesische Buchdruckerei). Wichtig für die Culturgeschichte der Juden im 17. und 18. Jahrhundert erwies sich die von ihm herausgegebene Schrift: „Die Memoiren des Glückel von Hameln 1645–1719“ (Frankfurt a. M., J. Kauffmann). Als sehr werthvoll und grundlegend erweisen sich besonders die „Studien auf dem Gebiete der jüdischen Kunstgeschichte“, und es war ihm gelungen, den Nachweis zu führen, daß die Mitarbeiterschaft der Juden auch auf diesem Gebiete eine sehr rege gewesen, entgegen der vom Vorurtheile ausgegebenen Meinung, daß die Kunst den religiösen Principien des Judenthums nicht entspreche. In einer Arbeit über die Geschichte der Handschriften-Illustrationen zeigte K. die Bedeutung der Kunstleistung der Juden, die besonders von Thoraschreibern ausgegangen, wie dies aus Bibelcodices, Esterrollen, Machsorim, Siddurim hervorgeht. Besonders mit reichem Bilderschmuck und herrlichen Federzeichnungen waren die Pessachhaggadas (man vergleiche hierzu besonders die Haggadah von Serajevo) versehen, ebenso Maimuni’s Mischne-Thora und Testamente und Kethuboth. K. wies aus vielen Beispielen nach, wie die bildende Kunst, die Malerei und sogar die Plastik ihren Einzug in die Synagoge gehalten. Diese äußerst werthvollen Studien Kaufmann’s gaben den Anstoß zur Gründung der Gesellschaft für Sammlung und Conservirung von Kunstgegenständen und historischen Denkmälern des Judenthums in Wien, und enthält der erste Jahresbericht dieses der jüdischen Kunst gewidmeten Institutes Kaufmann’s Beiträge zur Geschichte der Kunst in der Synagoge, wie er denn auch der Gesellschaft [84] für jüdische Volkskunde, 1898 in Hamburg, von Dr. Grunwald gegründet, das lebhafteste Interesse entgegenbrachte. Im Sommer 1899 kam K. in Begleitung seiner Mutter, die voll Liebe an dem Sohne hing und sein Wachsen in der Wissenschaft mit dem lebhaftesten Interesse verfolgte, nach Karlsbad. Er war daselbst noch mit vielen litterarischen Plänen für die Zukunft beschäftigt und arbeitete auch an seiner letzten Schrift über Salomon ibn Gabirol, als er am 6. Juli nach kurzem Krankenlager, das durch einen ihm zugestoßenen Unfall seinen Anfang nahm, vom Tode dahingerafft wurde. Sein Leichnam wurde am 9. Juli, nachdem Rabbiner Dr. Ziegler und Rabbiner Dr. Kayserling der allgemeinen Trauer Ausdruck gegeben, nach Budapest, der Stätte seines langjährigen segensreichen Wirkens, überführt und dort am 11. Juli unter großer Theilnahme weiter Kreise zur letzten Ruhe geleitet.